Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 131 AO räumt der Verwaltungsbehörde nicht die Befugnis ein, anstelle einer vom Gesetzgeber unterlassenen sozial- oder wirtschaftspolitischen Maßnahme die gesetzlich geschuldete Steuer ganz oder teilweise nicht zu erheben.
Ist der Erlaß einer Steuer streitig, so hat es auf die Bemessung des Streitwerts im gerichtlichen Verfahren keinen Einfluß, wenn der Rechtsmittelführer vorträgt, die Steuer habe sich nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung durch Berichtigung der Veranlagung vermindert.
Normenkette
AO §§ 131, 320/4; FGO § 140/3
Tatbestand
Der Streit geht um den Erlaß von Körperschaftsteuer für die Jahre 1958 bis 1959.
Die Bfin. verlegte im Jahre 1951 ihren Sitz von der Sowjetzone in die Bundesrepublik. Zu dieser Zeit stand das in der Sowjetzone belegene Vermögen unter Sequester-Verwaltung. Es wurde später entschädigungslos enteignet. In der auf den 21. Mai 1951 aufgestellten DM-Eröffnungsbilanz (DMEB) wies die Bfin. ihre in der Bundesrepublik vorhandenen Vermögenswerte aus. In der Hauptsache handelte es sich um Bankguthaben von 17.940,43 DM und Wertpapiere, die sie vorläufig mit 1 DM bewertete. Entsprechend den Vorschriften des Dritten D-Markbilanzergänzungsgesetzes (3. DMBEG) vom 21. Juni 1955 wurde die DMEB berichtigt und für die Wertpapiere endgültig ein Betrag von 32.413 DM angesetzt.
In den Jahren 1958 und 1959 veräußerte die Bfin. ihren Wertpapierbesitz und erzielte hierbei Gewinne von 19.560,08 DM und 42.455,50 DM. Diese Gewinne führten 1958 zu einer Körperschaftsteuer von 3.661 DM und 1959 zu einer solchen von 18.554 DM.
Die Bfin. nahm in der Bundesrepublik bisher keine wirtschaftliche Betätigung auf. Ihr Betriebsvermögen, das sich bis zum 31. Dezember 1959 auf 70.123 DM belief, ist in Beteiligungen an Personengesellschaften und Darlehen angelegt. Sie schüttete folgende Gewinne aus:
---------- 1958 ---------- 2.250 DM ---------- 1959 ---------- 6.750 DM ---------- 1960 ---------- 11.250 DM.Die Bfin. beantragte, die Körperschaftsteuer 1958 und 1959, soweit sie auf den bei den Wertpapierverkäufen erzielten Buchgewinnen beruht, zu erlassen. Zur Begründung trug sie vor, sie habe 98 v. H. ihres Vermögens durch Enteignung in der sowjetischen Besatzungszone verloren. Es sei deshalb unbillig, die Gewinne aus der Veräußerung der wenigen ihr verbliebenen Vermögenswerte zu besteuern, zumal durch die DM-Bilanzgesetzgebung für die veräußerten Wertpapiere ein niedriger Wertansatz zwingend vorgeschrieben gewesen sei und daher die erzielten hohen Buchgewinne als Scheingewinne gewertet werden müßten. Die Besteuerung dieser Gewinne würde auch die beabsichtigte Wiederaufnahme einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit erheblich gefährden, wenn nicht sogar in Frage stellen. Weder sie noch ihre Gesellschafter hätten für die hohen Verluste in der sowjetischen Besatzungszone irgendwelche Entschädigungen erhalten.
Das Finanzamt lehnte den Erlaßantrag ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Bfin. und ihre anschließende Berufung hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht setzte den Wert des Streitgegenstandes auf 22.215 DM fest.
