Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur nachträglichen Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten nach bereits gewährter PKH im Rahmen einer NZB
Leitsatz (NV)
1. Falls im Rahmen eines Beschlusses zur Bewilligung von PKH noch kein Prozessvertreter beigeordnet wurde, ist die Beiordnung in einem weiteren Beschluss nachzuholen, da die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde wegen des beim BFH geltenden Vertretungszwangs nicht persönlich eingelegt und begründet werden darf.
2. Das Verstreichen der Jahresfrist nach § 56 Abs. 3 FGO steht der Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei versäumter Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht entgegen, wenn über das PKH-Gesuch erst nach Ablauf dieser Ausschlussfrist entschieden worden ist.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 351; FGO § 56 Abs. 2-3, §§ 62a, 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 2-3, § 142 Abs. 1; ZPO § 121 Abs. 1, 5
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 18.11.2002; Aktenzeichen 2 K 3673/99) |
Tatbestand
I. Der Beklagte (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 8. April 1999 die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter der Antragstellerin auf und forderte das Kindergeld für die Monate April 1997 bis April 1998 zurück. Die Antragstellerin erhob mit Schreiben vom 7. Mai 1999, das am 12. Mai 1999 bei der Familienkasse einging, Einspruch.
Mit Änderungsbescheid vom 19. Juli 1999 forderte die Familienkasse das Kindergeld nur noch für die Monate Mai 1997 bis April 1998 zurück. Den erneuten Einspruch der Antragstellerin gegen den Änderungsbescheid wies die Familienkasse durch Einspruchsentscheidung vom 2. August 1999 zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage aus formellen Gründen ab. Es führte im Wesentlichen aus:
Der zunächst ergangene Rückforderungsbescheid sei bestandskräftig geworden. Er sei am Donnerstag, den 8. April 1998 zur Post gegeben worden und gelte daher nach § 122 der Abgabenordnung (AO 1977) am dritten Tag nach Aufgabe zur Post, also am Sonntag, den 11. April 1999 als bekannt gegeben. Die einmonatige Einspruchsfrist sei daher am Dienstag, den 11. Mai 1999 abgelaufen. Der erst am 12. Mai 1999 bei der Familienkasse eingegangene Einspruch sei somit verspätet gewesen.
Zwar habe die Antragstellerin gegen den Änderungsbescheid vom 19. Juli 1999 rechtzeitig Einspruch eingelegt. Nach § 351 AO 1977 könnten Bescheide, die unanfechtbare Bescheide ändern, aber nur soweit angegriffen werden, als die Änderung reiche, also nur soweit sich eine zusätzliche Beschwer ergebe. Im Streitfall habe der Änderungsbescheid die Antragstellerin aber nicht zusätzlich beschwert, sondern begünstigt. Die Antragstellerin habe daher den Änderungsbescheid, soweit er sich mit dem ursprünglichen Rückforderungsbescheid decke, nicht angreifen können. Das FG sei daher gehindert, die materielle Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids zu prüfen.
Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) gewährte der Antragstellerin durch Beschluss vom 25. März 2003 VIII S 1/03 (PKH) Prozesskostenhilfe (PKH) für das beabsichtigte Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision. Die Nichtzulassungsbeschwerde biete hinreichende Aussicht auf Erfolg. Aufgrund des Vorlagebeschlusses des IX. Senats des BFH vom 17. September 2002 IX R 68/98 (BFHE 199, 493, BStBl II 2003, 2) sei offenkundig, dass die Frage, ob die Dreitagefrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erst am Montag ablaufe, wenn das Fristende auf einen Sonntag falle, von grundsätzlicher Bedeutung sei.
Die Antragstellerin teilte in einem Schreiben vom 30. November 2003 mit, sie sei bemüht, einen Rechtsanwalt zu finden, der bereit sei, ihre Interessen zu vertreten. In einem weiteren Schreiben --beim BFH eingegangen am 1. März 2005-- bittet die Antragstellerin um die Beiordnung eines Rechtsanwalts, da mehrere namentlich benannte Rechtsanwälte die Übernahme des Mandats abgelehnt hätten.
