Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstreisen eines Steueranwärters bei Lehrgängen an einer auswärtigen Finanzschule
Leitsatz (NV)
Wird ein Steueranwärter von seinem als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehenden Ausbildungs-Finanzamt vorübergehend an einen auswärtigen Lehrgang abgeordnet, so können für die ersten drei Monate auch dann Dienstreisegrundsätze zur Anwendung kommen, wenn die auswärtige Ausbildung länger als drei Monate dauern soll.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 4
Tatbestand
Der in A wohnende ledige Kläger und Revisionskläger (Kläger) trat am 1. September 1982 als Steueranwärter den zweijährigen Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des mittleren Dienstes an. Er wurde zur praktischen Ausbildung dem Finanzamt A, dem Beklagten und Revisionsbeklagten (FA), zugewiesen. Vom 23. November bis 22. Dezember 1982 und vom 10. Januar bis 10. Februar 1983 besuchte er die Einführungslehrgänge und im Streitjahr 1984 vom 12. März bis 12. Juli den Abschlußlehrgang in der Finanzschule X. Der Kläger sah die täglichen Fahrten von A nach X für die ersten drei Monate als Dienstreisen an. Dementsprechend machte er im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich aus Anlaß des Lehrgangs Werbungskosten in Höhe von 4 026 DM geltend. Hiervon berücksichtigte das FA nur die Fahrtkosten, und zwar einheitlich mit 0,36 DM je Entfernungskilometer.
Nach erfolglosem Einspruch verfolgte der Kläger mit der Klage sein Begehren weiter. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, nach den Vorschriften der Ausbildungs- und Prüfungsanordnung für die Steuerbeamten - StBAPO - (BStBl I 1982, 705) habe der zweijährige Vorbereitungsdienst eine 18monatige berufspraktische Ausbildung an einem Ausbildungs-Finanzamt sowie eine sechsmonatige fachtheoretische Ausbildung in zwei Teilabschnitten an der Finanzschule umfaßt (§§ 14, 15 StBAPO). Das Dienstverhältnis des Klägers sei daher von vornherein auf eine zweigleisige Ausbildung an zwei verschiedenen Ausbildungsstätten angelegt gewesen. Dementsprechend habe der Kläger für die Dauer des Lehrgangs seinen Arbeitsplatz an der Finanzschule gehabt. Diese sei während des Lehrgangs die regelmäßige (feste) Arbeitsstätte des Klägers gewesen. Daher hätten Dienstreisen nicht vorgelegen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Er trägt vor, das Ausbildungs-Finanzamt sei während der Lehrgänge seine regelmäßige Arbeitsstätte geblieben. Dorthin habe er zurückkehren müssen und - auch zwischen dem Einführungslehrgang vom 24. Dezember 1982 bis 9. Januar 1983 - jeweils seine Ausbildung fortzusetzen gehabt. Die auf die Zweigleisigkeit der Ausbildung vom FG gestützte Argumentation sei nicht schlüssig. Wie dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Juli 1983 VI R 156/79 (BFHE 139, 67, BStBl II 1983, 679) zu entnehmen sei, könne nicht jede Ausbildungsstätte mit der regelmäßigen Arbeitsstätte des Auszubildenden gleichgesetzt werden. Maßgeblich sei vielmehr, daß der Auszubildende an seine regelmäßige Arbeitsstätte zurückkehre und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetze (vgl. Hartz / Meeßen / Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort ,,Beamtenanwärter" S. 260/2 f.). Hierauf stelle auch die Verwaltung in Abschn. 25 Abs. 2 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1984 ab. Die diesbezügliche Änderung der LStR habe die Oberfinanzdirektion (OFD) Nürnberg (Verfügung vom 5. Juli 1984 - S 2350 - 30 / St 32, Steuer-Lexikon - StLex - 3, 9, 83; ebenso die OFD Köln, Verfügung vom 22. August 1983 - S 2352 - 6 - St 121) bewogen, seine bisherige Auffassung aufzugeben, nach welcher bei Beamtenanwärtern, die zu Lehrgängen abgeordnet würden, keine Dienstreisen vorlägen. Dem Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte wohne ein Dauerelement inne. Danach werde die Lehrstätte erst bei erheblich längeren Lehrgängen zur regelmäßigen Arbeitsstätte (BFH-Urteile vom 10. November 1978 VI R 13-14/76, BFHE 126, 420, BStBl II 1979, 157 über sieben Monate, und vom 23. März 1979 VI R 14/78, BFHE 127, 526, BStBl II 1979, 521, acht Monate Lehrgangsdauer).
