Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung der Tarifnrn. 08.10 und 23.06 bei der Tarifierung von Orangenpreßrückständen.
Normenkette
GZT Tarifnr. 08.10; GZT Tarifnr. 23.06
Tatbestand
Streitig ist die tarifliche Zuordnung einer von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) als Orangen- bzw. Grapefruitpreßrückstände angemeldeten Ware, die die Klägerin im Jahre 1970 zum freien Verkehr abfertigen ließ. Es handelt sich um ein gefrorenes Erzeugnis, das im Rahmen der Fruchtsaftherstellung anfällt und aus Fruchtteilen besteht, die beim Auspressen in den Saft gelangt und wieder abgesiebt worden sind. Das Erzeugnis soll als Zusatz zu rückverdünnten Fruchtsäften verwendet werden.
Die Zollstelle wies die Ware zunächst der Anmeldung entsprechend der Tarifnr. 23.06 des Gemeinsamen Zolltarifs der EWG (GZT) – Waren pflanzlichen Ursprungs der als Futter verwendeten Art, anderweit weder genannt noch inbegriffen – zu. Nachdem die Untersuchung durch eine Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) ergeben hatte, daß es sich um eine „breiige Masse aus Fruchtfleisch von Orangen, von der sich Saft abscheidet”, bzw. um ein „pulpenartiges Erzeugnis aus Orangen” handele, das der Tarifst. 08.10 B – Früchte, gekocht oder nicht, gefroren, ohne Zusatz von Zucker – zuzuweisen sei, änderte die Zollstelle die Tarifierung dementsprechend und forderte die Abgabendifferenz nach. Mit der gegen die Abgabennacherhebung gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, das Erzeugnis könne nicht als Früchte i. S. der Tarifnr. 08.10 angesehen werden, da es wesentliche Teile der natürlichen Früchte nicht enthalte. So seien in dem Erzeugnis keine Bestandteile der äußeren Schale enthalten, und der Fruchtsaft, dem für den menschlichen Genuß die entscheidende Bedeutung zukomme, sei fast vollständig entzogen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es ging aus von dem Tarifentscheid des Ausschusses für das Schema des GZT vom 7. Mai 1971 – Dok. III/334/71 D – Rev. 2 – BZBl 1971, 723), der sich auf ein vergleichbares, als Orangenzellen bezeichnetes Erzeugnis bezieht, das beim Absieben fruchtfleischhaltigen Orangensaftes angefallen war und als Zusalz zu rückverdünnten Orangensäften oder Limonaden bestimmt war. In diesem Tarifentscheid hatte dieser Ausschuß die Auflassung vertreten, daß das Erzeugnis im wesentlichen aus Teilen der eigentlichen Frucht, d. h. aus Fruchtfleisch, Zellhaut und einer gewissen Menge von Schalen, vor allem von sogenanntem Albedo, bestehe und daher in gefrorenem Zustand zu der Tarifnr. 08.10 gehöre.
Mit der Revision begehrt die Klägerin die Zuweisung der zu tarifierenden Ware unter die Tarifnr. 23.06. Sie führt aus, entgegen der Auffassung des FG handele es sich um Rückstände und Abfälle der Lebensmittelindustrie. Innerhalb der Kap. 23 falle die Ware als Ware pflanzlichen Ursprungs der als Futter verwendeten Art unter die Tarifst. 23.06 A. Diese Tarifierung ergebe sich, wenn man den Herstellungsvorgang und die Zusammensetzung der Ware betrachte. Die Preßrückstände fielen bei der Herstellung von Fruchtsäften an, und zwar beim Auspressen bzw. Aussaugen der durchgeschnittenen Früchte. Sie beständen in der Hauptsache aus dem Zellgewebe des Fruchtfleisches, zu einem sehr geringen Teil daneben auch aus der weißen inneren Haut (Albedo). Es handele sich um die Rückstände, die beim Pressen zunächst in den Saft gerieten und ausgesiebt werden müßten. Der herauszusiebende Teil werde in den meisten Fällen mit Schneckenpressen nochmals gepreßt, um die letzten Reste des Saftes herauszugewinnen. Dabei werde zur Erhöhung des Entzugseffektes in manchen Betrieben der herausgesiebte Preßrückstand vor dem zweiten Pressen noch mit Wasser versetzt. Die danach zurückbleibenden ausgelaugten und ausgepreßten Rückstände seien weitgehend ohne Saft und auch Geschmack und würden zum großen Teil vernichtet, so daß das Merkmal „Abfall der Lebensmittelindustrie” erfüllt sei. Zum Teil werde der Rückstand aber auch als Futter verwendet, wie es in der Tarifst. 23.06 A vorgesehen sei. Nur zu einem ganz geringen Teil werde der Preßrückstand, wie bei ihr, der Klägerin, zur rein optischen Verbesserung von Säften verwendet. Dadurch könne aber die grundsätzliche Qualifikation des Preßrückstandes als Abfall der Lebensmittelindustrie bzw. als zubereitetes Futter nicht berührt werden. Das ergebe sich daraus, daß es bei der zolltariflichen Einordnung nur auf die normale Verwendung ankomme, nicht aber darauf, in welcher Weise in geringen Einzelfällen eine atypische Verwendung erfolge. Typischerweise seien die Preßrückstände aber, wie dargelegt, nicht zu verwertender Abfall, der vernichtet oder als Futter pflanzlichen Ursprungs verwendet werde. Deshalb komme eine Tarifierung nach der Tarifnr. 08.10 nicht in Betracht.
