Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Aufwendungen zur Ausbesserung und Verstärkung der Fundamente und zur Begradigung der Geschoßdecken eines Betriebsgebäudes, das sich im Laufe der Zeit seitlich geneigt hat, sind Erhaltungs- und nicht Herstellungsaufwand. Die Tatsache, daß diese Fundamentierungsarbeiten die technische Voraussetzung für die Errichtung eines mit dem bisherigen Betriebsgebäude in räumlichem Zusammenhang stehenden Neubaus bilden, rechtfertigt für sich allein nicht, in den Fundamentierungsarbeiten und in dem Neubau eine einheitliche Baumaßnahme zu sehen, die alle Aufwendungen zu Herstellungskosten macht. EStG § 4 Abs. 4, § 5, § 6 Abs. 1 Ziff. 1.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, §§ 5, 6/1/1
Tatbestand
Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1955, ob Bauaufwendungen Erhaltungsaufwand und damit Betriebsausgaben oder Herstellungskosten waren.
Der Bf. betrieb bis zum 30. September 1955 einen Verlag und eine Druckerei als Einzelunternehmer. Ab 1. Oktober 1955 wurde das Unternehmen in eine OHG umgewandelt.
Zur Wiederherstellung der Standfestigkeit und zur Beseitigung einer weiter drohenden Einsturzgefahr ließen der Bf. und später die OHG in den Jahren 1955 und 1956 an ihrem in den Jahren 1901 bis 1904 errichteten Betriebsgebäude Baumaßnahmen durchführen, die 1955 43 864,54 DM (bis 30. September 1955 30 581,85 DM vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1955 13 282,64 DM) und 1956 86 845,42 DM, insgesamt 130 709,96 DM, kosteten. Die Maßnahmen waren notwendig geworden, weil sich das Betriebsgebäude um 43 cm gesenkt hatte und schief stand. Die Kellerräume waren wegen des durch die Kellersohle eingedrungenen Wassers kaum noch benutzbar. Deshalb hatte der Architekt im Jahre 1954 umfangreiche bauliche Maßnahmen gefordert. Es wurden neue Fundamente in eine Tiefe von 19 m geschaffen, die Kellersohle stückweise herausgebrochen, eine neue Sohle eingebracht und der gesamte Keller mit einer Wannenisolierung versehen. Die schrägliegenden Geschoßdecken des fünf Geschosse hohen Gebäudes wurden zum Teil durch stahlbewehrte Betondecken waagerecht gestaltet und erhielten einen neuen Fußbodenbelag. Außerdem wurden zur Aussteifung in allen Geschossen neue Unterzüge eingebracht, die schiefstehenden Säulen verkleidet und die erforderlichen Installations- und Malerarbeiten durchgeführt. Die Höhe der Kosten für diese Arbeiten war wesentlich durch die Besonderheit der örtlichen Lage und die dadurch bedingten Schwierigkeiten der Durchführung des Bauvorhabens sowie durch die die Durchführung des Bauvorhabens störende Notwendigkeit bedingt, den Betrieb fortzuführen. Im unmittelbaren Anschluß an diese Arbeiten erweiterte die OHG das Betriebsgebäude durch einen Anbau, wobei beide Gebäudeteile zur rationelleren Ausnützung miteinander verbunden wurden. Hierbei wurden die Giebelwand des alten Gebäudes durch alle Geschosse abgetragen und die Decken des alten Gebäudes abgefangen. Die hierdurch entstehenden Kosten von rd. 268 000 DM für den Neubau und rd. 10 000 DM für die Arbeiten, die der Verbindung der beiden Gebäude dienten, wurden aktiviert. Die obengenannten 130 709,96 DM, die für die Baumaßnahmen an dem alten Gebäude entstanden, behandelten der Bf. und die OHG als Betriebsausgaben.
