Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzung für eine Tarifbegünstigung bei Veräußerung einer freiberuflichen Teilpraxis; Ermittlung eines Praxiswertes
Normenkette
EStG 1990 § 18 Abs. 1, §§ 34, 16 Abs. 1 Nr. 3, § 18 Abs. 3
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 15.02.2007; Aktenzeichen 14 K 138/02) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Rechtsanwalt und Notar. Im Jahre 1987 bildete er mit einem zuvor im Rahmen seiner Kanzlei als Rechtsanwalt tätig gewesenen freien Mitarbeiter (M) eine Bürogemeinschaft, die unter dem Namen "Dr. X und Partner" auftrat und für die er in der Nachbarschaft seiner ―beibehaltenen― Kanzlei gesonderte Büroräume anmietete.
M sollte das Dezernat "allgemeine und Prozesspraxis" der Kanzlei des Klägers betreuen und die insoweit übertragenen Mandate nach Entscheidung und interner Weisung des Klägers in Untervollmacht betreuen. Dafür stand M eine nach dem Dezernatsumsatz unter Abzug einer Kostenbeteiligung bemessene Vergütung zu; gegenüber den Mandanten rechnete allein der Kläger ab.
Im Jahre 1994 veräußerte der Kläger diese so bezeichnete "Prozesspraxis" für 250 000 DM an M und übertrug ihm im Einzelnen bezeichnetes Praxisinventar sowie aufgelistete Mandate zur alleinigen Betreuung; zugleich überließ er ihm die angemieteten Büroräume im Wege der Untervermietung. Des Weiteren versprach der Kläger, M die bei ihm anfallenden Prozessmandate zu überlassen.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1994 behandelte der Kläger den Veräußerungsgewinn (250 000 DM) als nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tarifbegünstigten Gewinn aus der Veräußerung der Teilpraxis "Prozesspraxis". Entsprechend veranlagte der Beklagte und Beschwerdegegner (das
Finanzamt ―FA―) den Kläger zunächst unter Vorbehalt der Nachprüfung.
Aufgrund einer Außenprüfung verneinte das FA aber ―wegen fehlender Abgrenzbarkeit der örtlichen Wirkungskreise der beibehaltenen Kanzlei einerseits und der veräußerten Prozesspraxis andererseits sowie wegen der Gleichartigkeit der dort jeweils ausgeübten Tätigkeiten― eine tarifbegünstigte Teilpraxisveräußerung und erfasste den Gewinn mit Änderungsbescheid für das Streitjahr als laufenden Gewinn. Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab, ohne die Revision zuzulassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der er die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung begehrt.
Seiner Ansicht nach hätte das FG berücksichtigen müssen, dass Gegenstand der Veräußerung nicht mehr der Praxiswert der Prozesspraxis gewesen sei, weil M diesen Praxiswert aufgrund langjähriger selbständiger Bearbeitung der Prozessmandate selbst geschaffen habe. Danach seien im Streitfall als wesentliche Grundlagen des Betriebsvermögens nur die materiellen Wirtschaftsgüter sowie die nur als gering zu bewertenden immateriellen Wirtschaftsgüter wie Praxisorganisation sowie Umsatz- und Gewinnrecht aus den Mandatsverhältnissen veräußert worden.
Im Hinblick darauf sei für das Streitverfahren die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung,
"ob die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die nach § 34 EStG privilegierte Übertragung wesentlicher Betriebsgrundlagen im Rahmen einer freiberuflichen Betriebsveräußerung auch dann Anwendung finden, wenn die zu veräußernden wesentlichen Grundlagen den personenbezogenen Aspekt des Mandanten- bzw. Praxisstamms nicht beinhalten, sondern lediglich die Übertragung des wirtschaftlichen Nutzungsrechts im Sinne eines Umsatz- und Gewinnrechts aus den Mandats-/Patientenverhältnissen umfassen".
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
1. Veräußerungsgewinne bei den betrieblichen Einkunftsarten werden als außerordentliche Einkünfte nur dann begünstigt versteuert, wenn es sich um Veräußerungsgegenstände i.S. der §§ 14, 14a Abs. 1, 16, 17 und 18 Abs. 3 EStG handelt (§ 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 EStG). Als solche kommen ―abgesehen von dem Sonderfall der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft (§ 17 EStG)― nach der Grundregelung des § 16 Abs. 1 EStG, der die Vorschrift über die Veräußerung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (§§ 14, 14a Abs. 1 EStG) sowie die Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens (§ 18 Abs. 3 EStG) nachgebildet worden sind, nur in Betracht: der ganze Betrieb, ein Teilbetrieb und der Anteil eines Mitunternehmers (der in § 16 Abs. 1 Nr. 3 EStG genannte Anteil des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA ist für die im Streitfall betroffenen Einkünfte aus selbständiger Arbeit ohne Bedeutung).
