Entscheidungsstichwort (Thema)
Einfuhrabgaben für vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbrachte Waren; Ausübung des Auswahlermessens bei mehreren Abgabenschuldnern
Leitsatz (amtlich)
1. Sind mehrere Personen als Gesamtschuldner zur Erfüllung einer Zollschuld verpflichtet, liegt die Frage, gegen welchen Gesamtschuldner die Abgaben festgesetzt werden, im pflichtgemäßen Ermessen des HZA.
2. Im Fall einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat ist das Auswahlermessen des HZA in der Weise vorgeprägt, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf. Mit dem Hinweis im Steuerbescheid auf weitere Gesamtschuldner wird in einem solchen Fall in ausreichender Weise deutlich gemacht, dass das HZA erkannt hat, dass ein Auswahlermessen auszuüben war.
3. Haben sich mehrere Gesamtschuldner einer vorsätzlichen Steuerstraftat schuldig gemacht, stehen diese bei der Ausübung des Auswahlermessens grundsätzlich gleichrangig nebeneinander. Der jeweils betroffene Abgabenschuldner kann in diesem Fall nicht beanspruchen, dass das HZA bei der Ermessensausübung in einer Weise differenziert, dass andere Gesamtschuldner abgabenrechtlich in Anspruch genommen werden, er selbst hingegen nicht.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 202 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Anstrich 3, Art. 213
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.03.2003; Aktenzeichen 4 K 1963/02 VTa,Z,EU) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war zusammen mit anderen Personen an dem Umschlag und Weitertransport unversteuerter Zigaretten beteiligt. Die Zigaretten, die Steuerbanderolen der GUS-Staaten und der Ukraine trugen und die in aus Flechtzäunen zusammengesetzten Kisten verpackt waren, wurden zunächst mit einem LKW auf das Gelände eines Gartenbaubetriebs in der X-straße in E geliefert. Vier der Flechtzaunkisten mit 6 912 Stangen Zigaretten wurden anschließend vom Kläger und dem Tatbeteiligten J per LKW zu einem Firmengelände in der C-Straße transportiert, wobei zuerst J den LKW fuhr und der Kläger mit dem PKW des J folgte, später aber der Kläger den LKW übernahm. Dort wurden die Zigaretten von weiteren Tatbeteiligten ausgepackt und auf verschiedene Transporter verteilt. Später transportierte der Kläger zusammen mit dem Tatbeteiligten K die nunmehr leeren Flechtzaunkisten per LKW zu einem Schrottplatz und fuhr anschließend mit K wieder zur X-straße, wo wiederum vier Flechtzaunkisten mit 6 912 Stangen Zigaretten für den Weitertransport zur C-Straße auf den LKW geladen wurden. Während der anschließenden Fahrt des Klägers und des K zur C-Straße erfolgte der Zugriff durch Beamte des Zollfahndungsamts (ZFA). Der Kläger und K wurden festgenommen; die Zigaretten wurden sichergestellt.
Bei seiner Vernehmung am selben Tag gab der Kläger u.a. an, dass er von J, den er kenne und von dem er auch gewusst habe, dass dieser mit unversteuerten Zigaretten handele, zu den Transportfahrten hinzugezogen worden sei. Er habe an diesem Tag nur auf Anweisung des J gehandelt, sei zunächst dem LKW des J in dessen PKW gefolgt und habe dann den LKW auf das Gelände in der C-Straße gefahren. Anschließend habe er für J in B einen Transporter gemietet und diesen an einem mit J vereinbarten Ort abgestellt. Als er dann wieder zur C-Straße zurückgekehrt sei, hätten sich dort vier oder fünf weitere Personen befunden. Auf Weisung des J habe er zusammen mit einer ihm unbekannten Person die jetzt leeren vier Flechtzaunkisten zu einem Schrottplatz transportiert und sie dort entsorgt und sei anschließend zur X-straße zurückgefahren, um wieder vier gefüllte Flechtzaunkisten aufzuladen. Er habe sich schon gefragt, was sich wohl in den entsorgten leeren Flechtzaunkisten zuvor befunden habe, und habe sich auch gedacht, dass es Zigaretten hätten gewesen sein können. Er sei jedoch bereits mitten im Geschehen gewesen und habe dann auch die nächste Partie Kisten abgeholt, obwohl ihm klar gewesen sei, dass etwas nicht in Ordnung gewesen sei.
