Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Haben Aktien, die ein Steuerpflichtiger mit Kredit gekauft hat, in einem Kalenderjahr nur teilweise Dividenden gebracht, so können Schuldzinsen, die auf dividendenlose Aktien entfallen, nicht mit Erträgen aus Aktien verrechnet werden, die Dividenden gebracht haben.
Normenkette
EStG § 9/1, § 10 Abs. 1 Ziff. 1, § 20 Abs. 1
Tatbestand
Der Bg. bezog im Streitjahr 1956 u. a. 26.136 DM Dividenden aus Aktien, die er zum Teil mit Bankkredit erworben hatte. Er machte u. a. die folgenden Effekten-Schuldzinsen als Sonderausgaben geltend:
1. Januar bis 31. März 1956 -------- 1.587 DM 1. April bis 30. Juni 1956 -------- 4.134 DM 1. Juli bis 30. September 1956 --- 3.943 DM 1. Oktober bis 31. Dezember 1956 ---- 5.763 DM ---------------------- insgesamt ------ 15.427 DMDas Finanzamt berücksichtigte die für die Zeit vom 1. Juli 1956 bis 31. Dezember 1956 geltend gemachten Schuldzinsen von (3.943 + 5.763 =) 9.706 DM weder als Werbungskosten noch als Sonderausgaben.
Die Sprungberufung hatte Erfolg; die Entscheidung des Finanzgerichts ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1961 S. 53 veröffentlicht. Das Finanzgericht führte im wesentlichen aus: Die Schuldzinsen von 15.427 DM entfielen auf Kredite, die der Bg. aufgenommen habe, um Aktien zu kaufen, darunter auch solche, die im Streitjahr 1956 keine Dividenden gebracht hätten. Das Finanzamt habe den Zinsabzug versagt, soweit die Zinsen schätzungsweise auf Kredite entfallen seien, mit denen der Bg. Aktien, die im Jahre 1956 dividendenlos geblieben seien, gekauft habe. Es sei nicht genau festzustellen, welche Zinsen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Kauf von Aktien stünden, die im Jahr 1956 keine Dividenden gebracht hätten. Das Finanzamt habe darum zur Schätzung gegriffen. Auf diese Frage komme es aber gar nicht an. Ein Käufer von Aktien erstrebe eine wertbeständige Anlage und Gewinne durch Kurssteigerungen; er wolle aber gleichzeitig auch laufende Einnahmen durch Dividenden erzielen; ferner erstrebe er bei größerem Aktienbesitz eine Verminderung des Risikos durch Streuung der Aktien. Welcher Zweck jeweils im Vordergrund stehe, lasse sich nicht einwandfrei feststellen. Wenn mit Kredit erworbene Aktien in ihrer Gesamtheit Erlöse brächten, sei es - entgegen der Ansicht des Finanzamts - nicht gerechtfertigt, die Gesamtheit aufzuspalten und nur die Schuldzinsen für Aktien, die Dividende gebracht hätten, als Sonderausgaben abzuziehen. Bei gestreutem Aktienbesitz bildeten alle Aktien nach dem Willen des Besitzers und der tatsächlichen Handhabung wirtschaftlich eine Einheit. Die Aufteilung des Finanzamts sei auch praktisch oft undurchführbar; denn dabei müßte nicht nur untersucht werden, welche Aktien mit Kredit erworben worden seien, welche Dividende gebracht hätten und wie hoch die Dividende sei, sondern auch, ob bei teilweiser Rückzahlung des Kredits einzelne Aktien inzwischen von der Zinsbelastung frei geworden seien. Weil ein Teil der Aktien möglicherweise bereits im Jahr der Anschaffung Dividenden bringe, müßte unter Umständen die Prüfung sogar bei jeder einzelnen Aktie nach diesen Gesichtspunkten vorgenommen werden. Nach allem müsse man den Aktienbesitz im ganzen betrachten, nicht die einzelnen Aktien. Im Streitfall könnten deshalb die Zinsen in voller Höhe als Sonderausgaben abgesetzt werden. Da die Dividenden höher gewesen seien als die Zinsen, erübrige sich eine Auseinandersetzung mit dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1503/28 vom 19. Dezember 1928 (RStBl 1929 S. 140), das die in einem Steuerabschnitt angefallenen Zinsen nur bis zu der Höhe abziehen lasse, in der in demselben Steuerabschnitt Dividenden zugeflossen seien.
