Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordnungsmäßige Rüge eines Verfahrensmangels; Widersprüchlichkeit eines Urteils
Leitsatz (NV)
1. Wird als Verfahrensmangel gerügt, der Vorsitzende habe seine Pflicht aus § 76 Abs. 2 FGO verletzt, so muß dargelegt werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), welche die Entscheidung beeinflussenden Ausführungen bei entsprechenden Fragen und Anregungen gemacht worden wären.
2. Der Mangel der Widersprüchlichkeit der Begründung eines Urteils ist ein Unterfall des Verstoßes gegen die Denkgesetze als allgemeine Regeln formalrichtigen Denkens und damit revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kl.) gab für die Jahre 1978 und 1979 USt-Erklärungen ab, in denen er ausschließlich Vorsteuerbeträge auswies, und zwar in Höhe von ingesamt . . . DM für das Jahr 1978 und von . . . DM für das Jahr 1979. Für das Jahr 1980 ging beim Beklagten und Beschwerdegegner (FA) keine USt-Erklärung ein.
Bei einer u. a. die Streitjahre (1978 bis 1980) betreffenden USt-Prüfung vertrat die Prüferin die Ansicht, der Kl. habe seit 1976 keine Leistungen mehr ausgeführt und kein Unternehmen betrieben. Er habe im Prüfungszeitraum lediglich Rechtsstreitigkeiten geführt, derentwegen nicht aufklärbar sei, ob sie mit der früheren Tätigkeit als Bauunternehmer zusammenhingen oder die allgemeine Vermögensverwaltung des Kl. beträfen. Aus dem zuletzt geplanten Bauvorhaben seien nur noch Vorsteuerbeträge in Höhe von . . . DM für 1978 und von . . . DM für 1979 abziehbar.
Das FA folgte den Feststellungen der Prüferin und setzte mit USt-Änderungsbescheid vom 24. November 1981 die negative Umsatzsteuer für 1978 auf . . . DM und für 1979 auf . . . DM fest sowie die USt für 1980 auf . . . DM.
Der Einspruch hiergegen führte aufgrund weiterer Vorsteuerbeträge zur Festsetzung negativer USt für 1978 auf . . . DM, für 1979 auf . . . DM und für 1980 auf . . . DM.
Mit der Klage machte der Kl. weitere Vorsteuerbeträge geltend. Der Berichterstatter beim FG gab dem Kl. mit Anordnung vom 3. Oktober 1986 gemäß Art. 3 § 3 Abs. 1 VGFGEntlG auf, innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Anordnung sämtliche Abrechnungspapiere, für die der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, im Original vorzulegen sowie Tatsachen anzugeben und Beweismittel zu bezeichnen, aus denen sich ergibt, daß die in den Abrechnungspapieren genannten Leistungen für das Unternehmen bezogen worden sind. Auf die ihm am 17. Oktober 1986 ausgehändigte Anordnung hin hat der Kl. am 5. November 1986 insgesamt fünf Leitzordner mit Abrechnungspapieren für die Jahre 1978 und 1979 sowie am 10. November 1986 zwei Leitzordner für das Jahr 1980 vorgelegt. Die Angabe von Tatsachen und die Bezeichnung von Beweismitteln unterblieb.
Das FG hat die Klage, mit welcher der Kl. zuletzt beantragte, die Steuerfestsetzung 1978 um . . . DM, 1979 um . . . DM und 1980 um . . . DM herabzusetzen, als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, aus dem Wesen des Vorsteuerabzugsanspruchs als eines umgekehrten Steueranspruchs folge, daß der Unternehmer die Voraussetzungen dieses Anspruchs darzulegen und nachzuweisen habe und daß er die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die Folgen der Unaufklärbarkeit entscheidungsrelevanter Tatsachen trage (Hinweis auf das Urteil des BFH vom 19. Oktober 1978 V R 39/75 (BFHE 127, 71, BStBl II 1979, 345). Im Streitfall könne sowohl dahinstehen, ob der Kl. in den Jahren 1978 bis 1980 noch als Unternehmer ein Unternehmen betrieben habe, als auch, ob die vorgelegten Abrechnungspapiere mit umsatzsteuerrechtlich relevanten Sachverhalten früherer Jahre in Zusammenhang stünden. Denn es bestehe, soweit diese Abrechnungspapiere nicht schon wegen formeller Mängel zur Versagung des Vorsteuerabzugs führten, auch nach der mündlichen Verhandlung eine nicht behebbare Ungewißheit darüber, ob der Kl. die den vorgelegten Abrechnungspapieren zugrundeliegenden Leistungen für ein bestehendes bzw. ein früheres Unternehmen bezogen habe oder nicht.
