Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung nach der AO 1977
Leitsatz (NV)
Da die Inanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH für deren Steuerschulden nach der AO 1977 (§ 69) zur Voraussetzung hat, daß dem Geschäftsführer eine vorsätzliche oder grobfahrlässige Pflichtverletzung vorzuwerfen ist, muß das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung vom FA spätestens in der Einspruchsentscheidung dargetan werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 34
Tatbestand
Streitig ist, ob das FA den ehemaligen Geschäftsführer einer früheren GmbH, K, für Umsatzsteuer- und Vermögensteuerschulden der GmbH zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat.
K war alleiniger Geschäftsführer einer am 10. Dezember 1976 errichteten GmbH, die im November 1977 ihre gewerbliche Tätigkeit eingestellt hat und über deren Vermögen am 30. Januar 1978 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Für Umsatzsteuer- und Vermögensteuerrückstände der GmbH (Vorauszahlungen) aus dem Jahre 1977 hat das FA K als Geschäftsführer der GmbH mit Haftungsbescheid vom 10. März 1978 in Form der Einspruchsentscheidung vom 20. März 1979 in Höhe von insgesamt 15 625 DM als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Das FA ging in der Einspruchsentscheidung davon aus, daß die GmbH ihre - gesamten - Steuerschulden nur mit einem Anteil von 25 v.H. bezahlt habe, während die allgemeine Tilgungsquote (gegenüber sämtlichen Gläubigern) im Jahr 1977 etwa 60 v.H. betragen habe. K hafte daher in Höhe der unterschiedlichen 35 v.H., das sind 15 625 DM. K habe auch schuldhaft gehandelt, weil er das FA, wie sich aus den unterschiedlichen Tilgungsquoten ergebe, erkennbar benachteiligt habe.
Die Klage, mit der die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrt wurde, hatte Erfolg. Das FG hat den Haftungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Das Vorgehen des FA leide an erheblichen Verfahrensmängeln, weil es das FA verabsäumt habe, den Haftungsbetrag jeweils stichtagsbezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte der Umsatzsteuervorauszahlungen im Jahr 1977 zu ermitteln und statt dessen zur Ermittlung der allgemeinen Tilgungsquote eine zeitraumbezogene, das gesamte Jahr 1977 umfassende Berechnung durchgeführt habe. Diese Berechnung sei zu pauschal und ungenau. Auch leide die Einspruchsentscheidung an einem wesentlichen Begründungsmangel, da nicht erkennbar sei, ob dem K eine grob fahrlässige Pflichtverletzung (§ 69 AO 1977) angelastet werde, was insofern entscheidungserheblich sei, als leichte Fahrlässigkeit nach dem Recht der AO 1977 (ab 1. Januar 1977) für die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner nicht mehr ausreiche.
Mit der Revision beantragt das FA, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es rügt fehlerhafte Anwendung von §§ 69, 34 AO 1977.
In den Gründen der Einspruchsentscheidung seien die rückständigen und nicht beitreibbaren Steuerschulden nach Steuerart und Besteuerungszeiträumen aufgegliedert und für den gesamten Zeitraum der Steuerrückstände die Schlechterstellung des Fiskus durch den Haftungsschuldner gegenüber anderen Gläubigern ermittelt. In Höhe der Schlechterstellungsquote sei der Kläger zur Haftung herangezogen worden, da das FA wegen und in Höhe der Schlechterstellung von einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung i.S. des § 69 AO 1977 ausgegangen sei. Das Berechnungsverfahren zur Ermittlung der anteiligen Tilgungsquote (bei den Steuerrückständen) und der allgemeinen Tilgungsquote (bei sämtlichen Verbindlichkeiten) sei sachgerecht, während die von dem FG geforderte Berechnungsmethode - weil zu kompliziert - in der Praxis nicht durchzuführen sei.
Das grob schuldhafte Verhalten des K habe das FA in der bewußten Benachteiligung des FA gegenüber den anderen Gläubigern gesehen und dies auch in der Einspruchsentscheidung - jedenfalls im Zusammenhang gesehen - zum Ausdruck gebracht.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
Das FG hat die Aufhebung des Haftungsbescheids vom 10. März 1978 in Form der Einspruchsentscheidung vom 20. März 1979 zum einen darauf gestützt, daß das FA die Tilgungsquote, die bei in etwa gleichmäßiger Befriedigung sämtlicher Gläubiger hinsichtlich der Umsatzsteuer hätte beachtet werden müssen (sog. anteilige Tilgungsquote) nicht richtig ermittelt habe, und zum anderen darauf, daß nicht feststehe, ob dem K eine grob fahrlässige Pflichtverletzung i.S. von § 69 AO 1977 anzulasten sei, wovon auch die Ermessensausübung des FA berührt werde. Die Bedenken des FG gegen die Berechnung der sog. anteiligen Tilgungsquote sind nicht berechtigt. Die zeitraumbezogene Berechnungsmethode des FA entspricht im wesentlichen derjenigen, die der BFH in den Urteilen vom 26. März 1985 VII R 139/81 (BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539) und vom 12. Juni 1986 VII R 192/83 (BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657) angewendet hat.
Dagegen erweisen sich die Ausführungen des FG zur Frage des Verschuldens des K - also der Vorwerfbarkeit einer Pflichtverletzung - im Ergebnis als stichhaltig. Der Streitfall ist bereits nach den Vorschriften der AO 1977 zu beurteilen, weil der haftungsbegründende Tatbestand - die weitgehende Nichtbegleichung der Umsatzsteuer- und Vermögensteuervorauszahlungen 1977 - nach dem 31. Dezember 1976 verwirklicht worden ist (§ 11 des Art. 97 EGAO 1977). Nach § 69 AO 1977 kommt die Geschäftsführerhaftung - anders als nach § 109 der Reichsabgabenordnung (AO) a.F. - nur in Betracht, wenn dem Geschäftsführer eine vorsätzliche oder eine - mindestens - grob fahrlässige Verletzung seiner steuerlichen Pflichten (§ 34 AO 1977) anzulasten ist. Das FA geht demgegenüber in der Einspruchsentscheidung durchgängig davon aus, daß eine ,,schuldhafte Pflichtverletzung" - die auch leichte Fahrlässigkeit umfaßt - genüge, wobei das FA offenbar den früheren - nach der AO (§ 109) geltenden - Rechtszustand im Auge gehabt haben dürfte. Da sich auch aus dem Zusammenhang der Ausführungen in der Einspruchsentscheidung das Vorliegen einer grob fahrlässigen - oder sogar vorsätzlichen - Pflichtverletzung nicht, oder jedenfalls nicht zweifelsfrei ableiten läßt, ist im Verwaltungsverfahren ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal für die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner nicht aufgegriffen und daher auch nicht ermittelt worden. Davon ist auch die Ermessensausübung des FA betroffen.
Eine Zurückverweisung der Sache an das FG scheidet aus, weil das FG seinerseits keine Ermessensentscheidung vornehmen (oder eine fehlende Ermessensentscheidung nachholen) kann. Die Entscheidung des FG erweist sich somit im Ergebnis als zutreffend, so daß die Revision des FA zurückzuweisen ist (§ 126 Abs. 4 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 415171 |
BFH/NV 1988, 76 |