Entscheidungsgründe
Die Rb., mit der der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG rügt, führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
In der Entscheidung VI 158/59 U vom 21. April 1961 (BStBl 1961 III S. 431) hat der Senat klargestellt, daß ein Steuerpflichtiger, der außerhalb eines Betriebsvermögens Aktien mit Kredit kauft und damit nicht Spekulationsgeschäfte im Sinne des § 23 EStG macht, innerhalb desselben Kalenderjahrs die gezahlten Zinsen nur bis zur Höhe der aus den mit Kredit gekauften Aktien erzielten Erträge verrechnen kann; darüber hinaus gezahlte Zinsen können weder als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG noch als Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG abgezogen werden. Das Finanzgericht konnte diese neue Entscheidung noch nicht berücksichtigen.
Im Streitjahr 1956 haben die mit Kredit gekauften Aktien nur zum Teil Erträge gebracht, anscheinend vor allem deshalb, weil der Bg. einen Teil der Aktien kurz nach der Dividendenausschüttung angekauft hatte, so daß ihm frühestens erstmals im Jahr 1957 aus diesen Aktien Dividenden zufließen konnten, sofern der Bg. sie bei der Verteilung der Dividenden noch besaß und sie nicht vorher schon nach Ablauf der Spekulationsfrist des § 23 EStG unter Mitnahme (steuerfreier) Kursgewinne verkauft hatte.
Das Finanzgericht betrachtet alle Aktien, die der Bg. mit Kredit angeschafft hat, als Einheit und stellt die daraus insgesamt geflossenen Erträge den Zinsen, die für den Gesamtkredit gezahlt wurden, gegenüber. Das Finanzamt will dagegen die auf Kredit angeschafften Aktien nicht im ganzen beurteilen, sondern will zwei Gruppen bilden, nämlich einmal die Gruppe von Aktien, die mit Kredit gekauft wurden und im Streitjahr 1956 Erträge gebracht haben, und sodann die Gruppe von Aktien, die mit Kredit gekauft wurden, aber im Streitjahr 1956 keine Erträge gebracht haben. Die Auffassung des Finanzamts führt zu dem Ergebnis, daß die mit dividendenlosen Aktien zusammenhängenden Zinsen nicht mit den Erträgen der anderen Aktien kompensiert werden können und steuerlich außer Betracht bleiben. Weil der Bg. die für die vom Finanzamt vorgenommene Aufteilung notwendigen Unterlagen nicht bereitstellte, hat das Finanzamt im Wege der Schätzung angenommen, daß die im zweiten Halbjahr 1956 gezahlten Zinsen von 9.706 DM mit Aktien zusammenhingen, die im Streitjahr 1956 keinen Ertrag gebracht haben.
Die Beteiligten sind offenbar darin einig, daß bei der Behandlung der Schuldzinsen der hier streitigen Art nicht alle Einkünfte aus Kapitalvermögen als Einheit gesehen werden können; es können darum z. B. nicht Erträge aus Sparguthaben oder Hypotheken mit Zinsen, die für einen Kredit zum Kauf ertragloser Aktien gezahlt wurden, verrechnet werden. Einigkeit besteht ferner darin, daß auch nicht alle Erträge aus Aktien eine Einheit bilden und daß deshalb z. b. nicht Erträge aus Aktien, die mit eigenen Mitteln erworben wurden, mit Schuldzinsen verrechnet werden können, die für einen Kredit zum Kauf ertragloser Aktien gezahlt wurden. Auch das Finanzgericht erkennt diese Unterteilung der Erträge aus Kapitalvermögen an. Es will aber den Block der mit Kredit gekauften Aktien als nicht weiter teilbare Einheit behandeln, sondern innerhalb dieses Blocks den Ausgleich von Erträgen und Schuldzinsen unbeschränkt zulassen.
