Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung wegen Befangenheit aufgrund von mehreren Verfahrensfehlern des Richters
Leitsatz (NV)
Auch eine Häufung von Verfahrensfehlern rechtfertigt für sich allein nicht die Besorgnis der Befangenheit, wenn die Verfahrensfehler auf eine einzige Verfügung des abgelehnten Richters zurückzuführen sind und dies nach der dienstlichen Stellungnahme des Richters auf einem Versehen beruht.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2, § 44 Abs. 3
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), zusammen veranlagte Eheleute, haben vor dem Finanzgericht (FG) eine Klage wegen Einkommensteuer 1998 erhoben (15 K 7651/99 E). Berichterstatterin ist Richterin am FG X. Die Kläger haben Richter am FG Y wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dies mit Ablehnungsgesuchen in den Sachen 15 K 940/96 F und 15 V 3433/00 A(E) und den dort eingereichten eidesstattlichen Versicherungen begründet. Richter Y erklärte in einer zusammengefassten dienstlichen Äußerung zu diesem und weiteren Befangenheitsanträgen am 29. Juni 2000, er sei in diesen Sachen nicht voreingenommen und halte sich nicht für befangen. Mit Beschluss vom 21. August 2000 lehnte der Senat ―ohne Y― den Antrag ab und führte aus, es bestünden bereits Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags, denn ausweislich des Geschäftsverteilungsplans des Senats für das Jahr 2000 wirke Y an Senatsentscheidungen der Berichterstatterin nicht mit. Ferner sei ein Ablehnungsgesuch, das sich ausschließlich auf das Verhalten eines Richters in früheren Verfahren stütze, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) regelmäßig rechtsmissbräuchlich und deshalb unzulässig. Dies müsse erst recht gelten, wenn die Kläger der jeweiligen Verfahren nicht identisch seien. Die Kläger hätten nichts dazu vorgetragen, aus welchen Gründen sie die Besorgnis herleiteten, Y könne, falls er überhaupt jemals mit dieser Sache befasst sein werde, nicht unbefangen entscheiden. Selbst wenn man davon ausginge, dass die in den Verfahren 15 K 940/96 F und 15 V 3433/00 A(E) geltend gemachten Befangenheitsgründe sich auch auf das vorliegende Verfahren auswirken könnten, könne dies die Besorgnis der Befangenheit von Y nicht begründen, wie der Senat im Beschluss vom 31. Juli 2000 15 K 940/96 F im Einzelnen dargelegt habe. Die Kläger haben gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, die beim Senat unter dem Az. III B 89/00 geführt wird.
Die Kläger haben im Anschluss an den Beschluss vom 21. August 2000 auch den Senatsvorsitzenden (V) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zur Begründung auf die Ablehnungsgesuche in den Verfahren 15 K 940/96 F, 15 K 2146/97 F und 15 V 3433/00 A(E) verwiesen. Der Senat hat ohne die abgelehnten Richter den Antrag mit Beschluss vom 24. November 2000 abgelehnt. Der Antrag sei bereits unzulässig. Werde ein Ablehnungsgesuch ausschließlich auf das Verhalten eines Richters in früheren Verfahren gestützt, so sei es nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig rechtsmissbräuchlich und deshalb unzulässig. Dies müsse erst recht gelten, wenn die Kläger der jeweiligen Verfahren nicht identisch seien. Die Kläger hätten nichts dazu vorgetragen, aus welchen Gründen sie die Besorgnis herleiteten, V könne in ihrer Sache nicht unbefangen entscheiden. Rechtsmissbräuchlich sei der Ablehnungsantrag schließlich auch deshalb, weil er in der erkennbaren Absicht der weiteren Prozessverzögerung gestellt worden sei. Der Klägervertreter berufe sich auf Befangenheitsgründe, die in den jeweiligen Verfahren bereits zu einem erheblich früheren Zeitpunkt hätten geltend gemacht werden können. Für die verzögerte Antragstellung im vorliegenden Verfahren sei kein sachlicher Grund ersichtlich.
