Leitsatz (amtlich)
Eine vZTA tritt auch dann außer Kraft, wenn nach ihrer Erteilung eine Erläuterungsverordnung der EG-Kommission erlassen wird, die die für die Auskunft maßgebende Rechtsgrundlage ändert.
Normenkette
ZG § 23 Abs. 3
Tatbestand
Die Beklagte (die Oberfinanzdirektion – OFD –) erteilte der Klägerin auf deren Antrag am 28. September 1979, 24. Oktober 1979 und 5. Februar 1980 über verschiedene Sportschuhe fünf verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA).
In diesen vZTA wies die OFD die Waren jeweils als „Schuhe mit Laufsohlen aus Kautschuk und Oberteil aus Spinnstoffgewebe” der Tarifst 64.02 B des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Die von der Klägerin dagegen eingelegten Einsprüche, mit denen sie die Zuweisung der Waren als „Schuhe mit Laufsohlen aus Kautschuk und Oberteil aus Leder” zur Tarifst. 64.02 A GZT erstrebte, blieben ohne Erfolg.
Mit ihren Klagen beantragt die Klägerin, die Einspruchsentscheidungen und die vZTA aufzuheben und die OFD zu verpflichten, die jeweiligen Sportschuhe der Tarifst. 64.02 A des Zolltarifs (ZT) zuzuordnen. Zur Begründung macht sie geltend: Da der Oberteil der Schuhe sowohl Leder wie Spinnstoffgewebe enthalte, habe die Tarifierung nach dem charakterbestimmenden Stoff oder Bestandteil zu erfolgen. Hierbei seien der Umfang des Stoffes, sein Wert und seine Bedeutung für den Verwendungszweck maßgebend. Bei den Sportschuhen der Klägerin sei dies hinsichtlich des Oberteils das Leder. Das Leder überwiege sowohl im Umfang als auch im Wert den Spinnstoffgewebeanteil.
Die OFD beantragte zunächst, die Klagen als unbegründet abzuweisen. Mit Schriftsätzen vom. Juli 1980 teilte die OFD mit, daß die den Einspruchsentscheidungen zugrunde liegenden vZTA nach § 23 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) mit Ablauf des 11. Juni 1980 aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1074/80 (VO Nr. 1074/80 der Kommission vom 29. April 1980 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 113/54 vom 1. Mai 1980) außer Kraft getreten seien. Die OFD erklärte aus diesem Grunde die Rechtsstreite in der Hauptsache für erledigt und bat darum, die Kosten der Verfahren der Klägerin aufzuerlegen.
Mit Schriftsätzen vom 22. Juli 1980 widersprach die Klägerin den Erledigungserklärungen der OFD und vertrat die Auffassung, die Sachen seien nicht erledigt. Zur Begründung führte sie aus: Die VO Nr. 1074/80 gelte erst ab dem 12. Juni 1980. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten die vZTA gegolten. Die Tatsache, daß durch die neue Verordnung die Sportschuhe nunmehr möglicherweise der Tarifst. 64.02. B GZT zuzuordnen seien, und zwar ab dem 12. Juni 1980, sage nichts über den Rechtszustand zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Zolltarifauskünfte und dem genannten Zeitpunkt. Über diesen Zeitraum müsse daher auf alle Fälle entschieden werden. Sie, die Klägerin, halte an ihrer Meinung fest, daß die vZTA im vorliegenden Fall dem Gesetz widersprächen und aufgehoben werden müßten.
Entscheidungsgründe
Die Klagen sind wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen.
1. Der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Beschluß vom 5. März 1979 GrS 4/78 (BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375) entschieden, daß das Gericht die Klage mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen hat, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, das beklagte Finanzamt (FA) die Erledigung erklärt und der Kläger seinen Sachantrag aufrechterhält. Auf die Begründung dieses Beschlusses, der in Einklang mit den Auffassungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) steht, wird verwiesen.
2. In den vorliegenden Fällen ist die Hauptsache jeweils erledigt.
Im finanzgerichtlichen Prozeß ist die Hauptsache erledigt, wenn irgendein Ereignis, das nach der Rechtshängigkeit eingetreten ist, alle im Streit befangenen Sachfragen gegenstandslos gemacht hat (vgl. BFHE 127, 147, 152, BStBl II 1979, 375). Als ein solches Ereignis ist das Inkrafttreten der VO Nr. 1074/80 anzusehen. Dadurch sind die vZTA außer Kraft getreten.
Nach § 23 Abs. 3 ZG tritt eine vZTA außer Kraft, wenn die in ihr angewendeten Rechtsvorschriften geändert werden. Es ist fraglich, ob diese Vorschrift im vorliegenden Fall unmittelbar anwendbar ist. Zwar gehören auch die durch EWG-Verordnung erlassenen rechtsverbindlichen Erläuterungen zum GZT zu den Rechtsvorschriften i. S. des § 23 Abs. 3 ZG (vgl. Laubereau, Außerkrafttreten verbindlicher Zolltarifauskünfte, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1974 S. 244 – ZfZ 1974, 244 –). In den angefochtenen vZTA sind aber nur die ATV und die Tarifst. 64.02 A und 64.02 B GZT angewendet worden. Diese Vorschriften sind durch die VO Nr. 1074/80 nicht unmittelbar geändert worden. Das durfte nach der Verordnung (EWG) Nr. 97/79 (VO Nr. 97/69) des Rates vom 16. Januar 1969 (ABlEG Nr. L 14/1 vom 21. Januar 1969), auf der die VO Nr. 1074/80 beruht, auch nicht geschehen, da – wie sich aus Absatz 2 der Begründung dieser Verordnung ergibt – die Kommission nur Bestimmungen erlassen kann, die den GZT erläutern, ohne seinen Wortlaut zu ändern. Die VO Nr. 1074/80 hat nur diese Bestimmung für eine bestimmte Warenart in verbindlicher Weise erläutert. Es kann hier letztlich unentschieden bleiben, ob insbesondere wegen des letztgenannten Umstandes § 23 Abs. 3 ZG unmittelbar anwendbar ist. Denn zumindest muß diese Bestimmung sinngemäß angewendet werden.