Die Anordnung vom 3. Oktober 1986, die Tatsachen dafür anzugeben, inwieweit die in den Abrechnungspapieren genannten Leistungen für sein Unternehmen ausgeführt worden seien, sowie entsprechende Beweismittel zu bezeichnen, sei der Kl. - nach seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung: aus Zeitgründen - nicht nachgekommen.
Die Abziehbarkeit weiterer Vorsteuerbeträge sei zu versagen, weil zum Teil der Abzug bereits zugelassen sei bzw. ein Teil der Abrechnungspapiere nicht auf den Kl. laute bzw. Kostenfestsetzungsgesuche und gerichtliche Kostenfestsetzungsbeschlüsse nicht zu den einen Vorsteuerabzug rechtfertigenden Abrechnungspapieren gehörten bzw. weitere Abrechnungspapiere (insbesondere Taxiquittungen, S-Bahn-Streifenkarten, Bücherrechnungen, Telefonrechnungen, Benzinquittungen und Rechnungen von Rechtsanwälten) nicht erkennen ließen, ob sie eine Beziehung zum früheren Unternehmen des Kl. hätten und Beweismittel für eine Zuordnung zum Unternehmen nicht vorlägen.
Bei den vom Kl. hinsichtlich des Gutachtens . . . begehrten Vorsteuerabzugs in Höhe von . . . DM bedürfe es der insofern angebotenen Beweismittel schon deshalb nicht, weil die Honorarnote am 6. Dezember 1977, also vor Beginn des ersten Streitjahres, erstellt worden sei.
Lediglich bei den im Klageverfahren vorgelegten Anzeigenrechnungen des . . . Verlages, bei dem Abonnement der Fachzeitschrift . . . und bei der Rechnung des Rechtsanwalts . . . vom 14. August 1978 halte der Senat eine Beziehung der zugrundeliegenden Leistungen zum Unternehmen des Kl. für gegeben. Insoweit sei aber eine teilweise Klagestattgebung nicht gerechtfertigt. Denn das FA habe bereits Vorsteuerbeträge aus Kostenfestsetzungsanträgen und -beschlüssen anerkannt, obwohl der Vorsteuerabzug zu versagen gewesen wäre. Da die insoweit zu Unrecht anerkannten Vorsteuerbeträge insgesamt höher seien als die eben erwähnten Vorsteuerbeträge, könne die Klage auch insoweit keinen Erfolg haben.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der vom FG nicht abgeholfen worden ist, macht der Kl. geltend, dem FG seien Verfahrensfehler unterlaufen, auf denen das angefochtene Urteil beruhe. Da er, der Kl., im Verfahren vor dem FG nicht vertreten gewesen sei, hätte der Erforschung des Sachverhalts durch das Gericht gemäß § 76 FGO erhöhte Bedeutung beigemessen werden müssen. Gemäß § 76 Abs. 2 FGO hätte das Gericht ihn, den Kl., zumindest darauf hinweisen müssen, welche Folgen das Unterlassen mündlicher Erläuterungen der überreichten Unterlagen haben würde. Dies sei ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 1986 nicht geschehen. Das Gericht sei insoweit seinen Belehrungspflichten nicht nachgekommen. Dies habe dazu geführt, daß er, der Kl., nur die Vorlage der Abrechnungspapiere sowie die Frage für bedeutsam gehalten habe, ob er ein Unternehmen betrieben habe. Hierdurch sei er, der Kl., gehindert gewesen, ,,die Entscheidungserheblichkeit bestimmter Fragestellungen zu erkennen und diesen äußeren zeitlichen Rahmen einzuräumen".
Das angefochtene Urteil sei ferner nicht frei von Widersprüchen. Das FG habe einerseits die Klärung sowohl des Vorhandenseins eines Unternehmens als auch der umsatzsteuerlichen Relevanz der vorgetragenen Tatsachen und überreichten Beweismittel für nicht erforderlich gehalten, andererseits aber die Klage wegen eines nicht erwiesenen Zusammenhangs zwischen den Tatsachen bzw. Beweismitteln und den Leistungen an das Unternehmen abgewiesen. Hierzu habe das FG angeführt, er, der Kl., sei seiner Verpflichtung, diesen Zusammenhang durch Tatsachen und Beweismittel darzutun, nicht nachgekommen.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen. Seiner Ansicht nach sind die Voraussetzungen einer Zulassung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Kl. ist unbegründet; sie war zurückzuweisen. Soweit der Kl. bei der Begründung der Beschwerde die gesetzliche Form überhaupt eingehalten hat, liegt ein Verfahrensmangel nicht vor.
