Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifbegünstigte Teilpraxisaufgabe
Leitsatz (NV)
1. Es ist zweifelhaft, ob die Tätigkeit als Tanzlehrer und die Tätigkeit als Tanzsporttrainer wesensmäßig verschiedene berufliche Tätigkeiten darstellen (im Streitfall offen gelassen).
2. Übt ein Freiberufler zwei wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten aus, setzt die Annahme zweier Teilpraxen gleichwohl das Vorliegen einer gewissen organisatorischen Verselbständigung der verschiedenen Praxisteile voraus.
3. Die getrennte Gewinnermittlung ist dann nicht zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Teilbetriebes (Teilpraxis), wenn andere Umstände, wie die räumliche Trennung oder der Einsatz besonderen Personals, die organisatorische Selbständigkeit hinreichend deutlich werden lassen.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2-5, § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betrieb seit 1972 eine Tanzschule in den in seinem Eigentum stehenden Räumen des Grundstücks X in Y. Daneben war und ist der Kläger als Tanzsporttrainer tätig.
Mit notariellem Vertrag vom 8. Juni 1995 veräußerte er das Grundstück X zum 1. Oktober 1995 und meldete zugleich den Betrieb der Tanzschule zum 30. Juni 1995 bei der Stadt Y ab.
Für das Jahr 1995 (Streitjahr) ermittelte der Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. September die Einkünfte aus der Tanzschule und der Tanzsporttrainertätigkeit erstmals durch Bestandsvergleich. Buchhalterisch erfasste er die Erlöse aus der Tanzschule und aus der Trainertätigkeit auf verschiedenen Erlöskonten. Demgegenüber erfolgte eine Aufteilung der Aufwendungen auf den entsprechenden Aufwandskonten nicht.
Für die Zeit ab dem 1. Oktober 1995 bis 31. Dezember 1995 ermittelte der Kläger die Einkünfte aus der Tanzsporttrainertätigkeit durch Einnahme-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
In der Aufgabe-Bilanz zum 30. September 1995 betreffend die Tanzschule wies der Kläger einen Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn in Höhe von … DM aus, der im Wesentlichen aus der Veräußerung des Grundstücks X und der Entnahme eines PKW resultierte, und beantragte, diesen gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG ermäßigt zu besteuern.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) übernahm den vom Kläger erklärten Veräußerungsgewinn nicht, sondern ermittelte insbesondere unter Berücksichtigung eines höheren Veräußerungserlöses und eines niedrigeren Buchwertes für den betrieblich genutzten Anteil an dem veräußerten Grundstück einen Gewinn aus der Aufgabe der Tanzschule in Höhe von … DM. Den Gewinn erfasste das FA zudem als laufenden Gewinn mit der Begründung, dass eine begünstigte Teilbetriebsveräußerung/-aufgabe nicht anzunehmen sei, da der Kläger lediglich einzelne Betriebsmittel veräußert habe.
Der gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegte Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als der Gewinn aus der Aufgabe der Tanzschule auf … DM herabgesetzt wurde.
Mit der dagegen erhobenen Klage hielten die Kläger an ihrem Begehren fest, den Gewinn aus der Aufgabe der Tanzschule niedriger anzusetzen und diesen dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 EStG zu unterwerfen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als es den Gewinn aus der Aufgabe der Tanzschule als Veräußerungsgewinn gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG ansah und diesen dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 EStG unterwarf. Im Übrigen, hinsichtlich der Höhe des Veräußerungsgewinns, hatte die Klage keinen Erfolg (Urteil vom 17. April 2002 I 110/01, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2002, 980).
Dagegen richtet sich (soweit der Klage stattgegeben wurde) die Revision des FA.
Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Zu Unrecht hat das FG die Aufgabe der Tanzschule als tarifbegünstigte Teilbetriebsaufgabe i.S. des § 18 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG angesehen. Der Verkauf der Tanzschulräumlichkeiten und die Einstellung der Tätigkeit als Tanzschullehrer durch den Kläger ist keine Aufgabe einer Teilpraxis.
1. Gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 bis 5 und § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG kann ein steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn entstehen, wenn ein freiberuflich Tätiger einen der selbständigen Arbeit dienenden Anteil am Vermögen veräußert, das seiner selbständigen Arbeit dient, oder in einem entsprechenden selbständigen Teilbereich seine Tätigkeit aufgibt. Eine derartige Teilpraxisveräußerung bzw. -aufgabe setzt in Anlehnung an den Begriff des Teilbetriebs i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG einen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten, organisatorisch in sich geschlossenen und für sich lebensfähigen Teil der Gesamtpraxis voraus. Dabei kann im Hinblick auf die Eigenart der selbständigen Arbeit, insbesondere das Abstellen auf die persönliche Betätigung bei Teilen einer freiberuflichen Praxis, die erforderliche Selbständigkeit nur dann angenommen werden, wenn sich die freiberufliche Arbeit entweder auf wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten mit zugehörigen unterschiedlichen Kunden- (Patienten-)kreisen erstreckt (1. Fallgruppe) oder bei gleichartiger Tätigkeit in voneinander getrennten örtlich abgegrenzten Bereichen ausgeübt wird (2. Fallgruppe). Handelt es sich hingegen um eine einheitliche gleichartige freiberufliche Tätigkeit, so kann regelmäßig ausgeschlossen werden, dass Teile der Praxis eine so weitgehende organisatorische Selbständigkeit erreicht haben, dass sie Teilbetrieben im gewerblichen Bereich gleichgestellt werden können (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. u.a. Senatsurteile vom 10. Oktober 1963 IV 198/62 S, BFHE 78, 303, BStBl III 1964, 120, vom 27. April 1978 IV R 102/74, BFHE 125, 249, BStBl II 1978, 562; vom 29. Oktober 1992 IV R 16/91, BFHE 169, 352, BStBl II 1993, 182 mit umfangreicher Zusammenstellung der Rechtsprechung, und zuletzt vom 5. Juni 2003 IV R 18/02, BFHE 203, 47, BStBl II 2003, 838).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze kann die Aufgabe der Tanzlehrertätigkeit unter gleichzeitiger Veräußerung der Betriebsräume nicht als Teilbetriebsaufgabe angesehen werden.
