Leitsatz (amtlich)
1. Verheiratete Arbeitnehmer, die mit Gleisbauarbeiten beschäftigt sind und in einem Gleisbauzug der Deutschen Bundesbahn wohnen, haben dort die Woche über eine zweite Wohnung. Es können insoweit die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung i.S. des § 9 Abs.1 Nr.5 EStG erfüllt sein.
2. Dienstreisen hätten diese Arbeitnehmer nur, wenn sie mehr als 15 Kilometer von ihrer Unterkunft entfernt zu Gleisbauarbeiten eingesetzt würden und diese Einsatzstellen nicht als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des Abschn.25 Abs.2 LStR 1975 zu werten wären.
Orientierungssatz
1. Aufwendungen, die durch eine Dienstreise verursacht sind, gehören zu den Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Hierzu zählen auch Verpflegungsmehraufwendungen. Eine Dienstreise in diesem Sinne ist gegeben, wenn ein Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen in einer Entfernung von mindestens 15 Kilometern (km) von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte vorübergehend tätig wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Dienstreise von der regelmäßigen Arbeitsstätte oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus angetreten wird. Begibt sich der Arbeitnehmer von seiner Wohnung aus auf Dienstreise, so muß die Mindestentfernung von 15 km auch von dort aus gegeben sein (Festhalten an ständiger BFH-Rechtsprechung).
2. Der Begriff "Wohnung" i.S. des Abschn. 25 Abs. 2 LStR 1975 kann nicht anders verstanden werden als derselbe Begriff etwa in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Bei den dort geregelten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hat der Senat als Wohnung jede irgendwie geartete Unterkunft angesehen (BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
EStG 1975 § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nrn. 4-5; LStR 1975 Abschn. 25 Abs. 2, Abschn. 27; EStG 1975 § 9 Abs. 1 Nrn. 4-5
Tatbestand
Der im Streitjahr 1976 verheiratete Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war als Gleisbauarbeiter bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigt. Sein Bruttoarbeitslohn betrug rd. 32 000 DM. Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1976 machte er als Verpflegungsmehraufwand die Pauschsätze des Abschn.25 Abs.6 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1975 für Mehrtagesdienstreisen in Höhe von 7 872 DM (246 Tage a 32 DM) geltend, wobei er diesen Betrag um die vom Arbeitgeber erhaltene Aufwandsentschädigung von 3 382 DM kürzte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah den Verpflegungsmehraufwand des Klägers mit der Aufwandsentschädigung der Deutschen Bundesbahn als abgegolten an. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte u.a. aus:
Mehraufwendungen für Verpflegung anläßlich von Dienstreisen könnten grundsätzlich mit den Pauschbeträgen des Abschn.25 LStR 1975 angesetzt werden. Ihre Anwendung dürfe allerdings nicht schematisch erfolgen und keine unzutreffende Besteuerung herbeiführen. Eine unzutreffende Besteuerung sei insbesondere anzunehmen, wenn nach der Lebenserfahrung Mehraufwendungen in Höhe der Pauschbeträge nicht entständen, so vor allem dann, wenn die Gegebenheiten einer Dienstreise zu der Annahme nötigten, daß Mehraufwendungen nicht oder jedenfalls nicht in ungefährer Höhe der Pauschbeträge entstanden seien.
Ein solcher Ausnahmefall sei hier nicht gegeben. Der Kläger sei als Gleisbauarbeiter ständig unterwegs gewesen. Er sei daher im Gegensatz zu anderen Arbeitnehmern, die sich im eigenen Haushalt und/oder einer etwa vorhandenen Kantine am Arbeitsplatz beköstigen könnten, ständig darauf angewiesen gewesen, --insbesondere warme-- Mahlzeiten auswärts an ständig wechselnden Orten einzunehmen. Ihm habe als Gleisbauarbeiter wie allen anderen auf Dienstreisen befindlichen Arbeitnehmern nur die Möglichkeit offengestanden, verhältnismäßig teuere Verpflegung in Gaststätten einzunehmen. Ob er sich daneben oder gar in erster Linie einer mitgebrachten Kaltverpflegung bedient oder sich mittels der im Wohnwagen zur Verfügung stehenden Kochgelegenheiten selbst warme Mahlzeiten zubereitet habe, könne dahinstehen, da derartige die persönliche Lebenshaltung des Steuerpflichtigen berührende Ermittlungen unzulässig seien.
Eine andere rechtliche Beurteilung sei auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger von seinem Arbeitgeber, der Deutschen Bundesbahn, eine Aufwandsentschädigung erhalten habe. Denn das von der Deutschen Bundesbahn für ihre Bediensteten geschaffene Reisekostenrecht und die Höhe der sich hiernach ergebenden Aufwandsentschädigung seien steuerrechtlich grundsätzlich nicht maßgeblich.
