Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Feststellungsverfahren in einem Fall von geringer Bedeutung
Leitsatz (NV)
1. Ein Fall von geringerer Bedeutung ist anzunehmen, wenn die Einkünfte leicht zu ermitteln und nach einfachem Schlüssel auf die Beteiligten zu verteilen sind und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen bei den Beteiligten gering oder nahezu ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juli 1985 IV R 136/83, BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576).
2. Diese Voraussetzung liegt dann vor, wenn eine Zurechnung von Einkünften auf mehrere Personen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt.
Normenkette
AO 1977 § 179 Abs. 1, 2 S. 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist im Nebenberuf als . . . gewerblich tätig. Bei der Veranlagung für das Streitjahr 1984 erhöhte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die gewerblichen Einkünfte um 250 DM. Hierbei handelte es sich um die Provision für die Vermittlung eines von Frau X abgeschlossenen Bausparvertrages. Die Klägerin hat die Provision im Jahre 1984 vereinnahmt und Ende Januar 1985 vereinbarungsgemäß an X weitergeleitet. Hierzu trägt sie vor, X habe ohnehin die Absicht gehabt, einen Bausparvertrag abzuschließen. Ein solcher Abschluß sei grundsätzlich auch ohne Einschaltung eines Vermittlers möglich gewesen. Sie selbst habe keine Vermittlungsleistung erbracht, sondern sich der Bausparkasse gegenüber lediglich als Vermittlerin benannt. Die Provision habe aber X zustehen sollen: Sie, die Klägerin, habe mit X eine mündliche ,,Treuhandabrede" des Inhalts getroffen, daß sie selbst nur ,,mittelbare Stellvertreterin" bzw. ,,Durchgangsperson" sei. Die Provision sei ein durchlaufender Posten (§ 4 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).
Der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 1984 blieb ohne Erfolg. Das FA vertrat den Standpunkt, die von der Klägerin durch eigene Leistung erwirtschaftete Provision sei dieser originär als Betriebseinnahme zuzurechnen. Nur sie sei aus der Provionsabrede mit der Bausparkasse berechtigt gewesen. Sie habe keine Einkunftsquelle auf X übertragen. Die von Anfang an geplante Weiterleitung der Provision sei eine steuerrechtlich nicht relevante Verwendung von Vermögen. Eine andere rechtliche Beurteilung ergebe sich auch nicht unter dem - von der Klägerin angesprochenen - rechtlichen Gesichtspunkt einer Gewinnverteilung im Rahmen einer atypischen stillen Gesellschaft: Es spreche nichts für die Annahme, daß X durch die vereinbarte Weitergabe der Provision Mitunternehmerin i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG geworden sei.
Über die hiergegen im August 1987 erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden. Die Klägerin hat vor dem FG u. a. ,,hilfsweise" beantragt, die Rechtsbeziehungen zwischen ihr und X ,,unter dem Gesichtspunkt einer sog. atypisch stillen Gesellschaft zu überprüfen".
Das FG hat mit Beschluß vom 13. Mai 1991 das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt bis zum Ergehen eines einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheides nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a der Abgabenordnung (AO 1977) ,,in Sachen Mitunternehmerschaft zwischen der Klägerin und Frau X". Diese Frage sei im gesonderten Verfahren nach § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 zu entscheiden. Dies sei bislang nicht geschehen. Zwar habe das FA in der Einspruchsentscheidung entsprechende Überlegungen angestellt; insoweit fehle es aber an einem gesonderten Verfügungssatz.
Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde trägt die Klägerin sinngemäß vor, infolge einer Aussetzung des Verfahrens könne das gerichtliche Verfahren nicht vor Ablauf von 5 Jahren seit Erhebung der Klage abgeschlossen werden. Durch diese überlange Verfahrensdauer werde ein effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -) versagt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
1. a) Nach § 179 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 werden gesondert und einheitlich festgestellt die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen zuzurechnen sind.