Selbst wenn man davon ausginge, dass die in den Verfahren 15 K 940/96 F, 15 K 2146/97 F und 15 V 3433/00 A(E) geltend gemachten Befangenheitsgründe auch im vorliegenden Verfahren zum Tragen kommen könnten, wofür allerdings nichts ersichtlich sei, könnten diese die Besorgnis der Befangenheit des V nicht begründen, wie der Senat in den Beschlüssen vom 24. August 2000 15 K 2146/97 F und vom 13. November 2000 15 K 940/96 F im Einzelnen dargelegt habe. Da im vorliegenden Verfahren lediglich bereits geltend gemachte Befangenheitsgründe wiederholt würden, habe der Senat von der Einholung einer weiteren dienstlichen Äußerung durch V abgesehen.
Ihre dagegen gerichtete Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, begründen die Kläger mit einem Verweis auf die Beschwerdebegründung in der Sache 15 K 8699/99 E,U, die andere Kläger betrifft. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt:
Der Senat gehe zu Unrecht in seiner Entscheidung davon aus, dass das Ablehnungsgesuch unzulässig sei. Zwar stütze sich das Ablehnungsgesuch u.a. auch auf Verhaltensweisen des Richters in früheren Verfahren, in denen der Prozessbevollmächtigte der Kläger ebenfalls tätig gewesen sei, indessen sei anerkannt, dass ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozessbevollmächtigten und einem Richter bei einer Prozesspartei die Besorgnis der Befangenheit begründen könne. Die ablehnende Einstellung des Richters müsse jedoch der Partei gegenüber irgendwie in Erscheinung getreten sein. Das Ablehnungsgesuch stütze sich auf eine Häufung von fehlerhaften Maßnahmen des V in verschiedenen Prozessen, in denen der Prozessbevollmächtigte der Kläger ebenfalls bevollmächtigt sei. Diese fehlerhaften Maßnahmen stellten nach Auffassung der Kläger einen Ablehnungsgrund dar, weil sie ihrem Inhalt und der Häufigkeit nach auf eine unsachliche Einstellung des Richters schließen ließen und teilweise willkürlich seien.
Dieser Eindruck sei bei den Klägern in ihrem eigenen Verfahren dadurch entstanden, dass der Senat vor Ablauf der den Klägern für den 5. September 2000 zur Gegenäußerung auf die dienstliche Äußerung gesetzte Frist bereits am 21. August 2000 den Antrag auf Ablehnung des Y abgelehnt hätte. Auch wenn es sich bei diesem Beschluss um einen Senatsbeschluss handele, so sei er doch unter Federführung des Senatsvorsitzenden zustande gekommen, es sei denn, der Senat wolle zum Ausdruck bringen, dass V von seinen Beisitzern überstimmt worden sei.
Nicht nachvollziehbar sei die Unterstellung des Senats, der Ablehnungsantrag sei in der erkennbaren Absicht der weiteren Prozessverzögerung gestellt worden. Den Klägern stehe, bevor in ihrer Sache ein Ablehnungsantrag gestellt werde, eine gewisse Bedenkzeit und das Recht zu, sich umfangreich zu informieren.
Zu Unrecht habe der Senat von der Einholung einer dienstlichen Äußerung durch V abgesehen. Die frühere dienstliche Äußerung des V setze sich nicht damit auseinander, aus welchen Gründen der Senat vor Ablauf der selbst gesetzten Frist die Beschwerden zurückgewiesen habe. Es hätte die Kläger schon interessiert, ob sich V in dieser Sache für befangen oder nicht befangen erklärt hätte. Da eine richterliche Stellungnahme unterblieben sei, sei davon auszugehen, dass der Vortrag der Kläger hinsichtlich der von ihnen geäußerten Ablehnungsgründe zutreffend sei, da andernfalls V widersprochen hätte.
Im Übrigen werde auf die Beschwerdebegründung in der Sache 15 K 2146/97 F (Az. des BFH: VIII B 103/00) sowie auf die in der Sache 15 K 940/96 F (Az. des BFH: IV B 118/00) verwiesen.
