Leitsatz (amtlich)
Der Begriff der Kapitalgesellschaft ist für den Bereich des Körperschaftsteuerrechts in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG abschließend bestimmt. Er ist einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.
Normenkette
KStG § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 4, §§ 9, 19 Abs. 3
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob das Schachtelprivileg (§ 9 KStG) und der ermäßigte Steuersatz aus § 19 Abs. 3 KStG 1955 auch von solchen subjektiv unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsgebilden in Anspruch genommen werden können, die nicht in die Rechtsform der Kapitalgesellschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) gekleidet sind.
Die Steuerpflichtige ist - nach ihrer Darstellung - eine von alters her anerkannte juristische Person des alten Gemeinen Rechts (Art. 164 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896 - EGBGB -); sie wurde jedoch im Laufe der Jahrhunderte Kaufmann; ihr Recht ist seit mindestens 100 Jahren Handelsrecht. Rechtlich versteht sie sich weder als Realgemeinde noch als ...genossenschaft, sondern als eine Kapitalgesellschaft, gegebenenfalls als eine sonstige juristische Person des privaten Rechts (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG), der wirtschaftlich gesehen die Rechtsstellung einer Kapitalgesellschaft zukomme.
Der Revisionsbeklagte (FA) hat der Steuerpflichtigen die Inanspruchnahme sowohl des Schachtelprivilegs für die in ihrem Gewinn enthaltenen Einnahmen aus einer Beteiligung im Sinne der Vorschrift des § 9 KStG als auch des ermäßigten Steuersatzes aus § 19 Abs. 3 KStG 1955 versagt. Einspruch und Berufung der Steuerpflichtigen blieben ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Steuerpflichtigen ist nicht begründet.
1. a) Wie die Steuerpflichtige selbst nicht behauptet hat, kommt ihrem ehemals öffentlich-rechtlichen Charakter für die Entscheidung keine Bedeutung mehr zu; da die Steuerpflichtige für sich seit etwa 100 Jahren Kaufmannseigenschaft in Anspruch nimmt, erübrigt sich eine Untersuchung im Sinne des BFH-Urteils I 52/50 U vom 1. März 1951 (BFH 55, 311, BStBl III 1951, 120).
b) Der Umstand, daß die Steuerpflichtige ihre Rechtsform auch nach dem Inkrafttreten des BGB unverändert beibehalten konnte (Art. 164 EGBGB), sie somit nicht gezwungen war, sich nach dem 31. Dezember 1899 in einer der vom BGB oder HGB bereitgehaltenen Rechtsformen neu zu organisieren, erlaubt es nicht, sie trotz ihrer organisatorischen Annäherung an die Aktiengesellschaft als Kapitalgesellschaft im Sinne des Körperschaftsteuerrechts anzusprechen oder sie wie eine solche zu behandeln.
Unbeschadet der unterschiedlichen Bedeutung des Begriffs der Kapitalgesellschaft für die verschiedenen Rechtsgebiete und Steuerarten ist mit der Aufgabe des dem früheren KStG eigentümlichen Begriffs der Erwerbsgesellschaften und der Änderung der Gruppeneinteilung in § 1 Abs. 1 KStG 1934 auch der Begriff der Kapitalgesellschaft für den Bereich des Körperschaftsteuerrechts abschließend gesetzlich definiert worden. Entscheidend für die Einordnung eines Rechtsgebildes in die einzelnen Gruppen der Vorschrift des § 1 Abs. 1 KStG ist danach seine Rechtsform (vgl. die Kommentare zum Körperschaftsteuergesetz, Blümich-Klein-Steinbring, 3. Aufl., Anm. 1, 3, 13 und 25 zu § 1; Herrmann-Heuer, Anm. 4 und 11a zu § 1 KStG; Kennerknecht, 1943, Anm. 4 und 11 zu § 1; Mirre-Dreutter, 1939, Anm. 5, 10, 11 und 19 zu § 1). Auf die Art des Betriebes und seine Zielsetzung (Zwecke) kommt es nicht an. Es kann daher im Einzelfall in aller Regel weder die gegebene Rechtsform der Kapitalgesellschaft in wirtschaftlicher Betrachtungsweise außer acht gelassen werden (wie etwa im Falle der Einmann-GmbH) noch das Fehlen der Rechtsform der Kapitalgesellschaft unberücksichtigt bleiben und ein Unternehmen anderer Rechtsform in wirtschaftlicher Betrachtungsweise (im Hinblick auf die Art seines Betriebes und auf seine Zielsetzung) als Kapitalgesellschaft eingeordnet werden (wie die Steuerpflichtige es im Streitfall anstrebt).
