Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhen/Aussetzung des Verfahrens
Leitsatz (NV)
1. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens setzt einen Antrag auf Ruhen beider Parteien voraus.
2. Ein finanzgerichtliches Verfahren ist nicht wegen eines laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens auszusetzen.
Normenkette
FGO §§ 74, 155; ZPO § 251
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine in Konkurs gegangene GmbH, erhob Klage gegen einen nach §251 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) ergangenen Feststellungsbescheid und beantragte, den angefochtenen Bescheid aufzuheben bzw. das "Ruhen des Verfahrens" bis zum Abschluß des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens anzuordnen. Zur Begründung ihres Antrags auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens ließ die Klägerin vortragen, daß die Frage zu beurteilen sei, ob Lizenzzahlungen der Klägerin an eine amerikanische Kapitalgesellschaft, die gleichermaßen vom Geschäftsführer der Klägerin vertreten worden war, angemessen seien. Die Staatsanwaltschaft habe hierzu bereits umfangreiche Ermittlungen durchgeführt und auch ein Gutachten zur Angemessenheitsfrage eingeholt. Da es für das finanzgerichtliche Verfahren von Bedeutung sei, ob der Geschäftsführer der Klägerin wegen verdeckter Gewinnausschüttungen (vGA) der Steuerhinterziehung für schuldig befunden werde, würde die Heranziehung einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung sowie der Ermittlungsakten prozeßökonomisch sinnvoll erscheinen.
Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf Anordnung der Verfahrensruhe ab. Die Voraussetzungen des §251 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) seien nicht erfüllt. Das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sowie das Strafverfahren seien weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht für das finanzgerichtliche Verfahren von Bedeutung.
Der hiergegen eingelegten Beschwerde hat das FG nicht abgeholfen mit dem zusätzlichen Bemerken, daß auch die Voraussetzungen des §74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht erfüllt seien.
Die Klägerin beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und die Verhandlung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Steuerstrafverfahrens der Staatsanwaltschaft beim Landgericht gegen Herrn W wegen Steuerhinterziehung auszusetzen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen, um den Antrag der Klägerin unter Berücksichtigung des §74 FGO erneut zu verbescheiden.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Anordnung eines Ruhens des Verfahrens im Hinblick auf das anhängige Strafverfahren scheidet gemäß §155 FGO i. V. m. §251 ZPO schon deswegen aus, weil nach dem eindeutigen Wortlaut des §251 Abs. 1 ZPO hierfür ein Antrag auf Ruhen beider Parteien vorausgesetzt wird (vgl. z. B. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 5. Juli 1995 X B 228/92, BFH/NV 1996, 148). Das FA hat einen Antrag auf Ruhen des Verfahrens nicht gestellt.
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob der von einem Steuerberater und Rechtsbeistand gestellte Antrag auf "Ruhen des Verfahrens" in einen solchen auf Aussetzung des Verfahrens i. S. des §74 FGO hätte ausgelegt werden müssen, da die Aussetzung des Verfahrens gemäß §74 FGO einen Antrag der Beteiligten nicht voraussetzt.
Gemäß §74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift muß das andere (vorgreifliche) Rechtsverhältnis Gegenstand eines bei einem anderen Gericht anhängigen Rechtsstreits oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen sein (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §74 Rdnr. 5; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, §74 FGO Tz. 2 b). Nach eigenem Vortrag der Klägerin befand sich das Strafverfahren aber nur im Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht (so auch noch Schriftsatz vom 18. August 1997). Damit kann von einer Anhängigkeit des Rechtsstreits bei einem anderen Gericht nicht ausgegangen werden. Auch ist die Staatsanwaltschaft als Verwaltungsbehörde zur Feststellung der Strafbarkeit nicht befugt. Im übrigen bleibt darauf hinzuweisen, daß von der Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf ein strafgerichtliches Verfahren regelmäßig kein Gebrauch gemacht werden sollte, wenn sich schwierige steuerrechtliche Fragen stellen (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Dezember 1992 VIII B 88/92, VIII B 89/92, BFH/NV 1993, 419). Das ist hier der Fall, da es nach dem Vortrag der Klägerin um die Rechtsfrage geht, ob Lizenzzahlungen einer inländischen GmbH an eine amerikanische Kapitalgesellschaft vGA i. S. des §8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes sind.
Einer Zurückverweisung der Sache an das FG zur sachgerechten eigenen Ermessensausübung bedarf es nicht, da der Senat im Beschwerdeverfahren dieses Ermessen selbst ausüben kann (vgl. BFH in BFH/NV 1993, 419, m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 66430 |
BFH/NV 1998, 601 |