Auf den Vorlagebeschluß des Senats hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) die vorgelegten Fragen mit Urteil vom 15. Februar 1977 Rs. 69-70/76 wie folgt entschieden:
„Die Tarifnummer 23.06 des Gemeinsamen Zolltarifs ist dahin auszulegen, daß sie Erzeugnisse erlassen kann, die zwar aus Fruchtteilen bestehen, denen jedoch die den Charakter der Frucht bestimmenden Merkmale fast ganz fehlen, und daß ihr insbesondere Erzeugnisse aus Orangenteilen zugewiesen werden können, die beim Auspressen der Orangen zunächst in den Saft gelangen und später abgesiebt werden und die fast keine Anteile von Fruchtfleisch oder Fruchtsaft enthalten, sondern zum größten Teil aus Zellhäuten und Albedo bestehen.”
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Steuerbescheids des Zollamts (ZA) vom 22. November 1971.
Entgegen dem Tarifentscheid des Ausschusses für das Schema des GZT vom 7. Mai 1971 hat der EGH in den Gründen seines Urteils ausgeführt, daß eine Tarifierung nach dem Kap. 23 des GZT nicht deswegen ausgeschlossen werden könne, weil das betreffende Erzeugnis wegen seines Herstellungsverfahrens und wegen der Art der Haltbarmachung kein Rückstand i. S. dieses Kapitels sei. Gelange das Erzeugnis beim Auspressen oder Aussagen durchgeschnittener Früchte zunächst in den Saft und müsse dann ausgesiebt werden, so handle es sich um einen Rückstand der Fruchtsaftherstellung. Auch stehe einer Tarifierung nach Kap. 23 nicht entgegen, daß das Erzeugnis nicht zum Verfüttern an Tiere bestimmt sei, weil dieses Kapitel nach seiner Überschrift und der Fassung der verschiedenen Tarifpositionen nicht nur zubereitetes Futter betreffe. An diese Rechtsauffassung des EGH ist der Senat im Streitfall gebunden.
Nach den Feststellungen des FG enthielt die streitige Ware neben Wasser auch Fruchtsaft, Zellgewebe des Fruchtfleisches und Albedo. Die Orangen waren einzeln ausgepreßt, indem man sie auf ein Saugrohr steckte und mit greiferartigen Klauenpressen zusammenpreßte. Nach den Feststellungen des FG befanden sich in dem verbleibenden Erzeugnis nur noch geringe Teile des ursprünglichen Fruchtsafts, des Zellgewebes des Fruchtfleisches und der weißen inneren Haut der Schale. Damit scheidet eine Zuweisung der Ware zur Tarifnr. 08.10 aus, weil ihr die Grundbestandteile der Frucht fehlen und sie auch nach ihrem Erscheinungsbild nicht als Teil einer Frucht erkennbar und als Fruchtbestandteil Gegenstand der Nachfrage nach frischen oder zubereiteten Früchten sein kann.
Da das FG auch festgestellt hat, daß die streitige Ware wie die in dem genannten Tarifentscheid beschriebene Ware zusammengesetzt sei, treffen auch im Streitfall die vom EGH gegen die Tarifierung auf Grund des Tarifentscheids sprechenden, vorstehend wiedergegebenen Gründe zu. Danach fällt die streitige Ware als Rückstand und Abfall der Lebensmittelindustrie in das Kap. 23 und dort, da eine andere Tarifnummer nicht in Betracht kommt, unter die Tarifnr. 23.06 als Ware pflanzlichen Ursprungs der als Futter verwendeten Art, anderweit weder genannt noch inbegriffen, und zwar als Trester unter die Tarifst. A.
Fundstellen
Haufe-Index 514816 |
BFHE 1978, 235 |