Entscheidungsstichwort (Thema)

Absehen von Zollnachforderung

 

Leitsatz (NV)

Zu den Voraussetzungen für ein Absehen von der Zollnacherhebung (hier: zollamtlicher Irrtum, beeinflußt durch eine einem Dritten erteilte verbindliche Zolltarifauskunft).

 

Normenkette

EWGV 1697/79 Art. 5 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger führte am 7. Oktober 1986 aus der Schweiz eine als "(gezuckerte) Orangenlimonade ... " der Tarifstelle 22.02 A des damaligen Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) angemeldete Ware ein, die als solche antragsgemäß zum zollrechtlich freien Verkehr abgefertigt und zollfrei gelassen wurde. Nachdem das beklagte und revisionsbeklagte Hauptzollamt (HZA) durch Nachfrage bei dem Warenempfänger -- Firma X -- die Zusammensetzung der Ware (angabegemäß 9 600 kg Kristallzucker, 14 394 kg Wasser, 1 kg Orangen-Essenz) ermittelt hatte, wertete es das Erzeugnis als (anderen) "Zukersirup" der Tarifstelle 21.07 F IV GZT und forderte von dem Kläger Eingangsabgaben nach (Steueränderungsbescheid vom 2. März 1988, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 1993).

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Trinkfertigkeit der Ware ab. Eine Limonade im zolltariflichen Sinne liege nicht vor, vielmehr ein Erzeugnis des Kapitels 21, das möglicherweise als (andere) anderweit weder genannte noch inbegriffene Lebensmittelzubereitung der Tarifstelle 21.07 G I d GZT anzusehen sei, mindestens aber den für Waren der Tarifstelle 21.07 F IV vorgesehenen Abgaben unterliege. Die eingeführte Ware sei wegen ihres hohen Zuckergehalts (40 GHT) nicht zum menschlichen Genuß geeignet und bestimmt (Hinweis auf das Gutachten). Der Kläger sei Zollbeteiligter nach der Angabe im Zollantrag und somit Abgabenschuldner. Aus dem Umstand, daß er sich zugleich als Bevollmächtigter bezeichnet habe, lasse sich nicht folgern, daß er in Wirklichkeit die Firma X habe vertreten wollen. Im Hinblick auf die beantragte abgabenfreie Abfertigung könne die Bezeichnung des Klägers als Zollbeteiligter keine nur zahlungstechnische Bedeutung gehabt haben. Die Nachforderung sei auch nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Ein Fall von Art. 5 Abs. 1 der (Nacherhebungs-)Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 197/1) -- VO -- liege nicht vor; die verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA), auf die der Kläger sich berufe (Tarifstelle 22.02 A), sei nicht ihm, sondern der Firma X erteilt worden und binde zudem nur eine andere Zollstelle des HZA. Eine Zusicherung, im Sinne der vZTA abzufertigen, sei dem Kläger nicht gegeben worden (Zeugenaussage). Art. 5 Abs. 2 VO greife ebenfalls nicht ein. Die Zollanmeldung -- Angabe der Tarifstelle 22.02 A (= trinkbares Erzeugnis) -- sei nicht ordnungsgemäß; durch die vom Kläger behauptete Angabe des Zuckergehalts von 40 GHT in der der Anmeldung beigefügten Rechnung werde jene nicht richtig, sondern widersprüchlich. Die Nichtaufdeckung eines sich aus der Zollanmeldung ergebenden Widerspruchs spreche gegen einen aktiven Irrtum der Abfertigungszollstelle.

Mit der Revision bekämpft der Kläger die Rechtsauffassung der Vorinstanz. Die Begründung entspricht im wesentlichen seinem Vorbringen in dem gegen das HZA geführten, durch Senatsurteil vom heutigen Tage entschiedenen Revisionsverfahren VII R 75/95, nicht veröffentlicht. Zusätzlich trägt der Kläger mit Bezug auf das Ergebnis der Zeugenvernehmung vor, der Abfertigungsbeamte habe sich bei der durch die vZTA gebundenen Zollstelle wegen der dort vorliegenden Auskunft erkundigt; dies wäre nicht sinnvoll gewesen, wenn er den Kläger nicht als bevollmächtigten Vertreter der Firma X angesehen hätte. Die vZTA binde auch die Abfertigungszollstelle, selbst wenn diese neben der gebundenen Zollstelle -- gleichfalls Dienststelle des HZA und als solche in der Auskunft bezeichnet -- nicht genannt sei. Im übrigen sei dem Kläger die zollamtliche Genehmigung erteilt worden, "ausnahmsweise unter Gebrauch der vZTA" die Ware über die Abfertigungszollstelle einzuführen. Deren ausdrückliche Bindung zu verlangen, liefe, auch angesichts der Rechtsentwicklung, auf eine bloße Förmelei hinaus. Auf einen bei Erteilung der vZTA unterlaufenen Irrtum, der sich bei der Abfertigung fortgesetzt habe, könne der Kläger sich auch berufen, wenn er selbst Zollbeteiligter geworden sein sollte.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und dem Klageantrag stattzu geben, hilfsweise: die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er regt die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) insbesondere zu Fragen im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 2 VO an.

Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es hält die Vorentscheidung für zutreffend und verneint u. a. einen aktiven Irrtum der Abfertigungszollstelle (wie in der Revisionserwiderung im Verfahren VII R 75/95 BFH/NV 1997, 75).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt aus den Gründen des Urteils in VII R 75/95 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Auf das vorbezeichnete Urteil (auch Abschn. II Nr. 1) wird Bezug genommen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß eine Nachfrage der Abfertigungszollstelle wegen der vZTA denkgesetzlich nicht zwingend auf ein zollamtlich erkanntes Auftreten des Klägers als Vertreter schließen ließe, sondern allein aus Tarifierungsgründen veranlaßt gewesen sein könnte.

Bei der im zweiten Rechtsgang zu treffenden Entscheidung wird -- hinsichtlich eines etwaigen "aktiven" Irrtums der Abfer tigungszollstelle des HZA -- zu berücksichtigen sein, daß im Streitfall keine widersprüchliche, nicht befundgerechte Zollanmeldung vorliegt; angemeldet worden ist lediglich "gezuckerte Limonade". Auch die der Zollanmeldung beigefügte Rechnung, deren Inhalt als festgestellt anzusehen ist, weist die Zusammensetzung der Ware nicht aus. Da aber davon auszugehen sein wird, daß der Abfertigungszollstelle die dem Warenempfänger erteilte vZTA bekannt war -- das FG hat nämlich ausgeführt, diese Zollstelle hätte den Kläger nicht besonders auf die fehlende Bindung der Auskunft hinweisen müssen --, könnten Erhebungen darüber geboten sein, ob die Falschtarifierung in der vZTA, sollte sie irrtümlich, nämlich in Kenntnis der tarifierungserheblichen Tatsachen, erfolgt sein, zu einer entsprechenden Einreihung der Ware durch die Abfertigungszollstelle geführt hat (vgl. hierzu auch EuGH, Urteil vom 1. April 1993 C-250/91, EuGHE 1993, I-1839, 1846; Senat, Urteil vom 2. Mai 1991 VII R 117/89, BFH/NV 1992, 420). Im übrigen verweist der Senat auf seine Ausführungen in Abschn. II Nr. 3 des Urteils in VII R 75/95.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421612

BFH/NV 1997, 158

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