Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung, Verlust des Ablehnungsrechts, Beschwerde
Leitsatz (NV)
- Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 43 ZPO). Ein "Einlassen" in eine Verhandlung bedeutet jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln unter Mitwirkung des Richters. Hierzu gehört auch das Einreichen eines Schriftsatzes.
- Bei der Entscheidung über eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs ist nur über die im jeweiligen Ablehnungsgesuch enthaltenen Gründe zu befinden, andere Befangenheitsgründe können nicht mehr geltend gemacht werden.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1, § 128; ZPO § 42 Abs. 1-2, § 43
Tatbestand
I. Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat beim Finanzgericht (FG) wegen u.a. Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 1992 bis 1996 Klage erhoben. Sie wendet sich gegen die Behandlung eines Teilbetrages der ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer gewährten Vergütungen als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA). In einem vorangegangenen Klageverfahren war über die selbe Frage zu entscheiden. Das FG hat die frühere Klage durch den Einzelrichter E nach mündlicher Verhandlung als unbegründet zurückgewiesen.
Im vorliegenden Verfahren war E zuständiger Berichterstatter. In dieser Eigenschaft meldete er sich nach Eingang der Klage am 5. Oktober 1998 telefonisch beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin und wies ihn darauf hin, dass der Klageschriftsatz nicht unterzeichnet sei. Am 6. Oktober 1998 ging darauf ein unterzeichneter Klageschriftsatz beim FG ein. Die Klageerwiderung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) vom 10. Februar 1999 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 16. Februar 1999, die von E unterzeichnet war, zur Kenntnisnahme übersandt. Darauf nahm der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 1. März 1999 nochmals zur Sache Stellung. Mit Beschluss vom 25. Mai 1999 übertrug der Senat den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Dies ist nach dem Senats-Geschäftsverteilungsplan der bisherige Berichterstatter L.
Darauf lehnte die Klägerin E wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Sie machte geltend, E habe in der mündlichen Verhandlung im Rahmen des vorangegangenen Verfahrens geäußert, "für einen Meister ist ein Gehalt von ca. DM 300.000 wohl angemessen". Von einem Richter, der eine derartige Aussage mache, sei nicht zu erwarten, dass er im laufenden Verfahren derselben Klägerin noch objektiv und unbefangen sei. Der Antrag sei erst nach der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter gestellt worden. Die Besorgnis der Befangenheit richte sich lediglich gegen E als Einzelrichter; sie bestünde nicht, wenn der Fall vom ganzen Senat mit E als Berichterstatter entschieden würde.
Das FG verwarf das Ablehnungsgesuch als unzulässig. Eine Partei könne einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt habe. Dazu genüge bereits das Einreichen eines Schriftsatzes.
Mit der Beschwerde verfolgt die Klägerin ihr Ablehnungsgesuch weiter.
Die Ablehnung sei rechtzeitig erfolgt. Das Telefonat zwischen E und der Klägerseite am Anfang des Verfahrens sei nicht als Kundgebung des Vertrauens gegenüber dem Richter zu werten, zumal es hier nur um die Mitteilung gegangen sei, dass die Klageschrift ohne Unterschrift eingegangen sei. Ein früherer Befangenheitsantrag sei nicht gestellt worden, da die Klägerin nicht den Senat als Ganzes für befangen halte, sondern diese Besorgnis nur bei dem Einzelrichter E bestehe. Sie ergebe sich auch aus der mündlichen Verhandlung im laufenden Verfahren, in der E sich in sehr abfälliger Weise über die Klägerin geäußert habe. Auch die übrige Prozessführung und die Urteilsbegründung im laufenden Verfahren erweise, dass E mit einer fest vorgegebenen Meinung in dieses Verfahren gegangen sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.
1. Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―). Ein derartiger Grund besteht, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 30. September 1998 XI B 22/98, BFH/NV 1999, 348; vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Die Besorgnis der Befangenheit kann somit nur hinsichtlich eines oder mehrerer individuell bestimmter Richter aus deren individuellen Besonderheiten hergeleitet werden - Grundsatz der Individualablehnung (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1999, 348; vom 21. Juli 1967 III B 37/67, BFHE 90, 160, BStBl II 1968, 12; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 51 Anm. 19, m.w.N.). Der Senat hat daher bereits Zweifel, ob das Ablehnungsgesuch der Klägerin diesem Grundsatz entspricht. Denn nach ihrem eigenen Vorbringen ist es gegen E nur in seiner Funktion als Einzelrichter, nicht hingegen als Mitglied des Kollegialgerichts gerichtet. Dieser Frage braucht vorliegend aber nicht nachgegangen zu werden.
2. Denn jedenfalls hat die Klägerin ihr Ablehnungsrecht verloren.
Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 43 ZPO). Ein "Einlassen" in eine Verhandlung bedeutet jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln unter Mitwirkung des Richters. Hierzu gehört auch das Einreichen eines Schriftsatzes (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 1988 IX B 188/87, BFH/NV 1989, 237; vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50; vom 28. Juli 1997 III B 56/96, BFH/NV 1998, 184) oder die Stellung der Klageanträge (BFH-Beschluss in BFH/NV 1989, 237).
Die Klägerin hat am 6. Oktober 1998 einen (unterzeichneten) Klageschriftsatz beim FG eingereicht. Mit Schriftsatz vom 1. März 1999 nahm sie zur Klageerwiderung des FA Stellung. Bei diesen prozessualen Handlungen war ihr bekannt, dass E dem für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständigen Senat angehörte und Berichterstatter war. Somit hat sie sich rügelos in die Verhandlung eingelassen.
Dem Verlust des Ablehnungsrechts steht, wie auch das FG ausführt, nicht entgegen, dass E zunächst als Berichterstatter des Senats tätig geworden und ihm erst anschließend der Rechtsstreit zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden ist. Nach dem Grundsatz der Individualablehnung ist nicht nur das Ablehnungsgesuch selbst, sondern auch der Verlust des Ablehnungsrechts auf die Person des individuellen Richters bezogen; seine Funktion im Senat ist dabei unerheblich.
3. Bei der Entscheidung über eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs ist nur über die im jeweiligen Ablehnungsgesuch enthaltenen Gründe zu befinden, andere ―nachgeschobene― Befangenheitsgründe können nicht mehr geltend gemacht werden (BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1996 X B 195/95, BFH/NV 1996, 616; in BFH/NV 1999, 348).
Fundstellen
Haufe-Index 425193 |
BFH/NV 2000, 1220 |