Leitsatz (amtlich)
Der Erwerb einer Eigentumswohnung ist nach Niedersächsischem Grunderwerbsteuerrecht auch dann ein steuerfreier Ersterwerb, wenn ihm ein Erwerbsvorgang voraufgegangen ist, der infolge Rücktritts vom Vertrage oder einvernehmlicher Vertragsaufhebung weder zur Übergabe der Wohnung noch zum Eigentumsübergang geführt hat.
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) kaufte von der Firma X. GmbH in H. (Wohnungsbaugesellschaft) durch notariellen Vertrag vom 20. März 1962 (Vertrag II) eine Wohnung in einem durch die Veräußerin in Ha. aufgrund eines Erbbaurechts errichteten Wohnhaus. Von einem bereits vorher über diese Wohnung mit den Eheleuten W. abgeschlossenen Kaufvertrag (Vertrag I) war die Wohnungsbaugesellschaft vor Übergabe der Wohnung und vor Eigentumsübergang wegen Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtungen seitens der Eheleute W. zurückgetreten. Das beklagte FA sah den Erwerb der Wohnung durch den Kläger nicht als Ersterwerb im Sinne des § 1 Nr. 3 des Niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer i. d. F. vom 6. Oktober 1958 (GVBl 1958, 179, BStBl II 1958, 158) - GrESWG 1958 - an und setzte Grunderwerbsteuer fest. Zunächst hatte es allerdings ohne Bescheiderteilung die Freistellung wegen Ersterwerbs verfügt.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das FG war der Meinung, daß es sich bei dem Erwerb des Klägers um einen steuerpflichtigen Zweiterwerb handele. Die Steuerfreiheit für den ersten Erwerb sei bereits durch den vorher über dieselbe Wohnung abgeschlossenen Kaufvertrag verbraucht. Daran ändere auch der Rücktritt der Wohnungsbaugesellschaft von diesem Vertrage nichts.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Der Erwerb der Wohnung durch den Kläger ist steuerfrei nach § 1 Nr. 3 GrESWG 1958.
Nach dieser Vorschrift ist von der Besteuerung nach dem GrEStG der erste Erwerb eines Grundstückes ausgenommen, auf dem ein Gebäude der in Nummer 1 des § 1 bezeichneten Art errichtet worden ist, wenn zur Zeit des Erwerbs Wohnungen in dem Gebäude noch nicht oder höchstens seit drei Jahren bezogen sind. Vorschriften darüber, wie zu verfahren ist, wenn ein erster Erwerb rückgängig gemacht wird (z. B. durch Rücktritt oder einvernehmliche Aufhebung des Kaufvertrages), fehlen. Das FG hat hieraus gefolgert, daß es unter diesen Umständen keine Möglichkeit habe, den infolge Rücktritts nicht erfüllten Kaufvertrag nicht mitzuzählen und den Erwerb des Klägers als Ersterwerb anzusehen. Denn bereits der zwischen der Wohnungsbaugesellschaft und den Eheleuten W. abgeschlossene Kaufvertrag habe der Grunderwerbsteuer unterlegen, sei aber nach § 1 Nr. 3 GrESWG 1958 von der Grunderwerbsteuer freigestellt gewesen. Damit sei die Steuerfreiheit für den Ersterwerb verbraucht.
Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen. Sie berücksichtigt nicht ausreichend die Gründe, die den Gesetzgeber seinerzeit bewogen haben, abweichend von dem bisherigen Grunderwerbsteuerrecht das Verpflichtungsgeschäft zum wichtigsten Gegenstand der Besteuerung zu machen, sie läßt sich auch mit dem Sinn und Zweck der Befreiungsvorschriften für den sozialen Wohnungsbau nicht vereinbaren.
Die Gründe, das Verpflichtungsgeschäft in den Mittelpunkt der grunderwerbsteuerbaren Tatbestände zu stellen, sind in der Regierungsbegründung zum GrEStG 1940 (RStBl 1940, 387 [388]) im einzelnen dargelegt:
"Die Entscheidung, daß die Grunderwerbsteuer eine Rechtsverkehrsteuer bleibt, bedeutet aber nicht, daß die Besteuerung mit denselben Rechtsvorgängen verbunden bleibt, mit denen sie im bisherigen Gesetz verbunden war. Im bisherigen Gesetz unterlag grundsätzlich der Übergang des Eigentums der Besteuerung. Der Grundstückskaufvertrag oder das sonstige zur Grundstücksübertragung verpflichtende Geschäft war Gegenstand der Steuer nur in den Fällen, in denen der Eigentumsübergang dem Abschluß des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts nicht innerhalb eines Jahres nachfolgte. Nach dem neuen Gesetz unterliegt dagegen in erster Linie der Abschluß des Kaufvertrages oder des sonstigen Verpflichtungsgeschäfts der Steuer.