In der Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs IV 1/47 vom 26. März 1947 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Rechtsspruch 1 zu § 9 Sätze 1 und 2 EStG), auf die sich das Finanzamt und der Bg. gleichzeitig berufen, ist die hier zu behandelnde Streitfrage nicht entschieden. Es ging damals vornehmlich um die Frage, ob Verwaltungskosten für das Kapitalvermögen als Werbungskosten abzugsfähig waren. Die dort entwickelten Grundsätze können auf Schuldzinsen, die mit dem Erwerb der Aktien zusammenhängen, nicht übertragen werden. Allerdings ist auch damals betont worden, daß das Kapitalvermögen keine Einheit bildet, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu unterteilen ist.
Es ist dem Finanzgericht zuzugeben, daß seine Auffassung zu einer gewissen technischen Vereinfachung führen kann. Seine Ansicht aber, daß rechtlich und wirtschaftlich alle mit Kredit gekauften Aktien eine Einheit bildeten und nicht im Sinne des Finanzamts zerlegt werden könnten, findet im Gesetz keine Stütze. Es ist wirtschaftlich möglich und auch sinnvoll, mit dem Finanzamt den Block der auf Kredit gekauften Aktien aufzuteilen in solche Aktien, die im Kalenderjahr Ertrag gebracht haben und solche, die dividendenlos geblieben sind. Rechtlich besteht sogar kein Bedenken, jede mit Kredit beschaffte Aktie in dieser Hinsicht selbständig zu beurteilen. Wenn indessen die Verwaltungsbehörden im Einvernehmen mit dem Steuerpflichtigen zur Vereinfachung auf die individuelle Prüfung bei jeder Aktie verzichten und - wie das Finanzamt im Streitfall - zwei Gruppen bilden, so ist auch das rechtlich nicht zu beanstanden. Die technischen Erschwerungen, die bei der Unterteilung gegenüber dem vom Finanzgericht für richtig gehaltenen Verfahren auftreten, sind nicht unüberwindlich, zumal wenn in geeigneten Fällen von der Möglichkeit der Schätzung (§ 217 AO) Gebrauch gemacht wird. Die Rechtsauffassung des Finanzamts liegt jedenfalls mehr in der Linie des Urteils VI 158/59 U a. a. O.; denn wenn man dem Finanzgericht folgen würde, könnten die Steuerpflichtigen Aktien auf Kredit kaufen und sie nach Ablauf der Spekulationsfrist und vor der Ausschüttung der ersten Dividende wieder verkaufen; den Gewinn, den sie dabei mindestens in Höhe der Kurssteigerung wegen der erwarteten Dividende machten, versteuerten sie nicht, während sie die Schuldzinsen im Ergebnis dadurch absetzten, daß sie die Erträge aus anderen Aktien entsprechend kürzten. Behält der Steuerpflichtige die Aktien über die erste Dividendenausschüttung hinaus, so kann er die in demselben Kalenderjahr gezahlten Schuldzinsen bis zur Höhe des Ertrags verrechnen.
Die Vorentscheidung wird wegen unrichtiger Anwendung von § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgehoben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen, das zu prüfen hat, in welcher Höhe die Schuldzinsen mit Aktien zusammenhängen, die im Streitjahr 1956 keinen Ertrag gebracht haben. Das Finanzgericht brauchte zu dieser Frage von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht Stellung zu nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 410268 |
BStBl III 1962, 35 |
BFHE 1962, 90 |
BFHE 74, 90 |