Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Rechtsirrtum über die Zulassung der Revision
Leitsatz (NV)
Nimmt ein Rechtsanwalt rechtsirrig an, die Revision sei auch ohne ausdrücklichen Hinweis im FG-Urteil zugelassen, so ist dieser Rechtsirrtum nicht unverschuldet.
Normenkette
FGO §§ 56, 115; BFHEntlG Art. 1 Nr. 5
Tatbestand
Am 24. August 1983 erwarb die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) von Frau A ein Grundstück. Durch Bescheid vom 22. März 1984 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hierfür (endgültig) Grunderwerbsteuer fest. Wegen Nichterfüllung des Kaufvertrags stellte die Klägerin den Antrag nach § 16 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983). Den (erhofften) Erstattungsanspruch gegenüber dem FA trat die Klägerin in der Folge an ihren jetzigen Prozeßbevollmächtigten ab. Der Antrag nach § 16 GrEStG 1983 wurde vom FA wegen Verspätung abgelehnt.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) enthielt keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision.
Das Urteil des FG wurde der Klägerin am 9. Mai 1992 zugestellt. Mit am 9. Juni 1992 beim FG eingegangenem Schriftsatz legte die Klägerin, vertreten durch ihren jetzigen Prozeßbevollmächtigten, Revision ein, die sie zunächst nicht begründete. Die Begründung der Revision erfolgte mit gesondertem Schriftsatz, der beim Bundesfinanzhof (BFH) am 6. Juli 1992 einging. Die Begründung enthielt u.a. folgende Ausführungen: Da sich das Erstgericht in den Entscheidungsgründen nicht darüber ausgelassen hat, daß die Revision nicht zugelassen werde, geht die Klägerin, wie eingangs schon erwähnt, von einer zugelassenen Revision aus.
Nur rein hilfsweise wird daher gebeten, falls der Senat anderer Auffassung sein sollte, die eingelegte Revision als Nichtzulassungsbeschwerde zu bewerten und die vorstehende Begründung dann als Begründung gegen die Nichtzulassung der Revision.
In diesem Fall wäre noch ergänzend auszuführen, daß die eklatanten Verletzungen der Beklagten hinsichtlich gesetzlich verankerter Auskunfts- und Beratungspflichten grundsätzliche Bedeutung haben. Denn jeder Bürger in vergleichbarer Situation muß sich darauf verlassen können, daß er von dem für ihn zuständigen Finanzamt nach den bestehenden Gesetzen vollständig aufgeklärt wird und nicht wie hier hingehalten wird, um dann - verstoßend gegen Treu und Glauben - zu sagen, die Eingaben und Anträge wären zu spät und nicht formgerecht.
Durch Beschluß vom 14. Oktober 1992 II R 43/92 hat der Senat die Revision als unzulässig verworfen.
Durch beim FG am 17. November 1992 eingegangenen Schriftsatz beantragt die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter gleichzeitiger Neueinlegung der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie beantragt, die Revision gegen das Urteil des FG zuzulassen. Zur Begründung führt sie u.a. an: Die Rechtsbehelfsbelehrung des Urteils des FG enthalte keinen Hinweis dahin, daß die Revision nur dann als zugelassen gelte, wenn diese im Urteil ausdrücklich am Ende der Entscheidungsgründe als zugelassen bezeichnet werde. Gegenüber dem rechtsunkundigen Bürger sei daher, wenn die Revision nicht zugelassen sein soll, dies auch im Urteil ausdrücklich auszusprechen. Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde werde auf die Gründe aus dem Schriftsatz zur Begründung der Revision Bezug genommen. Die dort aufgeführten Verstöße gegen die Grundsätze von Treu und Glauben hätten nicht nur für den Betroffenen, sondern für jeden Bundesbürger grundsätzliche Bedeutung.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen.
Die mit Schriftsatz vom 17. November 1992 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist verspätet (§ 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Beschwerdefrist kann der Klägerin nicht gewährt werden. Sinngemäß trägt die Klägerin insoweit vor, daß sie rechtsirrig angenommen habe, die Revision sei auch ohne ausdrücklichen Hinweis in der Entscheidung des FG zugelassen.
Dieser Rechtsirrtum kann nicht als unverschuldet gelten. Die Klägerin war bei Einlegung der Revision gegen das Urteil des FG, die rechtzeitig und damit auch innerhalb der noch laufenden Frist für die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde erfolgte, durch einen Rechtsanwalt vertreten. Ein berufsmäßiger Vertreter muß in aller Regel das (Verfahrens-)Recht kennen. Ausnahmen gelten, wenn in Rechtsprechung und Schrifttum Unklarheit über das einzuschlagende Verfahren besteht (vgl. BFH-Beschluß vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546). Ein derartiger Fall liegt jedoch nicht vor. Wenn in Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) und in der dem FG-Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung die Revision für statthaft bezeichnet wird für den Fall, daß das FG sie zugelassen hat, so ist es naheliegend, daß dies eine entsprechende ausdrückliche Entscheidung des FG erfordert und nicht stillschweigend geschehen sein kann.
Zu keinem anderen Entscheidungsergebnis führt es, wenn man den zur Begründung der Revision eingereichten Schriftsatz der Klägerin vom 6. Juli 1992 dahin auslegt, daß mit ihm zugleich hilfsweise eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden sollte. Auch zu diesem Zeitpunkt war die Frist zur Einlegung der Beschwerde bereits abgelaufen. Im übrigen enthält der Schriftsatz keine den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügende Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde. Die bloße und im Grunde genommen nicht näher spezifizierte Behauptung, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, genügt dafür jedenfalls nicht. Auch wenn die Klägerin bzw. ihr Vertreter bei Einreichung dieses Schriftsatzes wiederum einem Rechtsirrtum im Hinblick auf die Verfahrensrechtslage unterlegen sein sollte, könnte dieser Rechtsirrtum der Klägerin bzw. ihres Vertreters wiederum nicht als unverschuldet gelten. Weitere Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.S. des § 56 FGO sind insoweit nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 419134 |
BFH/NV 1994, 179 |