Leitsatz (amtlich)
Ein Teilbetrieb kann auch dann vorliegen, wenn der Unternehmensbereich (statt von einem Angestellten) von einem selbständigen Handelsvertreter geleitet wird.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die ... OHG (OHG), betrieb im Streitjahr 1970 einen Handel Mit ...-Wagen; daneben unterhielt sie für ihre Kunden einen entsprechenden Reparaturbetrieb. Die Wagen wurden in B und bis Ende September (1970) auch in H verkauft. Größere Reparaturarbeiten wurden im allgemeinen nur in B ausgeführt; in H wurden in der Regel nur die Mängel behoben, die anläßlich der letzten Inspektion vor Übernahme der Wagen durch die Kunden zutage getreten waren. Der Verkauf in H erfolgte auf einem von der OHG gemieteten Grundstück durch den selbständigen Handelsvertreter G, dem zu diesem Zweck ein Büro eingerichtet worden war. G war nur für den Abschluß der Verträge zuständig. Die Anlieferung der Wagen besorgten Angestellte der OHG von B aus. Diese überführten die Wagen nach H und führten bisweilen auch kleinere Reparaturen in H aus. Verschiedentlich nahmen sich diese Angestellten auch der kaufwilligen Kunden an und berieten sie. G arbeitete auf Provisionsbasis; im übrigen hatte er weder für die Benutzung des Platzes und der Einrichtungen der OHG etwas zu bezahlen noch oblag ihm deren Instandhaltung. Eine gesonderte Buchführung für den Verkaufsplatz in H war nicht eingerichtet worden.
Zum 1. Oktober 1970 trat die OHG "ihre Rechte und Pflichten" aus dem Vertrag mit der Herstellerin der Wagen an den Kaufmann T ab. Auch der Mietvertrag über das Grundstück sowie die "Einrichtung und Herrichtung des Platzes" wurden auf T übertragen. Den hierbei erzielten Gewinn in Höhe von 94 649 DM wies die OHG in ihrer Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns für das Kalenderjahr 1970 als Veräußerungsgewinn i. S. des § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit dem Hinweis aus, sie habe einen selbständigen Teilbetrieb veräußert. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) rechnete den Betrag hingegen dem laufenden Gewinn hinzu.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 446 (EFG 1976, 446) veröffentlichten Entscheidung aus: Der Verkaufsplatz in H sei kein selbständiger Teilbetrieb der OHG gewesen, da diese ihre Waren nicht durch angestelltes Personal, sondern durch einen selbständigen Handelsvertreter angeboten habe. Sie habe allenfalls die "Grundlage eines Betriebs" für einen eigenen Betrieb des G zur Verfügung gestellt. Einen Teilbetrieb könnte man nur annehmen, wenn die OHG selbst durch ihre Gesellschafter oder eigene Angestellte den Handel in H betrieben hätte. Insoweit schließe sich das FG den Ausführungen in dem Urteil des Niedersächsischen FG vom 11. Januar 1967 IV 39/66 (EFG 1967, 400) an, das im Ergebnis vom Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 5. April 1968 IV R 75/67 (BFHE 92, 219, BStBl II 1968, 523) bestätigt worden sei. Schließlich könne die Teilbetriebseigenschaft des Platzes in H auch nicht mit den dort ausgeführten Reparaturarbeiten begründet werden. Das Reparaturgeschäft in H sei ein bloßes "Anhängsel" des in B betriebenen Verkaufsgeschäfts gewesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Vorinstanz hätte nicht das BFH-Urteil IV R 75/67 zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen dürfen, da dort ein anderer Sachverhalt zu beurteilen gewesen sei. Im Streitfall habe die OHG die Betriebseinrichtungen in H auch selbst genutzt. Der Handelsvertreter G sei ausschließlich für den Abschluß der Kaufverträge zuständig gewesen. Abgesehen davon, daß hierbei in 20 Prozent der Fälle Angestellte der OHG mitgewirkt hätten, sei der Platz in H auch als Lager- und Ausstellungsplatz benutzt worden; auf ihm seien auch die Reparaturarbeiten an den Wagen durchgeführt worden. Somit seien sowohl die OHG als auch G in der Lage gewesen, nebeneinander selbständige Gewerbebetriebe zu unterhalten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Zutreffend ist die Vorinstanz von dem BFH-Urteil vom 4. Juli 1973 I R 154/71 (BFHE 110, 245, BStBl II 1973, 838) ausgegangen, wonach ein Teilbetrieb i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs ist, der für sich allein lebensfähig ist. An dieser Auslegung der Vorschrift hat der BFH festgehalten (siehe z. B. Urteil vom 5. Oktober 1976 VIII R 62/72, BFHE 120, 257, BStBl II 1977, 42, mit weiteren Nachweisen).
2. Entgegen der Auffassung des FG kann der Rechtsprechung aber nicht entnommen werden, daß von einem Teilbetrieb nur dann gesprochen werden könne, wenn die entsprechenden Aktivitäten von dem Betriebsinhaber selbst oder von seiner Weisung unterliegenden Angestellten entfaltet werden. Eine derart einengende Auslegung wäre nicht vom Gesetz gedeckt. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG verlangt zwar, daß die unternehmerische Tätigkeit auch beim Teilbetrieb in Form eines "gewerblichen Betriebs" ausgeübt werden muß. Der Betriebsteil muß die allgemeinen Merkmale eines Betriebs i. S. des Einkommensteuerrechts aufweisen. Denn auch ein Teilbetrieb ist begrifflich "Betrieb" (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. April 1969 IV R 202/68, BFHE 95, 323, BStBl II 1969, 397). Doch geht diese Eigenschaft nicht schon dadurch verloren, daß ein Unternehmer seine Interessen in einem Teilbereich seines Unternehmens durch einen - dienst- oder arbeitsrechtlich - abhängigen Dritten wahrnehmen läßt, im übrigen aber weiterhin auch in diesem Bereich als Gewerbetreibender tätig ist.
Das gilt im Streitfall auch für das Engagement der OHG in H. Obwohl sie dort den Verkauf einem selbständigen Handelsvertreter übertragen hatte, übte sie auch insoweit weiterhin eine selbständige nachhaltige Betätigung mit Gewinnabsicht und unter Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr aus (vgl. § 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung - GewStDV -). G schloß die Kaufverträge im Namen der OHG ab (§ 84 Abs. 1 Satz 1 HGB). Der Verkaufsplatz war durch eine entsprechende Beschilderung für jedermann als solcher der OHG erkennbar.
3. Das FG hat die Bedeutung der Tätigkeit des G im Rahmen der unternehmerischen Betätigung der OHG in H unzutreffend gewürdigt. Es hat zu sehr auf dessen persönliche Selbständigkeit im Verhältnis zur OHG abgestellt und dabei die Prüfung der Frage vernachlässigt, ob der Betriebsteil in H als solcher die (für die Anerkennung eines Teilbetriebs) erforderliche betriebliche Selbständigkeit gegenüber dem Stammbetrieb in B hatte.
Die Vorentscheidung war aus diesem Grunde aufzuheben. Sie kann auch im Hinblick auf das BFH-Urteil IV R 75/67 keinen Bestand haben. In dem dort entschiedenen Fall war die Teilbetriebseigenschaft einer einzelnen Tankstelle verneint worden, weil ihr innerhalb des gesamten Kraftstoffgroßhandelsunternehmens, das sich auch anderer Betriebsformen als der Tankstellen bediente, nur die Funktion eines austauschbaren Betriebsmittels zugekommen war. Der Tatsache, daß die betreffende Tankstelle von einem selbständigen Agenten betrieben worden war, hatte der BFH keine Bedeutung beigemessen.
4. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Der festgestellte Sachverhalt, einschließlich der Aussagen der Zeugen, reicht zur Beantwortung der entscheidungserheblichen Frage, ob die OHG einen Teilbetrieb i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG veräußert hat, nicht aus.
Ob ein Betriebsteil die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche Selbständigkeit besitzt, ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu entscheiden (vgl. z. B. auch das Urteil I R 154/71). Dabei kommt den einzelnen Abgrenzungsmerkmalen - wie örtliche Trennung, gesonderte Buchführung, Einsatz verschiedenen Personals, usw. - unterschiedliches Gewicht zu, je nachdem, ob es sich um einen Fertigungs-, Handels- oder Dienstleistungbetrieb handelt (vgl. z. B. das BFH-Urteil vom 26. Juni 1975 VIII R 39/74, BFHE 116, 391, BStBl II 1975, 832; siehe auch Merten, Der Betrieb 1974 S. 797). Im Streitfall ist noch nicht abschließend geklärt, welchem dieser Bereiche die Tätigkeit der OHG insgesamt und insbesondere in H zuzurechnen ist. Die Vorinstanz hat festgestellt, daß von der OHG sowohl in B als auch in H auch Reparaturarbeiten ausgeführt worden sind, hat aber nicht geprüft, welchen Umfang diese Arbeiten im Verhältnis zur Verkaufstätigkeit hatten; es ist nicht festgestellt, ob die OHG im wesentlichen nur Handel trieb oder einen gemischten Handels- und Dienstleistungsbetrieb innehatte und ob sie die Verkaufstätigkeit in B und in H gleich intensiv oder etwa im wesentlichen nur in H ausübte.
In gleicher Weise kann auch die Bedeutung der Tätigkeit des G noch nicht abschließend beurteilt werden. Aus der Tatsache seiner Bestellung allein folgt noch nicht die erforderliche Selbständigkeit des Betriebsteils in H (vgl. oben Nr. 2). Diese könnte auch dann noch nicht angenommen werden, wenn die Tätigkeit der OHG in H im wesentlichen als Handel zu qualifizieren sein sollte. Um bei einer Einzelhandelsfiliale von einer "gewissen Selbständigkeit" i. S. eines Teilbetriebs sprechen zu können, ist erforderlich, daß ihr nicht nur der Warenverkauf, sondern auch der Wareneinkauf obliegt. Wenn eine Filiale nicht über eigene Geldmittel verfügt und nicht unmittelbar auf die Preisgestaltung und damit auf "ihr Betriebsergebnis" Einfluß nehmen kann, sie vielmehr die Ware bereits zum Verkaufspreis übernehmen muß, dann handelt es sich nicht um einen selbständigen Zweigbetrieb, sondern lediglich um eine Verkaufsstelle des Gesamtbetriebs (vgl. das BFH-Urteil vom 8. September 1976 I R 99/75, BFHE 120, 187, BStBl II 1977, 66). Wie die Dinge im Streitfall lagen, hat das FG im einzelnen noch nicht festgestellt.
Nach dem Ergebnis der nachzuholenden Feststellungen wird das FG entscheiden müssen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Teilbetriebsveräußerung in H vorlagen. Es wird dabei außer den bereits genannten Entscheidungen des BFH IV R 202/68, I R 154/71, VIII R 39/74 und I R 99/75 auch noch dessen Urteile vom 23. November 1967 IV 83/63 (BFHE 90, 435, BStBl II 1968, 123), vom 8. September 1971 I R 66/68 (BFHE 103, 173, BStBl II 1972, 118), vom 20. Februar 1974 I R 127/71 (BFHE 111, 499, BStBl II 1974, 357) und vom 19. Februar 1976 IV R 179/72 (BFHE 118, 323, BStBl II 1976, 415) zu beachten haben.
Fundstellen
Haufe-Index 72941 |
BStBl II 1979, 15 |
BFHE 1979, 24 |