Leitsatz (amtlich)
Auch in den finanzgerichtlichen Verfahren sind dem Rechtsanwalt in eigener Sache Gebühren und Auslagen zu erstatten.
Normenkette
FGO §§ 139, 155; ZPO § 91 Abs. 2 S. 4
Tatbestand
In dem Rechtsstreit der Eheleute Rechtsanwalt … und … (Steuerpflichtige) gegen das FA wegen Einkommensteuer aus gemeinsamer Veranlagung, den der Ehemann selbst geführt hatte, entschied das FG durch Urteil vom 15. Februar 1966 u. a., daß die Steuerpflichtigen die Kosten des Einspruchsverfahrens zu 33 % und die Kosten des Klageverfahrens zu 44 % zu tragen hätten und daß die Kosten im übrigen dem Land auferlegt würden. Den Streitwert setzte das FG für das Einspruchsverfahren auf 2 304 DM und für das Klageverfahren auf 2 562 DM fest. Daraufhin meldeten die Steuerpflichtigen als Kosten für das Klageverfahren 542,80 DM an, wobei sie insbesondere auch je eine Prozeß-, Verhandlungs- und Beweisgebühr nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) in Höhe von je 135 DM anführten. Der Urkundsbeamte des FG lehnte durch Beschluß vom 27. Mai 1966 die Festsetzung der Gebühren nach der BRAGebO ab und setzte die zu erstattenden Kosten auf 68,14 DM fest, wobei er im einzelnen 72 DM Fahrtkosten, 25 DM Tage- und Abwesenheitsgeld, 20 DM Auslagenpauschale und 4,68 DM Umsatzsteuer berücksichtigte. Auf die Erinnerung der Beteiligten setzte das FG die zu erstattenden Kosten durch Beschluß vom 24. November 1966 auf 249,65 DM fest. Bei der Festsetzung berücksichtigte es insbesondere je eine Prozeß-, Verhandlungs- und Beweisgebühr.
Zur Begründung führte das FG aus, für die Entscheidung komme es darauf an, ob ein Anwalt, der in eigener Sache einen Steuerprozeß führe, Anspruch auf Erstattung eigener Gebühren habe. Diese Frage sei zu bejahen. Nach § 155 FGO sei § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO sinngemäß anzuwenden. Diese Vorschrift enthalte eine Bestimmung über das Verfahren. Für die Beweisgebühr sei jedoch nur von einem Streitwert von 1 474 DM auszugehen. Außerdem könne die Umsatzsteuer nicht abgewälzt werden.
Gegen den Beschluß ließ das FG die Beschwerde zu.
Das FA legte Beschwerde ein mit der Begründung, § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO könne nicht sinngemäß angewendet werden. Darin sei eine auf das Zivilrecht beschränkte Sonderregelung enthalten, die ihre innere Berechtigung durch die im Zivilprozeß geltende Verhandlungsmaxime finde. Während im Zivilprozeß die Vertretung durch Rechtsanwälte die Regel sei, gehe der Gesetzgeber davon aus, daß bei den übrigen Verfahrensarten jedem Bürger zugemutet werden könne, sich selbst zu vertreten. § 139 FGO enthalte auch insoweit eine abschließende Regelung.
Das FA beantragt, die zu erstattenden Kosten auf 36,54 DM festzusetzen, wobei es im einzelnen 25,80 DM Fahrtkosten, 30 DM für die Zeitversäumnis und 9,50 DM Tagegeld berücksichtigt wissen will.
Die Steuerpflichtigen beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Wie das FG zutreffend dargelegt hat, hängt die Entscheidung von der Frage ab, ob dem Steuerpflichtigen die Gebühren und Auslagen nach der BRAGebO vom FA zu zahlen sind, weil er als Rechtsanwalt einen Steuerrechtsstreit in eigener Angelegenheit durchgeführt und dabei teilweise obgesiegt hat. Diese Frage ist zu bejahen.
Der BFH hat zu § 316 AO a. F., der vor dem Inkrafttreten der FGO die Erstattung von Kosten regelte, in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß einem Rechtsanwalt, der in eigenen Steuerangelegenheiten obsiegt, Gebühren und Auslagen nicht zu erstatten seien (BFH-Urteile II 27/55 S vom 10. August 1955, BFH 61, 204, BStBl III 1955, 276; II 52/56 U vom 13. November 1957, BFH 66, 47, BStBl III 1958, 18; VII 178/60 U vom 29. März 1961, BFH 72, 680, BStBl III 1961, 247; VII 237/64 vom 11. Januar 1966, BFH 84, 582, BStBl III 1966, 211). Zur Begründung hat der BFH im wesentlichen ausgeführt, daß nach § 316 Abs. 2 AO a. F. nur die Kosten zu erstatten seien, die durch die Zuziehung eines Bevollmächtigten entstanden seien. Wenn ein Rechtsanwalt in eigener Sache tätig werde, so liege eine Zuziehung nicht vor. Für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Erstattung von Gebühren und Auslagen für Tätigkeiten eines Rechtsanwalts in eigenen Angelegenheiten (zunächst §§ 7, 91 Abs. 1 Nr. 3 der Gebührenordnung für Rechtsanwälte – RAGebO –, später § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO) sei kein Raum, da § 316 Abs. 1 und 2 AO a. F. die Erstattung von Kosten abschließend regele.