1. Der Kl. beruft sich auf den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, wonach die Beschwerde zuzulassen ist, wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Für Fälle dieser Art bestimmt § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in formeller Hinsicht, daß bei der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde der Verfahrensmangel bezeichnet werden muß. Hierzu ist erforderlich, daß die Tatsachen angegeben werden, die den Mangel ergeben sollen, und daß dargelegt wird, weswegen die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Anm. 65, i. V. m. § 120 Anm. 37 ff.).
Wird - wie hier - als Verfahrensmangel gerügt, der Vorsitzende habe seine Pflicht aus § 76 Abs. 2 FGO verletzt, auf die Ergänzung ungenügender tatsächlicher Angaben sowie auf die Abgabe der für die Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen hinzuwirken, so genügt es nicht, den Gesichtspunkt zu benennen, zu dem nach der Meinung des Beschwerdeführers der Vorsitzende Fragen hätte stellen und Anregungen hätte geben müssen. Der Kl. hätte sich deshalb bei der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf den Hinweis beschränken dürfen, er sei vom Vorsitzenden nicht darauf aufmerksam gemacht worden, daß wegen der in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 bzw. 1980 für den Vorsteuerabzug enthaltenen Voraussetzungen es u. a. auf den Leistungsbezug gerade für das Unternehmen ankomme, nicht etwa allein darauf, daß Vorsteuer angefallen und in Rechnung gestellt worden sei, sowie darauf, daß er, der Kl., ein Unternehmen betrieben habe. Der Kl. hätte vielmehr ebenfalls darlegen müssen, welche die Entscheidung beeinflussenden Ausführungen er bei entsprechenden Fragen und Anregungen des Vorsitzenden gemacht haben würde (vgl. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 222, m.w.N.; s. auch Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Nichtzulassungsbeschwerde, Revision, Rdnr. 170, für den ähnlichen Fall der Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Übergehen eines Beweisangebotes).
2. Zwar zulässig, aber nicht begründet, ist die Nichtzulassungsbeschwerde, soweit der Kl. geltend macht, das angefochtene Urteil sei nicht frei von Widerspruch.
Widersprüchlichkeit sieht der Kl. darin, daß das FG einerseits weder das Vorhandensein eines Unternehmens noch die umsatzsteuerliche Relevanz der vorgetragenen Tatsachen und überreichten Beweismittel geklärt habe, andererseits aber die Klageabweisung auf fehlenden Zusammenhang zwischen den erwähnten Tatsachen bzw. Beweismitteln und der Ausführung der betreffenden Leistungen für das Unternehmen gestützt habe. Insoweit ist die gesetzliche Form der Begründung - gerade noch - eingehalten; denn dem Vorbringen des Kl. ist zu entnehmen, daß nach seiner Auffassung die Klage nicht abgewiesen worden wäre, wenn das FG sich nicht auf die angeführte Überlegung, die der Kl. für widersprüchlich hält, gestützt haben würde. Damit ist das Erfordernis der Schlüssigkeit der Berufung auf den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. hierzu Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 65; Hermann, a.a.O., Rdnrn. 135 und 216) gewahrt. Die Beantwortung der Frage, ob der geltend gemachte Mangel das Verfahren oder das materielle Recht betrifft (vgl. hierzu Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 25 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 115 FGO Tz. 65 ff.), fällt in den Bereich der Prüfung der Begründetheit.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet, weil der geltend gemachte Mangel keinen Verfahrensmangel darstellt. Der Mangel der Widersprüchlichkeit eines Urteils ist ein Unterfall des Verstoßes gegen die Denkgesetze als allgemeine Regeln formal richtigen Denkens (vgl. BFH-Beschluß vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, BStBl II 1969, 84). Verstöße gegen die Denkgesetze sind jedoch revisionsrechtlich dem materiellen Recht, nicht dem Verfahrensrecht, zuzurechnen (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 1985 VIII R 4/83, BFHE 145, 375, BStBl II 1986, 289). Nichts anderes gilt für die Nichtzulassungsbeschwerde (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 29).
Fundstellen