Fest stehe, dass V in den genannten und in 14 weiteren Verfahren entweder nicht zu begründenden Handlungsdruck auf den Prozessbevollmächtigten bzw. dessen Mitarbeiter ausgeübt sowie schikanöse Fristen gesetzt und Termine bestimmt habe, oder in seiner Eigenschaft als Senatsvorsitzender federführend für abweisende Gerichtsbeschlüsse gewesen sei, die vor Ablauf der von ihm selbst gesetzten Fristen zur Stellungnahme gefasst worden seien.
Besonders eindrucksvoll stelle sich die Handlungsweise des Senatsvorsitzenden aber auch darin dar, dass er in seiner dienstlichen Äußerung vom 17. August 2000 in der Sache 15 K 2146/97 F den vom Prozessbevollmächtigten der Kläger geschilderten Verfahrensablauf als zutreffend bestätigt und dann am gleichen Tag denselben Sachverhalt in seiner dienstlichen Äußerung zur Sache 15 K 940/96 F als ihm unbekannt darstelle.
Diese fehlerhaften Maßnahmen des V beruhten nach Auffassung der Kläger auf einer unsachlichen, willkürlichen Einstellung des Richters und stellten in ihrer Gesamtheit einen Grund dar, der die Kläger befürchten lasse, V werde in ihrer Sache nicht unparteiisch entscheiden.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) hat in dem Verfahren keine Stellungnahme zur Sache abgegeben.
Entscheidungsgründe
II. Die gemäß § 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Beschwerde ist statthaft. Zwar kann nach § 128 Abs. 2 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ein Beschluss über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mehr mit der Beschwerde angefochten werden. Gemäß Art. 4 2.FGOÄndG richtet sich die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen eine gerichtliche Entscheidung aber nach den bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Vorschriften, wenn die Entscheidung vor dem 1. Januar 2001 verkündet oder von Amts wegen anstelle einer Verkündung zugestellt worden ist. Vorliegend ist der angefochtene Beschluss vor dem 1. Januar 2001 zugestellt worden.
2. Nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) setzt die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Beschluss vom 16. Dezember 1996 I B 100/94, BFH/NV 1997, 369). Durch das Institut der Richterablehnung sollen die Beteiligten vor Unsachlichkeit geschützt werden. Es ist kein geeignetes Mittel, sich gegen unrichtige oder für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, gleichgültig ob diese Ansichten formelles oder materielles Recht betreffen (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 369).
3. Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze rechtfertigen die von den Klägern vorgetragenen Gründe nicht die Besorgnis der Befangenheit.
Die Kläger stützen ihr Befangenheitsgesuch zu Unrecht auf ein Verhalten des V in früheren Verfahren, an denen sie selbst nicht beteiligt sind oder waren. Spannungen oder Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Prozessbevollmächtigten und dem abgelehnten Richter, die in anderen Verfahren des Prozessbevollmächtigten zutage getreten sind, können nur dann eine Besorgnis der Befangenheit in dem konkreten Verfahren begründen, wenn eine ablehnende Einstellung auch in diesem Verfahren in Erscheinung getreten ist (BFH-Beschluss vom 22. Februar 2001 VIII B 103/00, BFH/NV 2001, 1126). Im Streitfall haben die Kläger weder in ihrem Befangenheitsgesuch noch in der Beschwerdebegründung derartige Umstände dargelegt.
Die Kläger tragen vor, im Streitfall ergebe sich die sachliche Voreingenommenheit von V ihnen gegenüber daraus, dass der Senat über das Ablehnungsgesuch gegen Richter Y bereits am 21. August 2000 entschieden habe, obwohl dem Prozessbevollmächtigten eine Frist bis zum 5. September 2000 gesetzt worden sei, sich zu der dienstlichen Stellungnahme des Y zu äußern.
Aus den Akten ist nicht erkennbar, dass V oder die Berichterstatterin im vorliegenden Verfahren den Klägern diese oder eine andere Frist eingeräumt hätten, sich zu der dienstlichen Stellungnahme des Y zu äußern. Ersichtlich ist lediglich, dass das Ablehnungsgesuch zusammen mit der dienstlichen Äußerung des Y dem FA am 30. Juni 2000 mit einer Frist zur Stellungnahme von zwei Monaten übersandt worden war.