Wegen dieser Tatbeteiligung wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts E eine Geldstrafe wegen Beihilfe zur Steuerhehlerei gegen den Kläger verhängt. Der Kläger erhob keinen Einspruch; der Strafbefehl wurde rechtskräftig.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt ―HZA―) setzte auf der Grundlage des mit dem rechtskräftigen Strafbefehl festgestellten Sachverhalts mit Steuerbescheid zunächst Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer für 20 739 Stangen Zigaretten gegen den Kläger fest, wobei es u.a. darauf hinwies, dass der Kläger die Abgaben für die erste von ihm transportierte Partie von 6 912 Stangen gesamtschuldnerisch mit den Tatbeteiligten 1., 2., 3. und 4. schulde; für die zweite transportierte Partie von 6 912 Stangen schulde er die Abgaben gesamtschuldnerisch mit K. Auf den hiergegen erhobenen Einspruch des Klägers reduzierte das HZA mit Änderungsbescheid die der Abgabenerhebung zu Grunde zu legende Zigarettenmenge auf 13 824 Stangen. Mit Einspruchsentscheidung reduzierte das HZA ―unter Zurückweisung des Einspruchs im Übrigen― diese Menge noch einmal, und zwar nunmehr auf diejenigen 6 912 Stangen Zigaretten (= 1 382 400 Stück), welche der Kläger mit seiner zweiten Fahrt in die C-Straße transportiert hatte, und setzte Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt 174 519,27 € gegen den Kläger fest. Hinweise auf weitere Gesamtschuldner enthält die Einspruchsentscheidung nicht.
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage ab und führte zur Begründung aus, dass die Abgaben zu Recht gegen den Kläger festgesetzt worden seien, da er die 6 912 Stangen Zigaretten in Besitz gehabt und gewusst habe, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht gewesen seien. Dass der Kläger den Umstand, dass er geschmuggelte Ware befördere, zumindest billigend in Kauf genommen habe, werde auch durch den rechtskräftigen Strafbefehl bestätigt. Auch habe das HZA mit der Inanspruchnahme des Klägers keine unzutreffende Auswahl unter mehreren in Betracht kommenden Gesamtschuldnern getroffen. Die entsprechende Ermessensentscheidung des HZA habe keiner näheren Begründung bedurft, da der Kläger eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen habe, was regelmäßig eine Inanspruchnahme wegen der Abgaben rechtfertige. Deshalb sei es zu Gunsten des Klägers auch nicht zu beanstanden, dass bisher noch kein Steuerbescheid an J gerichtet worden sei. Die Zollverwaltung beabsichtige erkennbar die Inanspruchnahme des J nach Abschluss weiterer Prüfungen.
Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des Klägers, mit der er geltend macht, dass ihm nur ein objektives Fehlverhalten, nicht aber Bösgläubigkeit vorzuwerfen sei. Seine Angaben aus der ersten Vernehmung ließen keine anderen Schlussfolgerungen zu. Dabei sei bisher auch unberücksichtigt geblieben, dass er Aussiedler aus Polen sei und nach wie vor polnisch spreche. Zur Frage seiner Bösgläubigkeit hätte das FG zudem den als Zeugen benannten J hören müssen, der bei seinen früheren Einlassungen ihn (den Kläger) entlastet habe. Das FG habe aber nicht einmal die Strafakte des J beigezogen. Jedenfalls habe das HZA bei der Ausübung des Auswahlermessens fehlerhaft unberücksichtigt gelassen, dass er bei dem damaligen Zigarettentransport nur das kleinste Rädchen im Getriebe, der führende Kopf aber J gewesen sei. Das HZA hätte im Rahmen des ihm obliegenden pflichtgemäßen Ermessens den jeweiligen Tatbeitrag werten und würdigen sowie seine Entscheidung spätestens in der Einspruchsentscheidung begründen müssen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es hält das Urteil des FG für zutreffend und meint, dass es das Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt habe. Es habe insoweit keiner näheren Begründung im Steuerbescheid bedurft; vielmehr sei der Hinweis, dass mit K noch ein anderer Gesamtschuldner in Anspruch genommen werde, ausreichend gewesen. Der Kläger habe erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt, dass J bei der Ausübung des Auswahlermessens bisher unberücksichtigt geblieben sei. Dies sei aber nicht zu beanstanden, weil nicht nur J, sondern auch der Kläger eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen hätten, was regelmäßig eine Inanspruchnahme rechtfertige, ohne dass es einer ausdrücklichen Begründung hierfür bedürfe. Es sei im Übrigen eine Inanspruchnahme auch des J beabsichtigt, jedoch sei hierfür ein anderes Hauptzollamt zuständig.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass sich die Fragen der Entstehung der Abgabenschuld und der Person des Abgabenschuldners im Streitfall nach Art. 202 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex ―ZK―) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 302/1) beantworten. Diese Vorschrift des Zollschuldrechts gilt für die Tabaksteuer und die Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß (§ 21 des Tabaksteuergesetzes, § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes).