§ 139 FGO enthält demgegenüber nicht eine abschließende Regelung. In Anlehnung an § 316 Abs. 2 AO a. F. regelt § 139 Abs. 3 FGO zwar auch die Erstattung von Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten oder Beistandes. Die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in eigenen Steuerangelegenheiten vermag nach dieser Regelung eine Kostenerstattung also nicht auszulösen. Wie das FG demgemäß zutreffend ausgeführt hat, tritt ein Rechtsanwalt in eigenen Angelegenheiten nicht als Bevollmächtigter auf (vgl. Oswald: Wenn ein Angehöriger eines rechts- und steuerberatenden Berufs im eigenen Steuerprozeß obsiegt – Frage der Kostenerstattung, „Die Wirtschaftsprüfung” 1966 S. 642; a. A. Eisenberg, Das Kostenrecht nach der Finanzgerichtsordnung, Deutsches Steuerrecht 1966 S. 417 [420, 421]). § 139 Abs. 3 FGO schließt aber die Erstattung von Kosten in solchen Fällen auch nicht aus. Zwar entspricht die Regelung in § 139 Abs. 3 FGO weitgehend der in § 91 Abs. 2 ZPO, ohne daß die Erstattung der Kosten in eigener Sache darin aufgenommen worden ist. Aus dieser Tatsache allein kann man jedoch nicht entnehmen, daß die Erstattung der Kosten in eigener Sache ausgeschlossen sein soll (vgl. Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, § 173 Anm. I, 3). Die FGO weist insoweit vielmehr eine Lücke auf. Durch § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO sollte offenbar erreicht werden, daß der Rechtsanwalt für die in seinem Beruf geleistete Tätigkeit auch dann die gesetzlich vorgesehenen Gebühren nebst Auslagenerstattung erlangt, wenn er in eigener Angelegenheit tätig wird, und daß die Gegenpartei nicht dadurch bessergestellt wird, daß der Rechtsanwalt in eigenen Angelegenheiten von der Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts absieht (vgl. Gerold-Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 3. Aufl., § 1 Anm. 59). Diese Ziele gelten nicht nur für den Zivilprozeß. Auch im finanzgerichtlichen Verfahren wird der Rechtsanwalt in eigenen Angelegenheiten in seinem Beruf tätig, und die Gegenpartei würde günstiger gestellt, wenn § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO nicht entsprechend angewandt werden könnte. Die Möglichkeit der entsprechenden Anwendung ergibt sich nunmehr aus § 155 FGO. Durch die FGO sollte die Ordnung für das Verfahren vor den FG an die Verfahrensordnungen für andere Zweige der Gerichtsbarkeit angeglichen werden (vgl. Begründung zum Entwurf einer Finanzgerichtsordnung, Bundestagsdrucksache IV/1446 S. 35; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, Einleitung, Tz. 32; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung und den Nebengesetzen, V, 1. bis 5. Aufl., FGO, Einführung, Anm. 71). Die Anpassung des finanzgerichtlichen Verfahrens an den Zivilprozeß kommt insbesondere auch darin zum Ausdruck, daß die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) und der ZPO gemäß § 155 FGO sinngemäß anzuwenden sind, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen. Daraus ergibt sich, daß die FGO das finanzgerichtliche Verfahren nicht erschöpfend regelt. Verbliebene Lücken sind nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers möglichst durch entsprechende Anwendung des GVG und der ZPO auszufüllen (Begründung zum Entwurf einer Finanzgerichtsordnung, a. a. O., zu § 160, S. 60). Diese Regelung rechtfertigt es nunmehr, § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO sinngemäß anzuwenden (vgl. Begründung zum Entwurf einer Finanzgerichtsordnung, a. a. O., zu § 131, S. 59; Ziemer-Birkholz, a. a. O., § 139, Tz. 18; Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., FGO, § 139, Anm. 22; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 2. und 3. Aufl., FGO, § 139, A 12; Eisenberg, a. a. O.; Oswald, a. a. O.; derselbe in Monatsschrift für Deutsches Recht 1967 S. 461; Schumann, Kostenpflicht und Kostenerstattung nach der Finanzgerichtsordnung, Der Betriebs-Berater 1966 S. 1057 [1061]; a. A. Görg-Müller, Finanzgerichtsordnung, § 139, Rdnr. 760).
Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO eine Bestimmung über das Verfahren im Sinne von § 155 FGO. Er gehört zu den Bestimmungen über die Kostenerstattungspflicht, die ihrer Natur nach zum Verfahrensrecht gehören (vgl. Beschluß des OVG Münster VIII B 84/63 vom 19. Februar 1964, Deutsches Verwaltungsblatt 1965 S. 244 [245]). Gegenstand der Regelung ist zwar ein Anspruch eines Verfahrensbeteiligten gegen einen anderen. Es handelt sich dabei aber um einen Anspruch, der sich aus dem Verfahrensrecht und nicht aus dem sachlichen recht ergibt (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 29. Aufl., Übersicht vor § 91 Anm. 3; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., vor § 91, II, 3). In der Literatur ist deshalb von der „prozessual geregelten Erstattung” (Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, Bd. I, Teil 1, § 91 B II a), vom „prozessualen Erstattungsanspruch” (Stein-Jonas, a. a. O., vor § 91, II, 3) oder von der „prozessualen Kostenpflicht” (Baumbach-Lauterbach, a. a. O., 3 Z) die Rede. Auch der Entscheidung des Großen Senats des BFH Gr. S. 8/66 vom 18. Juli 1967 (BFH 90, 156 [157 bis 159], BStBl II 1968, 59) muß entnommen werden, daß nach dessen Meinung die Bestimmungen über die Kostenerstattungspflicht in der FGO dem Verfahrensrecht angehören und durch die Vorschriften der ZPO zu ergänzen sind. Der Große Senat legt in der genannten Entscheidung nämlich dar, daß die FGO bei der Regelung der Kostenerstattungspflicht von den gleichen Grundsätzen ausgeht, wie die ZPO (BFH, a. a. O., S. 157, 158) und daß es dem § 155 FGO entspricht, für die Frage, wann der Kostenerstattungsanspruch entsteht, die zivilprozeßrechtlichen Anschauungen zu übernehmen (BFH, a. a. O., S. 159). Diese Entscheidung hat nicht nur für die Frage nach dem Zeitpunkt der Entstehung des Kostenerstattungsanspruchs Bedeutung. Die Ausführungen, daß die FGO bei der Regelung der Kostenerstattungspflicht von den gleichen Grundsätzen ausgehe wie die ZPO, betreffen die Regelung der Kostenerstattungspflicht insgesamt. Dazu gehören auch die Regelungen in §§ 139 Abs. 3 FGO, 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO, die den Umfang der Kostenerstattungspflicht regeln.
Die vom FA angeführten Gegengründe vermögen nicht zu überzeugen. Der Auffassung, daß die Regelung in § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO ihre innere Berechtigung durch die im Zivilprozeß geltende Verhandlungsmaxime finde, vermag der Senat nicht zu folgen. Wie bereits dargelegt, soll durch § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO vielmehr erreicht werden, dem Rechtsanwalt bei der Erledigung eigener Angelegenheiten für die in seinem Beruf geleistete Arbeit die gesetzlich vorgesehenen Gebühren und Auslagen zukommen zu lassen und die Gegenpartei nicht dadurch besser zu stellen, daß der Rechtsanwalt von der Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts absieht. Der FGO kann entgegen der Auffassung des FA auch nicht entnommen werden, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dem Bürger sei es zuzumuten, sich im Finanzgerichtsverfahren selbst zu vertreten. Das Gegenteil muß aus § 139 Abs. 3 Satz 1 FGO entnommen werden, wonach Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets zu erstatten sind, ohne daß die Notwendigkeit der Zuziehung des Rechtsanwalts geprüft werden darf (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., FGO, § 139, Anm. 21). Diese Regelung zwingt zu der Schlußfolgerung, daß der Gesetzgeber die Notwendigkeit der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts für das Finanzgerichtsverfahren in jedem Fall unterstellt wissen will.
Vorinstanz:
Die Fahrtkosten (§ 28 Abs. 1 BRAGebO) sowie das Tage- und Abwesenheitsgeld (§ 28 Abs. 2 BRAGebO) waren abweichend vom Antrag des FA festzusetzen. Nach § 26 BRAGebO war auch eine Auslagenpauschale zu berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 557274 |
BStBl II 1969, 81 |
BFHE 1969, 113 |