Entscheidungsstichwort (Thema)
Unbegründetheit einer auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 FGO gestützten NZB
Leitsatz (NV)
1. Führt die rechtzeitig vorgebrachte Begründung, es liege eine Abweichung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO vor, zur Unbegründetheit der NZB, so kann eine weitere nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist geltend gemachte Divergenz der NZB ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen.
2. Bei der Geltendmachung des Zulassungsgrundes aus § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO setzt § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO voraus, daß Kausalität zwischen dem gerügten Verfahrensmangel und der Klageabweisung schlüssig dargelegt worden ist, wobei vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG ausgegangen werden muß.
3. Wird als Verfahrensmangel die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt, so ist auch im Rahmen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO zu beachten, daß die in § 119 FGO vorgeschriebenen Wirkungen nicht eintreten, wenn es lediglich um die Verweigerung der Möglichkeit geht, sich zu einzelnen tatsächlichen Feststellungen zu äußern, auf die es unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen kann.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war im Streitzeitraum (1983 und 1984) an einer Bauherrengemeinschaft beteiligt, die im Rahmen eines Bauherrenmodells ein Wohngebäude errichtete. Er ist Eigentümer einer Eigentumswohnung, die er unter Einschaltung eines gewerblichen Zwischenmieters vermietete. Auf die Steuerbefreiung der Mietumsätze hat der Kläger gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) verzichtet. Die angefallenen Vorsteuerbeträge hat er zum Abzug geltend gemacht, was vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) zunächst anerkannt wurde.
Später gelangte das FA zu der Auffassung, daß die Voraussetzungen für einen umsatzsteuerrechtlich anzuerkennenden Verzicht auf die Steuerbefreiung nicht erfüllt seien, und erließ Änderungsbescheide 1983 und 1984, mit denen es den gewährten Vorsteuerabzug rückgängig machte.
Bevor die Änderungsbescheide am 21. November 1985 zur Post gegeben worden waren, hatte der Kläger gegen diese Einspruch eingelegt, nämlich mit einem am 28. Oktober 1985 beim FA eingegangenen Schreiben.
Den Einspruch wies das FA mit der Begründung als unzulässig zurück, daß dieser schon vor der Bekanntgabe der Änderungsbescheide eingelegt worden sei.
Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) mit der Begründung abgewiesen, das FA habe den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen. Aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. April 1983 VI R 209/79, BFHE 138, 154, BStBl II 1983, 551) könne ein schriftlich zu erteilender Steuerbescheid vor dessen schriftlicher Bekanntgabe nicht wirksam mit einem Rechtsbehelf angefochten werden. Eine Ausnahme sei allenfalls dann gerechtfertigt, wenn dem Steuerpflichtigen eine schriftliche Mitteilung zugegangen sei, die von ihm zumindest als Teil des Steuerbescheides angesehen werden könne und aus der zweifelsfrei zu entnehmen sei, in welchen Punkten das FA eine von der des Steuerpflichtigen abweichende Auffassung vertritt (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 25. Januar 1983 VIII R 54/79, BFHE 137, 544, BStBl II 1983, 543). Ein derartiger Sachverhalt liege nicht vor. Der Kläger berufe sich lediglich auf eine mündliche bzw. fernmündliche Unterrichtung, die überdies vom FA bestritten werde und für die aus den Akten nichts ersichtlich ist.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger auf die Zulassungsgründe der Divergenz und des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unbegründet. Sie wird zurückgewiesen.