Auch der BFH hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, daß es für die Abgrenzung körperschaftsteuerpflichtiger und nichtkörperschaftsteuerpflichtiger Personenvereinigungen auf die von ihnen gewählte Rechtsform ankomme (s. BFH-Urteil I 44/57 U vom 13. Januar 1959, BFH 68, 515, BStBl III 1959, 197), und daß das Abstellen auf die Rechtsform der Möglichkeit zuverlässiger Vorausberechnung der steuerlichen Belastung und damit der Rechtssicherheit diene (s. BFH-Urteil I 11/58 S vom 5. Mai 1959, BFH 69, 286, BStBl III 1959, 369). Die Vorschriften des § 1 KStG regeln die Steuerpflicht. Würde die Steuerpflichtige nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG steuerpflichtig sein, würde sie kaum ihre Anerkennung oder Behandlung als Kapitalgesellschaft mit der Folge ihrer Steuerpflicht betreiben.
Die Steuerpflichtige, die sich bis zum Veranlagungszeitraum 1954 einschließlich in Übereinstimmung mit dem FA nicht als Kapitalgesellschaft ansah (weil dies nach ihrem an das FG gerichteten Schriftsatz vom 14. Januar 1965, die Körperschaftsteuersache 1954 betreffend, zu einer höheren als der bisherigen steuerlichen Belastung geführt haben würde), begehrt nunmehr ihre anderweite rechtliche Einordnung nicht unter Berufung auf eine zwischenzeitlich bewirkte Änderung ihrer Rechtsform, sondern auf ihre bereits bisher gegebene und bis zum Veranlagungszeitraum 1954 einschließlich nicht als Kapitalgesellschaft verstandene Organisation. Diesem Begehren kann nicht entsprochen werden. Wie in Rechtsprechung und Schrifttum einhellige Meinung, ist der Kreis der als Kapitalgesellschaften charakterisierten Unternehmen für den Bereich des Körperschaftsteuerrechts in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG abschließend gesetzlich definiert. Damit ist eine diesen Kreis erweiternde Auslegung des Gesetzes, wie sie der Steuerpflichtigen vorschwebt, nicht möglich. Etwas anderes läßt sich weder aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 1 Abs. 1 KStG 1934 noch daraus herleiten, daß die Steuerpflichtige gegebenenfalls nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 KVStG als Kapitalgesellschaft "im Sinne dieses Gesetzes", des KVStG, "gilt"; die Fassung des Gesetzes bestätigt vielmehr die mit der Wahl des Begriffs der Kapitalgesellschaft bezweckte Abgrenzung der Unternehmen nach vereinheitlichenden Gesichtspunkten, als welche sich in erster Linie ihre Rechtsform anbot.
Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist in erster Linie ihr Wortlaut (BFH-Urteil I 208/60 S vom 27. Februar 1962, BFH 74, 662, BStBl III 1962, 244). Die erweiternde Auslegung einer steuerrechtlichen Vorschrift (über den Wortlaut des Gesetzes hinaus) ist, auch wenn dies im Einzelfall im finanziellen Interesse des Steuerpflichtigen liegen mag, nur möglich, wenn die Anwendung der in ihrem Wortlaut eindeutigen Vorschrift zu einem ihrem Sinn und Zweck ganz offenbar widersprechenden Ergebnis führt (BFH-Urteil VI 33/59 U vom 22. Juli 1960, BFH 71, 406, BStBl III 1960, 401). Das kann in Anbetracht der Vorschrift des § 1 Abs. 1 KStG indes nicht gesagt werden, wenn sie Rechtsgebilde von der Art der Steuerpflichtigen nicht unter Nr. 1, sondern unter Nr. 4 einordnet, unbeschadet gewisser innerorganisatorischer Ähnlichkeiten zwischen den diesen beiden Gruppen zugewiesenen Rechtsgebilden. Da die Frage nach der steuerrechtlichen Einordnung von Rechtsgebilden der in Art. 164 EGBGB genannten Art somit angesichts der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG nicht offengeblieben ist, ist auch keine Regelungslücke gegeben, für deren Ausfüllung die Rechtsprechung in den Urteilen VI 115/60 S vom 17. März 1961 (BFH 73, 213, BStBl III 1961, 346) und IV 26/62 S vom 21. Februar 1964 (BFH 78, 490, BStBl III 1964, 188) Richtlinien entwickelt hat.
2. Was die Beschränkung der Anwendbarkeit der Vorschriften der §§ 9 und 19 Abs. 3 KStG 1955 auf Unternehmen in bestimmter rechtlicher Organisationsform, darunter in der der Kapitalgesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, betrifft, hat das FG zutreffend darauf hingewiesen, daß die Steuerpflichtige zum Kreise dieser Unternehmen nicht gehört und die Vorschriften daher auf sie nicht anwendbar sind. Unbeschadet der Zielsetzungen, die der Gesetzgeber mit diesen Vorschriften verfolgt, kann angesichts der Aufstellung bestimmter formalrechtlicher Voraussetzungen für die Anwendbarkeit dieser Vorschriften die Verwirklichung ihrer Rechtsfolgen nicht verlangen, wer diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Dem kann auch nicht mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung zu § 15 Abs. 2 KStG (BFH-Urteil I 155/59 U vom 25. Mai 1962, BFH 75, 231, BStBl III 1962, 351), die liquidationslose Verschmelzung von Genossenschaften betreffend, begegnet werden, weil - wie die Steuerpflichtige selbst nicht verkennt - diese Vorschrift nur Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens ist, was für die Anwendbarkeit der hier in Rede stehenden Vorschriften nicht gilt.