Dieser Auffassung folgte das Finanzamt nicht. Auch Einspruch und Berufung blieben erfolglos. Das Finanzgericht führt im wesentlichen aus. Würden im Rahmen eines Gewerbebetriebs mehrere Baumaßnahmen an Grundstücken durchgeführt, so komme es für die steuerliche Einordnung der Aufwendungen nicht nur darauf an, ob jede dieser Maßnahmen für sich allein betrachtet Herstellungs- oder Erhaltungsaufwand darstelle. Entscheidend sei, ob die Arbeiten derart in einem Zusammenhang miteinander stünden, daß sie wirtschaftlich als einheitliches Vorhaben erschienen, dem eine Gesamtplanung zugrunde liege. Eine sämtliche Arbeiten umfassende Planung sei zu bejahen, wenn die einzelnen Bauvorhaben sachlich in einem engen Zusammenhang stünden. Dieser Zusammenhang sei gegeben, wenn die Ausführung eines Teils der Arbeiten technische Voraussetzung für die Durchführung des übrigen Teils sei. Das gelte auch für den Fall, in dem neben der Errichtung eines Erweiterungsbaues Arbeiten an dem alten Betriebsgebäude durchgeführt würden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 192/61 U vom 9. März 1962, BStBl 1962 III S. 195, Slg. Bd. 74 S. 523). Hier müßten die Gesamtaufwendungen, wenn der überwiegende Teil der Kosten auf die Erstellung des Erweiterungsbaues entfalle, als Herstellungskosten behandelt werden. Daß alle Maßnahmen zur Standsicherung des alten Gebäudes auch unabhängig von der Errichtung des Erweiterungsbaues erforderlich gewesen seien, habe keine Bedeutung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 192/61 U).
Mit der Rb. rügt der Bf. in erster Linie, das Finanzgericht habe zu seinen tatsächlichen Feststellungen nicht kommen können. Sie widersprächen dem Inhalt der Akten. Aus der Stellungnahme des Bausachverständigen Pf. vom 18. November 1958 und dem Gutachten des bauleitenden Architekten vom 17. Mai 1962 ergebe sich, daß es sich um getrennte Bauvorhaben gehandelt habe. Aus keinem der Gutachten ergebe sich ein Anhaltspunkt dafür, daß die Durchführung der Unterfangungs- und Fundamentierungsarbeiten für das alte Gebäude technische Vorbedingung für die Verbindung durch den Anbau, geschweige denn für die Errichtung des neuen Betriebsgebäudes gewesen sei. Der Erweiterungsbau ruhe auf einem eigenen Fundament und sei bereits im Rohbau fertiggestellt gewesen, als die Unterfangung des alten Betriebsgebäudes durchgeführt worden sei. Es handle sich zwar um Aufwendungen, die in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit den Aufwendungen zur Errichtung des neuen Betriebsgebäudes und der Herstellung der Verbindung zum alten Betriebsgebäude entstanden, die aber an räumlich getrennten Stellen der selbständigen Bauvorhaben vorgenommen worden seien. Hier komme eine Trennung zwischen Herstellungsaufwand und Erhaltungsaufwand auch nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs VI 100/59 U vom 14. Oktober 1960 (BStBl 1960 III S. 493, Slg. Bd. 71 S. 653) in Betracht.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt zur Steuerberechnung.
Entscheidend ist, ob die Baumaßnahmen zur Standsicherung des alten Betriebsgebäudes und zur Beseitigung der Einsturzgefahr sowie die Errichtung des neuen Betriebsgebäudes einschließlich der Herstellung der Verbindung der beiden Gebäude eine einheitliche Baumaßnahme darstellten. Ist das nicht der Fall, so trägt der Senat keine Bedenken, die Aufwendungen für das alte Betriebsgebäude für sich allein als sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand anzuerkennen. Die Bedenken des Finanzamts in dieser Hinsicht sind nicht stichhaltig. Auch wenn sich in der Zwischenzeit die Methoden zur Errichtung tragfähiger Fundamente gewerblicher Bauten gegenüber früher geändert haben sollten, so führt die an einem bereits so lange stehenden Gebäude durchgeführte Verstärkung oder Ausbesserung der Fundamente nicht zu Herstellungsaufwand. Es ist auch nicht richtig, wenn das Finanzamt davon ausgeht, daß durch die Verbesserung der Fundamente und die Wiederaufrichtung des Gebäudes die Wesensart des Gebäudes geändert worden sei. Der Streitfall ähnelt dem des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 8/53 U vom 9. Juli 1953 (BStBl 1953 III S. 245, Slg. Bd. 57 S. 639). Veränderungen wie in dem im Urteil des Senats IV 96/58 U vom 14. Januar 1960 (BStBl 1960 III S. 136, Slg. Bd. 70 S. 360) entschiedenen Fall eines landwirtschaftlichen Betriebsgebäudes wurden im Streitfalle nicht vorgenommen. Es liegen auch sonst keine Umstände vor, die die der Standsicherung des alten Gebäudes dienenden Maßnahmen für sich gesehen als Herstellungskosten erscheinen lassen müßten. Die Grenze zwischen Herstellungs- und Erhaltungsaufwand ist flüssig. Sie soll möglichst großzügig im Sinne der Annahme von Erhaltungsaufwand gezogen werden.
