Leitsatz (amtlich)
Auf den öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch des FA bei irrtümlicher Erstattung von Lohnsteuer an einen Nichtberechtigten ist das Bereicherungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht anwendbar. Treu und Glauben können jedoch im Einzelfall den Rückforderungsanspruch des FA ausschließen.
Normenkette
AO § 92 Abs. 2, § 150 Abs. 2, § 151; BGB § 812 ff.
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt am 27. März 1968 vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) durch die Post einen Betrag von 409,58 DM ausgezahlt. Weitere 62,70 DM wurden ihrem Girokonto am 11. April 1968 gutgeschrieben, ohne daß auf den Überweisungsträgern Angaben über Zahlungsgrund und Berechnung der Beträge vermerkt waren. Es steht fest, daß der Klägerin die 62,70 DM aufgrund des für sie durchgeführten Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1967 erstattet wurden. Dagegen beruhte die Überweisung der 409,58 DM auf einem Fehler des maschinellen Erstattungsverfahrens. Dieser Betrag hätte dem Steuerpflichtigen N im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren erstattet werden müssen.
Mit Schreiben vom 4. Juni 1968 bat das FA die Klägerin um Rückzahlung des fehlgeleiteten Betrags. Gegen diesen "Rückforderungsbescheid" legte die Klägerin erfolglos Einspruch ein. Mit der Klage trug sie vor, daß der Rückzahlungsanspruch des FA zivilrechtlicher Natur sei und deshalb nicht mit hoheitlichen Mitteln durchgesetzt werden dürfe. Sie könne daher die Entreicherungseinrede erheben. Tatsächlich sei sie auch entreichert, denn sie habe sich für das Geld einen Wollmantel, zwei Paar Schuhe und Unterwäsche gekauft sowie dem Postboten ein großzügiges Trinkgeld gegeben. Erst nach dem Kauf der Gegenstände, die sie sich ohne die unrichtige Überweisung nie angeschafft hätte, habe sie die Überweisung des zweiten Betrags auf ihrem Girokonto festgestellt.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG sah in der irrtümlichen Überweisung des Erstattungsbetrags an die Klägerin die Bekanntgabe eines begünstigten Verwaltungsakts mit der Folge, daß der Anspruch auf Rückzahlung der 409,58 DM öffentlich-rechtlicher Natur sei. Das FA könne seinen Rückforderungsanspruch zwar nur geltend machen, wenn die bekanntgegebene Erstattungsverfügung als Grundlage der Überweisung des Geldbetrags zurückgenommen werden könne. Diese Voraussetzung sei aber gegeben. Es könne wohl nicht geklärt werden, worauf die Fehlleitung der Überweisung beruhe. In jedem Fall sei aber davon auszugehen, daß das FA nicht den Willen gehabt habe, an die Klägerin 409,58 DM zu erstatten. Bei Abweichungen zwischen aktenmäßiger Willensäußerung und Bekanntgabe des Verwaltungsakts habe der BFH die Ansicht vertreten, daß die Richtigstellung jederzeit erfolgen könne. Dieser Meinung sei allerdings nicht zu folgen, denn erst mit seiner Bekanntgabe entstehe der wirksame Verwaltungsakt. Die unrichtige Adressierung sei aber eine offenbare Unrichtigkeit, die das FA berechtige, die Erstattungsverfügung als begünstigenden Verwaltungsakt nach § 92 Abs. 2 AO zu berichtigen. Auf den öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch des FA seien die Vorschriften der §§ 812 ff. BGB nicht anwendbar; denn diese seien durch das Institut des Rückforderungsanspruchs verdrängt, wobei die Schutzfunktion der Entreicherungseinrede ebenso wirksam durch den Vertrauensschutz gewahrt werde. Danach sei unter Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben abzuwägen, ob dem Interesse der Öffentlichkeit an der Rechtmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung oder dem Vertrauen des Bürgers an der Bestandskraft des Verwaltungsakts der Vorrang einzuräumen sei. Die Klägerin habe sich nicht darauf verlassen können, daß sie eine Steuererstattung von 409,58 DM zu beanspruchen habe, denn die von ihr im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren geltend gemachten