Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Zulässigkeit einer Rückstellung für drohende Verluste aus einem schwebenden Geschäft. EStG § 5.
Normenkette
EStG § 5
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) betreibt neben seiner freiberuflichen Tätigkeit einen Verlag. Die Betriebsergebnisse beider Tätigkeiten werden zwar in einer einheitlichen Buchführung erfaßt, aber getrennt ausgewiesen. In der Bilanz vom 31. Dezember 1954 wies der Bf. einen Gewinn von 4478 DM aus, wovon auf seinen Gewerbebetrieb ein Verlust von 2954 DM entfiel. Dieser ist darauf zurückzuführen, daß der Bf. in der Bilanz eine Rückstellung von 15 000 DM für Verluste aus einem im eigenen Verlage herausgegebenen Buch gemacht hat und 1954 bereits entstandene Teilherstellungskosten hierfür von 3927 DM nicht aktiviert, sondern über Unkosten verbucht hat. Die Herausgabe des Werkes erwies sich unstreitig geschäftlich als ein völliger Fehlschlag, der auch bis zur Bilanzaufstellung für das Jahr 1954 im November 1955 eindeutig erkannt wurde. Verkauft wurden 1955 142 Exemplare, 1956 53 Exemplare, 1957 23 Exemplare und 1958 9 Exemplare bei einer Gesamtauflage von 1700 Stück. Im Mai 1958 wurden 700 Exemplare als Altpapier verkauft.
Das Finanzamt erkannte die Rückstellung von 15 000 DM nicht an und aktivierte außerdem die Teilherstellungskosten von 3927 DM, weil die Rückstellung für zukünftige Verluste nicht zulässig sei, da am Bilanzstichtag noch nicht erkennbar gewesen sei, daß das Werk nicht einschlagen werde.
Die mit Zustimmung des Vorstehers des Finanzamts eingelegte Sprungberufung blieb ebenfalls ohne Erfolg.
Das Finanzgericht führte dazu aus, es trete zwar der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs über die Berücksichtigung drohender Verlust aus schwebenden Geschäften bei, könne sich aber nicht den vom Bf. gezogenen Folgerungen anschließen. Im Streitfall handle es sich nicht um die Berücksichtigung drohender Verluste aus Kaufgeschäften, sondern um die Rückstellung für künftige Aufwendungen, die anläßlich der Buchherstellung anfallen würden. Erst im Jahre 1955, nach dem Erscheinen des Buches, hätten die Käuferkreise angesprochen werden können und erst zu diesem Zeitpunkt habe sich infolgedessen herausstellen können, daß ein Käufermarkt für das Buch nicht vorhanden sei. Von einer bis zur Bilanzaufstellung gewonnenen besseren Erkenntnis könne daher keine Rede sein, weil diese voraussetze, daß sie sich auf einen diesem Zeitpunkt vorhergehenden Zustand beziehe. Dieser sei aber 1954 noch nicht vorhanden gewesen. Der Kaufwille des Publikums könne sich erst bilden, wenn ein Buch auf dem Markt erschienen sei. Das im Jahre 1955 offenkundig gewordene mangelnde Interesse könne nicht auf den 31. Dezember 1954 zurückbezogen werden. Das allgemeine Geschäftsrisiko, das mit der Herausgabe jedes Buches verbunden sei, könne durch eine Rückstellung nicht berücksichtigt werden. Es müsse vielmehr am Bilanzstichtag ein besonderer Zustand gegeben sein, der über das allgemeine Geschäftsrisiko hinausgehe. Der Bildung einer angemessenen Rückstellung zu einem späteren Zeitpunkt, etwa zum 31. Dezember 1955, stehe dagegen nichts im Wege. Auch die Berücksichtigung des Teilwertgedankens führe zu keinem anderen Ergebnis. Das Finanzamt habe ferner die Aktivierung der im Jahre 1954 angefallenen Teilherstellungskosten zu Recht vorgenommen.
Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Bf. unrichtige Rechtsanwendung. Das Finanzgericht habe die Grundsätze der dynamischen Bilanzauffassung außer acht gelassen, die eine Anerkennung der Rückstellung rechtfertigten. Es habe übersehen, daß die bis zum Bilanzstichtag gewonnene bessere Erkenntnis berücksichtigt werden müsse. Es sei im Jahre 1954 nicht nur zu Teilherstellungskosten von 3927 DM, sondern auch zur Erteilung des Druckauftrages gekommen, so daß ein schwebendes Geschäft vorliege. Der Bf. habe zwar zunächst angenommen, daß ein günstiger Markt für den Absatz des Buches vorhanden sei, habe sich jedoch in dieser Beurteilung der Marktverhältnisse völlig geirrt, wie sich bis zur Aufstellung der Bilanz 1954 eindeutig und unbestritten gezeigt habe. Denn es habe weder 1954 noch 1955 eine Aufnahmebereitschaft für das Buch bestanden, wie die Verkaufsergebnisse gezeigt hätten. Daß diese Tatsache sich erst im Jahre 1955 herausgestellt habe, sei reiner Zufall. Hätte man z. B. bereits 1954 nach den Grundsätzen der Marktanalyse Ermittlungen angestellt, so hätten diese ohne Zweifel die gleiche Feststellung gebracht.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
Im Streitfall steht einmal zur Entscheidung, ob der Bf. die Teilherstellungskosten von 3927 DM zum 31. Dezember 1954 zu aktivieren hatte oder ob er sie über Unkosten verbuchen konnte, und zum anderen, ob er eine Rückstellung von 15 000 DM wegen drohender Verluste zu diesem Zeitpunkt ansetzen konnte. Dabei ist davon auszugehen, daß unstreitig die Buchherausgabe finanziell ein völliger Fehlschlag war und dieser auch bei der Bilanzierung für 1954 im November 1955 feststand. Das Finanzgericht hat zutreffend ausgeführt, daß die Kosten von 3927 DM grundsätzlich als Teilherstellungskosten im Jahre 1954 hätten aktiviert werden müssen. Von dieser Aktivierung konnte nur dann abgesehen werden, wenn eine Fehlmaßnahme vorlag und diese im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung auch erkennbar war, da in diesem Fall sich Teilwert und Herstellungskosten nicht deckten, vielmehr eine sofortige Teilwertabschreibung im Herstellungsjahr 1954 und damit eine Verbuchung dieser Kosten über Unkosten zulässig gewesen wäre (siehe dazu Urteil des Bundesfinanzhofs I 239/54 U vom 14. Februar 1956, BStBl III S. 102, Slg. Bd. 62, S. 274). Das aber trifft im Streitfall zu. Nach dem unstreitigen Sachverhalt lag auch schon 1954 keine nennenswerte Verkaufsmöglichkeit für das Buch vor. Auch das Finanzamt hat nicht vorgetragen, daß im Jahre 1954 ein Markt für das Buch vorhanden gewesen sei und daß sich erst durch Ereignisse des Jahres 1955 eine Verschlechterung der Marktverhältnisse ergeben habe. Es ist vielmehr so, daß, wie der Bf. mit Recht ausführt, die Marktverhältnisse 1954 und 1955 gleich gewesen sind, diese Tatsache aber erst 1955 offenbar wurde, als das Buch zum Verkauf angeboten wurde. Dieser Sachverhalt ist aber noch vor Bilanzerstellung 1954 zur Erkenntnis des Bf. gelangt und kann daher von ihm bei dieser berücksichtigt werden. Die sofortige Verbuchung des Betrages von 3927 DM über Unkosten war demnach berechtigt, da auch ein Erwerber des Betriebes im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung für den aufgewandten Betrag nichts mehr bezahlt haben würde.
