Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit einer Klage gegen einen Folgebescheid
Leitsatz (NV)
1. Erhebt ein Kläger Klage gegen einen Folgebescheid (Einkommensteuerbescheid) und begründet er dieselbe nur mit Einwendungen gegen einen Grundlagenbescheid (Gewinnfeststellungsbescheid), so ist die Klage zulässig, wenn mit ihr die konkludente Behauptung verbunden ist, daß die Steuer in dem Folgebescheid gegenüber dem Kläger zu hoch festgesetzt wurde.
2. Das FG muß auf Grund der zulässigen Klage gegen den Folgebescheid diesen von Amts wegen auf seine formelle und materielle Richtigkeit hin im Rahmen des Klageantrags überprüfen. Dazu gehört die Prüfung, ob der Grundlagenbescheid rechtswirksam ergangen ist, ob er sich seinem Inhalt nach auch gegen den Kläger richtet, ob in ihm die im Folgebescheid angesetzten Besteuerungsgrundlagen festgestellt wurden und ob die festgestellten Besteuerungsgrundlagen zutreffend in den Folgebescheid übernommen wurden.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2, §§ 42, 74; AO 1977 § 182 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger war in den Streitjahren 1975 und 1976 als Kommanditist an einer KG in Berlin beteiligt. Die aus dieser Beteiligung resultierenden Verlustanteile sind nach der ESt 4 B-Mitteilung des Betriebs-Finanzamts vom 22. November 1982 mit 10 000 DM für 1975 und mit 30 000 DM für 1976 festgestellt worden. Nach Angaben der Kläger sollen sich jedoch die Verlustanteile auf 30 000 DM für 1975 und auf 100 000 DM für 1976 belaufen haben. Der Kläger hat gegen die Feststellungsbescheide des Betriebs-Finanzamts Einsprüche eingelegt. Über diese ist jedoch bisher noch nicht entschieden worden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte die Verlustanteile entsprechend den ESt 4 B-Mitteilungen in geänderten Einkommensteuerbescheiden 1975 und 1976 vom 7. Januar 1983 an. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung der §§ 42 und 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Die Klage ist zulässig.
a) Die Erhebung einer zulässigen Anfechtungsklage i. S. des § 40 Abs. 1 FGO setzt u. a. voraus, daß der Kläger geltend macht, durch den angefochtenen Steuerbescheid in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO). An dieser Voraussetzung soll es nach einer im Schrifttum (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 351 AO 1977 Rz. 38; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 351 AO 1977 Anm. 4; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 1457 ff.; Söhn, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1974, 50, 53 ff.) und von einem Teil der FG (vgl. Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 4. November 1980 III 172/80, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 218; Urteil des FG Münster vom 15. Dezember 1981 X-II 962/79 E, EFG 1982, 338; Urteil des FG Bremen vom 16. März 1983 I 154/82 K, EFG 1983, 332; Beschluß des FG Köln vom 13. Januar 1984 I A 665/83, EFG 1984, 267; Urteil des FG Berlin vom 2. Juni 1986 VIII 12/85, EFG 1986, 610; Urteil des FG Hamburg vom 29. April 1986 III 341/83, EFG 1986, 627) vertretenen Auffassung fehlen, wenn mit der Klage gegen einen Folgebescheid nur Einwendungen geltend gemacht werden, die sich gegen einen zuvor ergangenen Grundlagenbescheid richten (§ 42 FGO). Die hier wiedergegebene Auffassung, die sich insbesondere auf die Stellung des § 42 im Abschnitt I des zweiten Teils der FGO stützt, versteht die in der Vorschrift enthaltene Regelung als lex specialis gegenüber § 40 Abs. 2 FGO mit der Folge, daß es unter den Voraussetzungen des § 42 FGO an einer in zulässiger Weise geltend gemachten Beschwer für die Klage gegen den Folgebescheid fehlt. Demgegenüber hat