Der Kaufvertrag ist für die an einem Grundstücksgeschäft Beteiligten der wichtigste Vorgang. Im Vertrag sind der Preis, die Zahlungsbedingungen, der Zeitpunkt der Besitzübertragung und die sonstigen Vereinbarungen enthalten. Das Geschäft ist damit seinem Inhalt nach bindend festgelegt. Die Eintragung im Grundbuch, die nach erfolgter Auflassung den Eigentumsübergang herbeiführt, vollzieht sich ohne Zutun der Beteiligten. Der Zeitpunkt hängt in vielen Fällen von Zufälligkeiten ab. Die Auflassung und der Eigentumsübergang sind daher nur in den Fällen als Steuergegenstand beibehalten worden, in denen es an einem schuldrechtlichen Geschäft, mit dem die Besteuerung verbunden werden könnte, fehlt.
Diese Regelung hat außerdem eine wesentliche Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens zur Folge. Sie beseitigt das doppelte Verfahren der Festsetzung der voraussichtlich entstehenden Grunderwerbsteuer und der endgültigen Steuerberechnung mit dem doppelten Rechtsmittelverfahren".
Die Entscheidung, das Verpflichtungsgeschäft in den Mittelpunkt der Besteuerung zu stellen, bedeutete aber keineswegs, daß das weitere Schicksal des Verpflichtungsgeschäftes für die Steuerpflicht bedeutungslos sein sollte. Der Gesetzgeber machte die Verpflichtungsgeschäfte zum Gegenstand der Steuer, weil er davon ausging, "daß durch diese Rechtsvorgänge in der Regel als das von den Beteiligten beabsichtigte wirtschaftliche Ergebnis ein Grundstücksumsatz verwirklicht wird" (RStBl 1940, 410). Da Verpflichtungsgeschäfte jedoch nicht in allen Fällen vollzogen werden, in gewissen Fällen auch vollzogene Verpflichtungsgeschäfte rückgängig gemacht werden, sah das GrEStG 1940 in seinem § 17 unter bestimmten Voraussetzungen die Nichterhebung oder die Erstattung der Steuer vor. Der tiefere Grund hierfür ist darin zu sehen, daß der Grundstücksumsatz, den das GrEStG letzten Endes erfassen will, in diesen Fällen nicht zustande gekommen oder wieder rückgängig gemacht worden ist.
Mit dieser Systematik des Gesetzes ist es nicht zu vereinbaren, bei rückgängig gemachten Ersterwerben mangels besonderer Vorschrift ohne weiteres den Verbrauch der Steuerfreiheit für Ersterwerbe anzunehmen. Ebenso wie die Steuerpflicht des Verpflichtungsgeschäftes auf die Besteuerung des regelmäßig nachfolgenden Eigentumsüberganges zielt, so zielen auch die Befreiungsvorschriften für den sozialen Wohnungsbau auf die Freistellung des Eigentumserwerbes durch den Ersterwerber, obgleich das Verpflichtungsgeschäft aus den oben genannten Gründen regelmäßig bereits den steuerbefreiten Erwerbsvorgang darstellt. Fällt das Verpflichtungsgeschäft wieder weg, so ist zu prüfen, ob es dem Sinn und Zweck der Befreiungsvorschrift entspricht, mit dem mißglückten Versuch eines Ersterwerbes den Verbrauch der Steuerbefreiung für Ersterwerbe eintreten zu lassen und einem neuerlichen Kaufvertrag zwischen dem Veräußerer und einem neuen Erwerber aus diesem Grunde die Steuervergünstigung zu versagen.
Der Senat ist der Auffassung, daß es mit dem Sinn und Zweck des § 1 Nr. 3 GrESWG 1958 nicht zu vereinbaren wäre, einem weiteren Erwerbsvorgang die Steuerbefreiung dann zu versagen, wenn im Zeitpunkt des Wegfalls des vorhergehenden Kaufvertrages weder das Grundstück übergeben noch der Eigentumsübergang vollzogen ist. Das Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer 1958 will nicht allein den Abschluß von Verträgen über einen Ersterwerb fördern, sondern das mit den begünstigten Verträgen angestrebte wirtschaftliche und rechtliche Ziel. Durch die Ersterwerbsvorschrift soll der Ersterwerber begünstigt werden, dem der Besitz und das Eigentum an dem erworbenen Haus oder der erworbenen Wohnung übertragen wird. Wird dieses Ziel verfehlt, etwa weil der Veräußerer vom Vertrag zurücktritt, so könnte das mit dem Gesetz verfolgte Ziel nicht erreicht werden, wenn der mit einem weiteren Erwerber geschlossene Vertrag, der zur Übergabe und zur Eigentumsübertragung führt, nicht steuerbefreit wäre.
