Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei Zustellung an Geschäftslokal; Nichtberücksichtigung des Existenzminimums bei der Umsatzsteuer nicht verfassungswidrig; Verfassungsmäßigkeit der Kleinunternehmerregelung
Leitsatz (NV)
- Soll an die Kanzlei eines Freiberuflers zugestellt werden, ist eine Ersatzzustellung durch Niederlegung nicht zulässig.
- Die Rechtsprechung des BVerfG zum Existenzminimum kann nicht auf die Umsatzsteuer übertragen werden.
- Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass § 19 UStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Normenkette
FGO § 53 Abs. 2, § 56; UStG § 2 Abs. 1 S. 3; VwZG § 3 Abs. 3; ZPO §§ 182-183; UStG § 19 Abs. 3
Nachgehend
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Rechtsanwalt und Notar. Außerdem betätigt er sich als Komponist und Textdichter. Für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar erteilte er seinen Mandanten Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer.
In seinen Umsatzsteuererklärungen für 1994, 1995, 1996 und seinen Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar bis Dezember 1998 gab der Kläger die Umsätze aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar nicht an. Für 1997 gab der Kläger keine Umsatzsteuererklärung ab. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) schätzte deshalb insoweit die Umsätze aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar aufgrund der Angaben in den Einkommensteuererklärungen. Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er sei zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen nicht verpflichtet. Er sei als Rechtsanwalt und Notar weder Unternehmer noch erhalte er die Gebühren für diese Tätigkeit aufgrund eines Leistungsaustausches. Ferner seien die von ihm erhobenen Gebühren verfassungswidrig, da sie nicht kostendeckend seien. Er könne aufgrund der mangelhaften Gebührenstruktur entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers die Umsatzsteuer nicht auf den Endverbraucher abwälzen. Als Notar und Rechtsanwalt erwirtschafte er nur Verluste. Müsse er die Umsatzsteuer an das FA abführen, liege insoweit ein enteignungsgleicher Eingriff vor, der sein Existenzminimum gefährde, das im Übrigen nicht besteuert werden dürfe.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die Leistungen des Klägers aus seiner Anwalts- und Notartätigkeit unterlägen als sonstige Leistungen der Umsatzsteuer. Er sei als Notar und als Rechtsanwalt nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig. Ob er mit dieser Tätigkeit Gewinne erziele sei insoweit ohne Bedeutung (vgl. § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3 des Umsatzsteuergesetzes 1991/1993 ―UStG―). Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich nichts anderes aus den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Wirtschaftliche Tätigkeiten i.S. des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG seien auch die eines Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Tätigkeiten. Gleichgültig sei insoweit, zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis diese genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten ausgeübt würden. Die zur Einkommensteuer entwickelten Grundsätze zum Existenzminimum seien nicht auf die Umsatzsteuer übertragbar. Soweit das FA die Besteuerungsgrundlagen durch Schätzung ermittelt habe, bestünden weder dem Grunde noch der Höhe nach rechtliche Bedenken. Das FA habe die Grundsätze der Rechtsprechung bei seiner Schätzung beachtet. Der Kläger habe diese Schätzung nicht durch konkrete Einwendungen widerlegt.
Das FG ordnete die Zustellung des Urteils durch die Post mit Postzustellungsurkunde an. Auf dieser ist vermerkt, dass der Postbedienstete versucht hat, die für "Herrn Rechtsanwalt A in B-Straße" bestimmte Sendung zuzustellen und in "der Wohnung des in der Anschrift bezeichneten Empfängers" (Einzelperson, Einzelfirma, Rechtsanwalt usw.) niemanden angetroffen" habe. Der Postbote habe unter der angegebenen Anschrift wie bei gewöhnlichen Briefen üblich die schriftliche Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt. Als Datum der Niederlegung ist der 5. Februar 2001 vermerkt. Am 6. März 2001 ging per Telefax beim FG die Beschwerde des Klägers ein, mit der er die Zulassung der Revision gegen das Urteil vom 14. Dezember 2000 beantragt.
Auf den Hinweis der Geschäftstelle des erkennenden Senats, dass die Beschwerde erst am 6. März 2001 beim FG eingegangen ist, beantragte der Kläger vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, die Zustellung entspreche nicht den gesetzlichen Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Nach dem Inhalt der Postzustellungsurkunde habe der Postzusteller am Samstag den 3. Februar 2001 einen Zustellversuch bei der Wohnung bestätigt. Bei der im Adressfeld angegebenen Adresse handele es sich jedoch ausschließlich um seine Geschäftsräume, die am Wochenende regelmäßig nicht besetzt seien. Seine Wohnung befinde sich hingegen 0,5 km von den Kanzleiräumen entfernt. Er habe seine Kanzleianschrift nie als Wohnungsanschrift angegeben und auch nie dort gewohnt.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und wegen Verfahrensmängeln.
