Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

1.Verweigert ein Zeuge in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Aussage, so darf die Aussage, die er nach Hinweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als naher Angehöriger (§ 175 Abs. 1 AO) vor dem der Kammer angehörenden beauftragten Richter gemacht hat, in der mündlichen Verhandlung verlesen werden.

2.Darin, daß ein Zeuge über das Recht nicht belehrt wird, die Auskunft über Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihn oder einen seiner Angehörigen der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen würde (§ 176 AO), liegt kein Verfahrensmangel.

AO § 175, § 176; AO a. F. § 278; FGO § 96.

 

Normenkette

AO §§ 175-176, 278; FGO § 96

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) ließ durch den Berichterstatter mehrere Zeugen vernehmen, u. a. den Sohn des Steuerpflichtigen (Stpfl.) - Zeugen X -. Gegenstand seiner Vernehmung war auch, ob er alle für seinen Vater kassierten Beträge ordnungsgemäß abgerechnet und abgeliefert habe. X sagte nach der Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht als naher Angehöriger (§ 175 AO) aus, er könne sich nicht erinnern, daß er Beträge eingenommen, in die eigene Tasche gesteckt und seinem Vater verschwiegen habe, und er glaube nicht, daß er einmal vergessen habe, solche Beträge seinem Vater zu geben.

In der mündlichen Verhandlung vor dem FG verweigerte X die Aussage. Der Berichterstatter verlas die vor ihm als beauftragten Richter gemachte Aussage des X.

Das FG verwertete bei seinen Entscheidungen die Aussage des X.

Mit den Rbn. rügt der Stpfl. als Verfahrensmängel die Verlesung der Aussage des Sohnes X vor dem Berichterstatter in der mündlichen Verhandlung. Dies sei unzulässig gewesen, weil der Sohn in der mündlichen Verhandlung die Aussage verweigert habe. Der Sohn sei nicht darauf hingewiesen worden, daß er gemäß § 176 AO die Auskunft auf Fragen verweigern könne, deren Beantwortung ihm die Gefahr einer Strafverfolgung zuziehen würde. Hierin liege ein weiterer Verfahrensmangel.

 

Entscheidungsgründe

Die als Revisionen zu behandelnden Rbn. sind nicht begründet.

In der Verlesung der Aussage des X, die er vor dem Berichterstatter der Kammer gemacht hat, nach der Verweigerung der Aussage in der mündlichen Verhandlung liegt keiner der in § 119 FGO bezeichneten absoluten Revisionsgründe und auch kein sonstiger Verfahrensmangel. Der BFH hat allerdings im Urteil V 102/60 vom 14. Februar 1963, HFR 1963 S. 379, entschieden, daß dann, wenn eine Auskunftsperson von dem gesetzlichen Recht zur Aussageverweigerung im finanzgerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, Gebrauch mache, auch frühere Aussagen dieser Auskunftsperson, die sie in dem dem gerichtlichen Verfahren vorangegangenen außergerichtlichen Verfahren vor einem Beamten (z. B. im Rahmen einer Betriebsprüfung oder Steuerfahndungsprüfung) oder auch im gerichtlichen Verfahren vor einem Richter ohne Hinweis auf das Auskunftsverweigerungsrecht gemacht habe, in dem gerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden dürften. Dieser Grundsatz gilt ebenso im Zivilprozeßrecht (vgl. Wieczorek, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Anm. D II d 4 zu § 286) sowie im Strafprozeßrecht (vgl. Löwe-Rosenberg, Strafprozeßordnung, § 252 Anm. 5 ff.). Anders ist es aber zu beurteilen, wenn sie im Streitfall nach Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht eine Aussage vor dem von der Kammer mit der Beweisaufnahme beauftragten Richter gemacht wurde, in der mündlichen Verhandlung aber die Aussage verweigert wird. Nach § 278 AO a. F. entschied das Gericht über tatsächliche Verhältnisse nach seiner freien, aus der Verhandlung und einer Beweisaufnahme geschöpften Überzeugung. Der freien Beweiswürdigung unterlagen nicht nur das Ergebnis der mündlichen Verhandlung, sondern auch das Ergebnis einer vorangegangenen, ordnungsgemäß durchgeführten Beweisaufnahme. Das gleiche gilt nach § 96 FGO. Wenn ein Zeuge vor dem beauftragten Richter eine Aussage trotz Hinweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht macht, in der mündlichen Verhandlung aber die Aussage zulässigerweise verweigert, so ist dieser Vorgang im Ergebnis ebenso zu beurteilen, wie wenn sich die Aussagen vor dem beauftragten Richter und vor der Kammer widersprechen. Das Gericht hat in freier Beweiswürdigung zu entscheiden, welche Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Es ist unbedenklich, daß das Protokoll über eine frühere, ordnungsmäßig zustande gekommene Aussage vor dem beauftragten Richter aus den allen Mitgliedern des Gerichts und allen Prozeßbeteiligten zugänglichen Prozeßakten verlesen wird.

Darin, daß der beauftragte Richter den Zeugen X nicht auf ein mögliches Zeugnisverweigerungsrecht nach § 176 AO (Gefahr einer Strafverfolgung) hinwies, kann schon deshalb kein Verfahrensmangel gesehen werden, weil eine solche Belehrung in der AO nicht vorgeschrieben ist. Sie stimmt insoweit im übrigen mit den sonstigen Verfahrensordnungen mit Ausnahme des Strafprozesses (vgl. dazu § 55 Abs. 2 der Strafprozeßordnung) überein. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob sich im Lauf der Vernehmung des Zeugen überhaupt ein Anlaß für den Hinweis auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 176 AO ergab.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412383

BStBl III 1967, 273

BFHE 88, 12

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