Entscheidungsgründe
II. Der Antragstellerin wird Rechtsanwalt X beigeordnet, der sich zur Übernahme des Mandats bereit erklärt hat.
1. Wird PKH für ein Verfahren begehrt, für das Vertretungszwang besteht, ist bei Bewilligung der PKH die Beiordnung eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts --im finanzgerichtlichen Verfahren auch eines Steuerberaters (§ 142 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--)-- nach Wahl des Antragstellers zwingend (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 121 Abs. 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--; Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH--) vom 25. April 2002 IX ZB 106/02, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2002, 2179). Ein solcher Prozessvertreter ist im Beschluss über die Bewilligung der PKH auch ohne ausdrücklichen Antrag des Antragstellers beizuordnen (Zöller/Philippi, Zivilprozessordnung, 25. Aufl., § 121 Rz. 3; Baumbach/Lauterbach/ Hartmann, Zivilprozessordnung, 63. Aufl., § 121 Rz. 25). Hat der Antragsteller noch keine Wahl getroffen, ist er dazu aufzufordern (Reichold in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 26. Aufl., § 121 Rz. 2).
2. Da die Antragstellerin wegen des für Verfahren beim BFH geltenden Vertretungszwangs (§ 62a FGO) die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde nicht persönlich einlegen und begründen darf, und in dem PKH-Beschluss vom 25. März 2003 kein Rechtsanwalt oder Steuerberater beigeordnet worden ist, ist die Beiordnung nachzuholen.
3. Die beabsichtigte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision bietet nach wie vor Aussicht auf Erfolg.
a) Die vom VIII. Senat als grundsätzlich bedeutend angesehene Rechtsfrage ist inzwischen zwar durch die Rechtsprechung geklärt (z.B. BFH-Urteile vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898; vom 17. Dezember 2003 I R 4/03, BFH/NV 2004, 758, und vom 25. Mai 2004 VII R 8/03, BFH/NV 2004, 1498), so dass der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) inzwischen entfallen ist. Jedoch weicht nunmehr das FG-Urteil von der Rechtsprechung des BFH ab. Zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) ist die Revision auch dann zuzulassen, wenn sich eine Abweichung erst nach Erlass des FG-Urteils ergibt (BFH-Beschluss vom 31. Oktober 2002 IV B 126/01, BFH/NV 2003, 291; vgl. auch Beschluss des BGH vom 27. Oktober 2004 IV ZR 386/02, BGHReport 2005, 325, m.w.N.).
b) Die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde scheitert auch nicht daran, dass die Frist zur Einlegung und Begründung (§ 116 Abs. 2 und 3 FGO) abgelaufen ist. Wegen der versäumten Frist zur Einlegung der Beschwerde ist nach § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die Antragstellerin innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beiordnungsbeschlusses durch den beigeordneten Rechtsanwalt Beschwerde erheben (§ 56 Abs. 2 FGO) und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Beschlusses die Beschwerde begründen lässt (BFH-Beschluss vom 13. März 2003 VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609).
Unerheblich ist, dass seit Ende der versäumten Frist ein Jahr verstrichen ist, da die Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO nach der Rechtsprechung der Wiedereinsetzung nicht entgegensteht, wenn über das PKH-Gesuch erst nach Ablauf dieser Ausschlussfrist entschieden worden ist (BFH-Beschlüsse vom 26. Januar 1996 XI S 44/95, BFH/NV 1996, 500; vom 25. Juli 2002 I S 6/02 (PKH), BFH/NV 2003, 54, und vom 22. Mai 2003 I S 2/03 (PKH), BFH/NV 2003, 1089).
4. Die Antragstellerin hat somit nicht nur Anspruch auf PKH, sondern auch Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters. Da sie selbst keinen Prozessvertreter benennen konnte, hat der Senat auf ihre Bitte den zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt X, der seine Kanzlei in der Nähe ihres Wohnsitzes hat, ausgewählt und ihr beigeordnet. Die nach § 121 Abs. 5 ZPO der Vorsitzenden zustehende Entscheidung wird mit dem allgemeinen Beschluss zur Beiordnung eines Prozessvertreters verbunden.
5. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO, § 1 Nr. 3 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis).
Fundstellen
Haufe-Index 1374682 |
BFH/NV 2005, 1350 |