Klärungsbedürftig und klärbar sei die Rechtsfrage, ob der an nicht mehr kostendeckende gesetzliche Gebühren gebundene Anwaltsnotar Unternehmer i.S. des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG sei. Soweit sich der Bundesfinanzhof (BFH) bisher mit der Frage befasst habe (BFH-Urteil vom 28. Januar 1971 V R 38/66, BFHE 101, 318, BStBl II 1971, 281), habe er eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nur mit Rücksicht auf die Freibetragsregelung des § 7a UStG 1957 verneint; diese Freibetragsregelung sei jedoch zwischenzeitlich entfallen. Im Übrigen sei auch diese (80 000 DM) unrealistisch. Preisindiziert seien dies nunmehr rd. 180 000 DM und im Übrigen seien die Notargebühren seit mindestens 1985 nicht realistisch an die Kostensteigerungen angepasst worden. Vergleichbares gelte für die Unternehmereigenschaft eines Rechtsanwalts; der Hinweis des FG auf § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG, wonach Gewinnerzielungsabsicht nicht erforderlich sei, berücksichtige nicht, dass mangels kostendeckender Gebührenordnung schon ein dauerhafter Überschuss objektiv nicht möglich sei. Grundsätzlich bedeutend sei auch, ob angesichts nicht kostendeckender und damit verfassungswidriger gesetzlicher Gebühren für Rechtsanwälte und Notare die verfassungsrechtlich vorausgesetzte Überwälzung der Umsatzsteuer möglich sei, wenn ein Anwaltsnotar mangels Kostendeckung keinen dauerhaften Überschuss und deshalb die zur Abführung der Umsatzsteuer notwendige Liquidität nicht dauerhaft erzielen könne. Die Umsatzbesteuerung des Anwaltsnotars, der unterhalb der Gewinnschwelle arbeite und dessen Umsätze oberhalb der seiner Auffassung nach verfassungswidrigen Kleinunternehmergrenze lägen, führe zur verfassungswidrigen Substanzbesteuerung, für die dem Bund die Gesetzgebungskompetenz fehle.
Für klärungsbedürftig hält der Kläger auch die Frage, ob die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Existenzminimum auf die Umsatzsteuer anwendbar und ob die Kleinunternehmergrenze in § 19 Abs. 3 UStG verfassungsgemäß sei.
Als Verfahrensmangel rügt der Kläger, das FG habe gegen seine Sachaufklärungspflicht und den klaren Inhalt der Akten verstoßen; es habe seinen Vortrag, er könne die Umsatzsteuer mangels kostendeckender gesetzlicher Gebühren nicht abwälzen, nicht zur Kenntnis genommen, weil es zu Unrecht davon ausgegangen sei, es komme auf eine Gewinnerzielung nicht an. Verfahrensfehlerhaft sei auch, dass das FG seinen in diesem Verfahren erhobenen klageerweiternden Antrag auf Erlass der Umsatzsteuer zum Gegenstand eines selbständigen Verfahrens gemacht habe, obwohl es dem Antrag von Amts wegen ohne Antrag des Klägers hätte stattgeben müssen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist rechtzeitig erhoben. Sie hat jedoch keinen Erfolg.
1. Das Urteil des FG ist fehlerhaft zugestellt worden. Die Beschwerdefrist ist daher nicht in Gang gesetzt worden.
a) Nach § 53 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wird im finanzgerichtlichen Verfahren nach den Vorschriften des VwZG zugestellt. Nach § 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. § 182 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Schriftstück, das nach den Vorschriften der §§ 180 und 181 ZPO nicht zugestellt werden kann, durch Niederlegung bei der Postanstalt zugestellt werden. Diese Vorschriften der §§ 180 und 181 ZPO betreffen nur die Zustellung in der Wohnung des Empfängers. Für die in § 183 ZPO vorgesehene Zustellung in einem Geschäftslokal oder der Kanzlei eines Freiberuflers gelten diese Vorschriften nicht. Die Möglichkeit einer Ersatzzustellung durch Niederlegung ist in einem solchen Fall gesetzlich nicht vorgesehen. Verfährt der Postbote dennoch in der Weise, ist die Zustellung unwirksam (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1998 XI R 3/98, BFH/NV 1999, 938, m.w.N.).