zusätzlichen Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen hätten erkennbar nicht zu einem derartigen Erstattungsbetrag führen können. Der Klägerin als 30jähriger Buchhalterin mit hinreichender Lebenserfahrung, Kenntnissen in eigenen steuerlichen Angelegenheiten und einem entsprechenden Bildungsstand habe der Fehler des FA nicht verborgen bleiben können. Ein Vertrauensschutz sei aber auch deshalb nicht geboten, weil es der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nicht zuließen, daß die Klägerin durch die Leistung der Behörde in die Lage versetzt werde, ihr eigenes Vermögen zu schonen und Anschaffungen aus ihr nicht zustehenden Steuererstattungen zu bestreiten. Im übrigen sei es wegen der von der Klägerin behaupteten Verwendung der 409,58 DM auch auszuschließen, daß zwischen Empfang des Geldes am 27. März 1968 und dem Tag des Zugangs der Rückzahlungsaufforderung am 4. Juni 1968 die Bereicherung der Klägerin weggefallen sein könnte.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) rügt die Klägerin Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, §§ 229 Nr. 7, 92, 96 AO und § 818 Abs. 3 BGB. Der Rückforderungsanspruch des FA sei nicht öffentlich-rechtlicher Natur. Das FA habe ihr nämlich versehentlich einen Betrag erstattet, ohne daß dafür steuerliche Vorschriften bestimmend gewesen seien. Entsprechend seien die 409,58 DM von ihr auch nicht mit der Begründung zurückverlangt worden, daß sie im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren unrichtige Angaben gemacht oder aus anderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen keinen Anspruch auf den erstatteten Betrag gehabt habe. Da hier der Rückforderungsanspruch nicht der umgekehrte Erstattungsanspruch sein könne, habe das FA nur einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch auf Rückzahlung des Betrags. Das werde noch dadurch erhärtet, daß die Überweisung des Geldes im Rahmen des maschinellen Erstattungsverfahrens kein Verwaltungsakt, sondern eine tatsächliche Handlung sei. Da das FA aber einen Bescheid erlassen habe, für den der Finanzrechtsweg eröffnet sei, werde das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip des gesetzlichen Richters verletzt. Die unrichtige Auszahlung der 409,58 DM als tatsächliche Handlung sei kein Verwaltungsakt, so daß auch die Möglichkeit einer Berichtigung entfiele. Hinzu komme, daß § 92 Abs. 2 AO einen schriftlichen Bescheid voraussetze. Auch eine offenbare Unrichtigkeit liege nicht vor, denn sie sei keine Buchhalterin, die Lohnsteuerfragen zu bearbeiten habe. Schließlich sei aber auch § 818 Abs. 3 BGB anwendbar, so daß sie sich auf ihre Entreicherung berufen könne.
Die Klägerin beantragt Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Rückforderungsbescheids.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Der Senat hat schon mit Beschluß vom 30. Januar 1970 VI B 87/69 in der Aussetzungssache der Klägerin festgestellt, daß er an der im Urteil vom 27. August 1965 VI 97/64 (HFR 1966, 26) vertretenen Auffassung festhalte, nach der auch der Anspruch auf Rückzahlung eines versehentlich an einen anderen als den Berechtigten vom FA erstatteten Steuerbetrag ein öffentlich-rechtlicher Anspruch sei. Die Klägerin verkennt bei ihren Rechtsausführungen, daß auch die tatsächliche Auszahlung eines Erstattunbsbetrags wegen der Regelung in § 150 Abs. 2 AO ein Verwaltungsakt sein kann. Nach dieser Bestimmung bedarf es im Verfahren über den Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht der Erteilung eines schriftlichen Bescheids, wenn dem Antrag des Steuerpflichtigen voll entsprochen wird. Dann aber ist es nur folgerichtig, in der Erstattung selbst einen formlosen Bescheid zu sehen (BFH-Urteil vom 23. September 1966 VI 296/65, BFHE 87, 143, BStBl III 1967, 96). Mit Recht ist das FG davon ausgegangen, daß es sich nur um die Frage der unrichtigen Adressierung des Verwaltungsakts "Lohnsteuererstattung" handeln kann, wenn der zu erstattende