Das FA hat gegen diese Entscheidung Revision eingelegt. Es rügt die Verletzung des § 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1975 und bringt u.a. vor:
Die vollen Reisekosten-Pauschbeträge nach Abschn.25 Abs.6 LStR 1975 ständen dem Kläger nicht zu, weil ihre Anwendung wegen der Besonderheiten des Streitfalls zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führe. Denn anders als bei einer typischen Dienstreise, bei der der Steuerpflichtige auf Hotels und Gaststätten angewiesen sei, habe der Kläger in einem schienengebundenen Wohnwagen mit Kücheneinrichtung gelebt. Der Gleisbauzug sei Wohnstätte für die Dauer der Arbeiten gewesen. Der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, seine Mahlzeiten im Küchenwagen zuzubereiten. Die Gleisbauarbeiten seien häufig auf freier Strecke durchgeführt worden, so daß Gaststätten oder Restaurants schwierig oder gar nicht zu erreichen gewesen seien.
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, weil ungewiß ist, ob im Streitfall überhaupt Dienstreisen vorlagen.
Aufwendungen, die durch eine Dienstreise verursacht sind, gehören zu den dienstlich veranlaßten Werbungskosten i.S. des § 9 Abs.1 Satz 1 EStG. Hierzu zählen auch Verpflegungsmehraufwendungen (Abschn.25 Abs.1 Sätze 1 und 2, Abs.6 Nr.3 LStR 1975). Eine Dienstreise in diesem Sinne ist gegeben, wenn ein Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen in einer Entfernung von mindestens 15 Kilometer von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte vorübergehend tätig wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Dienstreise von der regelmäßigen Arbeitsstätte oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus angetreten wird; begibt sich der Arbeitnehmer von seiner Wohnung aus auf Dienstreise, so muß die Mindestentfernung von 15 Kilometern auch von dort aus gegeben sein.
Diesen von der Finanzverwaltung entwickelten Grundsätzen, die ihren Ursprung in der Regelung des steuerfreien Reisekostenersatzes in Abschn.II Nr.7 Abs.1 und 6 LStR 1937 (RStBl 1937, 281, 291, 292) hatten und die für den Bereich der Werbungskosten erstmals in Abschn.21 Abs.2 LStR 1950 übernommen worden waren, ist der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung gefolgt (vgl. z.B. Urteile vom 15.März 1963 VI 249/62 U, BFHE 76, 818, BStBl III 1963, 298, und vom 14.April 1967 VI R 168/66, BFHE 88, 422, BStBl III 1967, 430). Er hält an ihnen unverändert fest.
Das FG hat im Streitfall keine Feststellung dazu getroffen, inwieweit diese Voraussetzungen erfüllt waren. So ist es ungewiß, wo die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers im Streitjahr 1976 gewesen ist. Sollte sie nicht in einer zentralen Reparatur- oder Schlossereiwerkstatt der Deutschen Bundesbahn gelegen haben, zu der als seinem beruflichen Mittelpunkt der Kläger ständig hätte zurückkehren müssen, um dort mit der Tätigkeit an den Einsatzstellen zusammenhängende Arbeiten zu verrichten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11.Mai 1979 VI R 129/77, BFHE 127, 546, BStBl II 1979, 474 betreffend die Verhältnisse bei Berufskraftfahrern), so dürfte als regelmäßige Arbeitsstätte die jeweilige Einsatzstelle an den Gleisen der Deutschen Bundesbahn anzusehen sein. Allein der Umstand, daß diese Einsatzstellen sich innerhalb eines bestimmten Bereichs räumlich ständig verändert haben, steht der Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte nicht entgegen. Es wird insoweit auch verwiesen auf die Urteile des Senats vom 19.Februar 1982 VI R 61/79 (BFHE 138, 175, BStBl II 1983, 466) und vom 2.November 1984 VI R 38/83 (BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139), wo der Senat bei einem Waldarbeiter ein 11 qkm großes Revier und bei einem Tallymann den Hamburger Hafen als eine einheitliche Arbeitsstätte angesehen hat. Sollten die Einsatzstellen des Klägers bei den jeweiligen Gleisbauarbeiten als regelmäßige Arbeitsstätten anzusehen sein, würde entsprechend den vorstehenden Grundsätzen die Annahme von Dienstreisen dorthin entfallen.