Der Auffassung des Finanzgerichts, daß es sich bei dem Bauvorhaben zur Standsicherung des alten Gebäudes und bei der Errichtung des neuen Betriebsgebäudes sowie dem Bauvorhaben zur Verbindung beider Gebäude um eine einheitliche Baumaßnahme im Sinne des Urteils I 192/61 U handle, kann nicht zugestimmt werden. In dem bezeichneten Urteilsfall konnte die Einheitlichkeit der Baumaßnahme deshalb bejaht werden, weil die Brauerei den geplanten überbau auf die Fundamente des Sudhauses aufsetzen mußte. Nur deshalb war es gerechtfertigt, die gleichzeitige Ausbesserung der Fundamente des Sudhauses im Zusammenhang mit der Errichtung des überbaues als eine einheitliche Baumaßnahme anzusehen und die Kosten für die Ausbesserung der Fundamente des Sudhauses als Herstellungskosten zu beurteilen. Im Streitfall wurde indessen neben dem alten Betriebsgebäude ein neues Betriebsgebäude errichtet, das unstreitig eigene Fundamente hat. Es ist allerdings denkbar, daß infolge der baulichen Verbindung des neuerrichteten Betriebsgebäudes mit dem alten Betriebsgebäude auch das neuerrichtete Betriebsgebäude Schaden erleiden könnte, wenn die Standsicherungsmaßnahmen für das alte Betriebsgebäude nicht durchgeführt worden wären. Selbst wenn man aber eine solche Beeinträchtigung des neuen Gebäudes als erwiesen ansähe, falls die Standsicherungsmaßnahmen des alten Gebäudes nicht getroffen worden wären, so sind doch die Verbindungen zwischen diesen beiden Gebäuden so lose, daß hierauf die Annahme einer einheitlichen Baumaßnahme nicht gestützt werden kann. Dem steht nicht entgegen, daß beide Gebäude durch Herausbrechen der Giebelwand des alten Gebäudes zu besserer Ausnutzung miteinander verbunden wurden. Die Selbständigkeit der beiden nebeneinander stehenden, je ein in sich geschlossenes Gebäude darstellenden Baukörper wird hierdurch nicht beeinträchtigt. Das gilt um so weniger, als sonstige, auf die Vereinigung zu einem einzigen Gebäude hinzielende, bauliche Veränderungen am alten Gebäude nicht vorgenommen wurden. Für diese großzügige Beurteilung sprechen auch die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs VI 100/59 U, in dem erstmals deutlich ausgesprochen wurde, daß vor allem bei wenn auch in zeitlichem Zusammenhang stehenden Arbeiten an räumlich getrennten Stellen eines Gebäudes im allgemeinen eine Aufteilung in Herstellungs- und Erhaltungsaufwendungen vorgenommen werden kann.
Das Finanzgericht hat bei seiner Würdigung nicht genügend berücksichtigt, daß das alte Gebäude weiterhin als Betriebsgebäude verwendet wird und daß die in den Jahren 1955/1956 getroffenen Standsicherungsmaßnahmen schon seit langen Jahren vom Bf. für erforderlich gehalten wurden. Schon in den Jahren 1927 bis 1932 waren derartige Sicherungsmaßnahmen geplant, jedoch offenbar mit Rücksicht auf die Höhe der dadurch entstehenden Kosten nicht ausgeführt worden.
Die Vorentscheidungen waren daher aufzuheben. Die Aufwendungen für die Standsicherung und Neufundamentierung des alten Betriebsgebäudes sind Betriebsausgaben. Die Sache wird zur Steuerberechnung an das Finanzamt zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 411466 |
BStBl III 1965, 168 |
BFHE 1965, 463 |
BFHE 81, 463 |
BB 1965, 275 |
DB 1965, 383 |
DStR 1965, 171 |