Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstreisen eines Finanzanwärters bei vorübergehender Abordnung über drei Monate Dauer
Leitsatz (NV)
Wird ein Finanzanwärter von seinem als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehenden Ausbildungs-Finanzamt vorübergehend an ein Finanzamt mit Sonderzuständigkeiten zu Ausbildungszwecken abgeordnet, so können für die ersten drei Monate auch dann Dienstreisegrundsätze zur Anwendung kommen, wenn die auswärtige Ausbildung länger als drei Monate dauern soll.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1978 Finanzanwärter beim Ausbildungsfinanzamt A. Für die Zeit vom 1. April bis 31. August 1978 war er zur Ausbildung an die Strafsachen- und Betriebsprüfungsstelle beim Finanzamt M abgeordnet. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich machte der Kläger u. a. Kosten für Fahrten zum Finanzamt M mit den für Dienstreisen vorgesehenen Pauschsätzen von 0,32 DM je Kilometer abzüglich der vom Arbeitgeber erstatteten Beträge als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt B - FA -) ließ jedoch nur die Pauschsätze des § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Fahrten zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte in M zum Abzug zu. Mehraufwendungen für Verpflegung nach Dienstreisegrundsätzen berücksichtigte das FA insgesamt nicht.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage ab. Es führte aus, bei Arbeitnehmern, die noch in Ausbildung ständen, sei die jeweilige Einsatzstelle der Mittelpunkt der auf - wenn auch begrenzte - Dauer abgestellten Tätigkeit (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. August 1983 VI R 155/80, BFHE 139, 190, BStBl II 1983, 718). Dies gelte jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden mit fünfmonatiger Abordnung.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, er habe während der fünfmonatigen Abordnung nach M, zumindest aber in den ersten drei Monaten, Dienstreisen vorgenommen. Das Finanzamt A sei vor, nach und auch während der Abordnung seine regelmäßige Arbeitsstätte, nämlich Mittelpunkt der auf die Dauer der Ausbildung abgestellten beruflichen Tätigkeit, gewesen. Das Finanzamt M sei weder als alleinige noch neben dem Finanzamt A als zweite regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen. Würdige man die Gesamtstruktur der dreijährigen Ausbildung und berücksichtige man, daß nach dem Ausbildungsplan eine Rückkehr zum Finanzamt A nach Ablauf der Abordnung vorgesehen gewesen sei, erscheine die Abordnung als eine nur verhältnismäßig kurzfristige Unterbrechung der Tätigkeit beim Finanzamt A.
Die Ausbildungsverhältnisse von Gerichtsreferendaren, die der BFH im Urteil in BFHE 139, 190, BStBl II 1983, 718 beurteilt habe, wiesen gegenüber denen von Finanzanwärtern wesentliche Unterschiede auf: Jeder Referendar müsse sich in verschiedenen Dienststellen ausbilden lassen, während Finanzanwärter einer einzigen Stammdienststelle zuzuordnen seien und nur dann an ein anderes Finanzamt abgeordnet werden müßten, wenn die Ausbildung an ihrem Stamm-Finanzamt nicht möglich sei. Anders als bei Referendaren stehe die Rückkehr an das StammFinanzamt von vornherein fest. Aus diesem Grund sei Finanzanwärtern auch ein Umzug nicht zuzumuten. Es spreche für die Annahme von Dienstreisen, daß keine Möglichkeit bestehe, durch entsprechende Wohnsitznahme die Höhe der erforderlichen Aufwendungen zu beeinflussen.