Die Anwendung der Tarifbegünstigung setzt danach voraus, dass alle stillen Reserven der wesentlichen Grundlagen des Betriebs in einem einheitlichen Vorgang aufgelöst werden; denn eine Zusammenballung liegt nicht vor, wenn dem Veräußerer noch stille Reserven verbleiben, die erst in einem späteren Veranlagungszeitraum aufgedeckt werden (Großer Senat des Bundesfinanzhofs ―BFH―, Beschluss vom 18. Oktober 1999 GrS 2/98, BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123; BFH-Urteil vom 11. August 1971 VIII 13/65, BFHE 104, 48, BStBl II 1972, 270).
2. Auf dieser Grundlage weist der Rechtsstreit entgegen der Auffassung des Klägers keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.
a) Zu Recht geht auch der Kläger davon aus, dass für die Annahme einer nach § 34 EStG tarifbegünstigten Veräußerung einer freiberuflichen Teilpraxis
- entweder (bei gleichartigen Tätigkeiten in den Teilpraxen) der tarifbegünstigt veräußerte Teil einen von dem zurückbehaltenen Teil abgegrenzten entfernten örtlichen Wirkungsbereich umfassen muss
- oder (von den anderen Teilpraxen abweichende) wesentlich unterschiedliche Tätigkeiten vorliegen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 4. November 2004 IV R 17/03, BFHE 208, 173, BStBl II 2005, 208)
und die insoweit ausgeübten Tätigkeiten aufgrund der Veräußerung aufgegeben werden müssen (BFH-Urteile vom 6. Dezember 1963 IV 268/63 U, BFHE 78, 346, BStBl III 1964, 135; vom 24. August 1989 IV R 120/88, BFHE 158, 257, BStBl II 1990, 55; vom 29. Oktober 1992 IV R 16/91, BFHE 169, 352, BStBl II 1993, 182).
b) Soweit der Kläger gleichwohl ―trotz Fehlens dieser Voraussetzungen nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) zur Gleichartigkeit der Tätigkeitsbereiche sowie des identischen örtlichen Wirkungskreises beider Praxisteile― eine Anwendung der Tarifbegünstigung bei Kauf eines Praxisteils durch einen Erwerber bejaht, der zuvor als Mitarbeiter des Praxisinhabers den (Teil-)Praxiswert geschaffen habe, hat der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung.
Denn der Praxiswert als immaterielles Wirtschaftsgut eines freiberuflichen (Teil-)Betriebs ist ebenso wie der Geschäftswert eines Gewerbebetriebs allein dem (Teil-)Betriebsinhaber zuzurechnen, weil er untrennbar mit der Praxis verbunden ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 30. Januar 2002 X R 56/99, BFHE 197, 535, BStBl II 2002, 387). Danach wirkt sich die den Praxiswert bildende Tätigkeit eines Mitarbeiters ebenso ausschließlich in der Person des Praxisinhabers aus wie die den Geschäftswert bildende Tätigkeit eines Betriebspächters in der Person eines Betriebsverpächters. Nach der BFH-Rechtsprechung tritt nämlich der im "Pächterbetrieb" neu aufgebaute Geschäftswert schrittweise an die Stelle des im Restbetriebsvermögen des Verpächters verbliebenen und sich allmählich verflüchtigenden alten Geschäftswerts und teilt in steuerrechtlicher Sicht als "Surrogat" dessen Rechtsnatur als Restbetriebsvermögen des Verpächters, weil der Geschäftswert dem Grunde und der Höhe nach durch die Gewinnchancen des Unternehmens bestimmt wird und untrennbar mit dem Betrieb und damit mit dem übrigen wesentlichen Betriebsvermögen als organisatorische Einheit verbunden ist (BFH-Urteile vom 14. Januar 1998 X R 57/93, BFHE 185, 230; in BFHE 197, 535, BStBl II 2002, 387; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 27. Aufl., § 5 Rz 221, m.w.N.).
Für eine freiberufliche Praxis kann ersichtlich nichts anderes gelten. Selbst wenn der wesentliche Teil des Praxiswerts durch einen fachlich vorgebildeten Mitarbeiter (ungeachtet der gebotenen eigenverantwortlichen und damit auch insoweit praxiswertbildend wirkenden Leitung des Praxisinhabers) erhöht wird, teilt die damit verbundene Ersetzung oder Erhöhung des bisher vom Inhaber geschaffenen Praxiswerts gleichermaßen den Charakter als Betriebsvermögen des Praxisinhabers und bestimmt damit die allein ihm zuzurechnenden Gewinnchancen seiner Praxis.
Fundstellen