Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Wechsel des beklagten FA infolge der Sitzverlegung der klagenden GmbH
Leitsatz (NV)
1. Wird während eines finanzgerichtlichen Verfahrens statt des beklagten FA aufgrund einer Sitzverlegung der Klägerin ein anderes FA für den Steuerfall örtlich zuständig, so führt dies nicht zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel. Das ursprünglich beklagte FA bleibt vielmehr Verfahrensbeteiligter.
2. Die Prozessführungsbefugnis der beklagten Behörde ist eine Sachurteilsvoraussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens, deren fehlerhafte Beurteilung durch das FG einen von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel darstellt.
Normenkette
FGO § 57 Nr. 2, § 63 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1; AO § 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. November 2014 1 K 2416/12 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
Rz. 1
I. Gesellschafter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, war bis zu seinem Tod am 29. Mai 2000 M. Zwischen der Klägerin als Betriebsunternehmen und dem Einzelunternehmen des M als Besitzunternehmen, das die Anteile an der Klägerin als Betriebsvermögen bilanzierte, bestand eine Betriebsaufspaltung und eine umsatzsteuerliche Organschaft. Das Besitzunternehmen einschließlich der Anteile der Klägerin gingen durch Gesamtrechtsnachfolge auf die Witwe des M, HM, über. Am 1. Januar 2005 wurden die Anteile an der Klägerin in das Vermögen der neu gegründeten M KG überführt.
Rz. 2
Vom 23. Mai 1989 bis zum 24. Juli 2002 wurde für die Klägerin und das Besitzunternehmen eine gemeinsame „Kasse II” neben den sich aus der Buchführung ergebenden Kassen geführt. Vom 25. Juli 2002 bis zu ihrer Auflösung im Jahr 2005 erfolgte für die „Kasse II” keine Beleg- und Kassenführung. Die aus nicht in der Buchführung erfassten Leistungen sowie nicht oder nur teilweise verbuchten Veräußerungen von Anlagevermögen des jeweiligen Besitzunternehmens stammenden Mittel wurden teils zu betrieblichen, teils zu privaten Zwecken verwendet. Vom 29. September 1993 bis zu ihrer Auflösung am 24. November und 29. Dezember 2003 wurden zudem auf den Namen eines Angestellten der Klägerin zwei Postsparbücher geführt, auf die im Zeitraum 1993 bis 1998 nicht versteuerte Betriebseinnahmen eingezahlt wurden.
Rz. 3
Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung änderte das Finanzamt (FA) K mit Bescheiden vom 10. und 11. Dezember 2008 die Körperschaftsteuerfestsetzungen der Klägerin für die Jahre 1996 bis 1998, die Einkommensteuerbescheide der Ehegatten M und HM für die Jahre 1995 bis 2005 sowie die Feststellungsbescheide der M KG für die Jahre 2005 bis 2008 dahingehend, dass die Gewinne um die nicht in der Buchhaltung enthaltenen Einnahmen erhöht wurden.
Rz. 4
Unter dem 5. Dezember 2008 beantragte die Klägerin, die Körperschaftsteuerfestsetzungen und Feststellungen nach § 47 sowie § 27 und §§ 36 bis 38 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1999) für die Jahre 1999 bis 2005 (Streitjahre) gemäß § 32a Abs. 2 KStG 1999 zu ändern. Das FA K lehnte die beantragte Änderung mit Bescheid vom 23. August 2010 ab.
Rz. 5
Nach Anhängigkeit der nach erfolglosem Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid erhobenen Klage verlegte die Klägerin ihren Sitz aus dem Zuständigkeitsbereich des FA K nach … im Zuständigkeitsbereich des FA S. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. November 2014 1 K 2416/12, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 331). Da das FG davon ausging, dass das FA S anstelle des bisherigen Beklagten in den anhängigen Rechtsstreit eingetreten sei, hat es nicht mehr das FA K, sondern das FA S als Beklagten angesehen und als solchen im Rubrum bezeichnet.
Rz. 6
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 13. September 2012 aufzuheben und die Körperschaftsteuerfestsetzungen und Feststellungen nach § 47 sowie § 27 und §§ 36 bis 38 KStG 1999 für die Jahre 1999 bis 2005 gemäß § 32a Abs. 2 KStG 1999 zu ändern.
Rz. 7
Das FA S als Beklagter und Revisionsbeklagter beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
II. Die Revision erweist sich aus verfahrensrechtlichen Gründen als begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das Urteil des FG verletzt § 63 FGO.