Das FA bestätigt die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen und fügt an, daß das Ausbildungs-Finanzamt trotz der Zweigleisigkeit des Ausbildungsweges nach der StBAPO für den Beamtenanwärter dienstrechtlich zuständig bleibe. Dort würden weiterhin seine Personalakten geführt. Die Zuweisung an die Finanzschule erfolge in Form einer Abordnung, also für eine vorübergehende, dem Amt - hier der Ausbildung - entsprechende Tätigkeit. Richtig sei, daß die Anwärter bei der Einstellung ihre uneingeschränkte Versetzungsbereitschaft erklären müßten und daß sie an ein entsprechendes Finanzamt abgeordnet würden, sofern bestimmte Teile der praktischen Ausbildung an ihrem Ausbildungs-Finanzamt nicht vermittelt werden könnten. Gleichwohl werde hier der auswärtige Unterrichtsort von Anfang an zur regelmäßigen Arbeitsstätte des Anwärters.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat das Vorliegen von Dienstreisen zu Unrecht verneint.
1. Aufwendungen, die durch eine Dienstreise verursacht sind, gehören zu den dienstlich veranlaßten Werbungskosten i. S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG.
a) Eine Dienstreise liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen in einer Entfernung von mindestens 15 km von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte vorübergehend tätig wird (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 3. Oktober 1985 VI R 129/82, BFHE 145, 513, BStBl II 1986, 369). Danach muß eine von der tatsächlichen Arbeitsstätte abweichende regelmäßige Arbeitsstätte vorhanden sein bzw. es darf der neue Einsatzort nicht seinerseits zur alleinigen oder weiteren regelmäßigen Arbeitsstätte geworden sein (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1988 VI R 199/84, BFHE 155, 362, BStBl II 1989, 296).
b) Werden Dienste an unterschiedlichen Tätigkeitsstellen erbracht, ist eine Dienstreise anzunehmen, wenn der vorübergehend aufgesuchten eine regelmäßige Arbeitsstätte gegenübersteht, die der erstgenannten gegenüber als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit erscheint. Ob ein derartiger Mittelpunkt der dienstlichen Tätigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Anhaltspunkte für die Bejahung eines solchen Mittelpunktes können neben der Dauer der dort abgeleisteten Dienste und dem Umstand, daß an diesen Ort immer wieder zurückgekehrt wird, die mit den Vorstellungen der Beteiligten übereinstimmende Verkehrsanschauung sein.
