Leitsatz (amtlich)
Bei einer sich über den Bewertungsstichtag hinziehenden Kapitalerhöhung gegen Einlage ist in der Vermögensaufstellung der Kapitalgesellschaft ein Ausgleichsposten in Höhe der vorgeleisteten Einlage als Schuldverpflichtung anzusetzen.
Normenkette
BewG 1965 § 103; AktG §§ 182 ff.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine AG, gehört zum W-Company Konzern in ... /USA. Durch Beschluß ihrer Gesellschafterversammlung vom 15. Dezember 1972 erhöhte die Klägerin ihr Grundkapital um 9 Mio DM durch Sacheinlage. Die neuen Aktien sollte die O-Inc., die ebenfalls eine Organtochter der W-Comp. ist, gegen die Übertragung ihrer GmbH-Beteiligung an der A-GmbH erhalten. Die O-Inc. hatte in einem notariellen Einbringungsvertrag vom 14. Dezember 1972 diese GmbH-Beteiligung bereits an die Klägerin abgetreten. Sie hatte sich außerdem bereits in einem Zeichnungsschein vom 8. Dezember 1972 bis zum 28. Februar 1973 verbindlich verpflichtet, sämtliche neuen Aktien aus der Kapitalerhöhung zu übernehmen. Die Eintragung der Kapitalerhöhung und deren Durchführung im Handelsregister wurde am 18. Dezember 1972 beantragt und am 9. Januar 1973 vollzogen.
Die Klägerin setzte in ihrer Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1973 die erworbene GmbH-Beteiligung mit 54 418 000 DM an. Sie bildete gleichzeitig einen Schuldposten "Zur Durchführung der beschlossenen Kapitalerhöhung geleistete Einlage" in gleicher Höhe. Um die Rechtmäßigkeit dieses Schuldpostens geht es im vorliegenden Rechtsstreit.
Die Klägerin macht folgendes geltend: Am 1. Januar 1973 sei die Kapitalerhöhung noch nicht durchgeführt gewesen. Aufgrund eines Schreibens der W-Comp. (Muttergesellschaft) vom 15. November 1972 an sie sei es am Bewertungsstichtag auch ungewiß gewesen, ob es zur Kapitalerhöhung tatsächlich kommen wird. In diesem Schreiben habe ihr die Muttergesellschaft nämlich mitgeteilt, daß die Verhandlungen mit den US-amerikanischen Steuerbehörden wegen der Anteilsübertragung an der A-GmbH noch nicht abgeschlossen seien und daß sie (die Klägerin) mit einer Rückübertragung dieser Beteiligung rechnen müsse, wenn die Auskunft der US-amerikanischen Steuerbehörde negativ ausfalle. Sie habe somit am Bewertungsstichtag mit einer Rückforderung der Einlage rechnen müssen. In ihrer Handelsbilanz und Steuerbilanz auf den 31. Dezember 1972 sei sie verpflichtet gewesen, einen entsprechenden Schuldposten anzusetzen. Das müsse auch für die Vermögensaufstellung gelten, jedenfalls dann, wenn am Bewertungsstichtag eine wirtschaftliche Last vorliege. Eine solche sei nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. März 1963 III 58/60 (BFHE 76, 808, BStBl III 1963, 294) bei ihr zu bejahen gewesen. In dieser Entscheidung habe der BFH eine wirtschaftliche Last vor der Eintragung des Beschlusses über die Durchführung der Kapitalerhöhung zwar verneint, jedoch nur mit der Begründung, daß die Gesellschaft unter den besonderen Verhältnissen des konkreten Falles mit einer vorzeitigen Rückforderung nicht habe zu rechnen brauchen. Bei ihr (der Klägerin) hätten aber die Dinge aufgrund des Schreibens der Muttergesellschaft vom 15. November 1972 im entscheidenden Punkt anders gelegen. Sie habe mit einer vorzeitigen Rückforderung der Einlage rechnen müssen und habe dies tatsächlich auch getan.
Am 9. Februar 1973 teilte die Muttergesellschaft der Klägerin mit, daß die Auskunft der US-amerikanischen Steuerbehörde positiv ausgefallen sei und daß es deshalb bei der Eintragung der GmbH-Beteiligung an sie bleibe.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte nach Durchführung einer Betriebsprüfung den begehrten Schuldabzug. Auch der Einspruch hatte keinen Erfolg. Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) ebenfalls abgewiesen.