Nach Art. 202 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird. Das FG hat zu Recht angenommen, dass diese Voraussetzungen bezüglich der hier streitigen Zigaretten vorliegen. Nach den Feststellungen des FG trugen die beim Aufgriff des Klägers sichergestellten unversteuerten Zigaretten Steuerbanderolen der GUS-Staaten und der Ukraine, weshalb der Schluss des FG gerechtfertigt ist, dass die aus Drittländern stammenden Zigaretten zuvor vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden waren. Dies wird von der Revision nicht in Zweifel gezogen.
2. Das FG hat auch zu Recht geurteilt, dass der Kläger Schuldner der Einfuhrabgaben geworden ist.
a) Nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 Alternative 2 ZK ist Schuldner der nach Art. 202 Abs. 1 ZK entstandenen Einfuhrabgaben auch die Person, welche die betreffende Ware im Besitz gehabt hat, obwohl sie in dem Zeitpunkt des Erhalts der Ware wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war. Für den Besitz im Sinne dieser Vorschrift reicht die tatsächliche Sachherrschaft in Form des Fremdbesitzes aus (ständige Rechtsprechung, Senatsentscheidungen vom 20. Januar 1998 VII R 57/97, BFH/NV 1998, 893; vom 9. Juli 1998 VII B 94/98, BFH/NV 1999, 378; vom 24. September 1998 VII B 149/98, BFH/NV 1999, 380; vom 2. August 1999 VII B 211/98, BFH/NV 2000, 102; vom 8. Dezember 1999 VII S 21/99, BFH/NV 2000, 619). Vom Vorliegen einer solchen Sachherrschaft des Klägers über die streitigen Zigaretten ist auszugehen, da nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die Zigaretten vom Kläger per LKW von der X-straße zu dem Gelände in der C-Straße transportiert wurden, als er von den Beamten des ZFA aufgegriffen wurde. Es ist in der Regel anzunehmen, dass derjenige, der Sachen in einem Fahrzeug transportiert, die von einem Besitzwillen getragene tatsächliche Sachherrschaft ―wenn auch ggf. in Form des Fremdbesitzes― über diese Sachen ausübt (vgl. die Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2000, 102; vom 11. Juli 2000 VII B 41/00, BFH/NV 2000, 1512; vom 13. Juli 2000 VII B 57/00, BFH/NV 2000, 1514), so dass auch im Streitfall mit Recht vom FG angenommen worden ist, dass der Kläger den Besitz an den Zigaretten innehatte.
b) Die Revision stellt dies nicht in Abrede. Sie wendet sich gegen die Annahme des FG, dass der Kläger im Zeitpunkt der Besitzerlangung bösgläubig gewesen ist. Das FG ist jedoch im Ergebnis zu Recht zu dieser Beurteilung gelangt.