Die Versagung der Steuerbefreiung für den neuerlichen Erwerb wäre nur dann annehmbar, wenn eine andere Auslegung des Gesetzes unmöglich wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Der Wortlaut zwingt nicht zu einer Auslegung des § 1 Nr. 3 GrESWG 1958, die jeden mißglückten Ersterwerb mitzählt. Zwar meint der vom Gesetzgeber verwendete Begriff "erster Erwerb" im Regelfall den endgültig zustande gekommenen Erwerbsvorgang - regelmäßig den Kaufvertrag - (vgl. Urteil vom 21. Dezember 1961 II 146/61 U, BFHE 74, 431, BStBl III 1962, 162). Angesichts des § 17 GrEStG 1940 ist aber die Schlußfolgerung nicht zwingend, daß einem mißglückten Ersterwerb ein neuerlicher erster Erwerb nicht folgen könne. Im Gegenteil zwingen der Rechtsgedanke des § 17 GrEStG 1940 und der Zweck der Befreiungsvorschrift dazu, eine Auslegung zu finden, die mißglückte Ersterwerbe unter bestimmten Voraussetzungen bei der Anwendung des § 1 Nr. 3 GrESWG 1958 nicht mitzählt.
Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung zu der Prüfung, ob jedem im Sinne des § 17 GrEStG rückgängig gemachten Ersterwerb ein neuer steuerbegünstigter Ersterwerb folgen kann, wie dies z. B. der Bayerische Gesetzgeber durch § 2 Nr. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung grunderwerbsteuerlicher Vorschriften vom 13. März 1972 (GVBl 1972, 71, BStBl I 1972, 176) ausdrücklich bestimmt hat. Im vorliegenden Fall hat die Wohnungsbaugesellschaft den Rücktritt vom Vertrag I erklärt, bevor die Wohnung übergeben und das Eigentum übergegangen ist. Das mit dem Vertrag I verfolgte Ziel der Übergabe und Übereignung einer Eigentumswohnung ist in einem so frühen Stadium durch Rücktritt der Wohnungsbaugesellschaft vom Vertrage fehlgeschlagen, daß der mit der Befreiungsvorschrift verfolgte Zweck nicht einmal annähernd erreicht worden ist. Mit dem Wegfall des Vertrages I ist deshalb der Weg für einen neuen steuerfreien Ersterwerb freigemacht worden. Dies gilt auch für den Fall, daß der Rücktritt in zeitlichem Zusammenhang mit dem Vertrag II erklärt worden sein sollte. Hinderlich wäre nach Meinung des Senats auch nicht, wenn die den Eheleuten W. bewilligte Auflassungsvormerkung bereits in das Grundbuch eingetragen gewesen sein sollte; denn hierdurch wäre lediglich der schuldrechtliche Anspruch auf Eigentumsübertragung gesichert worden.
Ohne Bedeutung für die rechtliche Beurteilung ist es nach Meinung des Senats, wie der Rücktritt zivilrechtlich zu beurteilen ist, ob etwa das rückwirkende Erlöschen des Vertragsverhältnisses oder aber die Umwandlung des Vertragsverhältnisses in ein Abwicklungsverhältnis anzunehmen ist (vgl. hierzu Palandt, Bürgerlisches Gesetzbuch, 31. Aufl., Einführung vor § 346 Anm. 1). Jedenfalls führt der Rücktritt zum Wegfall der Erfüllungspflichten. Dies genügt, den auf diese Weise fehlgeschlagenen Erwerb für die Entscheidung der Frage, ob der Vertrag II ein Ersterwerb im Sinne des § 1 Nr. 3 GrESWG 1958 ist, nicht mitzuzählen. Er ist nur solange zu zählen, als er Bestand hat. Gleiches gilt, wie der Senat in dem zwischen den Beteiligten dieses Rechtsstreites ergangenen, nicht zur Veröffentlichung bestimmten Urteil II R 72/68 vom heutigen Tage entschieden hat, auch für die einvernehmliche Aufhebung eines Kaufvertrages (vgl. hierzu Urteil vom 10. Oktober 1973 II R 33/68, BFHE 111, 544, BStBl II 1974, 362) vor Übergabe und Eigentumsübergang. Ob dies alles auch dann gilt, wenn bereits die Übergabe oder die Eigentumsübertragung oder beides erfolgt ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 23. Oktober 1963 II 211/61 U (BFHE 78, 253, BStBl III 1964, 101) über den dort entschiedenen Fall hinaus allgemeine Ausführungen über die Notwendigkeit besonderer gesetzlicher Vorschriften über die Berücksichtigung des Rücktritts in den Fällen des Ersterwerbs gemacht hat, hält er hieran insoweit nicht mehr fest, als diese Ausführungen im Widerspruch zu der jetzigen Entscheidung stehen.
Fundstellen
Haufe-Index 71018 |
BStBl II 1974, 687 |