Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbschaftsteuerrechtliche Beurteilung von Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen
Leitsatz (NV)
1. Das subjektive Tatbestandsmerkmal des Bewußtseins der Unentgeltlichkeit gehört nicht zum gesetzlichen Tatbestand des § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974.
2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendung des § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG, insbesondere im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot, bestehen nicht.
Normenkette
ErbStG 1974 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 2 S. 2; BGB §§ 736, 738 Abs. 1 Sätze 1-2, §§ 740, 1922 Abs. 1; HGB § 105 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist die Anwendung des § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1974.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war zusammen mit seinem Onkel W, seinem Vater und seinem Bruder H Gesellschafter der Kommanditgesellschaft (KG) W und Söhne. Nach Ziff.19 Abs. 1 Buchst. d des Gesellschaftsvertrages vom 20. Dezember 1973 wurde die KG im Fall des Todes eines Gesellschafters nicht aufgelöst, sondern unter den übrigen Gesellschaftern unter Übernahme aller Aktiva und Passiva fortgesetzt. An die Erben des Verstorbenen war ein in Ziff.20 des Gesellschaftsvertrages näher beschriebenes Auseinandersetzungsguthaben zu zahlen.
Der Gesellschafter W ist 1977 verstorben. Sein Gesellschaftsanteil fiel (anteilig) dem Kläger und dessen Bruder H zu. Den Erben des verstorbenen Gesellschafters wurde die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Abfindung ausbezahlt. Das damals zuständige Finanzamt (FA), an dessen Stelle während des Klageverfahrens das FA X getreten ist, setzte für den Erwerb des auf den Kläger entfallenden Teils des Gesellschaftsanteils des Verstorbenen als Schenkung auf den Todesfall gemäß § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 ,,Schenkungsteuer" fest.
Die Sprungklage hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision macht der Kläger, wie schon im Klageverfahren, geltend, daß Schenkungsteuer nicht in Betracht komme, weil § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 als Tatbestandsmerkmal den im Streitfall nicht gegebenen Willen zur Freigebigkeit voraussetze, denn durch die genannte Vorschrift werde der Übergang des Anteils eines Gesellschafters bei dessen Tod auf die anderen Gesellschafter der Schenkung auf den Todesfall gemäß § 2301 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gleichgestellt. Da das Gesetz in § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 ausdrücklich auf § 2301 BGB verweise, müßten dessen grundsätzliche Voraussetzungen erfüllt sein, insbesondere sei das Bewußtsein der Unentgeltlichkeit unabdingbar. Dies werde durch die sog. Wagnisrechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum ErbStG 1959 (Urteil vom 15. Mai 1953 III 65/51 S, BFHE 57, 518, BStBl III 1953, 199) bestätigt. Hieran habe das ErbStG 1974 ausweislich der Gesetzesbegründung nichts geändert. Dieses habe lediglich das Bewertungsproblem beim Übergang von Gesellschaftsanteilen lösen wollen. Ferner verstoße die Vorentscheidung gegen das Rechtsstaatsgebot, da die Neuregelung eine unzulässige Rückwirkung darstelle. § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 werde nämlich auf einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt angewendet. Der Kläger habe darauf vertrauen können, daß an den im Dezember 1973 wirksam geschlossenen Gesellschaftsvertrag keine anderen Steuerrechtsfolgen geknüpft würden als zum Zeitpunkt des Abschlusses vorherzusehen waren. Aufgrund der im Dezember 1973 geltenden Rechtslage sei lediglich zu prüfen gewesen, ob der Gesellschaftsvertrag eine Schenkung unter Lebenden zu Gunsten anderer Gesellschafter darstelle. Nach der damaligen Rechtslage sei dies aufgrund der sog. Wagnisrechtsprechung nicht der Fall und der Sachverhalt damit abgeschlossen gewesen. Durch die im Mai 1974 beschlossene Gesetzesneufassung sei an diesen bereits rechtlich abgeschlossenen Tatbestand angeknüpft und der rechtliche Anknüpfungspunkt durch eine Umqualifizierung des Sachverhalts als Erwerb von Todes wegen im Wege einer Fiktion als noch nicht abgeschlossen dargestellt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Übergang des Gesellschaftsanteils des verstorbenen Gesellschafters W auf den Kläger unterliegt der Besteuerung gemäß § 1 Abs. 1 Nr.1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974.