aa) Das FG hat sich bei dieser Annahme zunächst auf die Angaben des Klägers aus seiner ersten Vernehmung durch Beamte des ZFA gestützt, wonach dem Kläger bekannt war, dass J mit unversteuerten Zigaretten handelte, und wonach er (der Kläger) bereits beim Entsorgen der leeren Flechtzaunkisten sich gefragt hatte, was in den Kisten gewesen sei, und sich auch gedacht hatte, dass es Zigaretten hätten gewesen sein können und dass etwas nicht in Ordnung sei. Ob die Revision diese Feststellungen mit der Verfahrensrüge der mangelnden Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) angreifen will, indem sie angebliche Verständigungsschwierigkeiten des Klägers anführt, ist nicht deutlich, kann aber offen bleiben, da ein solcher Verfahrensmangel jedenfalls nicht vorliegt. Weder aus dem angefochtenen Urteil noch aus den Sitzungsprotokollen ist ersichtlich, dass der Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt geltend gemacht hat, dass er die in der Vernehmungsniederschrift niedergelegten Angaben in Wahrheit nicht gemacht hat. Dies wird selbst mit der Revisionsbegründung nicht behauptet, die sich insoweit allein auf das Vorbringen beschränkt, dass es nicht auszuschließen sei, dass der Kläger seinerzeit vorgegeben habe, schuldiger zu sein, als er tatsächlich gewesen sei. Unter diesen Umständen musste es sich dem FG nicht aufdrängen, die Frage von Amts wegen zu klären, ob frühere Aussagen des Klägers wegen Verständigungsschwierigkeiten evtl. unrichtig wiedergegeben worden sind.
Wenn das FG aus diesen damaligen Angaben des Klägers den Schluss gezogen hat, dass es der Kläger bei seiner Transportfahrt für möglich hielt, geschmuggelte Zigaretten zu befördern, er dies aber billigend in Kauf nahm, so kann diese Würdigung im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob diese Schlussfolgerung des FG gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 30). Dies ist jedoch nicht der Fall; die Revision macht auch nichts Entsprechendes geltend.
bb) Dass sich das FG bei dieser Würdigung außerdem auf den gegen den Kläger ergangenen Strafbefehl gestützt hat, demzufolge der Kläger bei den Fahrten damit rechnete, dass sich in den Flechtzaunkisten unversteuerte Zigaretten befanden, ist ebenfalls verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Sind Vorgänge sowohl in strafrechtlicher als auch in abgabenrechtlicher Hinsicht zu ermitteln und zu würdigen, so ist das FG zwar an die tatsächlichen Feststellungen einer vorangegangenen strafgerichtlichen Entscheidung nicht gebunden. Es ist jedoch nicht gehindert, sich die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zu Eigen zu machen, wenn nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) diese Feststellungen zutreffend sind und wenn keine substantiierten Einwendungen gegen die Feststellungen des Strafgerichts erhoben werden (ständige Rechtsprechung, Senatsurteile vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311; vom 12. Januar 1988 VII R 74/84, BFH/NV 1988, 692; vom 26. April 1988 VII R 124/85, BFHE 153, 463). Zur Übernahme der vom FG für zutreffend erachteten Feststellungen und Beweiswürdigungen des Strafgerichts besteht besonders dann Anlass, wenn ―wie im Streitfall― die strafgerichtliche Entscheidung bereits rechtskräftig geworden ist (Senatsurteil vom 13. Juni 1973 VII R 58/71, BFHE 109, 306, BStBl II 1973, 666). Dabei steht ein in Rechtskraft erwachsener Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich (Senatsbeschluss vom 1. Februar 2001 VII B 234/00, BFH/NV 2001, 931, m.w.N.).
cc) Die Revision wendet sich auch nicht gegen die Übernahme der strafgerichtlichen Entscheidung durch das FG. Sie rügt, dass das FG es trotz eines schriftsätzlich gestellten Beweisantrags unterlassen habe, J als Zeugen zur Frage der Bösgläubigkeit des Klägers zu hören. Damit wird jedoch ein Verfahrensmangel nicht schlüssig dargelegt. In der Revisionsbegründung sind nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben. Dazu gehört u.a. die Darlegung, dass die angeblich mangelhafte Sachaufklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt worden ist oder warum eine derartige Rüge nicht möglich war (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ―BFH―, vgl. z.B. Entscheidungen vom 18. April 1972 VIII R 40/66, BFHE 105, 325, BStBl II 1972, 572; vom 23. September 1987 V B 71/87, BFH/NV 1988, 250; vom 14. März 1989 VIII R 430/83, BFH/NV 1989, 712; vom 22. Juli 1992 II B 40/92, BFH/NV 1993, 422; Senatsbeschluss vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ―ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge― verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust zur Folge. Das Übergehen eines Beweisantrags kann nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen mündlichen Verhandlung anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte, dem die Nichtbefolgung seines Beweisantrags erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597). Die Revisionsbegründung enthält keine Ausführungen hierzu. Vielmehr lässt sich den Sitzungsprotokollen entnehmen, dass der fachkundige Vertreter des Klägers keinen Beweisantrag gestellt, sondern rügelos zur Sache verhandelt und den Klageantrag gestellt hat. Auf die Rüge ist damit wirksam verzichtet worden.