b) Im Streitfall hat der Postbote das zuzustellende Schriftstück niedergelegt, obwohl ―wie der Kläger durch Vorlage der Meldebescheinigung bei der Gemeinde nachgewiesen hat― als Empfängeranschrift die Praxisadresse des Klägers angegeben war. Ohne Bedeutung ist insoweit, ob für den die Zustellung ausführenden Postbeamten ohne weiteres erkennbar war, dass der Zustellungsadressat unter der angegebenen Anschrift nicht (auch) eine Wohnung, sondern nur seine Kanzlei unterhält, denn die Voraussetzungen für die Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt müssen objektiv vorliegen (BFH-Urteil vom 17. Juli 1973 VIII R 104/72, BFHE 110, 174, BStBl II 1973, 877). Die Zustellung war daher unwirksam.
c) Hat der Empfänger das finanzgerichtliche Urteil ―wie hier― tatsächlich erhalten, ist der Mangel der Unwirksamkeit zwar nach § 9 VwZG geheilt (Urteil des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 9. November 1976 GmS-OGB 2/75, BFHE 121, 1, BStBl II 1977, 275), jedoch werden die in § 9 Abs. 2 VwZG bezeichneten Rechtsmittelfristen, zu denen auch die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gehört, nicht in Lauf gesetzt.
2. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg.
a) Durch die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 13. Juni 1997 1 BvR 201/97, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1997, 771) ist geklärt, dass die Rechtsprechung des BVerfG zum Existenzminimum auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht auf die Umsatzsteuer übertragen werden kann. Das Umsatzsteuersystem ist im Gegensatz zur Einkommensteuer auf Abwälzung angelegt. Der Unternehmer soll daher in dieser Eigenschaft nicht mit Umsatzsteuer belastet sein; Steuerträger ist vielmehr der Verbraucher. Dementsprechend stellt auch der Kläger zu Recht die Umsatzsteuer für Leistungen, die er seinen Mandanten erbracht hat, diesen in Rechnung (vgl. § 25 Abs. 2 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ―BRAGO―). Ob im Einzelfall die nicht am Aufwands-, sondern am Gegenstandswert berechneten Gebühren kostendeckend sind oder den tatsächlichen Aufwand übersteigen, ist insoweit ohne Bedeutung. Ob die in der BRAGO oder der Kostenordnung für Notare enthaltene Quersubventionierung ―Gebühren bei hohen Streit-/Geschäftswerten subventionieren nicht kostendeckende Gebühren bei niedrigen Werten― gegen Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft verstößt, berührt die Umsatzsteuer nicht. Die Umsatzsteuer ist nicht personen-, sondern umsatzbezogen und berücksichtigt die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht.
b) Durch die Rechtsprechung ist auch geklärt, dass die Vorschrift des § 19 UStG, wonach die Steuer (nur) bei den dort genannten Kleinunternehmern nicht erhoben wird, mit dem GG vereinbar ist (zuletzt BFH-Beschluss vom 31. März 2000 V B 8, 9/00, BFH/NV 2000, 1369).
c) Einen Verfahrensfehler hat der Kläger nicht schlüssig geltend gemacht. Die Frage, ob die Umsatzbesteuerung in Fällen nicht kostendeckender gesetzlicher Gebühren eines Rechtsanwalts konfiskatorisch in die Vermögenssubstanz eines Rechtsanwalts eingreift, weil dieser "die Umsatzsteuer nicht abwälzen kann", gehört nicht zu dem Sachverhalt, der vom FG gemäß § 76 Abs. 1 FGO zu erforschen ist. Im Übrigen rügt der Kläger letztlich nur, dass sich das FG seiner Rechtsauffassung nicht angeschlossen hat, weil es diese Frage nicht für entscheidungserheblich gehalten hat.
Inwiefern dem Kläger der effektive Rechtsschutz verkürzt worden ist, weil das FG über sein Erlassbegehren nicht im dem die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Umsatzsteuerbescheide betreffenden Verfahren entschieden hat, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
Keinen Verfahrensmangel, sondern einen materiell-rechtlichen Fehler betrifft auch die Rüge, das FG habe wegen der Nichtabwälzbarkeit der Umsatzsteuer von Amts wegen ohne Antrag die Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen erlassen müssen.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen