Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Billigkeitsmaßnahmen durch änderungen der Besteuerungsgrundlagen (ß 131 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO) sind auch im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren zulässig.

 

Normenkette

AO § 131 Abs. 1 S. 1, § 215 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist über die Ablehnung eines Antrags auf Teilerlaß der Einkommensteuer 1957 nach § 131 Abs. 1 Satz 2 AO, der beim Betriebstättenfinanzamt in Zusammenhang mit der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Gewinne 1956 und 1957 gestellt wurde.

Die Bfin., die in der Rechtsform einer KG (vier Gesellschafter) ein Cafe' betreibt, ermittelte bis zum 30. Juni 1957 ihren Gewinn nach einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr, das jeweils am 30. Juni endete. Ab 1. Januar 1958 stellten die Gesellschafter durch Vertrag vom 2. Januar 1958 die Gewinnermittlung auf das Kalenderjahr um und bildeten für 1957 ein Rumpfgeschäftsjahr vom 1. Juli bis 31. Dezember 1957. Bei der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für das Kalenderjahr 1957 erfaßte daher das Betriebstättenfinanzamt die in 1 1/2 Wirtschaftsjahren entstandenen Gewinne, weil nach § 2 Abs. 6 Ziff. 2 EStG 1957 für Gewerbetreibende bei abweichendem Wirtschaftsjahr der Gewinn als in dem Kalenderjahr bezogen gilt, in dem das Wirtschaftsjahr endet.

Nach Zustellung der einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheide für 1956 und 1957 beantragte die Bfin. innerhalb der Rechtsmittelfrist unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 131 Abs. 1 AO, die Besteuerungsgrundlagen anderweitig festzusetzen. In der Zugrundelegung eines Zeitraums von 18 Monaten bei der Ermittlung des gewerblichen Gewinns 1957 liege eine besondere Härte. Es entstünden den Mitunternehmern gegenüber der früheren Rechtslage einkommensteuerliche Mehrbelastungen von rund 8.700 DM. Hinzu komme eine Gewerbesteuermehrbelastung von rund 4.000 DM. Sie bat deshalb, die in den Jahren 1956 und 1957 entstandenen Gewinne nach der im EStG 1955 geltenden Form nach dem Verhältnis der jeweiligen Umsätze aufzuteilen.

Das Finanzamt lehnte die beantragte Verteilung ab, weil die Tatsache allein, daß die Umstellung des Wirtschaftsjahres zu einer Mehrbelastung führe, keine unbillige Härte im Sinne des § 131 AO sei.

Die Oberfinanzdirektion folgte der Auffassung des Finanzamts und wies die Beschwerde auch deshalb als unbegründet zurück, weil Billigkeitsmaßnahmen auf Grund von § 131 Abs. 1 Satz 2 AO nicht mehr nach Festsetzung der Steuer und nach der einheitlichen Gewinnfeststellung getroffen werden könnten.

Die Berufung blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht schloß sich unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 218/55 U vom 17. April 1956 (BStBl 1956 III S. 190, Slg. Bd. 62 S. 510) der Ansicht der Oberfinanzdirektion an.

Mit der Rb. rügt die Bfin. falsche Rechtsanwendung. Die Erteilung der Gewinnfeststellungsbescheide stelle noch keine Steuerfestsetzung dar. Gewinnfeststellung und Steuerfestsetzung seien zwei getrennte Verfahren.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet, da die sachlichen Gründe, mit denen die Finanzverwaltung die beantragten Billigkeitsmaßnahmen ablehnte, einen Ermessensfehler nicht erkennen lassen.

Die Bfin. beantragte im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren eine von § 2 Abs. 6 EStG 1957 abweichende Bemessung der Besteuerungsgrundlagen in Anwendung des § 131 Abs. 1 Satz 2 AO. änderungen der Besteuerungsgrundlagen im Billigkeitswege nach § 131 Abs. 1 Sätze 2, 3 AO sind, wie das Finanzgericht zutreffend annimmt, in den Fällen der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach §§ 213 Abs. 2, 215 AO im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren zu treffen. An die in diesem Verfahren getroffene Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist das Finanzamt nach § 218 Abs. 2 AO für die Veranlagung gebunden. Soweit eine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vorgeschrieben ist, darf hierüber im Veranlagungsverfahren keine Entscheidung mehr ergehen (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 360/60 U vom 26. Oktober 1961, BStBl 1962 III S. 220, Slg. Bd. 74 S. 594). Die von Mattern-Messmer (Reichsabgsbenordnung, § 131, Tz. 887) gegen die Zulässigkeit von Billigkeitsmaßnahmen im Gewinnfeststellungsverfahren erhobenen Bedenken teilt der Senat nicht. Mattern-Messmer halten es für zweifelhaft, ob einer Landesfinanzbehörde die Kompetenz für Billigkeitsmaßnahmen zusteht, wenn Steuerpflichtige in verschiedenen Bundesländern wohnen. Dieser Grund reicht nicht aus, Billigkeitsmaßnahmen durch änderungen der Besteuerungsgrundlagen im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren auszuschließen. Maßnahmen des einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahrens wirken sich, sofern die Mitunternehmer in verschiedenen Bundesländern wohnen, stets auf deren Steueraufkommen aus. Es handelt sich bei diesen Maßnahmen um eine die Verwaltungshoheit der einzelnen Länder beeinträchtigende allgemeine Wirkung des § 215 AO.

Die Bfin. stellte im vorliegenden Falle ihren Billigkeitsantrag vor Ablauf der Rechtsmittelfrist gegen den einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid. Der Senat nimmt an, daß sie hiermit gleichzeitig den Eintritt der Rechtskraft hindern wollte, weil sie nur so den erstrebten Erfolg (änderung der Besteuerungsgrundlagen im Billigkeitswege) erreichen konnte. Ihr Antrag ist deshalb auch als Einspruch anzusehen, so daß die erstrebte Billigkeitsmaßnahme in entsprechender Anwendung des im Urteil des Bundesfinanzhofs I 218/55 U ausgesprochenen Grundsatzes über die Zulässigkeit von Billigkeitsmaßnahmen vor Eintritt der Rechtskraft der Steuerfestsetzung noch möglich war. Jedoch lassen die sachlichen Gründe, mit denen die Finanzverwaltung den Antrag ablehnte, einen Ermessensfehler nicht erkennen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411845

BStBl III 1966, 103

BFHE 1966, 285

BFHE 84, 285

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