Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Schwebt für einen bestimmten Erlaßzeitraum ein Rechtsmittelverfahren über einen Erlaß nach § 129 LAG, werden aber die Zins- und Tilgungsleistungen dieses Erlaßzeitraums nach § 131 LAG erlassen, so sind der auf § 129 LAG gestützte Erlaßantrag, die daraufhin ergangene Erlaßentscheidung und die Vorentscheidung gegenstandslos geworden. Die Vorentscheidungen sind ersatzlos aufzuheben.

Ist eine Streitsache in der Hauptsache erledigt, so ist nur noch über die Kosten zu entscheiden. Dabei ist so zu entscheiden, wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn sich das Rechtsmittel nicht in der Hauptsache erledigt hätte. Für die Feststellung des Sachverhalts, der der Entscheidung in der Hauptsache zugrunde zu legen gewesen wäre, genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit.

Holt der Erwerber eines Wohngrundstücks einen aufgestauten Reparaturbedarf nach und läßt er zu diesem Zweck an dem erworbenen Grundstück umfangreiche Instandsetzungsarbeiten vornehmen, so sind in der Ertragsberechnung die dafür aufgewendeten Kosten im Gegensatz zu der einkommensteuerlichen Behandlung nicht als Herstellungsaufwand, sondern wie Instandhaltungskosten zu behandeln.

 

Normenkette

LAG §§ 129, 131; 17-AbgabenDV-LA 8/3; AO §§ 307, 251, 318, 254; FGO § 138/1

 

Tatbestand

Das im Jahre 1940 errichtete mit einer HGA-Schuld belastete Wohngrundstück für eine Dreifamilienwohnung stand am 20. Juni 1948 unter Vermögenskontrolle. In dem Wohnhaus wurde nach dem Zusammenbruch eine drei erheblich übersteigende Anzahl von Familien zwangsweise untergebracht. Nach den Angaben der Bfin. sind die Wohnungen von den damaligen Mietern sehr stark heruntergewirtschaftet worden, was durch eine Besichtigung des Landratsamtes im Jahre 1960 trotz der dazwischenliegenden Zeit im wesentlichen bestätigt wurde.

Die Bfin. hat das Haus im Jahre 1951 käuflich erworben und hat in den Jahren 1953 und 1954 Instandsetzungen in Höhe von 2.882,21 DM zur Beseitigung der vordringlichsten durch die Mieter verursachten Hausschäden vorgenommen.

Durch Abgabebescheid vom 12. Juni 1956 wurde die Bfin. zu einer Abgabeschuld von 12.600 DM und 819 DM jährlicher Zins- und Tilgungsleistungen herangezogen. Der Abgabebescheid ist unanfechtbar. Sie beantragte am 29. Dezember 1956 einen Erlaß der HGA-Leistungen wegen ungünstiger Ertragslage nach § 129 LAG für den Erlaßzeitraum 1953 bis 1955. Die von ihr eingereichte Ertragsberechnung weist einen Grundstücksverlust von 2.358,59 DM aus. Die Instandsetzungskosten von 2.882,21 DM sind dabei zusammen mit den anderen Bewirtschaftungskosten von den Grundstückserträgen abgezogen worden. Das Finanzamt hat den Abzug der Instandsetzungskosten nicht zugelassen und den Antrag auf vollständigen Erlaß der Zins- und Tilgungsleistungen für die Jahre 1953 bis 1955 abgelehnt. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht hat die Ablehnung damit begründet, die gesamten Aufwendungen rechneten zum nicht abzugsfähigen Herstellungsaufwand, weil das Grundstück im Anschluß an den käuflichen Erwerb instandgesetzt worden sei. Die von der Bfin. getragenen Gesamtaufwendungen hingen unmittelbar mit der Anschaffung des Grundstücks zusammen, unabhängig davon, ob sie bei dem bisherigen Besitzer als Reparatur- oder Herstellungsaufwand angesehen werden müßten. Würden vernachlässigte Grundstücke gekauft, so würde der Erwerber in der Regel einen entsprechend geringeren Kaufpreis entrichten. Die Anschaffungskosten wären höher gewesen, wenn sich das Grundstück in einem einwandfreien Zustand befunden hätte. Es wäre deshalb wirtschaftlich nicht gerechtfertigt, dem Erwerber eines vernachlässigten Grundstücks einen steuerlichen Vorteil zu geben, der es ihm ermögliche, die Reparaturkosten als laufenden Aufwand sofort abzusetzen. Es widerspräche jeder Lebenserfahrung, wenn man annehmen wollte, daß der Bfin. bei den Verkaufsverhandlungen die Reparaturbedürftigkeit des Gebäudes im allgemeinen nicht bewußt gewesen sei. Es könne zwar durchaus sein, daß sie die Höhe der für die Instandsetzung erforderlichen Mittel nicht nach Mark und Pfennig hätte kalkulieren können. In solchen Fällen würde man aber im Schätzungswege einen Abschlag vom Kaufpreis machen.

Die Kosten des Einspruchs- und Berufungsverfahrens sind der Bfin. auferlegt worden.

Mit der Rb. wiederholt die Bfin. ihr bisheriges Vorbringen. Das Finanzamt hat in seiner Stellungnahme mitgeteilt, daß der Bfin. die Zins- und Tilgungsleistungen für den Erlaßzeitraum 1953 bis 1955 durch Verfügung vom 6. Dezember 1962 wegen wirtschaftlicher Bedrängnis nach § 131 LAG erlassen worden seien. Somit sei für die Bfin. keine Beschwer mehr gegeben und ihr zu empfehlen, die Rb. zurückzunehmen. Die Stellungnahme des Finanzamts ist der Bfin. am 13. Dezember 1962 übersandt worden. Sie wurde gebeten, sich dazu bis zum 5. Februar 1963 zu äußern. Die Bfin. hat darauf weder geantwortet noch die Rb. zurückgenommen.

