Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aussetzung der Vollziehung eines Bescheids über die Ablehnung des Antrags auf Festsetzung von Kindergeld
Leitsatz (NV)
Ein Bescheid, durch den ein erstmaliger Antrag auf Festsetzung von Kindergeld abgelehnt wird, erschöpft sich in einer Negation und ist daher nicht vollziehbar; ein gleichwohl gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nicht statthaft.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3, § 114; ZPO § 920 Abs. 2
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist algerischer Staatsangehöriger. Er ist bei der französischen Botschaft beschäftigt und wohnt mit seiner Ehefrau und seinen zwei minderjährigen Kindern in der Residenz des französischen Botschafters. Er beantragte Kindergeld für seine beiden Kinder.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (Antragsgegner) lehnte die Bewilligung von Kindergeld mit Bescheid vom 29. September 1999 ab und setzte das Kindergeld auf 0 DM fest. Zur Begründung führte er an, die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld seien nicht erfüllt, da der Antragsteller weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitze noch im Inland ständig ansässig sei und nach Art. 34, 37 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen bzw. nach Art. 49, 57, 66 und 71 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen von der Einkommensteuer befreit sei.
Nach erfolglosem Einspruch erhob der Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid Klage, die noch beim Finanzgericht (FG) anhängig ist. Er beantragte außerdem die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 29. September 1999 gemäß § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und machte geltend, dass dieser Antrag dann, wenn er nicht statthaft sein sollte, sachdienlicherweise in einen solchen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO umzudeuten sei.
Das FG lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit der Begründung ab, dass er nicht statthaft sei. Die Aussetzung der Vollziehung setze einen vollziehbaren Verwaltungsakt voraus. Im Streitfall erschöpfe sich der Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheides in einer nicht vollziehbaren Negation des Anspruchs auf Kindergeldfestsetzung. Eine Umdeutung des Antrages auf Aussetzung der Vollziehung in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung komme bei einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe oder einem Rechtsanwalt nicht in Betracht.
Der Antragsteller macht mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde geltend, dass das FG den Aussetzungsantrag gemäß seinem ausdrücklichen Hilfsantrag in einen Antrag auf einstweilige Anordnung hätte umdeuten müssen. Dies gelte insbesondere deshalb, weil in den bisherigen Beschlüssen des Bundesfinanzhofs (BFH) Zweifel geäußert worden seien, welche Verfahrensart zur Gewährung effektiven vorläufigen Rechtsschutzes bei der hier einschlägigen Problematik gegeben sei. Allerdings erscheine es problematisch, ob im Streitfall die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 FGO als gegeben angenommen werden könnten. Im Übrigen sei er weiterhin der Auffassung, dass vorläufiger Rechtsschutz richtigerweise durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren sei. Der BFH habe in seinen bisherigen Beschlüssen über die Aussetzung der Vollziehung ausgeführt, dass sich in Fällen der vorliegenden Art vorläufiger Rechtsschutz wirksam nur durch Aussetzung der Vollziehung erreichen lasse, weil regelmäßig die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 FGO nicht vorliegen würden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und ihm das begehrte Kindergeld vorläufig zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.
1. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des mit der Klage angefochtenen Ablehnungsbescheides nicht statthaft ist.
a) Die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 FGO setzt einen vollziehbaren Verwaltungsakt voraus. Vollziehbar in diesem Sinne sind solche Verwaltungsakte, die auf eine Geldleistung, ein Handeln, Dulden oder Unterlassen gerichtet sind, und zwar unabhängig davon, ob hierzu der Betroffene oder eine Finanzbehörde aufgefordert ist. In diesem Sinne vollziehbar ist auch ein Verwaltungsakt, der die ganze oder teilweise Rücknahme (Aufhebung) eines anderen Verwaltungsakts ausspricht; wird seine Vollziehung ausgesetzt, bewirkt dies die Wiederherstellung der Wirkung des durch ihn aufgehobenen (zurückgenommenen) Verwaltungsakts für die Zeit der Aussetzung der Vollziehung (vgl. Kühn/Hofmann, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Nebengesetze, 17. Aufl., § 361 AO, Anm. 3).
Dagegen sind solche Verwaltungsakte nicht vollziehbar, deren Regelungsinhalt sich in einer Negation erschöpft. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts abgelehnt wird. Die Wirkung eines solchen Verwaltungsakts beruht ausschließlich in der Feststellung, dass sich die Verwaltungsbehörde weigert, einen Wirkung erzeugenden Verwaltungsakt zu erlassen (Kühn/Hofmann, a.a.O., § 361 AO, Anm. 3). Ablehnungsbescheide, die sich in einer Negation erschöpfen, bedürfen keiner Vollziehung; ihre Vollziehung kann deshalb auch nicht ausgesetzt werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. März 1991 I B 187/90, BFHE 164, 173, BStBl II 1991, 643, m.w.N.; vom 9. August 1994 IV S 8/94, BFH/NV 1995, 409; vom 13. April 1994 I B 212/93, BFHE 174, 389, BStBl II 1994, 835; vom 25. März 1997 VII B 149/96, BFH/NV 1997, 547; vom 1. April 1997 X S 3/96, BFH/NV 1997, 601; vgl. zur Abgrenzung von ablehnenden Grundlagenbescheiden im zweistufigen Besteuerungsverfahren und sonstigen Ablehnungsbescheiden BFH-Beschluss vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637, unter C. II. 4.).