1. Nach § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 1 ErbStG 1974 gilt als Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr.1 ErbStG 1974) der Erwerb durch Schenkung auf den Todesfall (§ 2301 BGB). Als solcher gilt nach § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 u.a. auch der auf einem Gesellschaftsvertrag beruhende Übergang des Anteils oder des Teils eines Anteils eines Gesellschafters bei dessen Tod auf die anderen Gesellschafter, soweit der Wert, der sich für seinen Anteil zur Zeit seines Todes nach § 12 ErbStG 1974 ergibt, Abfindungsansprüche Dritter übersteigt. Diese Voraussetzungen der Vorschrift sind - was der Kläger auch nicht bestreitet - erfüllt, denn der Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters ist aufgrund der im Gesellschaftsvertrag für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters durch Tod gemäß § 736 BGB vereinbarten Fortsetzung der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern durch Anwachsung (§ 738 Abs. 1 Satz 1 BGB) unter Entschädigung der Erben des verstorbenen Gesellschafters zum Teil auf den Kläger übergegangen. Der Senat verweist hierzu auf seine Ausführungen im Urteil II R 70/88 vom heutigen Tage, BFHE 168, 380, BStBl II 1992, 921, zu der im wesentlichen gleichlautenden Vorschrift des § 7 Abs. 7 ErbStG 1974, die gleichermaßen für die Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 gelten.
Mit der Verwirklichung dieses in § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 umschriebenen Tatbestandes erschöpfen sich die Voraussetzungen, an die das Gesetz die Entstehung der Steuer knüpft. Ein subjektives Merkmal ist nicht Bestandteil des gesetzlichen Tatbestandes. Der erkennende Senat hat zwar zu § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz1 ErbStG 1974 entschieden, daß die Schenkung auf den Todesfall eine Einigung der Beteiligten über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung voraussetze (Urteil vom 5. Dezember 1990 IIR109/86, BFHE 163, 223, BStBI II 1991, 181). Dies trifft jedoch nicht für § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz2 ErbStG 1974 zu. Dort wird nur angeordnet, daß die Rechtsfolge der in § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 1 erfaßten Schenkung auf den Todesfall auch für den in Satz 2 beschriebenen Tatbestand gilt; eine Tatbestandsverweisung auf § 2301 BGB enthält die Vorschrift entgegen der Auffassung des Klägers nicht. Es handelt sich, wie durch die Verwendung des Wortes ,,gilt" verdeutlicht wird, um eine gesetzliche Fiktion, denn es wird für die Zwecke der Besteuerung der unter den gesetzlichen Tatbestand des § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz2 ErbStG 1974 zu subsumierende Sachverhalt der Erfüllung eines davon abweichenden Sachverhalts, nämlich der Schenkung auf den Todesfall, gleichgesetzt. Zutreffend kann nämlich die in einem Gesellschaftsvertrag vereinbarte Abfindungsausschlußklausel weder als Schenkungsversprechen i.S. der §§ 516, 518 BGB noch als Schenkungsversprechen unter Überlebensbedingung i.S. des § 2301 BGB (§ 3 Abs. 1 Nr.1 Satz 1 ErbStG 1974) erfaßt werden. Sie unterliegt vielmehr als Bestandteil des Gesellschaftsvertrages den Sonderregeln des Gesellschaftsrechts. In der Zivilrechtslehre wird die Vereinbarung über den (teilweisen) Ausschluß des gesellschaftsrechtlichen Abfindungsanspruches als Erlaßvertrag über den künftigen Abfindungsanspruch verstanden, der erst mit Ausscheiden des Gesellschafters gemäß § 738 Abs. 1 BGB entsteht (Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1973, § 3, insbesondere S. 87 ff.; Kollhosser in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch - MünchKomm -, 2. Aufl., § 516 Rdnr.56).