Rz. 9
1. Die Prozessführungsbefugnis der beklagten Behörde ist eine Sachurteilsvoraussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens, deren fehlerhafte Beurteilung durch das FG einen Verfahrensmangel darstellt (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 10. März 2000 II B 103/99, BFH/NV 2000, 1116; BFH-Urteil vom 3. April 2008 IV R 54/04, BFHE 220, 495, BStBl II 2008, 742). Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen hat der BFH als Revisionsgericht von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (z.B. Senatsurteil vom 20. August 2014 I R 43/12, BFH/NV 2015, 306).
Rz. 10
2. § 63 FGO bestimmt, welche Behörde am finanzgerichtlichen Verfahren als Beklagter (§ 57 Nr. 2 FGO) zu beteiligen ist. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO ist die Verpflichtungsklage regelmäßig gegen diejenige Behörde zu richten, die den beantragten Verwaltungsakt unterlassen oder abgelehnt hat. Das gilt nur dann nicht, wenn vor dem Ergehen der Einspruchsentscheidung eine andere Behörde örtlich zuständig geworden ist (§ 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder an Stelle der zuständigen Behörde berechtigterweise eine andere Behörde den beantragten Verwaltungsakt abgelehnt hat (§ 63 Abs. 3 FGO). Ein solcher Sachverhalt liegt aber im Streitfall nicht vor.
Rz. 11
a) Wird nach Erhebung der Klage eine andere Finanzbehörde für den Steuerfall zuständig, bleibt die prozessuale Stellung der beklagten Behörde hiervon grundsätzlich unberührt (Senatsurteil vom 16. Oktober 2002 I R 17/01, BFHE 200, 521, BStBl II 2003, 631, m.w.N.). Ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel findet jedoch statt, wenn der Zuständigkeitswechsel auf einem behördlichen Organisationsakt beruht (Senatsurteil vom 25. Januar 2005 I R 87/04, BFHE 209, 9, BStBl II 2005, 575); in diesem Fall tritt das nunmehr zuständige FA als neuer Beklagter in den anhängigen Rechtsstreit ein. Letzteres gilt jedoch nicht, wenn der Zuständigkeitswechsel durch eine Veränderung der steuerlich bedeutsamen Verhältnisse des Klägers bedingt ist (Senatsurteil in BFHE 200, 521, BStBl II 2003, 631; BFH-Urteil vom 25. November 1986 VIII R 200/82, BFH/NV 1987, 281). So liegen die Dinge im Streitfall, in dem die behördliche Zuständigkeit gemäß § 20 Abs. 1, Abs. 2 der Abgabenordnung deshalb gewechselt hat, weil die Klägerin ihren Sitz im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens verlegt hat. Die Beteiligtenstellung des FA K, das die durch die Klägerin beantragte Änderung abgelehnt hat, blieb unberührt.
Rz. 12
Diese Rechtslage hat das FG nicht hinreichend berücksichtigt. Es durfte über die Klage gegenüber dem nicht passiv prozessführungsbefugten FA S nicht zur Sache entscheiden.
Rz. 13
b) Der Senat weicht damit nicht von dem Urteil des IV. Senats des BFH in BFHE 220, 495, BStBl II 2008, 742 ab. Zwar kann nach dieser Entscheidung die mangelnde Prozessführungsbefugnis durch die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung des richtigen Beklagten zur Prozessführung jederzeit –also auch noch während des Revisionsverfahrens– geheilt werden (vgl. auch Senatsbeschluss vom 30. Juli 1997 I R 14/97, BFH/NV 1998, 420; s. für die Heilung eines Vertretungsmangels ohne Parteiwechsel Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 1999 II ZR 27/98, Neue Juristische Wochenschrift 1999, 3263). Doch betraf dies eine Situation, in der das bei Anhängigkeit passiv prozessführungsbefugte Finanzamt, welches aufgrund einer Veränderung in der Verwaltungsorganisation unzuständig wurde, vom FG zum Zeitpunkt seiner Entscheidung weiterhin als Beteiligter angesehen wurde. So verhält es sich im Streitfall, in dem das FG einen gesetzlichen Beteiligtenwechsel angenommen und den Beklagten „ausgetauscht” hat, nicht.
Rz. 14
3. Die angefochtene Entscheidung war deshalb ohne Sachprüfung aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung (mit dem ursprünglichen Beklagten, dem FA K) und Entscheidung zurückzuverweisen.
Rz. 15
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 9213762 |
BFH/NV 2016, 939 |