Könnten die vorgenannten Einsatzstellen nicht als regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers gewürdigt werden, so wären entsprechend den Anweisungen in Abschn.25 Abs.2 Sätze 1 und 2 LStR 1975 Dienstreisen nur gegeben, wenn die Entfernung von der Wohnung zu diesen Einsatzstellen mehr als 15 Kilometer betragen hat. Auch hierzu fehlen nähere Feststellungen des FG. Nach dem Sachverhalt ist davon auszugehen, daß der Kläger im Streitjahr 1976 zwei Wohnungen besaß. Eine Wohnung, die Familienwohnung, befand sich in G, in der sich der Kläger anscheinend an den Wochenenden aufhielt. Eine zweite Wohnung i.S. des Abschn.25 LStR hatte der Kläger die Woche über im Gleisbauzug der Deutschen Bundesbahn (so auch Urteile des Niedersächsischen FG vom 18.April 1977 IX L 97/76, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1977, 532, und des FG Nürnberg vom 16.Juni 1977 III 64/77, EFG 1977, 590). Die Unterkunft dort mag primitiv gewesen sein. Darauf kommt es hier jedoch nicht an. Entscheidend ist, daß der Kläger im Gleisbauzug an den Arbeitstagen übernachtet und sich von dort aus zu den Einsatzstellen für die Gleisbauarbeiten begeben hat. Der Begriff "Wohnung" kann insoweit nicht anders verstanden werden, als derselbe Begriff etwa im § 9 Abs.1 Nr.4 EStG. Bei den dort geregelten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hat der Senat als Wohnung ebenfalls jede irgendwie geartete Unterkunft angesehen (vgl. Urteil vom 20.Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306 zu 2b) aa) der Entscheidungsgründe und die dort erwähnte Rechtsprechung).
Für die Frage, ob im Streitfall Dienstreisen gegeben waren, kommt es ausschließlich darauf an, wie weit die Entfernung zwischen den jeweiligen Standorten des Gleisbauzuges und den Einsatzstellen des Klägers zur Vornahme der Gleisbauarbeiten gewesen war. Im Hinblick darauf, daß ein solcher Bauzug in der Regel in der Nähe der Einsatzstellen auf Nebengleisen der Deutschen Bundesbahn abgestellt zu werden pflegt, dürfte die Entfernung von diesem Standort zu den jeweiligen Einsatzstellen wohl kaum 15 Kilometer betragen haben. Feststellungen hierzu hat das FG ebenfalls nicht getroffen. Auf die Frage, wie weit diese Einsatzstellen von der Familienwohnung des Klägers in G entfernt waren, kommt es nicht an, weil es sich bei Fahrten zwischen ihnen nicht um Dienstreisen, sondern ggf. um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG oder um Familienheimfahrten gehandelt haben kann.
Das FG und die Beteiligten sind offensichtlich bei den Fahrten des Klägers zwischen G und den jeweiligen Einsatzstellen deshalb von Dienstreisen ausgegangen, weil Abschn.25 Abs.2 Satz 11 LStR 1975 bestimmt, daß in Fällen, in denen der Arbeitnehmer nicht täglich von der Einsatzstelle zu seiner Wohnung zurückkehrt, der Betrieb als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Verwaltungsanweisung auf den Streitfall zutrifft. Sollte dies der Fall sein, könnte der Senat dieser Anweisung hier jedenfalls nicht folgen (so auch Niedersächsisches FG in EFG 1977, 352, und FG Nürnberg in EFG 1977, 590; s. auch Urteil des FG Münster vom 18.März 1975 VIII 304/74 L, EFG 1975, 303, und Schmidt, Finanz-Rundschau --FR-- 1979, 341).
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, damit es entsprechend den vorstehenden Grundsätzen prüft, ob beim Kläger Dienstreisen vorlagen.
Sollte dies zu verneinen sein, wird das FG insbesondere der Frage nachgehen müssen, ob im Streitfall nicht eine doppelte Haushaltsführung i.S. des § 9 Abs.1 Nr.5 EStG anzunehmen ist, da der Kläger außerhalb des Ortes, in dem er seinen Familienhausstand unterhält, nämlich außerhalb von G, beschäftigt war und in der Nähe seines Beschäftigungsorts, nämlich der Einsatzstellen, im Gleisbauzug der Deutschen Bundesbahn wohnte. Es wird insoweit auf das Urteil des Senats vom 16.Dezember 1981 VI R 227/80 (BFHE 135, 57, BStBl II 1982, 302) verwiesen, das einen ähnlichen Fall betraf. Dort hatte der Senat eine doppelte Haushaltsführung bei einem verheirateten Binnenschiffer angenommen, der auf dem Schiff eine Unterkunft mit Wohn-, Schlaf- und Kochmöglichkeit hatte, daneben aber eine Familienwohnung an Land unterhielt, zu der er so häufig hinfuhr, als ihm dies möglich war. Im Falle einer doppelten Haushaltsführung könnte der Kläger Verpflegungsmehraufwendungen nach Maßgabe des Abschn.27 Abs.1 Nr.3 LStR 1975 geltend machen. Das FG wird jedoch prüfen müssen, ob dieser Aufwand um die vom Kläger erhaltene Aufwandsentschädigung von 3 382 DM zu kürzen ist. Sollte dies der Fall sein, wären keine Verpflegungsmehraufwendungen nach Abschn.27 Abs.1 Nr.3 LStR 1975 zu berücksichtigen und es wäre die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 60913 |
BStBl II 1986, 369 |
BFHE 145, 513 |
BFHE 1986, 513 |
BB 1986, 715-716 (ST) |
DB 1986, 1001-1001 (ST) |
HFR 1986, 290-291 (ST) |