Das FG begründete seine in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 8 (EFG 1979, 8) veröffentlichte Entscheidung wie folgt:
Es könne offenbleiben, ob die Klägerin in ihrer Handelsbilanz auf den 31. Dezember 1972 eine Schuldverpflichtung in gleicher Höhe habe bilden können. Bewertungsrechtlich sei eine Schuldverpflichtung nur dann eine wirtschaftliche Last, wenn mit ihr ernstlich zu rechnen sei. Das sei aber hier nicht der Fall gewesen, denn sowohl der Einbringungsvertrag als auch der Beschluß über die Kapitalerhöhung seien ohne Vorbehalt (Bedingung) geschlossen worden. Weder vor dem Bewertungsstichtag 1. Januar 1973 noch danach sei etwas unternommen worden, um die beschlossene Kapitalerhöhung rückgängig zu machen. Im übrigen sei das Schreiben der Muttergesellschaft vom 15. November 1972 auch nur so zu verstehen, daß im Falle eines negativen Bescheids durch die US-amerikanische Steuerbehörde mit der Möglichkeit einer Rückforderung der Kapitaleinlage zu rechnen sei, keinesfalls aber, daß diese Rückforderung dann in jedem Fall erfolgen werde.
Dagegen hat die Klägerin Revision eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt:
Die Muttergesellschaft habe zum Ausdruck gebracht, daß sie auf den Rückforderungsanspruch hinsichtlich der vorabgeleisteten Einlage erst dann verzichten werde, wenn die Auskunft der US-amerikanischen Steuerbehörde positiv ausgefallen sei. Aufgrund dieser unmißverständlichen Äußerung habe sie (die Klägerin) damit rechnen müssen, daß sie die Einlage zurückgewähren müsse. Diese Verpflichtung sei für sie nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine wirtschaftliche Last gewesen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils den Einheitswertbescheid vom 4. April 1977 zu ändern und den Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1973 auf ... DM festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Änderung des angefochtenen Feststellungsbescheids.
1. Nach § 103 des Bewertungsgesetzes (BewG) 1965 sind vom Rohvermögen Schulden insoweit abziehbar, als sie mit der Gesamtheit oder einzelnen Teilen des gewerblichen Betriebs in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Voraussetzung für den Schuldabzug ist, daß zu der Erfüllung einer Schuld nicht nur eine rechtliche Verpflichtung besteht, sondern auch ernstlich damit gerechnet werden muß, daß der Gläubiger Erfüllung verlangt. Diese Voraussetzungen sind bei den von der Klägerin in ihrer Vermögensaufstellung gebildeten Passivposten "Zur Durchführung der beschlossenen Kapitalerhöhung geleistete Einlage" erfüllt.
2. Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob sich im Streitfall eine rechtliche Verpflichtung - wie die Klägerin meint - bereits aus dem Einbringungsvertrag vom 14. Dezember 1972, aus dem Zeichnungsschein und dessen Entgegennahme oder aus dem Kapitalerhöhungsbeschluß ergibt. Der Senat kann auch offenlassen, ob sich eine Rechtsverbindlichkeit aus der Zusammenschau dieser Rechtsvorgänge ableiten läßt. Selbst wenn man dies verneint, ist die sich aus einer Kapitalerhöhung gegen Einlage ergebende bewertungsrechtliche Problematik noch nicht erschöpft.
Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß sich der Vorgang der Kapitalerhöhung über den Bewertungsstichtag hinzog. Zwar hatte die O-Inc. vor diesem Zeitpunkt sich bereits zur Übernahme des neuen Aktienkapitals im Zeichnungsschein verpflichtet und auch ihre Sacheinlage vorgeleistet. Zum Bewertungsstichtag stand aber noch nicht fest, ob die beschlossene Kapitalerhöhung auch durchgeführt wird. Das konnte beispielsweise daran scheitern, daß die Klägerin ihren Antrag auf Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung zurücknimmt oder daß der Registerrichter die Eintragung ablehnt.
