Leitsatz (amtlich)

Die Darlehnsgewährung (§ 3 Abs. 1 KVStG) an eine überschuldete Kapitalgesellschaft wird nicht durch § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG begünstigt. Es bleibt offen, ob etwas anderes gelten könnte, wenn der Gesellschafter sich bei Gewährung des Darlehens ausdrücklich und nach außen erkennbar verpflichtet hat, das Darlehen der Gesellschaft bis zur Befriedigung aller anderen Gläubiger zu belassen und mit der Befriedigung seiner eigenen Fordurung hinter diesen Gläubigern zurückzustehen.

 

Normenkette

KVStG § 9 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Einer ihrer Gesellschafter hat ihr zunächst ein Darlehen von 2 000 000 DM und hernach Darlehen von 1 000 000 DM gewährt. Wegen dieser Darlehen hat das FA die Beschwerdeführerin mit dem vollen Steuersatz zur Gesellschaftsteuer herangezogen. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Vorgänge seien gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG begünstigt, weil die Darlehen ihre Überschuldung abgedeckt hätten. Den Antrag, die Vollziehung der Steuerbescheide in der sich aus der Differenz des normalen und des begünstigten Steuersatzes ergebenden Höhe auszusetzen, hat das FG abgelehnt (veröffentlicht in DStZ B 1971, 46). Zur Begründung nimmt es Bezug auf das Urteil des FG Hamburg I 412/61 (IV) vom 7. Oktober 1963, - EFG 1964, 237 - (vgl. auch dessen Urteil IV 35/62 vom 25. Februar 1964, EFG 1964, 550, DStZ B 1964, 487).

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist unbegründet.

Für dieses Verfahren (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) ist davon auszugehen, daß die Behauptung der Beschwerdeführerin zutrifft, sie sei in Höhe der als Darlehen zugeführten Beträge überschuldet gewesen. Dies vorausgesetzt, muß davon ausgegangen werden, daß die Darlehnsgewährung den Tatbestand des § 3 Abs. 1 KVStG erfüllt. Denn ersichtlich ist im Falle der Überschuldung einer Kapitalgesellschaft (§ 5 KVStG) die Zuführung von Eigenkapital geboten, um den Konkursgrund der Überschuldung (§ 63 GmbHG) zu beseitigen. Fraglich ist insoweit nur, ob die Gewährung eines Darlehens in einem solchen Falle geeignet ist, die Zuführung von Eigenkapital zu ersetzen. Denn die Darlehnsgewährung erzeugt die Darlehnsforderung (§ 607 BGB), also wiederum eine Schuld der Gesellschaft, und behebt somit den Zustand der Überschuldung nicht (vgl. Urteil des BFH II 162/65 vom 3. Dezember 1969, BFH 98, 59 [70], BStBl II 1970, 279).

Es kann deshalb zweifelhaft sein, ob die Darlehnsgewährung den Geschäftsführer der Beschwerdeführerin von der Pflicht, bei erkannter Überschuldung die Eröffnung des Konkursverfahrens oder des gerichtlichen Vergleichsverfahrens zu beantragen (§ 64 Abs. 1 GmbHG), entbunden hat. Doch kommt es hierauf nicht an (§ 5 Abs. 2 StAnpG). Denn jedenfalls hat die Darlehnsgewährung bewirkt, daß die Beschwerdeführerin nicht in Konkurs fiel; die Darlehnsgewährung war also Grundlage dafür, daß die Beschwerdeführerin weiterbestehen konnte (vgl. Urteil II R 2/68 vom 3. Dezember 1969, BFH 98, 81 [83], BStBl II 1970, 289). Unter diesem Gesichtspunkt "ersetzt" die Darlehnsgewährung die Eigenkapitalzuführung (§ 3 Abs. 1 KVStG), obschon sie die Überschuldung als solche nicht bereinigt (Schmidt in Hachenburg, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 6. Aufl., 1959, § 63 Anm. 5 c), deshalb, weil das Rückforderungsrecht des darlehnsgewährenden Gesellschafters durch den Rechtsgedanken der §§ 30, 31 GmbHG beschränkt wird.