3. Der Senat kann der Steuerpflichtigen auch nicht darin folgen, daß die Versagung der Inanspruchnahme dieser Vorschriften eine Verletzung der ihr zustehenden Grundrechte bedeute. Zu Recht weist das FA auf den Beschluß des BVerfG 1 BvF 3/65 vom 2. Oktober 1968 (BStBl II 1968, 762) hin, nach dem jede Steuerrechtsnorm, um praktikabel zu sein, ohne Verstoß gegen Art. 3 GG typisieren, d. h. geringfügigere oder nur in besonders gelagerten Fällen auftretende Ungleichheiten in Kauf nehmen müsse. Die steuerpolitische Steuerungsfunktion bestimmter steuerrechtlicher Regelungen rechtfertigt es, die Verwirklichung bestimmter Zielsetzungen - wie immer diese Zielsetzungen auch motiviert sein mögen - auf bestimmte Gruppen von Unternehmen zu beschränken.
So entspricht grundsätzlich die Mehrfachbelastung des Gewinns der körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsgebilde mit Körperschaft- und Einkommensteuer dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich im Gesetz manifestiert hat. Ausnahmen, wie die des § 9 KStG, sind an formalrechtliche Voraussetzungen geknüpft. Wer diese nicht erfüllt und gleichwohl wesentliche Beteiligungen erwirbt, muß die etwaige Mehrfachbesteuerung ihrer Erträge in Kauf nehmen oder vor Erwerb der Beteiligungen die Rechtsform wechseln.
In ähnlicher Weise knüpft das Gesetz die Anwendbarkeit des gespaltenen Steuersatzes (§ 19 Abs. 3 KStG) an das Vorliegen bestimmter formalrechtlicher Voraussetzungen in der Person jener Rechtsgebilde, auf die er Anwendung finden soll. Gleichgültig, ob man das Schwergewicht der Motivation dieser Vorschrift in der allgemeinen Kapitalmarktförderung oder in der besonderen Förderung der Unternehmensfinanzierung durch Neubildung haftenden Kapitals sehen will, ist Rechtsgebilden in anderer Rechtsform als der der Kapitalgesellschaft ihre Inanspruchnahme verwehrt. Das gilt somit auch für die sonstigen juristischen Personen des privaten Rechts. Wenn das Unternehmen der Steuerpflichtigen sich auch in vielem einer Kapitalgesellschaft nähert, rechtfertigt dies weder die Einbeziehung dieser Gruppe in den Kreis der Berechtigten noch die ausdehnende (analoge) Anwendung der Vorschrift auf die Steuerpflichtige allein.
Auch die grundrechtliche Gewährleistung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) sieht der Senat im Streitfall nicht für verletzt an. Die durch die Erhebung von Steuern allgemein gegebene Einschränkung des Eigentums verletzt diese Vorschrift nicht (Urteil des BVerfG 1 BvR 459/52 u. a. vom 20. Juli 1954, BVerfGE 4, 7 [17]). Die Frage nach dem zutreffenden Geltungsbereich gewisser steuerlicher Entlastungsregelungen kann aber nicht als Beeinträchtigung des Eigentums der von der Regelung nicht betroffenen Steuerpflichtigen gesehen werden, sofern in der Abgrenzung des Geltungsbereichs kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liegt.
Was schließlich das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit betrifft (Art. 2 Abs. 1 GG), so hat es die Steuerpflichtige grundsätzlich in der Hand, ihrem Unternehmen diejenige Rechtsform zu geben, die ihr nach ihrer Ansicht die geringste steuerliche Belastung gewährleistet. Auch die Versagung der Inanspruchnahme der Vorschriften der §§ 9 und 19 Abs. 3 KStG 1955 für das Streitjahr hindert sie hieran nicht, wenngleich nicht verkannt wird, daß die durch eine Umwandlung ausgelösten Steuern die Verwirklichung einer solchen Absicht hinsichtlich der Wahl des Zeitpunktes beeinflussen können (Verlegung solcher Maßnahmen in den zeitlichen Geltungsbereich von Steuererleichterungen für Umwandlungen). Die freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet eine Freiheit im Rahmen der Gesetze. Diese ist durch die Vorschriften des KStG, die hier in ihrer Gesamtheit gesehen werden müssen, nicht beeinträchtigt.
Fundstellen
Haufe-Index 69350 |
BStBl II 1971, 187 |
BFHE 101, 79 |
BFHE 1971, 79 |