1. Zur Darlegung der Divergenz macht der Kläger geltend, die Ansicht des FG beruhe auf dem BFH-Urteil in BFHE 138, 154, BStBl II 1983, 551. Seine, des Klägers, Auffassung finde jedoch eine Stütze in den BFH-Urteilen in BFHE 137, 544, BStBl II 1983, 543 und vom 27. Juni 1986 VI R 23/83 (BFHE 147, 205, BStBl II 1986, 832), in denen zum Ausdruck komme, daß für die Bekanntgabe eines Steuerbescheides bzw. für die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs der Anschein der Bekanntgabe und der Bekanntgabewille der den Bescheid erlassenden Behörde ausschlaggebend seien.
a) Diese Ausführungen erfüllen die formellen Anforderungen an die Begründung einer auf den Zulassungsgrund der Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO; vgl. hier Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Anm. 63 f.). Denn sie lassen im Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung erkennen, der Kläger habe geltend machen wollen, während das FG die Anfechtbarkeit - ausschließlich - vom Vorliegen der schriftlichen Bekanntgabe des Bescheides abhängig mache, stellten die BFH-Urteile in BFHE 137, 544, BStBl II 1983, 543 und in BFHE 147, 205, BStBl II 1986, 832 insoweit auf das Vorhandensein des Anscheins einer Bekanntgabe und den behördlichen Bekanntgabewillen ab. Darin kommt (gerade noch) die Gegenüberstellung zweier einander widersprechender abstrakter Rechtssätze zum Ausdruck. Außerdem kann als damit sinngemäß vorgetragen angesehen werden, daß das FG-Urteil auf der Abweichung beruhe.
b) Der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt jedoch nicht vor, d. h. es fehlt an der Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde, weil die beiden vom Kläger für seine Ansicht angeführten BFH-Urteile nicht in dem geltend gemachten Widerspruch zu den Ausführungen des FG stehen, sei es, daß die vom Kläger angeführten Rechtssätze nicht dem angefochtenen FG-Urteil zu entnehmen sind, sei es, nicht den vom Kläger benannten BFH-Entscheidungen.
Das BFH-Urteil in BFHE 137, 544, BStBl II 1983, 543 bringt zum Ausdruck, daß die Einlegung eines Einspruchs gegen einen Steuerbescheid wirksam ist, wenn dem Steuerpflichtigen nur ein Teil des Bescheides zugegangen ist. Zu dieser Frage hat das FG keinen gegensätzlichen Standpunkt eingenommen. Es hat in der angefochtenen Entscheidung auf das erörterte BFH-Urteil sogar verwiesen, hat sich dessen Rechtsaufassung angeschlossen und hat darauf abgehoben, daß eine schriftliche Unterrichtung des Steuerpflichtigen vorliegen muß, an der es im vorliegenden Fall - auch nach dem Vortrag des Klägers - fehle.
Das BFH-Urteil in BFHE 147, 205, BStBl II 1986, 832 befaßt sich nicht mit der Frage der Anfechtbarkeit von Bescheiden, sondern damit, daß für die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes die Bekanntgabe notwendige Voraussetzung ist und daß diese den Bekanntgabewillen des für den Erlaß des Verwaltungsaktes zuständigen Bediensteten voraussetzt. Dem Urteil läßt sich nicht der vom Kläger geltend gemachte Rechtssatz entnehmen, daß für die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs der Anschein der Bekanntgabe und der Bekanntgabewille ausschlaggebend seien.
c) Soweit der Kläger nach Ablauf der Beschwerdefrist mit Schriftsatz vom 21. August 1989 nicht nur sein bisheriges Vorbringen erläutert und ergänzt hat, sondern sich auf eine weitere Divergenz beruft, kann die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht berücksichtigt werden (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 55).
2. Soweit sich der Kläger auf den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (geltend gemachter Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) beruft, genügt die Begründung nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO, wonach der Verfahrensmangel innerhalb der Beschwerdefrist bezeichnet werden muß (vgl. hierzu Gräber / Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 65 i. V. m. § 120 Anm. 37 ff.).
a) Der Kläger führt insoweit an, daß bei einem vor der mündlichen Verhandlung geführten Telefonat zwischen einer Mitarbeiterin seines Prozeßbevollmächtigten und dem Berichterstatter beim FG vereinbart worden sei, von einer Verlegung der mündlichen Verhandlung könne abgesehen werden, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen im Sinne des Prozeßbevollmächtigten durch Beweiserhebung geklärt würden. Hätte der Prozeßbevollmächtigte damals gewußt, daß dem FG eine Beweiserhebung abwegig erschienen sei, so würde er eine Terminsverlegung und die Vernehmung des zuständigen Sachbearbeiters des FA beantragt haben, um die Gründe für die große Zeitspanne zwischen abschließender Zeichnung der Eingabewertbögen (26. bzw. 28. September 1985) und der Absendung der Bescheide (21. November 1985) sowie ferner zu ermitteln, weswegen er, der Kläger, nicht auf die nach Ansicht des FA verfrühte Einlegung des Einspruchs hingewiesen worden sei.