Betrag versehentlich an einen Nichtberechtigten ausgezahlt wird. Es kann dahinstehen, ob die fehlerhafte Bekanntgabe der Erstattungsverfügung, die sich nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO) auf den Steuerpflichtigen N bezog, jederzeit und ohne weiteres richtiggestellt werden durfte (so BFH-Urteil vom 17. März 1964 I 345/61 U, BFHE 79, 309, BStBl III 1964, 343), oder ob es dazu der Heranziehung des § 92 Abs. 2 AO n. F. bedurfte. Entscheidend ist jedenfalls, daß der sich aus den Akten ergebende Wille des FA nicht darauf gerichtet war, an die Klägerin einen Betrag von 409,58 DM zu erstatten und daß diese Verfügung in den Steuerakten maßgebend ist (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1963 VI 105/63 U, BFHE 78, 434, BStBl III 1964, 167). Das FA durfte daher den begünstigenden Verwaltungsakt, d. h. die Erstattung der Lohnsteuer an die Klägerin als falsche Adressatin, zurücknehmen. Das ist mit der Rückforderung der 409,58 DM geschehen.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf Entreicherung berufen (§ 818 Abs. 3 BGB), denn die Bestimmungen der §§ 812 ff. BGB sind im Steuerrecht nicht anwendbar. Auch insoweit folgt der Senat den Ausführungen des FG-Urteils. Mit Recht weist Forsthoff (Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., 1973, Bd. I S. 175) darauf hin, daß das Verwaltungsrecht seine eigenen Rechtsinstitute entwickelt habe, die eine analoge Anwendung des Bereicherungsrechts des BGB verbieten. Die einschlägigen Bestimmungen des Steuerrechts enthalten auch keine Bezugnahme auf das Bereicherungsrecht des BGB, wie sie z. B. in § 87 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes aufgenommen ist. Die Rückforderung von Erstattungen muß im Zusammenhang mit dem Verwaltungsakt gesehen werden, auf dem die Erstattung beruht; denn die Rückforderungsansprüche sind die umgekehrten Erstattungs- und Vergütungsansprüche (herrschende Meinung, vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, vor §§ 150 bis 159 AO Anm. 15). Unabhängig vom Fall der Klägerin und vom Verfahren des Lohnsteuer-Jahresausgleichs bestimmt § 151 AO, daß zu Unrecht gezahlte Steuern zu erstatten sind, wenn eine Steuerfestsetzung durch Aufhebung, Rücknahme oder Änderung des früher erlassenen Bescheids berichtigt wird. Andererseits hat der Steuerpflichtige ihm zu Unrecht erstattete Steuern wieder zurückzuzahlen, wenn sich als Folge einer Berichtigung des der Erstattung zugrunde liegenden Verwaltungsakts zu seinen Ungunsten ein entsprechender Anspruch des FA ergibt. Unbillige Ergebnisse werden dabei durch Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben korrigiert. Ist aber ein Berichtigungstatbestand zuungunsten des Steuerpflichtigen gegeben, ohne daß ihm im Einzelfall Treu und Glauben entgegenstehen, so hat der Steuerpflichtige die ihm erstattete Steuer zurückzuzahlen, und zwar unabhängig von einer etwa noch vorhandenen Bereicherung.
Wegen der Beziehung des Rückforderungsanspruchs zu dem Verwaltungsakt, der Grundlage für die Erstattung war, hat das FG zu Recht die Rückforderung der 409,58 DM davon abhängig gemacht, daß das FA die formlose Erstattungsverfügung, nämlich die Auszahlung des Betrags an die Klägerin abändern konnte. Dabei hat es gleichzeitig geprüft, ob Treu und Glauben der Rücknahme der falsch adressierten Lohnsteuererstattung entgegenstanden und hat dies zu Recht verneint. Es kann dahinstehen, ob der Rückforderungsanspruch des FA nach Treu und Glauben schon dann ausgeschlossen wäre, wenn die Klägerin eine Erstattung in Höhe von 409,58 DM nach ihrem Lohnsteuer-Jahresausgleichsantrag hätte erwarten können; denn jedenfalls ist das FG rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, daß die Klägerin nicht mit einer derart hohen Erstattung habe rechnen können. Das FA war daher berechtigt, den irrtümlich an die Klägerin ausgezahlten Betrag zurückzufordern.
Fundstellen
Haufe-Index 70858 |
BStBl II 1974, 369 |
BFHE 1974, 457 |