Leitsatz (amtlich)
1. Für die Bestimmung der 75 %-Grenze als Voraussetzung der Großhandelsvergünstigung kommt es nicht auf die vorangemeldeten oder veranlagten, sondern auf die tatsächlichen Umsätze an.
2. Maßgebend für die Bestimmung des Erwerbszwecks im Sinn des § 11 Abs. 1 UStDB ist die beabsichtigte tatsächliche Verwendung im Zeitpunkt des Erwerbs.
Normenkette
UStG § 7 Abs. 3; UStDB § 11 Abs. 1, § 57 Abs. 1 Ziff. 5
Tatbestand
Die Steuerpflichtige betrieb vorwiegend Großhandel mit Tiefgefriertruhen. Sie nahm für die Lieferung dieser Truhen an Landwirte in ihren Steuererklärungen gemäß § 7 Abs. 3 UStG den ermäßigten Steuersatz von 1 % in Anspruch.
Diese Behandlung wurde vom Finanzamt erstmals mit Schreiben vom 13. April 1959 unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesministers der Finanzen beanstandet. Die Veranlagung für 1957 wurde dementsprechend in der Weise durchgeführt, daß vom Gesamtumsatz ein Betrag von - - - DM dem Steuersatz von 4 % und die restlichen Umsätze von - - - DM dem Steuersatz von 1 % unterworfen wurden. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Auf die Berufung wurden vom Finanzgericht die gesamten Umsätze der Steuerpflichtigen mit 4 % zur Umsatzsteuer herangezogen. Die Verböserung wurde damit begründet, daß die Einzelhandelsumsätze im Vorjahr mehr als 75 % des Gesamtumsatzes betragen hätten. Im übrigen bestätigte das Finanzgericht die Auffassung des Finanzamts, daß die Lieferungen der Tiefgefriertruhen an die Landwirte als Lieferungen im Einzelhandel anzusehen seien.
Die Rb. wird auf Verstoß gegen den klaren Wortlaut der Akten und unrichtige Rechtsanwendung gestützt. Nach Auffassung der Steuerpflichtigen hätte das Finanzgericht bei zutreffender Auswertung der Ermittlungen für 1956 dazu kommen müssen, daß die Großhandelsumsätze mehr als 25 % des Gesamtumsatzes betragen haben. Es sei eine neue Nachprüfung erforderlich. Die Steuerpflichtige habe inzwischen auch weitere Einzelheiten aufgeklärt. Im übrigen sei die 75 %-Grenze nur in geringem Umfang überschritten. Das Finanzamt hätte ihrer Meinung nach auch die von ihm vorher vertretene Auffassung über die Besteuerung der Lieferungen von Tiefgefriertruhen an Landwirte nicht rückwirkend zuungunsten der Steuerpflichtigen ändern dürfen. Es habe damit gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen. Die spätere Änderung der Auffassung des Finanzamts dürfe nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen gehen. Bei der Steuerpflichtigen hätten zwei Betriebsprüfungen ohne wesentliche Beanstandung stattgefunden. Bei der letzten Prüfung sei in allen Punkten eine Einigung erzielt worden. Die Steuerpflichtige habe sich auf die Beurteilung durch den Prüfer verlassen. Eine amtliche Beurteilung müsse einer rechtsverbindlichen Auskunft gleichgeachtet werden. In der mündlichen Verhandlung wurde insbesondere auch noch auf die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse hingewiesen, in der sich die Steuerpflichtige befinde.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Wird ein Gegenstand teils zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken, teils zu privaten Zwecken verwendet, so ist nach § 11 Abs. 1 UStDB für die Beurteilung der Frage, ob eine Lieferung im Großhandel gegeben ist, der Haupterwerbszweck maßgebend. Das Finanzgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß Lieferungen von Tiefgefriertruhen an Landwirte als Lieferungen im Einzelhandel anzusehen sind, wenn die Tiefgefriertruhen in der Hauptsache zur Verwendung im Haushalt bestimmt sind. Es wäre Sache der Steuerpflichtigen gewesen, im Einzelfall den Nachweis zu führen, daß die Landwirte die Tiefgefriertruhen überwiegend für betriebliche Zwecke erworben haben. Da die Steuerpflichtige dies nicht getan hat, konnte das Finanzgericht insoweit das Vorliegen von Großhandelslieferungen ablehnen.