In diesem Zusammenhang hätte auch geklärt werden müssen, wann und wie er, der Kläger, Nachricht von der Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1983 und 1984 erhalten habe; denn ohne diesbezügliche Informationen bzw. einen Anschein der Bekanntgabe hätte er - seinerzeit nicht fachlich beraten - nicht am 28. Oktober 1985 Einspruch eingelegt. Hätte sein Prozeßbevollmächtigter die Möglichkeit gehabt, die mündliche Verhandlung wahrzunehmen und an den Zeugen (Sachbearbeiter) Fragen zu richten sowie zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, so wäre eine Entscheidung anderen Inhalts möglich gewesen.
Durch die unterbliebene Verlegung des Termins und die Nichtbeachtung der Vereinbarung zwischen der Mitarbeiterin seines Prozeßbevollmächtigten und dem Berichterstatter beim FG sei sein, des Klägers, Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.
b) Diese Ausführungen lassen den erforderlichen schlüssigen Vortrag der Kausalität zwischen den geltend gemachten Verfahrensmängeln und der Klageabweisung vermissen. Insoweit ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 65 i. V. m. § 120 Anm. 39), d. h. von der Auffassung des FG, daß der Einspruch nicht vor der Bekanntgabe der Änderungsbescheide hätte eingelegt werden dürfen, auch nicht ausnahmsweise vor dem Zugang anderer schriftlicher Mitteilungen, die vom Kläger zumindest als Teile der Änderungsbescheide hätten angesehen werden können. Auf dieser Grundlage läßt sich nicht annehmen, daß die angefochtene Entscheidung einen für den Kläger günstigeren Inhalt gehabt hätte, falls das FG die vom Kläger angeführten unterbliebenen Ermittlungen vorgenommen haben würde.
Nichts Gegenteiliges ergibt sich aufgrund dessen, daß der Kläger meint, in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt zu sein, d. h. dem FG anlastet, einen absoluten Revisionsgrund (vgl. § 119 Nr. 3 FGO) ausgelöst zu haben. Es ist zwar anerkannt, daß Ausführungen zur Ursächlichkeit eines Verfahrensfehlers für das angefochtene Urteil entbehrlich sind, wenn die Rüge eines absoluten Revisionsgrundes vorliegt (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 65 i. V. m. § 120 Anm. 38 und § 119 Anm. 3). Dies gilt jedoch nicht schlechthin für sämtliche in § 119 FGO aufgezählten Revisionsgründe, sondern nur insoweit, als diese für absolut zu halten sind. In Beziehung auf den Revisionsgrund der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommen (vgl. hierzu Gräber / Ruban, a. a. O., § 119 Anm. 3 und 14), daß die in § 119 FGO vorgeschriebenen Wirkungen nicht eintreten, wenn es nicht um die verweigerte Möglichkeit geht, sich zum Sachverhalt insgesamt zu äußern, sondern um die Verhinderung von Äußerungen zu einzelnen tatsächlichen Feststellungen, auf die es unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen kann.
Dies schlägt auf die Auslegung und Anwendung des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO durch. Mithin gilt für die Anforderungen aufgrund des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Begründung einer auf die Versagung des rechtlichen Gehörs gestützten Nichtzulassungsbeschwerde, daß der Beschwerdeführer von der Darlegung der Kausalität zwischen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und dem Inhalt des angefochtenen Urteils nicht befreit ist, wenn er lediglich geltend macht, er habe sich nicht zu einzelnen Tatsachen oder Beweisergebnissen äußern können, die vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG her unerheblich sind.
Fundstellen