Die Revision hat auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunktes die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch Vernehmung des J als Zeugen auch unabhängig von einem entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen. Für eine solche Annahme ist auch nichts ersichtlich. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des FG hat J gegenüber dem ZFA angegeben, dass er den Kläger nicht darüber aufgeklärt habe, dass dieser Zigaretten transportieren solle. Diese Aussage des J steht der auf den Angaben des Klägers beruhenden Feststellung des FG, dass der Kläger es damals für möglich hielt, dass sich in den Flechtzaunkisten Zigaretten befanden, nicht entgegen. Es bestand daher für das FG kein Anlass, J als Zeugen zu hören. Über das, was der Kläger aufgrund eigener Überlegungen für möglich hielt, hätte J keine Angaben machen können.
Die Revision rügt daher auch ohne Erfolg, dass das FG die Strafakte des J nicht beigezogen hat. Es wird nicht dargelegt, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich aus den Strafakten ergeben hätten und inwiefern die Beiziehung dieser Strafakten auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
dd) Offen bleiben kann, ob dem FG in der Beurteilung insoweit gefolgt werden kann, als es auf der Grundlage seiner Feststellung, dass der Kläger es für möglich hielt, geschmuggelte Zigaretten zu befördern, und er dies billigend in Kauf nahm, angenommen hat, dass der Kläger im Zeitpunkt der Übernahme der zu transportierenden Ware wusste, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war. Das FG hat damit das subjektive Tatbestandsmerkmal des bedingten Vorsatzes aus dem Strafrecht, von dessen Vorliegen der gegen den Kläger verhängte Strafbefehl ausgeht, mit dem Tatbestandsmerkmal des "Wissens" aus Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK ―also mit positiver Kenntnis― gleichgesetzt. Eine solche Gleichsetzung ist ―unabhängig davon, ob sie rechtlich zulässig ist― jedenfalls im Streitfall nicht erforderlich, da zur Begründung der Schuldnerschaft des Klägers die Feststellung ausreicht, dass er vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die in seinem Besitz befindliche Fracht vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war. Dies steht aber auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des FG außer Zweifel. Da es dem Kläger bekannt war, dass J mit unversteuerten Zigaretten handelte, ihm bei der Transportfahrt klar wurde, dass etwas nicht in Ordnung war, und er es daher für möglich hielt, unversteuerte Zigaretten zu befördern, hätte er vernünftigerweise wissen müssen, dass die von ihm beförderte Fracht vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2001 VII S 13/01, BFH/NV 2002, 692).
3. Das FG hat auch zu Recht geurteilt, dass die Inanspruchnahme des Klägers durch die angefochtenen Bescheide ohne Ermessensfehler des HZA erfolgt ist.
Das HZA hatte ―wovon das FG zutreffend ausgegangen ist― bei der Frage der Inanspruchnahme des Klägers durch Festsetzung der Einfuhrabgaben eine Ermessensentscheidung zu treffen. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit ―und auch das FG ist davon ausgegangen―, dass es für die hier streitige Einfuhrabgabenschuld neben dem Kläger andere Schuldner gibt, die nach Art. 213 ZK mit dem Kläger gesamtschuldnerisch zur Erfüllung dieser Abgabenschuld verpflichtet sind. Der Senat hat für Fälle dieser Art bereits entschieden (Senatsurteil vom 23. November 1993 VII R 32/93, BFHE 173, 274; Senatsbeschluss vom 12. Juli 1999 VII B 2/99, BFH/NV 2000, 99, jeweils m.w.N.), dass im Abgabenrecht als Teil des öffentlichen Rechts die Entscheidung, welcher von mehreren grundsätzlich gleichrangigen Schuldnern in Anspruch genommen werden soll, nicht im freien Belieben, sondern im pflichtgemäßen Auswahlermessen der Behörde steht, für das die allgemeinen Grundsätze des § 5 der Abgabenordnung gelten. Der einzelne Abgabenschuldner kann deshalb nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung in Anspruch genommen werden. Die Ermessensentscheidung ist nach § 102 FGO vom Gericht daraufhin zu überprüfen, ob der Verwaltungsakt deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet werden, anderenfalls sie im Regelfall fehlerhaft ist.