Der Einwand der Steuerpflichtigen, daß das Finanzamt mit der Heranziehung dieser Umsätze zum allgemeinen Steuersatz gegen Treu und Glauben verstoßen habe, ist nicht berechtigt. Wie sich aus den Akten ergibt, haben zwar bei der Steuerpflichtigen Anfang 1953 eine Umsatzsteuerprüfung und im April 1953 und Oktober 1958 Betriebsprüfungen stattgefunden, bei denen die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht beanstandet wurde. In den Berichten über diese Prüfungen waren die Tiefgefriertruhen erstmals in dem Bericht vom 13. Oktober 1958 erwähnt. Darauf, ob dieser Sachverhalt dem Finanzamt bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, kann es jedoch im vorliegenden Fall nicht ankommen, weil es sich um eine erstmalige Veranlagung handelt. Das Finanzamt ist bei einer solchen Veranlagung an eine frühere rechtliche Beurteilung nicht gebunden, es sei denn, daß dem Steuerpflichtigen von der dafür zuständigen Veranlagungsstelle eine Zusage gegeben worden wäre (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 200/58 S vom 18. Januar 1962, BStBl 1962 III S. 298, Slg. Bd. 75 S. 83). Diese Auffassung beruht auf der Erwägung, daß die Voraussetzungen einer Steuervergünstigung für jeden Veranlagungszeitraum grundsätzlich neu zu prüfen sind und daß es das Ziel der Veranlagung sein muß, die Steuer den gesetzlichen Vorschriften entsprechend festzusetzen. Eine Zusage, die einer gesetzmäßigen Veranlagung entgegenstehen könnte, ist im vorliegenden Fall nicht gegeben worden. Hinweise und rechtliche Würdigungen durch den Prüfer während der Betriebsprüfung sind keine Zusagen, die sich auf die Zukunft beziehen. Eine etwaige Zusage durch den Prüfer würde auch nicht von dem zuständigen Beamten erteilt worden sein. Die Rb. verkennt insoweit die Stellung des Betriebsprüfers in der Steuerverwaltung. Betriebsprüfungen sind Maßnahmen des Steuerermittlungs- und Steueraufsichtsverfahrens, durch die dem Finanzamt die Unterlagen für seine Entscheidungen bei der Steuerfestsetzung beschafft werden. Die Steuerfestsetzung geschieht durch die Veranlagungsstelle. Neben dem Vorsteher können daher allein die zuständigen Beamten der Veranlagungsstelle bindende Zusagen machen und rechtswirksame Auskünfte erteilen. Eine Zusage durch einen dieser zuständigen Beamten, die mit dem Willen der Bindung auch für die Zukunft gegeben worden wäre, liegt aber nach dem Inhalt der Akten nicht vor und ist von der Steuerpflichtigen nicht behauptet worden.
Die Verböserung durch das Finanzgericht läßt einen Verstoß gegen § 288 der Reichsabgabenordnung ebenfalls nicht nennen. Setzt ein Unternehmer Gegenstände auch außerhalb des Großhandels um, so findet der ermäßigte Steuersatz u. a. nur dann Anwendung, wenn die Lieferungen im Einzelhandel im Vorjahr nicht mehr als 75 % des Gesamtumsatzes betragen haben. Für die Bestimmung dieser 75 %-Grenze kommt es nicht auf die vorangemeldeten oder veranlagten, sondern auf die tatsächlichen Umsätze an. Von dem Gesamtumsatz im Jahre 1956 von 323 401 DM durften daher nicht mehr als 242 550 DM Lieferungen im Einzelhandel gewesen sein. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts haben die Einzelhandelsumsätze jedoch zumindest 243 105 DM betragen. Soweit es hiervon die Lieferungen an den Gutsbesitzer A. und an den Arzt Dr. B. als Lieferungen im Einzelhandel beurteilt hat, liegen diese Feststellungen im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Nach den angestellten Ermittlungen konnte das Finanzgericht zu der von ihm angenommenen Beurteilung kommen. Ein Rechtsirrtum ist nicht erkennbar. Das Finanzgericht ist bei seiner Beurteilung von den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erwerbs ausgegangen. Maßgebend für die Bestimmung des Erwerbszwecks war, nicht wie die Steuerpflichtige offenbar meint, der Anlaß der Beschaffung, sondern die beabsichtigte tatsächliche Verwendung. Wenn der eine oder der andere Käufer dem Ehemann der Steuerpflichtigen gegenüber im Zeitpunkt des Erwerbs auf Grund eines Mißverständnisses oder aus anderen Gründen unzutreffende Angaben über den Erwerbszweck gemacht hat, so konnten diese Angaben der Entscheidung durch das Finanzgericht nicht zugrunde gelegt werden. Nach dem Ergebnis der angestellten Ermittlungen hätte das Finanzgericht auch noch die Verkäufe an den Gutsbesitzer C. und an den Ziegeleibesitzer D. als Einzelhandelsumsätze annehmen können. Hiernach hat die Steuerpflichtige im Jahre 1956 mehr als 75 % der Gesamtumsätze im Einzelhandel umgesetzt. Aus diesem Grunde konnte der ermäßigte Steuersatz auch auf die Umsätze im Großhandel nicht angewandt werden. Ist in einem Gesetz eine feste Grenze vorgesehen, so ist diese auch dann zu beachten, wenn sie nur in geringem Umfang überschritten wird.
Die von der Steuerpflichtigen geltend gemachten Billigkeitsgründe können in diesem Verfahren nicht berücksichtigt werden. Ein etwaiger Antrag auf Erlaß aus Billigkeitsgründen ist bei der zuständigen Verwaltungsbehörde anzubringen.
Fundstellen
BStBl III 1964, 633 |
BFHE 1965, 443 |