Selbst wenn dem Prozessbevollmächtigten ―wie in anderen Verfahren der Fall― auch unter dem Aktenzeichen des Streitfalls die zusammengefasste dienstliche Äußerung des Y zur Stellungnahme bis 5. September 2000 übersandt worden wäre, ließe sich allein daraus, dass der Senat vor Ablauf dieser Frist über das Ablehnungsgesuch entschieden hätte, nicht auf eine Voreingenommenheit des V schließen. Ungeachtet der Frage, ob die Missachtung der Frist dem V überhaupt zugerechnet werden könnte, wäre dies nur dann der Fall, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass V den Klägern bewusst das rechtliche Gehör hätte versagen wollen. Hierfür ist indessen nichts ersichtlich.
Zwar verletzt ein Gericht Verfahrensvorschriften, wenn es gegenüber Beteiligten gesetzte Fristen missachtet. Insbesondere liegt ein Verstoß gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes ―GG―, § 96 Abs. 2 FGO) und des fairen Verfahrens (§ 76 Abs. 2 FGO) vor, wenn vor Ablauf einer vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme ohne deren Vorliegen entschieden wird, und zwar unabhängig davon, ob es notwendig war, dem Beteiligten eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben (BFH-Beschluss vom 28. Mai 2001 IV B 4/01, BFH/NV 2001, 1434).
Der gerügte Verfahrensverstoß kann aber darauf beruhen, dass V und seine Kollegen bei Abfassung des Beschlusses irrtümlich der Meinung waren, die Frist sei abgelaufen. Denkbar ist auch, zumal eine Fristsetzung aus den Akten nicht ersichtlich ist, dass das FG übersehen hat, dass den Klägern eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt worden war. Hiergegen spricht nicht, dass die Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche in anderen Verfahren ebenfalls vor Ablauf der Frist zur Stellungnahme bis 5. September 2000 ergangen sind, weil die Missachtung der Frist zur Stellungnahme auf eine einzige Verfügung des V zurückzuführen ist, die in allen Verfahren missverständlich ausgelegt worden sein kann. Außerdem kann ―wie möglicherweise in vorliegendem Verfahren der Fall― auch in diesen Verfahren versäumt worden sein, eine Aktenausfertigung über die Fristsetzung zu den Akten zu nehmen, so dass das FG bei Abfassung der Beschlüsse möglicherweise gar nicht vor Augen hatte, dass es den Klägern eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt hatte. Denkbar erscheint dies insbesondere deshalb, weil die dienstliche Äußerung des Y den Klägern nicht hätte mitgeteilt werden müssen, denn sie enthielt keine Tatsachen, sondern beschränkte sich darauf mitzuteilen, er (Y) halte sich nicht für befangen (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juni 1995 XI B 11/95, BFH/NV 1995, 1083). Daher lassen diese Verfahrensverstöße auch in ihrer Gesamtschau nicht erkennen, dass V eine negative Einstellung gegenüber dem Prozessvertreter hatte, die sich auf die Kläger erstreckte.
Das FG war auch nicht gehalten, eine erneute dienstliche Stellungnahme des V gemäß § 44 Abs. 3 ZPO einzuholen, denn die geltend gemachten Ablehnungsgründe entsprachen denen in dem Verfahren 15 K 940/96 F. V hatte sich in diesem Verfahren am 17. August 2000 dienstlich zu dem dort gestellten Befangenheitsantrag geäußert, der u.a. auch damit begründet worden war, der Senat habe ihm die zusammengefasste dienstliche Äußerung des Y vom 29. Juni 2000 mit einer Frist zur Stellungnahme bis zum 5. September 2000 übersandt, sein Ablehnungsgesuch aber bereits zu einem früheren Zeitpunkt zurückgewiesen. Darin erklärt V, bei Beschlussfassung sei von einem Ablauf der Frist ausgegangen worden.
Fundstellen