Ob derartige Abfindungsklauseln als Schenkung an die verbleibenden Gesellschafter anzusehen sind, ist in der zivilrechtlichen Literatur umstritten (vgl. Heckelmann, a.a.O., S. 68 ff.; Kollhosser, a.a.O., Rdnr.54; verneinend wohl Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 22. November 1956 II ZR 222/55, BGHZ 22, 186, 194, 196, wenn die Klausel für alle Gesellschafter gleich vereinbart ist). Um so weniger ist es dem Steuergesetzgeber verwehrt, die mit der Vollziehung der Abfindungsklausel verknüpfte Zuwendung insoweit der Vollziehung der Schenkung unter Überlebensbedingung gleichzustellen, als ihr Wert die Abfindungsansprüche der Erben übersteigt, ohne dies davon abhängig zu machen, daß sich die Gesellschafter - im Zeitpunkt der Vereinbarung des Abfindungsausschlusses - über die (teilweise) Unentgeltlichkeit der (späteren) Zuwendung einig waren. Entgegen den Ausführungen des Klägers wird diese Beurteilung durch die Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 bestätigt. Da solche gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen wie Schenkungsversprechen auf den Todesfall wirken, sollte als Reaktion auf die Entscheidung des BFH in BStBl II 1953, 199 aus Gründen der Steuergerechtigkeit die objektive Bereicherung, die ein Gesellschafter beim Tod eines Mitgesellschafters unmittelbar oder mittelbar aufgrund entsprechender gesellschaftsvertraglicher Vereinbarungen auf Kosten eines verstorbenen Gesellschafters erfährt, den Erwerben durch Schenkung auf den Tod zugeordnet werden (Begründung des Gesetzesentwurfes der Regierung vom 4. Mai 1972, BTDrucks VI/3418 zu § 3).
2. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers teilt der erkennende Senat nicht. Insbesondere verstößt die Anwendung des § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 auf den im Streitfall gegebenen Sachverhalt nicht deshalb gegen das Rückwirkungsverbot, weil der Gesellschaftsvertrag bereits im Dezember 1973, also vor dem Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages (BT), mit dem diese Vorschrift eingeführt worden ist, eingegangen worden ist. Entgegen der Beurteilung durch den Kläger war der Sachverhalt, an den § 3 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 ErbStG 1974 die Entstehung der Steuer knüpft, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1971 2 BvL 17/69, BVerfGE 30, 392, 402). Das gilt sowohl dann, wenn man, wie der Kläger, die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung des Abfindungsausschlusses (in Anlehnung an die Ausführungen im BFH-Urteil in BStBl III 1953, 199) als betagte Schenkung beurteilt als auch dann, wenn von einer Schenkung unter Überlebensbedingung (§ 2301 BGB) auszugehen gewesen wäre. In beiden Fällen ist im Zeitpunkt der Vereinbarung des Gesellschaftsvertrages noch keine Zuwendung eines bereits vorhandenen Vermögenswertes erfolgt. Vielmehr verbleibt der Gesellschaftsanteil unter beiden rechtlichen Aspekten zu Lebzeiten des jeweiligen Gesellschafters in dessen Vermögen und geht erst mit dem Eintritt des Endtermins bzw. mit dem Tod des Gesellschafters in das Vermögen des Zuwendungsempfängers über (Musielak in MünchKomm zum BGB, 2. Aufl., § 2301 Rdnr.1; vgl. auch § 14 Abs. 1 Nr.1 Buchst. a ErbStG 1959). Von einem noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt ist im übrigen auch auszugehen, wenn die Vereinbarung der Abfindungsausschlußklausel, wie oben dargestellt, zutreffend als Bestandteil des Gesellschaftsvertrages beurteilt wird, denn der Abfindungsanspruch entsteht gemäß § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB erst mit dem Ausscheiden des Gesellschafters.
Fundstellen
Haufe-Index 418571 |
BFH/NV 1993, 101 |