b) Ein Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung ist auch dann durchzuführen, wenn zweifelhaft ist, ob einkommensteuerpflichtige Einkünfte vorliegen, an denen mehrere Personen beteiligt bzw. die mehreren Personen zuzurechnen sind (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239; vom 28. März 1990 X R 166/87, BFH/NV 1991, 11). Das FG hat auch in einem solchen Falle in der Regel das Klageverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid auszusetzen, bis das zuständige FA entweder eine gesonderte und einheitliche Feststellung durchgeführt oder einen negativen Feststellungsbescheid erlassen hat (BFH-Beschluß vom 10. Oktober 1989 IV B 135/88, BFH/NV 1990, 485). Diese Verfahrensweise ist durch den Zweck des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 geboten: In Fällen der Beteiligung mehrerer an Einkünften wie auch bei Zweifeln an der Steuerbarkeit solcher Einkünfte, an denen mehrere beteiligt sind, soll eine einheitliche Sachbehandlung durch die Finanzbehörden sichergestellt werden (BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239; ausführlich Söhn in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 180 Rdnr. 90 ff.).
c) Die verselbständigte Feststellung nach §§ 179 f. AO 1977 ist kein Selbstzweck, sondern hat dienende Funktion. Dies kommt in § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zum Ausdruck: Ein Feststellungsverfahren ist nicht erforderlich, wenn es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handelt, ,,insbesondere weil die Höhe des festgestellten Betrages und die Aufteilung feststehen". In diesem Falle kann das zuständige FA durch Bescheid feststellen, daß eine gesonderte Feststellung nicht durchzuführen ist (§ 180 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 i. d. F. des Steuerbereinigungsgesetzes - StBereinG - 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436). Diese Vorschrift will sicherstellen, daß ein Feststellungsverfahren ,,nur in verfahrensmäßig bedeutsamen Fällen durchgeführt wird"; die Finanzbehörde ,,soll von der Einleitung eines Feststellungsverfahrens absehen, wenn es zur einheitlichen Rechtsanwendung und zur Erleichterung des Besteuerungsverfahrens nicht erforderlich ist" (Begründung zum Entwurf eines StBereinG 1985, BTDrucks. 10/1636 S. 46). Liegt ein Fall von geringerer Bedeutung vor, braucht das FA dies nicht ausdrücklich auszusprechen: Die ,,Kann"-Vorschrift des § 180 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 ermächtigt die Behörde zu einer Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen. Hat das FA hiernach zu Recht von einem Feststellungsverfahren abgesehen, kommt eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO nicht in Betracht (Beschluß in BFH/NV 1990, 485).
Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Fall von geringerer Bedeutung anzunehmen, wenn die Einkünfte leicht zu ermitteln und nach einfachem Schlüssel auf die Beteiligten zu verteilen sind und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen bei den Beteiligten gering oder nahezu ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juli 1985 IV R 136/83, BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576; Beschluß in BFH/NV 1990, 485, m. w. N.).
Die Neuregelung durch das StBereinG gilt auch für Feststellungszeiträume vor Inkrafttreten des StBereinG 1986 und ist auf alle bei Inkrafttreten anhängigen Verfahren anzuwenden (Art. 97 § 1 Abs. 2 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 - i. d. F. des StBereinG 1986; BFH-Urteil vom 1. Dezember 1987 IX R 90/86, BFHE 152, 17, BStBl II 1988, 319, unter 2.).
2. Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 179 Abs. 2 Satz 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 (oben 1. b) liegen nicht vor.
Bereits in zivilrechtlicher Hinsicht kann nicht zweifelhaft sein, daß X durch die einen einzelnen Geschäftsvorfall betreffende Verteilungsabrede nicht i. S. des § 230 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) ,,als Gesellschafter an dem Handelsgewerbe beteiligt" wurde.
Auch unter der Voraussetzung, daß sich der hier fragliche Geschäftsvorfall bei der Klägerin gewinnerhöhend auswirkt, sind der X Einkünfte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ,,steuerlich zuzurechnen" (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977). Das Erfordernis der steuerlichen Zurechnung soll jene Fälle von einer einheitlichen und gesonderten Feststellung ausschließen, in denen lediglich eine zivilrechtliche (bürgerlich- oder handelsrechtliche) Beteiligung besteht, die nicht auch zu einer unmittelbaren steuerrechtlichen Zurechnung führt (BFH-Beschluß vom 28. März 1979 I B 78/78, BFHE 128, 8, BStBl II 1979, 607). Steuerrechtlich spricht nichts dafür, daß X an einem ,,laufenden" Gewinn und Verlust oder gar mit Unternehmerrisiko an einem betrieblichen Zwecken dienenden Vermögen beteiligt gewesen wäre; eine auf die gewerbliche Tätigkeit der Klägerin bezogene Unternehmerinitiative konnte X ohnehin nicht entfalten.
