Leitsatz (amtlich)
Wird im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge ein Betrieb übergeben, so sind fortlaufend wiederkehrende gleichmäßige Leistungen, die als Gegenleistung für die Lebenszeit eines Menschen vereinbart werden, als Leibrente zu beurteilen, sofern die getroffenen Vereinbarungen nicht eindeutig erkennen lassen, daß die Rentenleistungen nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und des Unterhaltsbedürfnisses des Berechtigten abänderbar sind.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1 S. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Eheleute, haben am 2. September 1966 mit den Eltern der Ehefrau, den Eheleuten B einen notariellen Übergabevertrag geschlossen, in dem ihnen deren Grundstück und der damit verbundene Gewerbebetrieb (Bäckerei, Lebensmitteleinzelhandel sowie Gaststätte) übertragen wurden. Als Gegenleistung haben die Kläger eine Grundschuld und eine Altenteilsverpflichtung übernommen. Das Altenteilsrecht umfaßt die Gewährung von Wohnung nebst Nebenleistungen, Verpflegung und Pflege sowie ein Rentenrecht, das die Kläger verpflichtet, monatlich im voraus eine Rente von 500 DM zu zahlen. Wörtlich heißt es in dem Vertrag: "Dieser Betrag soll sich durch den Tod eines Berechtigten nicht verringern, sondern in voller Höhe an den längstlebenden Berechtigten weitergezahlt werden. Die Rente wird wertgesichert und zu dem Lebenshaltungsindex der mittleren Verbrauchergruppe der Bundesrepublik Deutschland in Relation gesetzt. Sollte sich dieser Lebenshaltungsindex nach dem Stichtag vom 1. Januar 1966 um mehr als 10 % erhöhen oder verringern, so erhöht oder verringert sich auch die Rente prozentual entsprechend." Bei den Einkommensteuerveranlagungen 1966 bis 1968 behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) die Altenteilsleistungen als dauernde Last und ließ ihren Abzug in vollem Umfange zu.
Bei der streitigen Einkommensteuerveranlagung 1969 behandelte das FA lediglich die Naturalleistungen als dauernde Last. Die Rentenzahlungen in Höhe von insgesamt 6 000 DM beurteilte es dagegen als Leibrente und ließ nur den Ertragsanteil von 20 v. H., also 1 200 DM, als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zum Abzug zu. Während des Veranlagungsverfahrens reichten die Kläger dem FA eine von allen Vertragsbeteiligten unterzeichnete Erklärung vom 6. September 1971 ein, nach der bei den Versorgungsleistungen "der § 323 ZPO nicht ausgeschlossen werden soll". Vielmehr sollte, wie es weiter heißt, der Unterhalt sichergestellt werden. Besondere Kosten, insbesondere im Krankheitsfall, werde die Klägerin übernehmen, bei ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Klägerin werde ihr Vater auf die Zuwendungen teilweise verzichten. Dies sei keine Erweiterung des Vertrages, sondern eine Klarstellung.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Die Klage wurde vom FG abgewiesen.
Das FG führte u. a. aus: der BFH habe - abweichend von früheren Urteilen - im Urteil vom 12. April 1967 I 129/64 (BFHE 89, 412, BStBl III 1967, 668) entschieden, daß die vertragliche Vereinbarung, wonach bei Verschlechterung der Geschäftslage, also bei Wegfall der Geschäftsgrundlage, die Höhe der Rentenzahlung der Abänderung unterliegen solle, den Charakter der Rente als einer Leibrente unberührt lasse; denn auch für das Leibrentenrecht gelte § 242 BGB. Der Ausschluß jeder Abänderbarkeit der Basis des Rentenstammrechts könne im Interesse des Rentenverpflichteten nicht verlangt werden. Dieser Auffassung schließe das FG sich an. Danach komme es für die Unterscheidung zwischen Leibrente und dauernder Last nicht darauf an, ob in dem Unterhaltsvertrag der Vorbehalt des § 323 ZPO ausdrücklich oder stillschweigend aufgenommen bzw. ob dieser Vorbehalt ausdrücklich ausgeschlossen worden sei. Nach diesen Grundsätzen handle es sich im Streitfall um eine Leibrente. Anhaltspunkte dafür, daß die Höhe der Rente aus irgendwelchen Gründen sich ändern sollte - abgesehen von der Anpassung an den Lebenshaltungsindex -, seien aus dem Vertrag und aus sonstigen Anhaltspunkten nicht zu ersehen. Die Rente sei im übrigen auch bis heute unverändert in der vereinbarten Höhe gezahlt worden. Daß die vereinbarte Wertsicherungsklausel die Annahme einer Leibrente nicht ausschließe, sei vom BFH mehrfach betont worden und allgemein anerkannt (z. B. Urteil vom 16. Juli 1965 VI 286/64 U, BFHE 83, 225, BStBl III 1965, 582). Auch die vom FA vorgenommene Aufteilung der Geld- und Naturalleistungen entspreche ständiger Rechtsprechung (z. B. Urteil vom 16. September 1965 IV 67/61 S, BFHE 83, 568, BStBl III 1965, 706). Die Vereinbarung der Beteiligten vom 6. September 1971 würde, falls es sich tatsächlich um eine verbindliche Vereinbarung handeln sollte, den Übergabevertrag inhaltlich zum Teil abändern. Ein solcher abgeänderter Vertragsinhalt könnte aber nach allgemeingültigen steuerrechtlichen Grundsätzen nur für die Zukunft, also für die Zeit ab 6. September 1971, nicht aber für das Streitjahr 1969 von Bedeutung sein.