Jedenfalls sei entsprechend seinem Hilfsantrag die neue Tätigkeitsstelle erst nach Ablauf von drei Monaten als seine regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen (Abschn. 25 Abs. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1978 - LStR 1978 -). Deshalb seien zuvor Dienstreisen anzunehmen. Durch Einfügen eines weiteren Satzes nach Abschn. 25 Abs. 2 Satz 1 werde nunmehr ab den LStR 1984 auf den Umstand der voraussichtlichen Rückkehr an den Ort der regelmäßigen Arbeitsstätte abgestellt. Eine derartige Rückkehr habe im Streitfall stattgefunden. Damit sei er, der Kläger, ,,vorübergehend" im Sinne der Regelung außerhalb tätig gewesen. Außerdem sei Abschn. 25 Abs. 3 Satz 1 LStR 1978 durch Abschn. 25 Abs. 3 Sätze 1 und 2 LStR 1984 neugefaßt worden, wonach bei einer von vornherein länger als dreimonatigen Abwesenheit für die ersten drei Monate stets vom Vorliegen von Dienstreisen auszugehen sei. Die Ausnahme hiervon ,,nach Lage der Verhältnisse" betreffe lediglich Versetzungs-, nicht aber Abordnungsfälle. Dementsprechend nähmen die Oberfinanzdirektion (OFD) Nürnberg (Verfügung vom 5. Juli 1984 - S 2350 - 30/St 23, Steuer-Lexikon - StLex - 3, 9, 83), die OFD Köln (Verfügung vom 29. Januar 1985 - S 2351 - 17 - St 121, Der Betrieb - DB - 1985, 402), die OFD Düsseldorf (Verfügung vom 12. Februar 1985 - S 2351 A - St 121, DB 1985, 948) und Hottmann (Steuer und Studium 1984, 329) für die ersten drei Monate Dienstreisen an (anders allerdings OFD Frankfurt, Verfügung vom 27. Mai 1987 - S 2353 A - 69 St II 30, Finanz-Rundschau - FR - 1987, 422).
Die Neufassung der LStR ab 1984 sei auch auf den Streitfall anzuwenden. Die Änderung gehe auf das kurz zuvor ergangene BFH-Urteil vom 8. Juli 1983 VI R 156/79 (BFHE 139, 67, BStBl II 1983, 679) zurück und berücksichtigte damit nur den Rechtszustand, wie er sich aus der Rechtsprechung entwickelt habe. Aus dem zuletzt genannten Urteil habe die Verwaltung zu Recht abgeleitet, daß bei voraussichtlicher Rückkehr unabhängig von der tatsächlichen Abwesenheitsdauer stets für die ersten drei Monate Dienstreisen anzunehmen seien.
Das FA hält einerseits das Ausbildungs-Finanzamt als die Stammdienststelle und den Ausgangspunkt für auswärtige Ausbildungsabschnitte, sowie als Tätigkeitsstelle, an die der Auszubildende immer wieder zurückkehrt, für die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers. Andererseits ist es mit Abschn. 34 Abs. 3 Satz 7, Abschn. 37 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 LStR 1990 der Ansicht, während der Abordnungszeit an das Finanzamt M sei dieses die einzige regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers gewesen. Im übrigen seien die Ausbildungsverhältnisse von Rechtsreferendaren mit denen der Finanzanwärter durchaus vergleichbar.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat das Vorliegen von Dienstreisen zu Unrecht verneint.
1. Aufwendungen, die durch eine Dienstreise verursacht sind, gehören zu den dienstlich veranlaßten Werbungskosten i. S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG.
a) Eine Dienstreise liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen in einer Entfernung von mindestens 15 km von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte vorübergehend tätig wird (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 3. Oktober 1985 VI R 129/82, BFHE 145, 513, BStBl II 1986, 369). Danach muß eine von der tatsächlichen Arbeitsstätte abweichende regelmäßige Arbeitsstätte vorhanden sein bzw., es darf der neue Einsatzort nicht seinerseits zur alleinigen oder weiteren regelmäßigen Arbeitsstätte geworden sein (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1988 VI R 199/84, BFHE 155, 362, BStBl II 1989, 296).
b) Werden Dienste an unterschiedlichen Tätigkeitsstellen erbracht, ist eine Dienstreise anzunehmen, wenn der vorübergehend aufgesuchten eine regelmäßige Arbeitsstätte gegenübersteht, die der erstgenannten gegenüber als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit erscheint. Ob ein derartiger Mittelpunkt der dienstlichen Tätigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Anhaltspunkte für die Bejahung eines solchen Mittelpunktes können neben der Dauer der dort abgeleisteten Dienste und dem Umstand, daß an diesen Ort immer wieder zurückgekehrt wird, die mit den Vorstellungen der Beteiligten übereinstimmende Verkehrsanschauung sein.