3. Im Streitfall bedurfte es weder einer gesonderten Feststellung (§ 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) noch eines Negativbescheides nach § 180 Abs. 3 Satz 2 AO 1977.
a) Der Senat läßt dahingestellt, ob nicht die aus § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 folgende verfahrensrechtliche Pflicht zum Erlaß eines - gegebenenfalls negativen - Feststellungsbescheides (oben 1. b) zumindest voraussetzt, daß eine steuerrechtliche Zurechnung von Einkünften auf mehrere Personen im Einzelfall nach dem insoweit unstreitigen Sachverhalt oder nach dem schlüssigen Vortrag eines Beteiligten überhaupt in Betracht kommen kann. Denn hier ist jedenfalls ein Fall von geringerer Bedeutung gegeben. Es bedarf keiner Entscheidung darüber, ob dies für den Streitfall bereits aus der geringen Höhe der streitigen Vermittlungsgebühr folgt (vgl. Söhn in Hübschmann / Hepp / Spitaler, a. a. O., § 180 AO 1977 Rdnr. 224 m. w. N. der Literatur). Das FA konnte davon ausgehen, daß ,,die Höhe des festgestellten Betrages und die Aufteilung feststehen" (§ 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977). Dies schon deswegen, weil, wie dargelegt, eine Zurechnung von gemeinschaftlich erzielten originären Einkünften auf X unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt. Bereits aus diesem Grunde ist die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen der Finanzbehörden ,,nahezu ausgeschlossen" (vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1990 I R 3/90, BFH/NV 1991, 285, unter 3. b mit Nachweisen der BFH-Rechtsprechung).
b) Der Beklagte als das nach § 18 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 zuständige FA hätte durch Bescheid feststellen können, daß eine gesonderte Feststellung nicht durchzuführen ist. Das FA hat von dieser Ermächtigung zum Erlaß eines Negativbescheides keinen Gebrauch gemacht. Dies ist bei einer Überprüfung in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nicht zu beanstanden. Ein Negativbescheid ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn die Voraussetzungen des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 offensichtlich vorliegen (offengelassen im BFH-Beschluß vom 12. Juli 1988 IX B 28/88, BFH/NV 1989, 87).
c) Der Senat weicht nicht von dem BFH-Urteil vom 19. Juli 1990 IV R 11/89 (BFH/NV 1991, 649) ab. Der IV. Senat des BFH sah es dort als entscheidungserheblich an, daß das FG selbst ein Gewinnfeststellungsverfahren für notwendig erachtet und die Voraussetzungen des § 180 Abs. 3 AO 1977 verneint hatte. Unter dieser Voraussetzung war nach Auffassung des IV. Senats des BFH die im Klageverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid formlos geäußerte Auffassung des FA, es liege ein Fall von geringerer Bedeutung vor, dem im förmlichen Verfahren zu erlassenden negativen Feststellungsbescheid nicht gleichzusetzen. Dies ist anders, wenn - wie im Streitfall - die Ermessensentscheidung des FA nicht zu beanstanden ist.
Das FA hat stets - in der Einspruchsentscheidung wie im finanzgerichtlichen Verfahren - zum Ausdruck gebracht, daß aus seiner Sicht eine Zurechnung von Einkünften auf Frau X nicht in Betracht komme, da es an einer mitunternehmerischen Beteiligung der X fehle. Diese Beurteilung am Maßstab des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 war vertretbar; die Entscheidung, keinen Negativbescheid nach § 180 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 zu erlassen, war ermächtigungskonform.
4. Soweit die Klägerin ,,im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens . . . die Finanzverwaltung zur Klagestattgabe im laufenden finanzgerichtlichen Verfahren bzw. zu einer Billigkeitsmaßnahme" auffordert, ist dies nicht im Sinne eines prozessualen Begehrens an das Gericht gerichtet.
Fundstellen
Haufe-Index 418095 |
BFH/NV 1992, 289 |