a) Es ist bereits zweifelhaft, ob die Tätigkeit des Klägers in zwei wesensmäßig verschiedene berufliche Tätigkeiten aufgeteilt werden kann und der Streitfall damit --wie das FG meint-- unter die oben aufgeführte 1. Fallgruppe zu subsumieren ist.
Sowohl der Tanzlehrer als auch der Tanzsporttrainer erteilen Tanzunterricht und Tanztraining entsprechend den jeweils auf die Tanzschüler bzw. Tanzsportler zugeschnittenen Unterrichts- und Trainingsprogrammen. Der Unterschied zwischen einem Tanzschüler und einem Tanzsportler besteht zunächst nur darin, dass der Tanzschüler das Tanzen regelmäßig als reine Freizeitbeschäftigung, der Tanzsportler das Tanzen darüber hinaus aber in erster Linie als Wettkampf zwischen Paaren bzw. Formationen im Rahmen des Vereins- bzw. Leistungssports betreibt. Soweit das FG ausführt, die Tätigkeit des Tanzlehrers erschöpfe sich im Wesentlichen in der Vermittlung motorischer Grundfertigkeiten, während der Tanzsporttrainer im Leistungs- und Hochleistungssport in Bereichen gefordert sei, denen auf Grund der Gestaltungshöhe etwas Künstlerisches innewohne, fehlt es an tatsächlichen Feststellungen, die diese Annahme rechtfertigen könnten.
Ebenso wenig lassen die unterschiedlichen Ausbildungsordnungen ohne weiteres Rückschlüsse darauf zu, dass die Tätigkeiten eines Tanzlehrers und eines Tanzsporttrainers wesensmäßig verschiedene Berufe sind. Beide Ausbildungsordnungen stellen lediglich verbandsinterne Richtlinien dar, denen keinerlei Rechtsverbindlichkeit zukommt. Grundsätzlich ist die Ausbildung zum Tanzlehrer nach den Richtlinien des ADTV weder Voraussetzung für die Tätigkeit als Tanzlehrer noch für das Führen einer Tanzschule. Ebenso wenig ist der Erwerb der entsprechenden Lizenzen für die Ausübung des Berufs des Tanzsporttrainers erforderlich.
b) Der Senat kann die Beantwortung dieser Fragen indes dahin stehen lassen. Denn selbst für den Fall, dass der Kläger zwei wesensmäßig verschiedene berufliche Tätigkeiten ausgeübt haben sollte, scheitert die Annahme einer Teilpraxis bereits an der fehlenden organisatorischen Selbständigkeit der Betätigungen des Klägers. Entgegen der Ansicht der Kläger indiziert die Ausübung wesensmäßig unterschiedlicher Tätigkeiten nicht das Vorliegen organisatorisch selbständiger Praxisteile. Auch insoweit bedarf es jedenfalls einer gewissen organisatorischen Verselbständigung der verschiedenen Praxisteile. Ob ein Betriebs- bzw. Praxisteil die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche Selbständigkeit besitzt, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse --beim Veräußerer/Aufgebenden-- zu entscheiden (Senatsurteil in BFHE 203, 47, BStBl II 2003, 838). Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger mit Ausnahme der Erfassung der Betriebseinnahmen auf unterschiedlichen Erlöskonten keine getrennte Gewinnermittlung für die Tätigkeit als Tanzsporttrainer und die Tanzschule durchgeführt. Zu Unrecht misst das FG diesem Umstand im Streitfall keine Bedeutung bei. Zwar ist die getrennte Gewinnermittlung nicht zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Teilbetriebes (vgl. Senatsurteil vom 24. August 1989 IV R 120/88, BFHE 158, 257, BStBl II 1990, 55); gleichwohl muss dann aber die organisatorische Selbständigkeit des einzelnen Teilbetriebes durch andere Umstände, wie etwa durch die eindeutige räumliche Trennung oder durch den Einsatz besonderen Personals, hinreichend deutlich werden. Daran fehlt es im Streitfall. Die Geschäftskontakte auch zu den Tanzsportpaaren haben nach den Feststellungen des FG ebenfalls teilweise in den Räumlichkeiten der Tanzschule stattgefunden. Auch das einzige Personal (die Klägerin) ist nach der Aufgabe der Tanzschule unverändert weiterbeschäftigt worden.
3. Nach alledem liegen die Voraussetzungen für eine Tarifbegünstigung gemäß § 34 Abs. 1, 2 EStG nicht vor. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
War der Revision des FA schon aus diesem Grund stattzugeben, bedurfte es keiner Entscheidung über die geltend gemachten Verfahrensmängel.
Fundstellen
Haufe-Index 1252319 |
BFH/NV 2005, 31 |
HFR 2005, 127 |