b) Der im Streitfall im Hauptsacheverfahren mit der Klage angefochtene Ablehnungsbescheid ist ein nicht vollziehbarer Verwaltungsakt im dargestellten Sinn. Denn durch ihn wurde nicht eine bestehende Kindergeldfestsetzung aufgehoben oder zu Lasten des Berechtigten geändert, sondern der erstmalige Antrag auf Gewährung von Kindergeld abgelehnt. Die Wirkung dieses Bescheides erschöpft sich in der Ablehnung (Negation) des Anspruchs auf Festsetzung von Kindergeld.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des VI. Senats des BFH. Soweit dieser in Kindergeldsachen den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung für statthaft gehalten hat, hat es sich um Sachverhalte gehandelt, bei denen eine bestehende Kindergeldfestsetzung aufgehoben worden war (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. Februar 1998 VI B 205/97, BFH/NV 1998, 963; vom 26. Mai 1998 VI B 36/98, BFH/NV 1999, 30; vom 17. Juli 1998 VI B 81/98, BFH/NV 1999, 172; vom 16. Oktober 1998 VI B 222/97, BFHE 187, 266, BStBl II 1999, 136; vom 18. Dezember 2000 VI S 15/98, BFH/NV 2001, 637; vom 14. März 2001 VI B 279/99, BFH/NV 2001, 1237). Dabei ist zu beachten, dass die Festsetzung von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) fortwirkte; denn gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gilt Kindergeld, das bis zum 31. Dezember 1995 nach den Vorschriften des BKGG gewährt wurde, als nach den Vorschriften dieses Gesetzes, d.h. des EStG, festgesetzt. Bei der Aufhebung eines Bewilligungsbescheides hat die Aussetzung der Vollziehung für die Dauer ihrer Anordnung zur Folge, dass die Wirkung des Bewilligungsbescheides wiederhergestellt wird, der durch den angefochtenen Verwaltungsakt, den Aufhebungsbescheid, aufgehoben (zurückgenommen) worden ist.
2. Die Beschwerde hat im Ergebnis auch keinen Erfolg, soweit der Antragsteller beanstandet, dass das FG seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO umgedeutet hat. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob überhaupt und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei einem Rechtsanwalt oder Steuerberater eine derartige Umdeutung eines Antrags in Betracht kommt. Denn im Streitfall hat der Antragsteller im finanzgerichtlichen Verfahren in seinem Schriftsatz vom 9. Dezember 1999 auf die Rechtsansicht des Antragsgegners, dass der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht statthaft sei, erwidert, dass er dann sachdienlicherweise in einen solchen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung umzudeuten sei. Dies war bei verständiger Würdigung dahin auszulegen, dass der Antragsteller hilfsweise den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt.
Dieser Hilfsantrag war und ist aber unzulässig. Eine einstweilige Anordnung mit dem Ziel einer vorläufigen Regelung eines Sachverhalts kann nur ergehen, wenn außer dem Anordnungsanspruch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wird (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Ein solcher Anordnungsgrund ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637, unter C. I. 2. a., m.w.N.; vom 7. Januar 1999 VII B 170/98, BFH/NV 1999, 818). Macht ein Antragsteller in dem Verfahren vor dem FG keinen Sachverhalt geltend, aus dem sich ein Anordnungsgrund ergeben kann, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig zu verwerfen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. November 1991 I B 100/91, BFH/NV 1992, 478).
Im Streitfall hat der Antragsteller ―auch im Beschwerdeverfahren― nicht einmal ansatzweise Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein Anordnungsgrund, d.h. eine Bedrohung seiner wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz, ergeben könnte, wenn ihm nicht vorläufig Kindergeld für seine beiden Kinder gezahlt wird. Vielmehr haben die Prozessbevollmächtigen des Antragstellers eingeräumt, dass sie es selbst als zumindest problematisch erachten, ob die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 FGO als gegeben angenommen werden können. Damit mangelt es an der schlüssigen Darlegung eines Anordnungsgrundes.
3. Auch das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) erfordert es nicht, dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz durch eine vorläufige Zahlung von Kindergeld zu gewähren. Dies wäre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nur dann der Fall, wenn ohne vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 19. Oktober 1977 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166; vom 25. Oktober 1988 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69; vom 12. März 1999 1 BvR 355/99, Höchstricherliche Finanzrechtsprechung 1999, 576). Der Antragsteller hat derartige wesentliche Nachteile nicht geltend gemacht und sie sind auch nicht ersichtlich.
Soweit der Antragsteller entgegen der Darlegung des Antragsgegners in der Bundesrepublik Deutschland einkommensteuerpflichtig sein sollte und soweit das Kindergeld gemäß § 31 Satz 1 EStG der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes dienen sollte, wäre der Antragsteller durch die Ablehnung der Kindergeldzahlung im wirtschaftlichen Ergebnis nicht belastet. Denn insoweit wäre nach § 39a Abs. 1 Nr. 6 EStG auf der Lohnsteuerkarte ein Kinderfreibetrag für jedes Kind einzutragen, für das kein Anspruch auf Kindergeld besteht.
Fundstellen
Haufe-Index 797113 |
BFH/NV 2002, 1491 |
DStRE 2002, 1413 |