Mit ihrer Rb. rügt die Bfin., daß das Finanzgericht ihren entschädigungslosen Vermögensverlust in der sowjetischen Besatzungszone nicht hinreichend berücksichtigt habe. Aus einem Artikel in der Zeitschrift "Der Spiegel" ergebe sich, daß das Finanzministerium einer AG gegenüber bereit gewesen sei, bei Verkauf einer Beteiligung die übertragung der stillen Reserven auf eine mit dem Erlös aus dem Verkauf dieser Beteiligung anzuschaffenden anderen Beteiligung zu gestatten. Dies hätte auch in ihrem Falle geschehen müssen. Es sei nicht einzusehen, weshalb einer kleinen Firma das verwehrt werde, was einer großen zugestanden werde. Ihre Rb. richte sich aber in erster Linie gegen die Festsetzung des Streitwerts durch das Finanzgericht. Zwar habe sie ursprünglich vollen Erlaß der Körperschaftsteuer 1958 und 1959 in Höhe von 22.215 DM beantragt. Aber bereits im Beschwerdeverfahren habe sie ihr Begehren auf einen Erlaß in Höhe von 5.407 DM begrenzt. Im übrigen habe sich die Körperschaftsteuer für 1959 infolge einer Betriebsprüfung erheblich vermindert. Auch dies müsse bei der Feststellung des Streitwerts berücksichtigt werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Die Entscheidung darüber, ob Steuern gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AO ganz oder teilweise zu erlassen sind, liegt im Ermessen der Verwaltung. Die Gerichte können nur prüfen, ob das Ermessen nach Recht und Billigkeit ausgeübt worden ist (Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277; Urteil des Bundesfinanzhofs VII 51/61 S vom 8. Mai 1962, BStBl 1962 III S. 290, Slg. Bd. 75 S. 59). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Vorinstanz einen Ermessensverstoß der Verwaltungsbehörden zu Recht verneint. Sie führt zutreffend aus, daß es der Entscheidung des Gesetzgebers obliegt, in welcher Weise und in welchem Umfang Sowjetzonenflüchtlingen für Vermögensverluste Entschädigungen oder steuerliche Vergünstigungen zu gewähren sind. Es kann nicht Aufgabe der Finanzbehörden sein, an Stelle einer vom Gesetzgeber unterlassenen sozial- oder wirtschaftspolitischen Maßnahme die gesetzlich geschuldete Steuer ganz oder teilweise nicht zu erheben. Ein derartiges Vorgehen müßte als sachfremd und daher als Verstoß gegen den Grundsatz von Recht und Billigkeit angesehen werden (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs II 133/58 vom 21. Dezember 1961, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 131 n. F., Rechtsspruch 66). § 131 AO soll der Finanzbehörde die Möglichkeit geben, Härtefällen, die vom Gesetzgeber nicht vorauszusehen waren, Rechnung zu tragen, nicht aber, dem Gesetzgeber bekannte und von ihm hingenommene steuerliche Auswirkungen abzumildern (vgl. auch die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs Vz 181/57 U vom 27. März 1958, BStBl 1958 III S. 248, Slg. Bd. 66 S. 647). Es kann auch nicht von Bedeutung sein, wie die Finanzverwaltung in anderen Fällen verfahren ist, da die in diesen Fällen ergangenen Steuerverwaltungsakte nicht Gegenstand der überprüfung in diesem Rechtsmittelverfahren sind.
Auch die Einwände der Bfin. gegen die Feststellung des Streitwerts im Beschwerdeverfahren gehen fehl. Ist der Erlaß einer Steuer streitig, so ist der Streitwert im allgemeinen mit dem Betrag festzustellen, dessen Erlaß begehrt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 437/53 U vom 9. Dezember 1954, BStBl 1955 III S. 56, Slg. Bd. 60 S. 145). Die Bfin. bestreitet nicht, daß sie beim Finanzamt einen Erlaß in Höhe von 22.215 DM beantragt hatte. Ihr Vorbringen, sie habe im Beschwerdeverfahren ihren Antrag ermäßigt, findet in den Akten keine Stütze. Aus ihren Schriftsätzen geht eine derartige Beschränkung nicht hervor. Eine beiläufige äußerung der Bfin., sie wäre auch mit einem Erlaß von 5.407 DM zufrieden, würde im übrigen nichts daran ändern, daß sie ihren weitergehenden, für die Streitwertbemessung maßgebenden Antrag aufrechterhalten hat.
Was dagegen den Streitwert im Verfahren über die Berufung anbelangt, so hat die Bfin. in ihren Schriftsätzen an das Finanzgericht von Anfang an zum Ausdruck gebracht, daß sie sich gegen die Entscheidung der Oberfinanzdirektion nur insoweit wende, als ihr der Erlaß eines Betrages von 5.000 DM versagt worden sei. Ihr Rechtsmittelantrag, der für die Bemessung des Streitwertes maßgebend ist, war daher lediglich auf ein finanzielles Interesse in Höhe von 5.000 DM gerichtet. Mithin war der Wert des Streitgegenstandes für die Berufungsinstanz mit diesem Betrag festzustellen. Dasselbe gilt für den Streitwert in der Rechtsbeschwerdeinstanz. Auf diesen hat es keinen Einfluß, ob sich die Körperschaftsteuer inzwischen auf Grund irgendwelcher Umstände, etwa einer Berichtigung der Veranlagung, geändert hat. Da sich das gerichtliche Verfahren auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob die Verwaltungsbehörden ermessensrichtig gehandelt haben, müssen dieser Prüfung die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion zugrunde gelegt werden. Die Oberfinanzdirektion konnte nur diejenigen Umstände in den Kreis ihrer überlegungen einbeziehen, die ihr zu diesem Zeitpunkt bekannt waren. Die Bfin. konnte zwar mit entsprechender Auswirkung auf die Bemessung des Streitwertes im finanzgerichtlichen Verfahren vortragen, die Oberfinanzdirektion hätte ihr von dem seinerzeit geschuldeten Betrag von 22.215 DM einen Betrag von 5.000 DM erlassen müssen. Dagegen kann ihr Einwand, die Steuerschuld habe sich inzwischen vermindert, keinen Einfluß auf den Streitwert haben.
Die Rb. war daher als unbegründet zurückzuweisen und der Streitwert für die Berufungs- und für die Rechtsbeschwerdeinstanz auf 5.000 DM festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 411357 |
BStBl III 1964, 589 |
BFHE 1965, 321 |
BFHE 80, 321 |