Der BGH hat aus diesem Grund in dem Urteil II ZR 187/57 vom 14. Dezember 1959 (BGHZ 31, 258) ein bei Überschuldung gewährtes Darlehen eines Gesellschafters wie Eigenkapital behandelt. Dieses Urteil ist in dem Sinne verstanden worden, daß die Konkursantragspflicht entfalle, wenn ein Gesellschafter der überschuldeten Gesellschaft die erforderlichen Mittel als Darlehen zur Verfügung stelle und infolgedessen die gewährten Mittel insolange, als der Sanierungszweck nicht nachhaltig erreicht ist, wie Eigenkapital zu behandeln seien (so z. B. Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 13. Aufl., 1970, § 64 Anm. 1; vgl. dagegen aber, a. a. O., § 63 Anm. 1 B). Dafür scheinen allerdings die Ausführungen auf Seite 279, a. a. O., zu sprechen, während es bei den Darlegungen auf Seite 271 bis Seite 273 nur darum geht, daß der Gesellschafter selbst die Konkursantragspflicht abwenden wollte.

Eine Befugnis, im Hinblick auf ein Gesellschafterdarlehen trotz gegebener Überschuldung von dem Konkursantrag abzusehen, müßte jedenfalls dann problematisch erscheinen, wenn für diese Darlehnsforderung nicht nach außen erkennbar ausdrücklich die Unkündbarkeit bis zur Behebung der Überschuldung und der Rangrücktritt gegenüber allen anderen Gläubigern der Gesellschaft vereinbart ist. Denn es läßt sich zwar zwanglos folgern, daß ein Gesellschafter, der der überschuldeten Gesellschaft in Kenntnis ihrer Überschuldung ein Darlehen gewährt und ihr damit die Weiterexistenz ermöglicht hat, sich den dadurch betroffenen Gläubigern gegenüber so behandeln lassen muß, wie wenn er das "nach der Sachlage Gebotene" getan, also Eigenkapital zugeführt hätte (§ 242 BGB). Das impliziert aber nicht den Umkehrschluß, es sei rechtmäßig, von dem Antrag auf Eröffnung des Konkurses oder des gerichtlichen Vergleichsverfahrens abzusehen. Denn wenn an die Nichtbeachtung von Vorschriften, welche die Gläubiger der Gesellschaft schützen sollen (§ 823 Abs. 2 BGB) - vgl. Urteil des BGH VI ZR 245/57 vom 16. Dezember 1958 (BGHZ 29, 100 [103]) -, gewisse, einem Schadenersatz (§ 249 BGB) vergleichbare oder über diesen hinausreichende (§ 31 Abs. 1 GmbHG, vgl. mit § 31 Abs. 2 GmbHG) Rechtsfolgen geknüpft werden, so würde diesen Rechtsfolgen die Basis entzogen, wenn die Nichtanmeldung des Konkurses ohnehin schon rechtmäßig wäre.

Die Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG würde selbst dann nicht gerechtfertigt sein, wenn die Gewährung eines Gesellschafterdarlehns auch ohne ausdrücklichen Rangrücktritt dazu berechtigen würde, von der sonst gebotenen Anmeldung des Konkurses oder eines gerichtlichen Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses (vgl. §§ 207, 213 der Konkursordnung - KO -, § 63 GmbHG) abzusehen. Denn jedenfalls wird die Überschuldung der Gesellschaft durch ein solches Verfahren nicht "gedeckt" (Kinnebrock, Kapitalverkehrsteuergesetz, 3. Aufl., 1960, § 9 Anm. I; Egly, Gesellschaftsteuer, 2. Aufl., 1968, II. Teil, Abschn. 71, 72).

Gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG ermäßigt sich die Steuer auf 1 v. H. der Besteuerungsgrundlage (§ 8 KVStG) beim Erwerb von Gesellschaftsrechten, bei der Veräußerung eigener Gesellschaftsrechte und bei Leistungen, soweit sie erforderlich sind, zur Deckung der Überschuldung einer inländischen Kapitalgesellschaft. Dieser Wortlaut trifft den vorliegenden Fall nicht. Denn "Erwerb von Gesellschaftsrechten" ist der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG erwähnte Tatbestand, die "Veräußerung eigener Gesellschaftsrechte" der des § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVStG. Folglich spricht die Zusammenfassung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG dafür, unter "Leistungen" im Sinne dieser Vorschrift die in § 2 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 KVStG bezeichneten Leistungen zu verstehen. Sind auch die in § 3 KVStG beschriebenen Vorgänge der Darlehnsgewährung, Sicherheitsleistung und Stundung in einem weiteren Sinne ebenfalls Leistungen des Gesellschafters an die Gesellschaft, so bezeichnet sie das Gesetz doch nicht als solche; in § 8 Nr. 5 KVStG und in § 10 Abs. 2 Nr. 4 KVStG sind die Darlehnsgewährung und die anderen in § 3 KVStG erwähnten Tatbestände ausdrücklich vom Leistungsbegriff der vergleichbaren Vorschriften (§ 8 Nr. 2, § 10 Abs. 2 Nr. 2 KVStG) ausgenommen. Es besteht kein Grund, dem zwischen diesen Vorschriften stehenden § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG eine andere Terminologie zu unterstellen, zumal auch § 9 Abs. 2 Nr. 2 KVStG mit dem Ausdruck "Zubußen" an einen in § 2 (Abs. 1 Nr. 2 Satz 1) KVStG verwendeten rechtstechnischen Begriff anknüpft.

Das allein würde nicht ausschließen, § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG entsprechend anzuwenden. Eine derart extensive Interpretation, welche dem Wortlaut gegenüber eine Ausdehnung der Befreiungsvorschrift wäre, müßte jedoch auf den Zweck der Befreiungsvorschrift oder des Gesetzes in seinem Zusammenhang gestützt werden können. Dabei ergibt sich indessen, daß § 9 Abs. 2 KVStG nicht jede durch wirtschaftliche Umstände erzwungene Kapitalzuführung begünstigt, so z. B. nicht die Kapitalzuführung, welche erforderlich ist, um die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft zu erhalten, also den anderen der beiden Konkursgründe (§ 102 KO, vgl. mit § 63 GmbHG) zu vermeiden.

Die Deckung der Verluste am Grundkapital erscheint dem Gesetzgeber nicht nur dann förderungswürdig, wenn sie bereits zur Überschuldung der Gesellschaft geführt hatte, sondern auch schon bei Verlusten am Stammkapital (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG). In beiden Fällen geht es aber um Unterstützungsmaßnahmen, die nicht nur der einzelnen Gesellschaft wegen, sondern allgemein rechtsund wirtschaftspolitisch erwünscht sind. Dagegen ist es nicht unproblematisch, eine gegebene Überschuldung durch ein Gesellschafterdarlehen zu "überbrücken". Denn im eigentlichen Sinne "deckt" ein Darlehen weder eine Überschuldung noch einen Verlust am Stammkapital.

Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß die Rechtsform eines Gesellschafterdarlehens naheliegt, wenn die anderen Gesellschafter nicht in der Lage sind, gleiche Beträge in die Gesellschaft einzulegen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG), und nicht willens sind, bei Kapitalerhöhung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG) oder sonstiger Änderung des Gesellschaftsvertrages (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 KVStG) eintretende Verschiebungen der Machtverhältnisse hinzunehmen. Mag auch zuweilen davon auszugehen sein, daß der Gesellschafter, obwohl er das nicht eigens erwähnt hat, den Rangrücktritt für eine kaufmännische Ehrenpflicht hält, so beweist doch der vom BGH entschiedene Fall (BGHZ 31, 258), daß eine solche Betrachtung nicht selbstverständlich ist. Selbst wenn die Gewährung eines (faktisch) kapitalersetzenden Darlehens (§ 3 Abs. 1 KVStG) bei ausdrücklichem Rangrücktritt des Darlehnsgebers (vgl. Urteil II R 2/68 vom 3. Dezember 1969, BFH 98, 81, BStBl II 1970, 289) noch vom Sinn des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG erfaßt wäre, könnte das aber nicht für den Fall gelten, daß der darlehnsgebende Gesellschafter diesen Rücktritt nicht ausdrücklich erklärt. Im erstgenannten Falle würde nämlich eine Leistung des Gesellschafters honoriert, die er nicht nur der Gesellschaft, sondern mittelbar auch deren Gläubigern (also einem Ausschnitt der Allgemeinheit) erbracht hat, während im anderen Falle offenbleibt, ob der Gesellschafter aus dem Rechtsgedanken der §§ 64, 30, 31 GmbHG heraus gezwungen werden kann, mit seiner Darlehnsforderung hinter allen anderen Gläubigern zurückzutreten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69208

BStBl II 1971, 336

BFHE 1971, 430

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