Leitsatz (amtlich)
Durch das unentgeltliche Aufziehen fabrikneuer Reifen auf Räder von Kraftfahrzeugen wird die Reifenlieferung nicht zu einer Werklieferung. Die Wesensart des unbearbeitet gelieferten Reifens hat sich nicht geändert.
Normenkette
UStG § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 3; UStDB 1938 § 12; UStDB 1951 § 12
Tatbestand
Streitig ist der Steuersatz für Großhandelsumsätze des Beschwerdegegners (Bg.) mit fabrikneuen Reifen für Kraftfahrzeuge. Bei einem Teil der Lieferungen wird der Reifen auf das Rad aufgezogen, ohne daß ein Entgelt hierfür berechnet wird. Bei den Lieferungen ohne Reifenmontage wird demnach der gleiche Preis verlangt.
Das Finanzamt ist der Auffassung, daß durch die Montage der Reifen die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) verloren gehe. Es erblickt hierin eine gemäß § 12 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsleuergesetz (UStDB) schädliche Bearbeitung und hat, weil das Monlieren der Reifen in der Buchführung nicht festgehalten ist, sämtliche Reifenlieferungen zum normalen Steuersatz versteuert.
Der Bg. hat ausgeführt, er habe, soweit die Abnehmer zum Reifenkauf in ihren eigenen Wagen vorgefahren seien, das Aufziehen nur aus Gefälligkeit miterledigt.
Das Finanzgericht hat der Berufung des Bg. stattgegeben und die Großhandelsvergünstigung für alle Reifenlieferungen zugebilligt.
Mit der hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts wird geltend gemacht, beide Vertragsparteien unterstellten bei den Kaufverhandlungen, daß der gekaufte Reifen auch auf das Rad des mitgebrachten Kraftwagens aufgezogen werden solle. Die Lieferung könne daher nicht vor Durchführung der Montage auf das Rad als beendet angesehen werden. Erst danach sei das Eigentum und die Verfügungsmacht im umsatzsteuerlichen Sinne auf den Erwerber übergegangen. Das Umsatzgeschäft vereinige daher Lieferung und sonstige Leistung. Die Unentgeltlichkeit der sonstigen Leistung schließe nicht aus, daß durch diese besondere Lieferung ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit, nämlich ein montierter Reifen an Stelle des nicht montierten geliefert werde.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Zutreffend hat die Vorentscheidung die hier streitigen Umsatzgeschäfte als Lieferungen und nicht als Werklieferungen im Sinne des § 3 Abs. 2 UStG angesehen. Es bedarf hierzu keiner bürgerlich-rechtlichen Untersuchung, da das Umsatzsteuerrecht dem Grundbegriff der Lieferung einen völlig eigenen und selbständigen Inhalt gegeben hat, der nur nach dem Sinn und Zweck des Umsatzsteuerrechts ausgelegt werden darf (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 17/52 S vom 17. Juli 1952, Slg. Bd. 56 S. 604, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- 1952 III S. 234). Nach der unbestritten gebliebenen Darstellung des Bg. hat ein kleiner Teil der Kunden; zumeist kleinere Unternehmer, soweit diese beim Reifenkauf im Kraftfahrzeug vorgefahren sind, das Aufmontieren der gekauften Reifen gewünscht, das sodann kostenlos an Ort und Stelle als Dienst am Kunden vorgenommen wurde. In derartigen Fällen kann aber nicht die Rede davon sein, daß eine solche Neben leistung zum wesentlichen Vertragsinhalt gehört, um dergestalt die Annahme eines Werklieferungsvertrags zu rechtfertigen (vgl. auch Popitz, UStG, 3. Aufl. Anm. VI 2 g zu § 5 UStG 1926 S. 674).
Die Rb. will das Montieren als eine zusätzliche Leistung verstanden wissen und den Vertrag von vornherein auf Lieferung von aufmontierten Reifen gerichtet ansehen, so daß eine Aufspaltung des einheitlichen Geschäftsvorgangs nicht zulässig sei. Diese Auffassung wird jedoch bei der technisch und wirtschaftlich untergeordneten Bedeutung einer Reifenmontage der Sachlage nicht gerecht. Es kommt dem Kunden vielmehr in erster Linie darauf an, einen fabrikneuen Reifen zu erhalten, dessen Fabrikat, Profil und Größe allein Gegenstand der Verhandlung sind, und der dem Kunden sodann auf Wunsch, wie es in ähnlichen Fällen auch sonst kaufmännischen Gepflogenheiten entspricht, kostenlos auf das Rad gezogen wird. Aus Wortlaut und Sinn des § 3 Abs. 2 UStG läßt sich jedenfalls ein Werklieferungsvertrag nicht begründen.