der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschluß vom 27. September 1972 I B 27/72, BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24; Urteile vom 30. November 1979 VI R 159/76, nicht veröffentlicht - NV -; vom 9. Mai 1984 I R 25/81, BFHE 141, 252, BStBl II 1984, 726; vom 16. Oktober 1984 IX R 93/84, NV; vom 23. Juli 1985 VIII R 211/84, BFH/NV 1986, 168) die Auffassung vertreten, daß eine Klage, die sich gegen einen Folgebescheid richtet, jedoch ausschließlich mit Einwendungen begründet wird, die den Grundlagenbescheid betreffen, allenfalls unbegründet, jedoch nicht unzulässig ist. Diese Rechtsprechung stützt sich auf die Überlegung, daß es für die Geltendmachung einer Beschwer i. S. des § 40 Abs. 2 FGO ausreicht, wenn der Kläger behauptet, die Steuer sei in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid zu hoch festgesetzt worden. Für die Geltendmachung einer Rechtsverletzung i. S. des § 40 Abs. 2 FGO bedarf es keiner weiteren Darlegungen. Die mit der Klage verbundene Behauptung, die Steuer sei in dem angefochtenen Bescheid zu hoch festgesetzt, führt zu der Verpflichtung des FG, den Steuerbescheid im Rahmen des Klageantrags zumindest nach Aktenlage von Amts wegen und ohne Bindung an eine wie auch immer geartete Klagebegründung in formeller und materieller Hinsicht zu überprüfen. Bei dieser Überprüfung ist die an einen Feststellungsbescheid ggf. bestehende Bindungswirkung zu beachten. Eine Bindungswirkung besteht in diesem Sinne jedoch nur dann, wenn der Feststellungsbescheid rechtswirksam ergangen ist, d. h. wenn er sich seinem Inhalt nach auch gegen den Kläger richtet und wenn er ihm bekanntgegeben wurde (§ 124 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Soweit Anhaltspunkte dafür bestehen, daß einzelne dieser Voraussetzungen nicht erfüllt sein könnten, hat das FG sie im Rahmen der Begründetheit der gegen den Folgebescheid gerichteten Klage zu prüfen (vgl. BFH-Beschluß vom 25. März 1986 III B 6/85, BFHE 146, 225, BStBl II 1986, 477). Da die Bindungswirkung nur soweit reicht, als einzelne Besteuerungsgrundlagen des Folgebescheides in dem Feststellungsbescheid festgestellt wurden, hat das FG auch von Amts wegen zu prüfen, ob der Feststellungsbescheid die interessierende Feststellung enthält und ob sie zutreffend in den Folgebescheid übernommen wurde.
b) Der erkennende Senat hält an der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung fest. Unbeschadet der Stellung des § 42 FGO ist aufgrund des Wortlauts der Vorschrift nicht zu erkennen, daß sie die Möglichkeit einschränken soll, eine Rechtsverletzung i. S. des § 40 Abs. 2 FGO durch den bloßen Hinweis auf eine (angeblich) zu hohe Steuerfestsetzung geltend zu machen. Es ist auch nicht einsichtig, daß derjenige, der nur eine zu hohe Steuerfestsetzung als Klagebegründung geltend macht, eine zulässige Klage erhoben haben soll, während derjenige, der seine Klage ,,zusätzlich" mit Einwendungen gegen den Grundlagenbescheid begründet, deshalb ihre Abweisung als unzulässig riskieren soll. Vor allem übersieht die von dem erkennenden Senat abgelehnte Auffassung, daß § 42 FGO seinem Inhalt nach nur die verfahrensrechtlichen Konsequenzen zieht, die sich aus der in § 182 Abs. 1 AO 1977 geregelten Bindungswirkung an Grundlagenbescheide ergeben. Da aber die sich aus einem Grundlagenbescheid ergebenden Rechtsfolgen materiell-rechtlicher Natur sind, muß für die verfahrensrechtlichen Konsequenzen Entsprechendes geltend. Deshalb kann nur im Rahmen der Begründetheit der sich gegen den Folgebescheid richtenden Klage geprüft werden, ob überhaupt und, wenn ja, in welchem Umfang eine Bindungswirkung für den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid besteht.