c) Auch die LStR gehen - abgesehen von Ausbildungsdienstverhältnissen - bis heute von diesen Grundsätzen aus, was sich insbesondere aus der Regelung zum Begriff der vorübergehenden Auswärtstätigkeit in Abschn. 37 Abs. 3 Nr. 2 LStR 1990, zur Abgrenzung von Dienstreisen zur Fahrtätigkeit in Abschn. 37 Abs. 2 Nr. 1 LStR 1990 und zur Einsatzwechseltätigkeit in Abschn. 37 Abs. 2 Nr. 2 LStR 1990 ergibt. Hiervon bei Auszubildenden abzuweichen kann entgegen der Ansicht des FA weder mit der Erwägung gerechtfertigt werden, daß diesen die voraussichtliche örtliche Veränderung bekannt sei, noch damit, daß sie in ihrem Interesse erfolge. Denn die Annahme von Dienstreisen wird auch sonst nicht davon abhängig gemacht, wie lange sich der Arbeitnehmer auf die bevorstehende Auswärtstätigkeit einstellen kann und die Ausbildung wird nicht zur Befriedigung des Interesses des Auszubildenden an örtlicher Veränderung vorübergehend auswärts durchgeführt, sondern deshalb, weil die betriebliche Organisation des Arbeitgebers dies erfordert.
2. Entsprechend diesen Kriterien ist im Streitfall dem Grunde nach das Vorliegen von Dienstreisen zu bejahen.
a) Der Kläger wurde als Finanzanwärter ausgebildet und hatte somit eine dreijährige Ausbildung zu durchlaufen, wobei in Studienabschnitte gegliederte Fachstudien und berufspraktische Studienzeiten mit dienstbegleitenden Lehrveranstaltungen von jeweils zusammen 18 Monaten zu absolvieren waren (§ 17 ff. der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Steuerbeamte - StBAPO - vom 21. Juli 1977, BGBl I 1977, 1353). Im Rahmen der berufspraktischen Ausbildung wurde er einem Ausbildungs-Finanzamt zugewiesen (§ 2 Abs. 3 StBAPO). An diesem fanden die Einübung in die steuerliche Praxis und dienstbegleitende Lehrveranstaltungen statt (§ 24 Abs. 1 StBAPO), sofern nicht ausnahmsweise - wie im Streitfall zur Ausbildung im Bereich Strafsachen und Betriebsprüfung - eine Abordnung an ein anderes Finanzamt erfolgte. Am Ausbildungs-Finanzamt war ein Ausbildungsleiter bestellt, der sich laufend vom Stand der Ausbildung zu überzeugen und eine sorgfältige Ausbildung sicherzustellen hatte (§ 3 Abs. 3 StBAPO).
Aus den geschilderten Tatsachen folgt, daß der Kläger einen maßgebenden Teil seiner Ausbildung an seinem Ausbildungs-Finanzamt erhielt, dorthin - etwa nach Besuch eines Studienabschnittes an der Fachhochschule - jeweils wieder zurückkehrte und von dort über den Verlauf der gesamten Ausbildung betreut wurde. Diese Umstände rechtfertigen die vom Kläger wie grundsätzlich auch vom FA geteilte Annahme, daß das Ausbildungs-Finanzamt über die gesamte Ausbildungszeit als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit - hier der Ausbildung - des Klägers anzusehen war (vgl. auch das Urteil des Senats vom 4. Mai 1990 VI R 93/86 BFHE 160, 542, BStBl II 1990, 859). Daraus folgt, daß bei einer vorübergehenden Tätigkeit außerhalb des Ausbildungs-Finanzamtes für die ersten drei Monate (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1978 VI R 179/76, BFHE 125, 555, BStBl II 1978, 660) auch dann Dienstreisegrundsätze anzuwenden sind, wenn die auswärtige Tätigkeit insgesamt länger als drei Monate dauert. Dabei beginnt die Dreimonatsfrist nicht deshalb erneut zu laufen, weil bei einer an ein und demselben Amt erfolgten Ausbildung Kenntnisse in unterschiedlichen Verwaltungsbereichen erworben worden sind.
b) Das FG, das von abweichenden Grundsätzen ausgegangen ist, hat aus seiner Sicht zu Recht keine Feststellungen darüber getroffen, an wievielen Tagen dem Kläger Werbungskosten nach Dienstreisegrundsätzen zu gewähren waren. Diese Feststellungen wird das FG nunmehr nachzuholen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 417114 |
BFH/NV 1991, 30 |