Leitsatz
Es wird die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8, § 10d Abs. 1 Sätze 2 bis 4, Abs. 2 Sätze 2 bis 4, Satz 5 Halbs. 2 soweit auf Sätze 2 bis 4 verweisend, und Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG) verfassungswidrig sind.
Normenkette
§ 2 Abs. 3 Sätze 2 ff., § 10d Abs. 1 Sätze 2 ff., Abs. 2 Sätze 2 ff., Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
Sachverhalt
Die Kläger, zusammen zur ESt veranlagte Eheleute, erzielten im Streitjahr 1999 Einkünfte aus Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit, nichtselbstständiger Arbeit, Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung. Die Verluste des Ehemanns überstiegen die Summe der übrigen positiven Einkünfte der Ehegatten bei Weitem.
Das FA wandte die Regelungen zur sog. Mindestbesteuerung an und ermittelte eine ESt nach der Splittingtabelle von 337.448 DM. Das FG wies die Klage, mit der die Kläger eine Festsetzung der ESt auf 0 DM bzw. eine Vorlage an das BVerfG wegen Verfassungswidrigkeit des begrenzten Verlustabzugs nach § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 beantragt hatten, ab (EFG 2004, 996).
Während des Revisionsverfahrens beim BFH erließ das FA einen Änderungsbescheid, mit dem es die ESt auf 364.073 DM festsetzte. Dabei ging das FA von einer Summe der positiven Einkünfte von 1.674.744 DM (Ehemann) bzw. 121.661 DM (Ehefrau), einer Summe der negativen Einkünfte von 1.282.120 DM und einem ausgleichsfähigen Verlust von 887.372 DM aus.
Entscheidung
Der BFH setzte das Revisionsverfahren gem. Art. 100 Abs. 1 GG aus und legte die Sache dem BVerfG zur Entscheidung darüber vor, ob die Regelungen zur sog. Mindestbesteuerung wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit verfassungswidrig sind.
Hinweis
1. Die Regelungen über die sog. Mindestbesteuerung hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab dem VZ 2004 bereits wieder aufgehoben. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass einer der Gründe dafür die schwierige Handhabbarkeit der Norm trotz des Einsatzes elektronischer Datenverarbeitung war (BTDrs. 15/1518, S. 13).
Obwohl die Vorschriften zur Mindestbesteuerung bereits mit Wirkung ab dem VZ 1999 eingeführt worden waren und von Beginn an im Schrifttum fast einhellig als unverständlich, unpraktikabel und nicht justiziabel angesehen wurden, ist das vorliegende Verfahren das erste Hauptsacheverfahren, in dem der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG im Zusammenspiel mit § 10d Abs. 1 Sätze 2 bis 4 und Abs. 2 Sätze 2 bis 4 EStG zu beurteilen hatte.
Die bisherigen Entscheidungen des BFH zur Mindestbesteuerung, die sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG befassen, sind alle in sog. vorläufigen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung ergangen. Im ersten Verfahren (XI B 151/00 vom 9.5.2001, BFH-PR 2001, 294) hatte der BFH lediglich über § 2 Abs. 3 Satz 3 EStG zu befinden und sah die darin enthaltene Regelung als verständlich und praktikabel und die danach vorzunehmenden Berechnungen als ohne Weiteres nachvollziehbar an. In den weiteren vorläufigen Verfahren, in denen die Summe der negativen Einkünfte stets höher war als die Summe der positiven Einkünfte der Steuerpflichtigen, kam der BFH zu dem Ergebnis, dass insoweit ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zur Mindestbesteuerung bestehen, als danach eine ESt auch dann festzusetzen ist, wenn den Steuerpflichtigen von ihrem im Veranlagungszeitraum Erworbenen nicht einmal das Existenzminimum verbleibt (z.B. Urteil vom 6.3.2003, XI B 76/02, BFH-PR 2003, 259).
2. Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BFH erstmals eine Steuerrechtsnorm als verfassungswidrig wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Normenklarheit angesehen und diese Norm deshalb nicht angewendet. Er stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des BVerfG zum Bestimmtheitsgebot einer Rechtsnorm, nach der ein Betroffener die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung so erkennen können muss, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag.
Für den Bereich des Steuerrechts leitet der BFH daraus ab, dass die steuerbegründenden Tatbestände einer Norm so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige selbst – und nicht nur ein Steuerberater oder sonstiger Steuerexperte – die auf ihn entfallende Steuerlast berechnen kann.
Diesen Anforderungen entsprechen nach Auffassung des BFH die Regelungen zur Mindestbesteuerung nicht. Bereits den Wortlaut des § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG hält der BFH für sprachlich unverständlich. Darüber hinaus verwende die Vorschrift kaum abgrenzbare, teilweise sogar unzutreffende unbestimmte Rechtsbegriffe, sei teilweise unvollständig und rechtssystematisch irreführend. In der Regelung seien widersprüchliche Rechtsfolgeanordnungen enthalten und insbesondere bei zusammen veranlagten Eheleuten und im Zusammenhang mit dem Vor- und Rücktrag von Verlusten in andere Jahre (§ 10d Abs. 2 Satz 3 EStG) bediene sie sich einer unübersichtlichen ...