c) Der erkennende Senat versteht damit § 42 FGO als eine Vorschrift, die klarstellend die sich aus der Bindungswirkung des § 182 Abs. 1 AO 1977 ergebenden verfahrensrechtlichen Konsequenzen regelt. Die Vorschrift berührt die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 FGO nicht. Mag die Bindungswirkung an einen Feststellungsbescheid auch vorwiegend aus verfahrensökonomischen Gründen vorgeschrieben worden sein, so schließt dies die Auffassung des Senats nicht aus. Zwar bedarf es zur Durchsetzung einer sog. Folgeberichtigung in der Regel der Anfechtung des Folgebescheides nicht. Vielmehr genügt die rechtzeitige Antragstellung nach Erlaß des geänderten Feststellungsbescheides (§ 171 Abs. 3 AO 1977). Jedoch geht es im Streitfall darum nicht. Entscheidend ist allein, daß das FG aufgrund der gegen den Folgebescheid erhobenen Klage diesen von Amts wegen auf seine formelle und materielle Richtigkeit hin im Rahmen des Klageantrags überprüfen muß. Sollte das FG dabei zu der Auffassung gelangen, daß der Folgebescheid (nur) mit Rücksicht auf die Bindungswirkung an den Feststellungsbescheid rechtmäßig ist, so hat es im Rahmen seines Ermessens darüber zu befinden, ob es das Klageverfahren gemäß § 74 FGO aussetzt oder aber die Klage als unbegründet abweist. Dazu nimmt der Senat auf die BFH-Urteile vom 24. April 1979 VIII R 57/76 (BFHE 128, 136, BStBl II 1979, 678), und vom 14. Februar 1984 VIII R 126/82 (BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580) Bezug.
d) Im Streitfall hatten die Kläger im Klageverfahren beantragt, die Einkommensteuerbescheide 1975 und 1976 vom 7. Januar 1983 zu ändern und die Einkommensteuer jeweils um einen zahlenmäßig näher konkretisierten Betrag herabzusetzen. Damit hatten sie eine Rechtsverletzung i. S. des § 40 Abs. 2 FGO dargetan. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, durfte das FG die Klage nicht als unzulässig abweisen.
2. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Es hat deshalb zur Begründetheit der Klage keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Aus diesem Grunde kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Es ist Sache des FG, die Begründetheit der Klage zu prüfen und dazu die ggf. notwendigen tatsächlichen Feststellungen zu treffen. Dazu gehört die Feststellung, daß ein Grundlagenbescheid rechtswirksam ergangen ist, d. h. daß er sich seinem Inhalt nach auch gegen den Kläger richtet, daß er diesem bekanntgegeben wurde, daß in ihm die im Folgebescheid angesetzten Besteuerungsgrundlagen festgestellt wurden und daß die festgestellten Besteuerungsgrundlagen zutreffend in den Folgebescheid übernommen wurden. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben und das Verfahren an das FG zurückzuverweisen.
Der erkennende Senat kann nicht selbst das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen. Für eine Aussetzung des Revisionsverfahrens fehlt jeder Grund, weil die Entscheidung über die Revision nicht von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Eine Aussetzung des Verfahrens bei gleichzeitiger Aufhebung der Vorentscheidung wird durch § 126 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 FGO ausgeschlossen. Danach kann der Senat nur entweder in der Sache selbst entscheiden oder aber die Sache an das FG zurückverweisen. Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens kann im übrigen immer nur von dem Gericht getroffen werden, dessen Verfahren ausgesetzt werden soll. Da die Kläger aber die Aussetzung des Klageverfahrens begehren, ist es Sache des FG, über diesen Antrag zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 415305 |
BFH/NV 1988, 246 |