Wie intensiv das Auswahlermessen von der Behörde zu begründen ist, ist allerdings eine Frage des Einzelfalls und davon abhängig, welche für die Behörde ersichtlichen besonderen Umstände auf Seiten des jeweiligen Gesamtschuldners bestehen, die für oder gegen seine Inanspruchnahme sprechen und die deshalb in die Ermessenserwägung und dementsprechend in die schriftliche Begründung des betreffenden Verwaltungsakts einfließen müssen (vgl. Senatsentscheidungen in BFHE 173, 274, und in BFH/NV 2000, 99). So ist für die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid und die dabei zu treffende behördliche Ermessensentscheidung vom BFH entschieden, dass im Fall vorsätzlicher Steuerstraftaten diese Ermessensentscheidung in der Weise vorgeprägt ist, dass es einer besonderen Begründung der Ermessensbetätigung nicht bedarf (BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508; Senatsurteile vom 12. April 1983 VII R 3/80, BFHE 138, 157; in BFH/NV 1988, 692; vom 26. Juni 1990 VII R 5/88, BFHE 161, 225; vom 26. Februar 1991 VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504). Hat jemand als Täter oder Teilnehmer eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen, so ist es im Regelfall billig und gerecht, wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in Anspruch nimmt, sie würde vielmehr ermessensfehlerhaft handeln, wenn sie den Betreffenden von der Inanspruchnahme freistellte; einer besonderen Begründung für die Ermessensausübung bedarf es in diesen Fällen nicht (Senatsentscheidungen vom 5. Juni 1985 VII R 57/82, BFHE 144, 290, BStBl II 1985, 688; vom 27. Mai 1986 VII S 5/86, BFH/NV 1987, 10; in BFH/NV 1988, 692).
Wie das FG zutreffend erkannt hat, beanspruchen diese für die genannten Entscheidungen maßgeblichen Erwägungen Gültigkeit nicht nur bei der Inanspruchnahme eines Haftenden für den eingetretenen Steuerschaden, sondern auch bei der Auswahl zwischen mehreren gesamtschuldnerisch verpflichteten Abgabenschuldnern. Auch in diesen Fällen würde es sich regelmäßig als ermessensfehlerhaft darstellen, wenn die Behörde einen Gesamtschuldner, der sich eine vorsätzliche Steuerstraftat hat zu Schulden kommen lassen und damit einen Steuertatbestand verwirklicht hat, von seiner abgabenrechtlichen Verpflichtung freistellte, so dass die Ermessensentscheidung im Sinne einer abgabenrechtlichen Inanspruchnahme des Steuerstraftäters in der Regel vorgeprägt ist, ohne dass es einer besonderen Begründung für diese Ermessensausübung bedarf.
Für den Streitfall folgt daraus, dass die Entscheidung des HZA, den Kläger als Abgabenschuldner in Anspruch zu nehmen, vom FG zu Recht nicht beanstandet worden ist, weil der Kläger, wie sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts E ergibt, Beihilfe zur Steuerhehlerei, also eine vorsätzliche Steuerstraftat, begangen hat. Wie bereits dargelegt, durfte sich das FG die strafgerichtlichen Feststellungen aus dem Strafbefehl zu Eigen machen, da der Kläger ―wie das FG zutreffend ausgeführt hat― diese Feststellungen nicht substantiiert bestritten hat. Das Auswahlermessen des HZA war somit im Sinne einer Inanspruchnahme des Klägers wegen der Einfuhrabgaben vorgeprägt; einer besonderen Begründung für diese Ermessensausübung bedurfte es nicht. Aus dem Umstand, dass das HZA im Steuerbescheid auf das Vorhandensein weiterer Abgabenschuldner ―hinsichtlich der zweiten Transportfahrt auf K― hinwies, wird auch ausreichend deutlich, dass das HZA erkannt hatte, dass neben dem Kläger weitere Abgabenschuldner zur Auswahl standen.