Mit der Revision widersprechen die Kläger der Auffassung des FG, daß es für die Unterscheidung zwischen Leibrente und dauernder Last nicht darauf ankomme, ob der § 323 ZPO ausdrücklich oder stillschweigend aufgenommen oder ausgeschlossen werde. Sie tragen u. a. vor: Das FG verkenne, daß § 323 ZPO bei Verträgen dieser Art immer Gültigkeit habe, sofern er nicht besonders ausgeschlossen werde, und daß durch diese Vorschrift erst die Möglichkeit der Änderung von Versorgungszahlungen geschaffen werde, von Extremfällen abgesehen. Dieser Gedanke sei offensichtlich auch das Leitmotiv der Begründung des BFH-Urteils vom 2. Dezember 1966 VI 365/65 (BFHE 87, 563, BStBl III 1967, 243) und der Änderung in Abschn. 167 Abs. 1 EStR ab 1969. Bei Vermögensübertragungen zwischen Eltern und Kindern sei bei einer Verschlechterung der geschäftlichen Lage oder bei notwendigen betrieblichen Anschaftungen eher mit einem Entgegenkommen der Eltern hinsichtlich der Rentenzahlungen zu rechnen als bei Unterhaltsvereinbarungen zwischen geschiedenen Ehegatten, die im allgemeinen auf ihr vertragliches Recht pochen würden. Auch der Vater der Klägerin habe seine Bereitschaft zum Entgegenkommen erklärt, weil im Zusammenhang mit der Neubeschaffung eines Backofens erhebliche Kosten für die Bäckerei anfielen. Die Änderung in der Beurteilung des FA ab 1969 verstoße gegen Treu und Glauben und sei durch die Änderung der Einkommensteuer-Richtlinien nicht begründet. Es komme nicht darauf an, ob § 323 ZPO im Vertrage besonders erwähnt werde; die Vorschrift sei immer anzuwenden, falls sie nicht besonders ausgeschlossen werde. Deshalb sei die Erklärung vom 6. September 1971 nicht als eine Vertragsänderung, sondern als eine Erläuterung zu beurteilen. Das FG hätte den Willen der Parteien erforschen müssen.
Das FA trägt dazu u. a. vor: Ein Verstoß des FA gegen Treu und Glauben liege schon deshalb nicht vor, weil eine Zusage über die Behandlung der Rente für Folgejahre nicht gegeben worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist nicht begründet.
Das FG hat die Leistungen der Kläger an die Eltern der Ehefrau im Ergebnis zutreffend als Leibrente beurteilt und nur den Abzug des Ertragsanteils nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG als Sonderausgaben zugelassen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, daß der Begriff der Leibrente nach bürgerlichem Recht zu bestimmen ist und daß darunter ein einheitlich nutzbares Recht (Rentenstammrecht) zu verstehen ist, das dem Berechtigten für die Lebenszeit eines Menschen eingeräumt ist und dessen Erträge als fortlaufend wiederkehrende gleichmäßige Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen bestehen (Urteil vom 27. September 1973 VIII R 77/69, BFHE 111, 37, BStBl II 1974, 103). Hieran hält der Senat fest.
Das FG hat zutreffend zwischen den nicht gleichmäßig zu erbringenden Naturalleistungen und der Geldrente unterschieden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß in solchen Fällen getrennt zu prüfen ist, ob die Leistungen Renten oder dauernde Lasten sind. Nur bei geringen Geldleistungen oder bei besonders engem Zusammenhang der verschiedenen Versorgungszuwendungen könnten sämtliche Leistungen zusammengefaßt werden; diese Voraussetzungen sind im Streitfall aber nicht gegeben (vgl. BFH-Urteile VI 365/65 und IV 67/61 S). Der Vorentscheidung ist ferner darin zuzustimmen, daß sie eine Anwendung des § 12 Nr. 2 EStG, der eine Berücksichtigung als Sonderausgaben ausschließen würde, nicht erwogen hat. Denn bei Verträgen über die Übergabe von Betrieben im Zuge einer vorweggenommenen Erbfolge, wie im vorliegenden Falle, beruhen die vereinbarten Versorgungsleistungen nicht auf der gesetzlichen Unterhaltspflicht, an die § 12 Nr. 2 EStG anknüpft, sondern auf der durch den Übergabevertrag begründeten Verpflichtung. Dies gilt jedenfalls so lange, als der Wert des übertragenen Vermögens nicht unverhältnismäßig gering im Vergleich zu der übernommenen Versorgungsverpflichtung ist (vgl. BFH-Urteile I 129/64 und IV 67/61 S).