Es bestand also vorläufig ein Schwebezustand, von dem am Bewertungsstichtag noch nicht feststand, mit welchem Ergebnis er beendet wird. Kommt es in der Folge zur Kapitalerhöhung, dann ist die Klägerin verpflichtet, der O-Inc. die neuen Mitgliedschaftsrechte zu übertragen. Kommt es dagegen nicht zur Kapitalerhöhung, dann muß die Klägerin der O-Inc. nach § 812 BGB die Einlage zurückgewähren (vgl. Kropff in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum Aktiengesetz, 1973, § 156, Anm. 3 und Lutter in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 188 Anm. 19). Mit anderen Worten: Am 1. Januar 1973 bestand für die Klägerin zwar bereits eine Schuldverpflichtung, aber deren Inhalt war nocht nicht konkretisiert. Diese inhaltliche Ungewißheit der Schuldverpflichtung beruht auf der besonderen aktienrechtlichen Regelung über die Kapitalerhöhung gegen Einlage, nach welcher der für die neuen Mitgliedschaftsrechte Optierende zwar seine Einlage schon vorleisten muß, er aber noch keinen Rechtsanspruch auf diese Mitgliedschaftsrechte erhält. Dieser entsteht erst dann, wenn es tatsächlich zur Kapitalerhöhung kommt. Dieser aufgrund der aktienrechtlichen Sonderregelung über die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage entstandene Rechtszustand legt es nahe, die steuerlichen Grundsätze über das schwebende Geschäft anzuwenden.
In der Handelsbilanz wird diesem Schwebezustand dadurch Rechnung getragen, daß die vorgeleistete Einlage noch nicht als Eigenkapital der Kapitalgesellschaft, sondern als "Zur Durchführung der beschlossenen Kapitalerhöhung geleistete Einlage" passiviert wird (vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., § 152 Anm. 37; Kropff, a. a. O., § 156 Anm. 3). Auch für die Zwecke der Vermögensaufstellung stellt die vorgeleistete Einlage noch kein Eigenkapital dar. Die Kapitalgesellschaft muß vielmehr ebenfalls dem Schwebezustand durch Ansatz einer Schuldverpflichtung nach § 103 BewG Rechnung tragen. Dieser Ansatz kann auch nicht etwa wegen Fehlens einer wirtschaftlichen Last unterbleiben. Denn tatsächlich war die Klägerin am 1. Januar 1973 auch wirtschaftlich mit einer Schuldverpflichtung belastet, lediglich deren Inhalt stand noch nicht fest.
Wenn das FA in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hiergegen einwendet, daß sich die O-Inc. sowohl im Einbringungsvertrag vom 14. Dezember 1972 als auch in dem Zeichnungsschein vom 8. Dezember 1972 ohne Vorbehalt (Rücktrittsrecht) gebunden habe, und daß auch nach dem Bewertungsstichtag 1. Januar 1973 von den Beteiligten nichts unternommen worden sei, um diese Rechtsgeschäfte rückgängig zu machen, so stellt das FA einseitig allein auf den möglichen Rückgewähranspruch der O-Inc. aus § 812 BGB ab. Es übersieht dabei, daß die Klägerin auch verpflichtet war, der O-Inc. die Mitgliedschaftsrechte aus den neuen Aktien zu übertragen. Nach Auffassung des Senats ist es nicht möglich, eine Schuldverpflichtung der Klägerin gegenüber der O-Inc. zum 1. Januar 1973 überhaupt zu verneinen. Lediglich der Inhalt dieser Schuldverpflichtung stand zum Bewertungsstichtag noch nicht fest. Er konnte eine Verpflichtung zur Übertragung der neuen Aktien oder eine Verpflichtung zur Rückübertragung der Beteiligung an der A-GmbH sein. Die Schuldverpflichtung war vorläufig noch ohne konkreten Inhalt bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kapitalerhöhung und deren Durchführung im Handelsregister eingetragen wurden. Erst ab diesem Zeitpunkt war der Schwebezustand beendet.
3. Nur durch den Ansatz einer Schuldverpflichtung kann auch verhindert werden, daß die Einlage am Bewertungsstichtag steuerlich (vgl. Abschn. 76 ff. der Vermögensteuer-Richtlinien - VStR -) auf die Altaktionäre verteilt werden müßte. obwohl sie ihnen wirtschaftlich nicht gehörte. Auch würde es zu wirtschaflich unzutreffenden Ergebnissen führen, beim Einbringenden den Schwebezustand nicht zu berücksichtigen und in seiner Vermögensaufstellung (ebenso in seiner Handelsbilanz und Steuerbilanz) auf den Ansatz eines entsprechenden Aktivpostens zu verzichten. Soweit die vorstehenden Ausführungen mit dem BFH-Urteil in BFHE 76, 808, BStBl III 1963, 294 nicht in Einklang stehen, hält der Senat daran nicht fest.
Es bestehen keine Anhaltspunkte, die Schuldverpflichtung mit einem anderen (niedrigeren) Betrag anzusetzen als die erworbene GmbH-Beteiligung.
4. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Sein Urteil war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Feststellungsbescheid war antragsgemäß zu ändern (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung).
Fundstellen
Haufe-Index 74101 |
BStBl II 1982, 13 |
BFHE 1981, 177 |