Wenn der Senat in seinem Urteil in BFHE 173, 274 und in dem Beschluss in BFH/NV 2000, 99, auf den die Revision sich beruft, das Fehlen einer Begründung des behördlichen Auswahlermessens beanstandet und den bloßen Hinweis im Steuerbescheid auf andere Gesamtschuldner als nicht ausreichend angesehen hat, gründete sich diese Beurteilung jeweils auf den besonderen Umstand, dass der in Anspruch genommene Abgabenschuldner in jenen Fällen gutgläubig war und andere, bösgläubige bzw. möglicherweise bösgläubige Abgabenschuldner zur Auswahl standen, weshalb der Senat Ausführungen zum behördlichen Auswahlermessen in jenen Fällen als nicht entbehrlich angesehen hat. So liegt der Streitfall aber nicht.
Auch der Umstand, dass J in keinem der angefochtenen Verwaltungsakte als weiterer Gesamtschuldner erwähnt wird, macht die Ermessensentscheidung des HZA nicht fehlerhaft. Da sich die Inanspruchnahme des Klägers in Anbetracht der von ihm begangenen vorsätzlichen Steuerstraftat als grundsätzlich sachgerecht erweist, könnte die Nichtberücksichtigung eines weiteren Gesamtschuldners diese Ermessensausübung nur dann als fehlerhaft erscheinen lassen, wenn die Einbeziehung dieses Gesamtschuldners in die vom HZA vorzunehmende Abwägung wahrscheinlich dazu geführt hätte, dass das HZA gehalten gewesen wäre, diesen Gesamtschuldner vorrangig in Anspruch zu nehmen und von der grundsätzlich gebotenen Inanspruchnahme des Klägers ausnahmsweise abzusehen. Dies kann jedoch nicht angenommen werden. Da ―wie bereits ausgeführt― die Freistellung von der Abgabenverpflichtung bei einem Gesamtschuldner, der einen Steuertatbestand durch eine vorsätzliche Steuerstraftat verwirklicht hat, regelmäßig ermessensfehlerhaft ist, kann im Fall von mehreren Gesamtschuldnern, von denen jeder Steuerstraftäter ist, zwischen diesen grundsätzlich nicht in einer Weise differenziert werden, dass nur einer von ihnen abgabenrechtlich in Anspruch genommen wird, ein anderer hingegen nicht. Die Revision macht daher ohne Erfolg geltend, dass der Kläger nur das kleinste Rädchen im Getriebe, der führende Kopf aber J gewesen sei, und dass das HZA den jeweiligen Tatbeitrag hätte werten und würdigen müssen.
Hat somit das HZA erkannt, dass es ein Auswahlermessen auszuüben hatte, und ist die Festsetzung der Einfuhrabgaben gegen den Kläger nicht als ermesssensfehlerhaft zu beanstanden, weil der Kläger eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen hat, könnte sich allenfalls die Frage stellen, ob der Kläger unter diesen Umständen beanspruchen kann, dass das HZA im Steuerbescheid auch angeben muss, dass es alle anderen Tatbeteiligten, die sich ebenfalls eine vorsätzliche Steuerstraftat haben zu Schulden kommen lassen und die somit neben ihm als gleichrangige Gesamtschuldner anzusehen sind, in gleicher Weise wie ihn selbst für die entstandenen Einfuhrabgaben in Anspruch nimmt, ob also die Nichterwähnung eines weiteren an der Tat beteiligten Straftäters im Steuerbescheid den Kläger in eigenen Rechten verletzen kann. Der Senat kann diese Frage aber offen lassen. Im Streitfall konnte nämlich aus dem fehlenden Hinweis im Steuerbescheid auf J als Gesamtschuldner nicht geschlossen werden, dass beabsichtigt war, nur den Kläger und K, nicht aber J als Abgabenschuldner heranzuziehen. In den Gründen der Einspruchsentscheidung des HZA werden der "anderweitig verfolgte J" und seine Tatbeiträge mehrfach erwähnt, so dass kein Grund zu der Annahme bestand, dass J von seiner Abgabenpflicht freigestellt werden sollte, sondern vielmehr die Annahme nahe lag, dass das HZA den ausdrücklichen Hinweis auf J als weiteren Gesamtschuldner lediglich vergessen hatte. Durch die tatsächlichen Feststellungen des FG, wonach eine Inanspruchnahme des J als Abgabenschuldner auch beabsichtigt ist, wird dies bestätigt.
Fundstellen
Haufe-Index 1114519 |
BFH/NV 2004, 597 |
BFHE 2004, 380 |
BFHE 204, 380 |
BB 2004, 594 |
DStRE 2004, 417 |
HFR 2004, 564 |