Die vom Bg. übernommene Nebenleistung könnte nur dann die Großhandelsvergünstigung ausschließen, wenn sie eine Bearbeitung oder Verarbeitung im Sinne des § 12 UStDB zum Gegenstand hätte. Auch dies ist jedoch in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung zu verneinen. Wie zwar schon das bloße Aufstellen umfangreicher Maschinen komplizierter Konstruktion die Großhandelsvergünstigung auszuschließen vermag (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V 97/43 vom 31. Mai 1944, Slg.Bd. 54 S. 91, Reichssteuerblatt -- RStBl. -- 1944 S. 599), so kann auch das Montieren oder Einbauen des Liefergegenstandes dessen Wesensart ändern. Dies setzt aber voraus, daß die Verbindung nicht ohne weiteres wieder lösbar ist und der Liefergegenstand nur mit einiger Schwierigkeit wieder in seiner ursprünglichen Gestalt hergestellt werden kann (vgl. Koch-Wirckau-Sölch-Ringleb, UStG. 5. Aufl. Bem. 5d zu § 7 Abs. 3 S. 360). Die Tatsache der leichten Lösbarkeit würde allerdings die Versagung der Großhandelsvergünstigung nicht ausschließen, wenn es sich im Streitfalle um einen Bearbeitungsvorgang des Liefergegenstandes vor dessen Lieferung handelte, oder wenn es um die Zusammenstellung zu einer Sachgesamtheit ginge, bei der es auf eine feste Verbindung überhaupt nicht ankommt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 185/52 U vom 28. Mai 1953, Slg.Bd. 57 S. 537, BStBl. III S. 206), wohl aber hat sie Bedeutung bei dem hier allein zu beurteilenden Sachverhalt, bei dem Gegenstand des Umsatzgeschäfts -- bei Ablehnung einer Werklieferung -- der unbearbeitet gebliebene Reifen ist.
Im Streitfalle handelt es sich um genormte Reifen, die auf gleichfalls genormte Räder mit wenigen Handgriffen und in kurzer Zeit aufgezogen werden können, ohne daß es hierzu besonderer Fachkenntnisse bedarf, und ohne daß der Reifen in seinem Bestand verändert wird. Dieser kann vielmehr schnellstens wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden. Bei dieser Sachlage ist nicht einzusehen, inwiefern die Verkehrsauffassung im aufmontierten Reifen ein neues Verkehrsgut erblicken sollte, das doch erst durch den späteren Gebrauch des Reifens entsteht.
Soweit Verwaltung und Schrifttum eine hiervon abweichende Auffassung vertreten, ist ebenso wie aus der vorliegenden Rb. eine Begründung für die Annahme eines neuen Verkehrsgutes nicht ersichtlich. Die Ermittlung der Verkehrsauffassung gehört aber zur Feststellung des Tatbestandes (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 87/52 U vom 6. März 1953, BStBl. III S. 162); sie kann nicht durch bloße Überlegungen des Steuergerichts oder der Verwaltung ersetzt werden, zumal wenn nicht einmal die Umstände zweifelsfreie Beweisanzeichen für eine Änderung der Marktgängigkeit, z. B. andere Nachfrage, geänderter Verwendungszweck, erhöhter Preis usw. ergeben, oder der Gesetzgeber selbst -- z. B. durch Aufnahme in das Verzeichnis der besonders zugelassenen Bearbeitungen oder Verarbeitungen nach der Einfuhr -- eine entsprechende Verkehrsauffassung geprüft und unterstellt hat (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V 337/37 vom 8. April 1938, Slg.Bd. 43 S. 317, RStBl. 1938 S. 483). Alle diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Daß der Fahrer eines Personenkraftwagens, etwa ein Arzt oder Rechtsanwalt, sich andere Vorstellungen über die Montage eines Reifens machen wird als der Fahrer eines Lastkraftwagens, ist dabei ohne Bedeutung. Denn der Abnehmerkreis für beide Arten von Reifen ist deutlich abgegrenzt. Die Auffassung des Fahrers eines Personen kraftwagens über die Schwierigkeit der Reifenmontage bei einem Last kraftwagen kann deshalb nicht maßgeblich sein.
Nach alledem ist die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1954, 267 |
BFHE 1955, 151 |