Die Rechte, die dem Antragsteller aus einer vZTA erwachsen (§ 23 Abs. 2 ZG), beruhen auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes. Die Verwaltung kann aber unter diesem Gesichtspunkt an ihrer – auch rechtsirrig erteilten – Auskunft sinnvollerweise nur festgehalten werden, soweit sich die Rechtsgrundlage, die auf die Erteilung der Auskunft von Einfluß sein kann, nicht geändert hat. Ist eine solche Änderung eingetreten, so ist der Schutz des Vertrauens des Antragstellers in die Richtigkeit der Auskunft nicht mehr gerechtfertigt, da diese unter anderen Voraussetzungen erteilt worden war.
Durch den Erlaß der VO Nr. 1074/80 ist die für die erteilten vZTA maßgebliche Rechtsgrundlage geändert worden. Die VO Nr. 1074/80 befaßt sich mit Waren der in den vZTA bezeichneten Art. Sie hat den Anwendungsbereich der Tarifst. 64.02 A und 64.02 B GZT in rechtsgestaltender und für die Gerichte bindender Weise (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – EGH – vom 28. März 1979 Rs. 158/78, EGHE 1979, 1103, 1119) eingegrenzt. Sportschuhe der gleichen Art, wie sie den Gegenstand der vZTA bilden, gehören nach dieser Verordnung trotz des Lederbesatzes zur Tarifst. 64.02 B. Damit ist die Rechtslage, auf der die vZTA beruhten, in einer Weise verändert worden, die potentiellen Einfluß auf die Richtigkeit der Auskünfte haben kann. Dabei kommt es nur auf die formelle Tatsache dieser Änderung an, nicht auch darauf, ob die Änderung materielle Auswirkungen hat. Denn jedenfalls hat sich die Grundlage verändert, die Ausgangspunkt für die Gewährung des Vertrauensschutzes für den Antragsteller war. Das rechtfertigt die (wenigstens) analoge Anwendung des § 23 Abs. 3 ZG auf den vorliegenden Fall. Es ist also davon auszugehen, daß die angefochtenen vZTA außer Kraft getreten sind.
Ist eine vZTA nach § 23 Abs. 3 ZG außer Kraft getreten und hat damit sich die angefochtene vZTA erledigt, so ist auch – abgesehen vom Falle des Übergangs zur Fortsetzungsfeststellungsklage des § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) – die gegen sie gerichtete Klage erledigt (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 17. Januar 1978 VII K 7/76, BFHE 124, 150; vom 4. April 1978 VII K 4/77 BFHE 125, 24, BStBl II 1978, 407, und vom 29. April 1980 VII K 5/77, BFHE 130, 568). Es sind durch das Außerkrafttreten der vZTA alle im Verfahren befangenen Sachfragen gegenstandslos geworden. Mit ihrem Antrag kann die Klägerin sachlich nicht mehr erreichen, als was durch das Außerkrafttreten der vZTA schon erreicht ist.
3. Die Klägerin wendet gegen diese der Erledigungserklärung der OFD entsprechende Auffassung ein, die vZTA seien wenigstens bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO Nr. 1074/80 unrechtmäßig gewesen. Es kann dahinstehen, ob dem so ist. Denn selbst wenn die Klägerin recht hätte, könnte dies auf ihren Aufhebungsantrag hin nur zur Aufhebung der vZTA führen, also sachlich zu nicht mehr, als durch das Außerkrafttreten der vZTA bereits erreicht ist Dieses Vorbringen der Klägerin kann nach seinem klaren Wortlaut auch nicht als ein Übergehen zur Fortsetzungsfeststellungsklage i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO angesehen werden, deren Zulässigkeit zudem zweifelhaft wäre (vgl. BFHE 125, 24, BStBl II 1978, 407 und BFHE 130, 568).
4. Wenn durch ein außergerichtliches Ereignis das Rechtsschutzgesuch gegenstandslos geworden ist, ist das Rechtsschutzinteresse für das Klagebegehren weggefallen; die Sachentscheidung des Gerichts muß daher nach der inzident getroffenen Feststellung der Erledigung der Hauptsache auf Klageabweisung gehen (vgl. BFHE 127, 147, 154, BStBl II 1979, 375). Die von der Klägerin weiterhin aufrechterhaltenen Anträge sind daher unzulässig und die Klagen abzuweisen. Die Klägerin hat insoweit nach § 135 Abs. 1 FGO die Kosten zu tragen (vgl. BFHE 127, 147, 154, BStBl II 1979, 375).
Fundstellen
Haufe-Index 510422 |
BFHE 1981, 501 |