Hinsichtlich der Bildung der Rückstellung von 15 000 DM in der Bilanz 1954 gilt folgendes: Der Bundesfinanzhof hat in seiner Entscheidung I 118/55 U vom 3. Juli 1956 (BStBl 1956 III S. 248, Slg. Bd. 63 S. 133) zwar grundsätzlich ausgeführt, daß allgemeine Geschäfts- und Konjunkturrisiken, die nicht unmittelbar am Bilanzstichtag schwebende Geschäfte angehen, in der Bilanz nicht berücksichtigt werden dürften und der Steuerpflichtige wegen seiner pessimistischen Beurteilung der künftigen Konjunktur Rückstellungen nicht bilden dürfe (so auch Schmalenbach, Dynamische Bilanz, 12. Aufl., S. 155). Eine Rückstellung kann dagegen bei den sogenannten schwebenden Geschäften, die am Bilanzstichtag von beiden Seiten noch nicht erfüllt sind, dann gebildet werden, wenn ein solches Geschäft wegen drohender Verluste ein Risiko beinhaltet. Ob das der Fall ist, muß im Einzelfall geprüft werden. So liegt die Sache aber im Streitfall. Der Bf. hatte bereits im Oktober 1954 einen Druckauftrag erteilt und mit dem Satz des Werkes war anschließend begonnen worden. Damit lag ein schwebendes Geschäft vor, das noch von keiner Seite erfüllt war. Hätte der Bf. wegen des Satzes bereits im Jahre 1954 Zahlungen geleistet, die im Prinzip als Herstellungskosten zu aktivieren gewesen wären (halbfertige Arbeiten), so ist nicht zweifelhaft, daß er diese Kosten nach den oben gemachten Ausführungen bereits im Jahre 1954 hätte abbuchen können. Da der Mißerfolg des Buches bis zur Bilanzaufstellung im November 1955 feststand, konnte der Bf. für die zu erwartenden Verluste eine Rückstellung bilden, da er mit Recht davon ausgeht, daß die Ursache des Verlustes in der Auftragserteilung für den Druckauftrag im Oktober 1954 zu sehen ist, mithin nach den Grundsätzen der dynamischen Bilanzlehre dieses Jahr den Verlust zu tragen hat, wenn die Vorgänge bis zum Tage der Bilanzaufstellung bekannt und übersehbar waren (siehe dazu auch Herrmann - Heuer, Anm. 68 - 69 zu § 5 des Einkommensteuergesetzes - EStG -, und Hartmann-Böttcher, Anm. 40 k zu §§ 4, 5 EStG). Die Bildung eines Passivpostens ist auch dann erforderlich, wenn, wie hier, mit der Fertigung des zu liefernden Buches noch nicht begonnen, d. h. Kosten noch nicht angefallen sind (siehe dazu Falkenroth, Der Betriebs-Berater 1953 S. 974; Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, § 129 Textziffern 30 und 32). Es handelt sich hier um den auch von Schmalenbach (a. a. O. S. 162) erwähnten Fall, daß Lieferungsabschlüsse getätigt worden sind (hier Druckauftrag), für die man infolge des zu hoch geschätzten Absatzes später keine Verwendung hat und bei denen deshalb der Grundsatz der Vorsicht gebietet, die zu erwartenden Verluste nicht späteren Jahren zur Last zu legen. Der Senat vermag dem Finanzgericht nicht darin zu folgen, daß die Rückstellung deshalb unzulässig gewesen sei, weil das Buch am Bilanzstichtag 1954 noch nicht existierte, so daß ein Käufermarkt dafür noch nicht habe vorhanden sein können. Entscheidend ist vielmehr, daß die Grundlage für die Verluste mit der Erteilung des Druckauftrages gegeben war. Schon damals bestand eine ausreichende Verkaufsmöglichkeit für das Buch nicht, wie die spätere Entwicklung gezeigt hat, und dieser Zustand ist auch bis zur Bilanzaufstellung im November 1955 offenbar geworden, so daß der Bf. diese nachträgliche bessere Erkenntnis durch eine Rückstellung, deren Höhe nicht bestritten ist, berücksichtigen konnte.
Da die Vorentscheidung dies verkannt hat, war sie aufzuheben, ebenso der endgültige Einkommensteuerbescheid des Finanzamts vom 27. August 1958. Der Bf. und seine Ehefrau haben die uneingeschränkte Zusammenveranlagung beantragt. Die Sache ist somit spruchreif. Da die Bildung der Rückstellung und die Verbuchung des Betrages von 3927 DM über Unkosten zulässig war, verbleibt gemäß der Berechnung im vorläufigen Einkommensteuerbescheid 1954 kein steuerpflichtiges Einkommen für dieses Jahr, so daß der Bf. für 1954 von der Einkommensteuer freizustellen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 409394 |
BStBl III 1959, 325 |
BFHE 1960, 167 |
BFHE 69, 167 |
BB 1959, 319 |
DB 1959, 903 |