c) Auch die LStR gehen - abgesehen von Ausbildungsdienstverhältnissen - bis heute von diesen Grundsätzen aus, was sich insbesondere aus der Regelung zum Begriff der vorübergehenden Auswärtstätigkeit in Abschn. 37 Abs. 3 Nr. 2 LStR 1990, zur Abgrenzung von Dienstreisen zur Fahrtätigkeit in Abschn. 37 Abs. 2 Nr. 1 LStR 1990 und zur Einsatzwechseltätigkeit in Abschn. 37 Abs. 2 Nr. 2 LStR 1990 ergibt. Namentlich Abschn. 37 Abs. 3 Nr. 2 Satz 3 LStR 1990 - wie auch schon entsprechenden Vorgängerregelungen, so auch dem im Streitfall maßgebenden Abschn. 25 Abs. 3 LStR 1984 - ist zu entnehmen, daß eine Auswärtstätigkeit auch dann eine vorübergehende sein kann, wenn sie länger als drei Monate dauert, mit der Folge, daß für die ersten drei Monate Dienstreiseregeln Platz greifen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß auch bei einer längeren Abwesenheit als drei Monate der dienstliche Mittelpunkt an der bisherigen Tätigkeitsstelle verblieben sein kann. Hiervon bei Ausbildungsdienstverhältnissen generell abzuweichen, wie dies erstmals in den LStR 1990 ausdrücklich geschieht, besteht auch für das Streitjahr 1984 kein hinreichender Grund. Anders als bei dem zweiten in Abschn. 37 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 LStR 1990 erwähnten Beispielsfall, nämlich der Versetzung, bei der in aller Regel nach der Verkehrsanschauung von einem neuen dauerhaften Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit auszugehen sein wird, kann nach den Umständen des Falles auch bei einer länger als drei Monate aufgesuchten weiteren Ausbildungsstätte eine andere Ausbildungsstätte der dauerhafte berufliche Mittelpunkt geblieben sein.
2. Entsprechend diesen Kriterien ist im Streitfall dem Grunde nach das Vorliegen von Dienstreisen zu bejahen.
a) Der Kläger wurde als Steueranwärter ausgebildet und hatte somit eine zweijährige Ausbildung zu durchlaufen, wobei eine in Teilabschnitte aufgeteilte sechsmonatige fachtheoretische Ausbildung (§ 14 Nr. 2 StBAPO) und eine 18monatige praktische Ausbildung mit dienstbegleitenden Lehrveranstaltungen (§ 15 StBAPO) zu absolvieren waren. Im Rahmen der berufspraktischen Ausbildung wurde der Kläger einem Ausbildungsfinanzamt zugewiesen (§ 2 Abs. 3 StBAPO). An diesem fanden die Einübung in die steuerliche Praxis und dienstbegleitende Lehrveranstaltungen statt, sofern nicht ausnahmsweise eine Abordnung an eine andere Behörde erfolgte. Am Ausbildungsfinanzamt war ein Ausbildungsleiter bestellt, der sich laufend vom Stand der Ausbildung zu überzeugen und eine sorgfältige Ausbildung sicherzustellen hatte (§ 3 Abs. 3 StBAPO).
Danach hat der Kläger einen maßgebenden Teil seiner Ausbildung an seinem Ausbildungsfinanzamt erhalten. Dorthin kehrte er, was auch das FA betont, nach jedem Lehrgang an der Finanzschule zurück und von dort wurde er über den Verlauf der gesamten Ausbildung betreut. Diese Umstände rechtfertigen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung die Annahme, daß das Ausbildungsfinanzamt über die gesamte Ausbildungszeit als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit - hier der Ausbildung - des Klägers anzusehen war (vgl. auch das Urteil des Senats vom 4. Mai 1990 VI R 93/86, BFHE 160, 542, BStBl II 1990, 859). Daraus folgt, daß bei einer vorübergehenden Tätigkeit außerhalb des Ausbildungsfinanzamts für die ersten drei Monate (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1978 VI R 179/76, BFHE 125, 555, BStBl II 1978, 660) auch dann Dienstreisegrundsätze anzuwenden sind, wenn die auswärtige Tätigkeit insgesamt länger als drei Monate dauern sollte.
b) Das FG, das von abweichenden Grundsätzen ausgegangen ist, hat aus seiner Sicht zu Recht keine Feststellungen darüber getroffen, an wievielen Tagen dem Kläger Werbungskosten nach Dienstreisegrundsätzen zu gewähren waren. Diese Feststellungen wird das FG nunmehr nachzuholen haben. Dabei wird auch zu klären sein, welche Aufwendungen vom FA bisher für den streitigen Abschlußlehrgang als Werbungskosten abgezogen worden sind, was sich aus den Akten nicht ergibt.
Fundstellen
Haufe-Index 417116 |
BFH/NV 1990, 771 |