 

Entscheidungsgründe

Durch den Erlaß der Zins- und Tilgungsleistungen des Erlaßzeitraums 1953 bis 1955 nach § 131 LAG sind der auf § 129 LAG gestützte Erlaßantrag, die daraufhin ergangene Erlaßentscheidung und die Vorentscheidungen gegenstandslos geworden. Die Vorentscheidungen sind deshalb ersatzlos aufzuheben. Es ist aber zu berücksichtigen, daß der Erlaß der HGA-Leistungen nach § 131 LAG in sachlicher Hinsicht andere Voraussetzungen hat als der Erlaß nach § 129 LAG. Es ist deshalb möglich, daß einem Erlaßantrag nach § 131 LAG in vollem Umfang stattzugeben ist, während er hätte abgelehnt werden müssen, wenn er auf § 129 LAG gestützt worden wäre.

Die AO trifft für derartige Fälle keine Regelung, wie zu entscheiden ist, wenn sich das Rechtsmittel in der Hauptsache erledigt. § 307 AO sieht nur für die Fälle eine Regelung vor, in denen der Steuerpflichtige ganz oder teilweise unterliegt, das Rechtsmittel ganz oder teilweise zurücknimmt, Tatsachen verspätet geltend macht oder Kosten durch unbegründete Anträge und Einwendungen verschuldet. Keiner von diesen Fällen liegt hier vor. Da aber durch die Einlegung der Rechtsmittel Kosten entstanden sind, das Rechtsmittel im Sinne des § 318 Abs. 3 AO seinem vollen Umfang nach nicht zurückgenommen worden ist, muß nach § 318 Abs. 1 AO eine Rechtsmittelentscheidung über die Kosten noch getroffen werden.

Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und Bundesfinanzhofs ist über die Kosten so zu entscheiden, wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn sich das Rechtsmittel nicht in der Hauptsache erledigt hätte. Für die Feststellung des Sachverhalts genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 728/31 vom 3. Februar 1932, RStBl 1932 S. 229, und Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 377/59 vom 6. Dezember 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963 S. 220). Der Gesetzgeber hat in § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für die Fälle dieser Art eine ausdrückliche Regelung getroffen, die im Ergebnis in die gleiche Richtung weist. Danach ist unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten zu entscheiden. Es bedarf deshalb auch für die Kostenentscheidung noch einer Sachentscheidung.

Nach § 129 Abs. 1 Satz 1 LAG werden fällige Leistungen aus einer Abgabeschuld, die nach § 111 LAG als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht, auf Antrag erlassen, soweit sie nach Maßgabe der Ertragsberechnung aus den Erträgen des Grundstücks nach Abzug der Bewirtschaftungskosten und der nach § 129 Abs. 2 LAG zu berücksichtigenden Zinsen für vorgehende Rechte Dritter nicht aufgebracht werden können. § 8 Abs. 3 der Siebzehnten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz (17. AbgabenDV-LA) in der bis zum Erlaßzeitraum 1959 bis 1961 geltenden Fassung sieht vor, daß wie Instandhaltungskosten solche Kosten zu behandeln sind, die durch die Nachholung eines aufgelaufenen Reparaturbedarfs entstanden sind. Durch diese Regelung hat der Verordnungsgeber ausdrücklich die Kosten der Instandsetzung, die für frühere Jahre nachgeholt werden müssen, den Kosten der laufenden Instandhaltung gleichgesetzt. Es trifft zwar zu, daß nach Abschn. 157 Abs. 3 EStR 1955 und daß nach dem Urteil des Bundesfinanzhof I 176/54 U vom 25. Oktober 1955 (BStBl 1955 III S. 388, Slg. Bd. 61 S. 489) in den Fällen, in denen der Erwerber eines Wohngrundstücks dieses Grundstück im Zusammenhang mit dem Erwerb überholen läßt, bei der Einkommensteuer die aufgewendeten Reparaturkosten als Herstellungsaufwand behandelt werden. Für den Ansatz dieser Kosten in der Ertragsberechnung kann aber mit Rücksicht auf die ausdrückliche Vorschrift des § 8 Abs. 3 der 17. AbgabenDV-LA dieser auf Grund der Rechtsprechung für die Zwecke der Einkommensteuer geltende Auslegungsgrundsatz nicht übernommen werden. Dies haben die Vorentscheidungen verkannt.

Da nach dem Vorbringen der Bfin. unterstellt werden kann, daß die von ihr geltend gemachten Kosten zumindest in Höhe des vom Finanzamt errechneten Grundstücksüberschusses von 373,62 DM nachgeholte Instandhaltungskosten sind, mußten sie in der Ertragsberechnung zum Abzug zugelassen werden. Es ergibt sich dadurch ein Grundstücksverlust. Die Zins- und Tilgungsleistungen für den Erlaßzeitraum 1953 bis 1955 wären nach § 129 LAG in voller Höhe zu erlassen gewesen. Die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens waren demnach nicht der Bfin., sondern dem Land aufzuerlegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411605

BStBl III 1965, 385

BFHE 1965, 379

BFHE 82, 379

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