Der Vorinstanz ist auch darin zuzustimmen, daß die Möglichkeit einer Abänderung der Rentenverpflichtung bei Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) den Charakter der Geldleistungen als einer Leibrente nicht beeinträchtigen würde (BFH-Urteil I 129/64). Mit dieser Rechtsauffassung ist jedoch für die Entscheidung des Streitfalls nichts Entscheidendes gewonnen. Denn es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, an der der Senat festhält, daß bei der Abgrenzung zwischen Leibrenten und anderen dauernden Lasten darauf abzustellen ist, ob die Rentenleistungen nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit der Verpflichteten und des Unterhaltsbedürfnisses des Berechtigten abänderbar sind, also unter ähnlichen Voraussetzungen, unter denen nach § 323 ZPO bei der Verurteilung zu künftig fällig werdenden Leistungen eine Abänderungsklage erhoben werden kann (Urteil VIII R 77/69 mit weiteren Nachweisen). Bei einer solchen Abänderbarkeit würde die Verpflichtung nicht auf die Erbringung von fortlaufend wiederkehrenden gleichmäßigen Leistungen, wie sie für die Annahme einer Leibrente gefordert werden, gerichtet sein. Vielmehr würde der Gedanke der Unterhaltsgewährung im Vordergrund stehen. Im Streitfall enthält der Übergabevertrag keine ausdrückliche Bestimmung über die Möglichkeit oder den Ausschluß einer Abänderbarkeit. In Fällen dieser Art hat die Rechtsprechung des BFH unterschieden zwischen reinen Unterhaltsverträgen einerseits und Betriebsübergaben im Wege vorweggenommener Erbfolge andererseits. Bei reinen Unterhaltsverträgen, die keine oder nur eine unwesentliche Gegenleistung vorsehen, ist die Rechtsprechung davon ausgegagnen, daß nur bei einem sich eindeutig aus dem Vertragsinhalt ergebenden Verzicht auf die Abänderbarkeit eine Leibrente angenommen werden kann (vgl. BFH-Urteil VIII R 77/69). Bei Betriebsübergaben dagegen ist eine Leibrente schon dann angenommen worden, wenn die Vereinbarungen eine Abänderbarkeit nicht eindeutig vorsehen (vgl. BFH-Urteile VIII R 77/69 sowie VI 365/65 und IV 67/61 S). Diese Unterscheidung trägt der unterschiedlichen Interessenlage Rechnung und entspricht deshalb regelmäßig der Lebenserfahrung. Denn wenn ein nicht unbedeutendes Vermögen übertragen worden ist, wird die Gegenleistung nicht allein von dem Gesichtspunkt der Unterhaltsleistung, sondern wesentlich von dem der Verschaffung eines Gegenwerts bestimmt. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Unabänderbarkeit auch der Gegenleistung dem Willen der Vertragsparteien entspricht, wenn sie nicht eindeutig Gegenteiliges vereinbart haben.
Im Streitfall handelt es sich um einen Übergabevertrag. Die Entscheidung, ob eine Leibrente vorliegt, ist deshalb davon abhängig, ob sich aus dem Übergabevertrag durch Auslegung eindeutig die Vereinbarung der Abänderungsmöglichkeit der Geldrente entsprechend dem Rechtsgedanken des § 323 ZPO ergibt. Dies ist mit dem FG zu verneinen. Die Erwägung der Kläger, daß die Eltern der Ehefrau wegen der Beschaffung eines Backofens ganz oder teilweise vorübergehend auf die Zahlung der Rente verzichten würden, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Hier handelt es sich um familiäre Vorgänge, die den Inhalt des abgeschlossenen Übergabevertrages nicht berühren. Die Erklärung vom 6. September 1971 hat für die Entscheidung auch schon deshalb keine Bedeutung, weil sie auf das Streitjahr 1969 nicht zurückwirken kann. Zudem stellt sie, wie die Parteien selbst erklären, keine zusätzliche vertragliche Vereinbarung dar; sie kann aber als Meinungsäußerung einer Prozeßpartei über die Auslegung des Vertrages die vom Gericht vorzunehmende Auslegung und Würdigung nicht ersetzen oder verändern.
Ein Verstoß des FA gegen Treu und Glauben liegt ebenfalls nicht vor, weil das FA keine Zusage hinsichtlich der steuerlichen Beurteilung der Geldzahlungen für das Jahr 1969 gegeben hatte. Die Beurteilung der Geldzahlungen als dauernde Lasten in den Vorjahren 1966 bis 1968 konnte das FA nicht hindern, die bis dahin unzutreffende rechtliche Beurteilung für das Jahr 1969 richtigzustellen. Entsprechendes gilt für die Änderung der Einkommensteuer-Richtlinien.
Fundstellen
Haufe-Index 71568 |
BStBl II 1975, 881 |
BFHE 1976, 501 |