Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat hält an der ständigen Rechtsprechung des BFH fest, daß ein rechtskräftiger Veranlagungsbescheid auch auf Grund eines erstmals ergangenen Feststellungsbescheides entsprechend § 218 Abs. 4 AO geändert werden kann.
2. Tatsachen, die nur das Feststellungsverfahren betreffen, können keine neuen Tatsachen i. S. von § 222 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO in bezug auf das Veranlagungsverfahren sein.
2. Eine für den Veranlagungszeitraum 1954 nach dem 30. Juni 1957 durchgeführte Folgeänderung eines rechtskräftigen, auf Zusammenveranlagung von Eheleuten lautenden Einkommensteuerbescheides kann nicht zu einer nachträglichen getrennten Veranlagung nach § 26 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 26 Abs. 1, § 26a EStG 1957 führen, wenn die Folgeänderung auf einem erstmals erlassenen Feststellungsbescheid beruht.
Normenkette
AO § 218 Abs. 4, § 222 Abs. 1 Nrn. 1-2; EStG 1957 § 26 Abs. 1, 2 Nr. 2, § 26a
Tatbestand
Die Revisionskläger (Steuerpflichtige) sind Eheleute. Streitig ist, ob sie nach den §§ 26, 26a EStG 1957 für den Veranlagungszeitraum 1954 getrennt zur ESt zu veranlagen waren.
Der Revisionsbeklagte (FA) hatte die Steuerpflichtigen für 1954 durch Bescheid vom 6. November 1956 gemäß § 26 EStG in der Fassung vor 1957 zusammenveranlagt. Hierbei wurden neben Einkünften des Ehemannes auch solche der Ehefrau angesetzt. Der Bescheid wurde rechtskräftig.
Im Jahre 1958 fand eine Betriebsprüfung statt, die zu dem Ergebnis führte, daß der klagende Ehemann auch an einer Forstbetriebsgemeinschaft beteiligt sei. Deren Gewinne und Verluste seien einheitlich festzustellen und auf die einzelnen Eigentümer zu verteilen. Das FA erließ deshalb im November 1960 für mehrere Jahre, darunter auch für das Streitjahr, erstmalige einheitliche Feststellungsbescheide. Es ergab sich für 1954 ein Verlustanteil des Ehemanns von 518 DM. Das FA berichtigte daher mit Bescheid vom 2. Januar 1961 u. a. auch die Einkommensteuerveranlagung 1954 nach § 218 Abs. 4 AO, indem es den bisher schon angesetzten Verlust aus Land- und Forstwirtschaft um diese 518 DM erhöhte. Im übrigen beließ es das FA bei der bisherigen Veranlagung, insbesondere der bisherigen Veranlagungsart (Zusammenveranlagung). Hiergegen wandten sich die Steuerpflichtigen und begehrten unter Berufung auf § 26 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1957 getrennte Veranlagung nach § 26a dieses Gesetzes.
Einspruch und Berufung (Klage) hatten keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, daß die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes an der Bestimmung des § 26 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1957 zu messen ist. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift sind insoweit erfüllt, als es sich einmal bei dem Streitjahr um einen Veranlagungszeitraum zwischen 1949 und 1957 handelt, zum anderen bezüglich dieses Streitjahres auch eine Berichtigungsveranlagung nach dem 30. Juni 1957 durchgeführt wurde. Die Steuerpflichtigen bezweifeln auch nicht, daß die sich nur zu ihren Gunsten auswirkende Berichtigung nach § 218 Abs. 4 AO möglich war. Ihrem Wortlaut nach ist die Bestimmung zwar nur anzuwenden, wenn eine Änderung des Grundlagenbescheides vorausgegangen ist. Es entspricht jedoch ständiger Rechtsprechung, eine Folgeänderung entsprechend § 218 Abs. 4 AO auch dann durchzuführen, wenn nach rechtskräftiger Veranlagung ein Grundlagenbescheid erstmals ergeht (vgl. die im Urteil des BFH VI R 206/66 vom 12. Januar 1968, BFH 91, 406, BStBl II 1968, 396, angeführten Entscheidungen). Der Senat hält trotz gelegentlich geäußerter Kritik (vgl. z. B. Leingärtner, Deutsches Steuerrecht 1967 S. 591) an dieser Rechtsprechung fest. Es trifft zwar zu, daß eine Durchbrechung der Rechtskraft eines Bescheides (hier des Veranlagungsbescheides) grundsätzlich auf gesetzlich geregelte Sondertatbestände beschränkt bleiben muß. Dem steht aber nicht entgegen, daß die Rechtsprechung einen bereits gegebenen gesetzlichen Sondertatbestand (hier § 218 Abs. 4 AO) in sinnvoller Weise auslegt. Bei einer Zusammenschau der Abs. 2 und 4 des § 218 AO rechtfertigt sich die seit nunmehr fast 40 Jahren von der Rechtsprechung vertretene Auffassung. Es wäre nicht sinnvoll, einerseits die Feststellung bestimmter Besteuerungsgrundlagen einem besonderen Feststellungsverfahren zuzuweisen, andererseits aber diese Feststellungen nicht in das Veranlagungsverfahren zu übernehmen. Das gilt insbesondere für solche Fälle, bei denen sich wie im Streitfall die Notwendigkeit eines Feststellungsverfahrens erst nachträglich ergibt.
Ist somit davon auszugehen, daß nach dem 30. Juni 1957 eine Folgeberichtigung des rechtskräftigen Zusammenveranlagungsbescheides durchzuführen war, so reicht diese Tatsache, wie die Vorinstanzen zutreffend hervorgehoben haben, für sich allein nicht aus, eine getrennte Veranlagung zu rechtfertigen. Die Rechtsprechung hat vielmehr zutreffend aus Satz 2 der Nr. 2 des § 26 Abs. 2 EStG 1957 gefolgert, daß eine Folgeberichtigung nach § 218 Abs. 4 AO nur dann wie eine unmittelbare Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO zu einer nachträglichen getrennten Veranlagung führt, wenn der die Folgeberichtigung auslösende Grundlagenbescheid nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 und 2 berichtigt wurde (vgl. die Urteile des Senats IV 284/59 U vom 3. August 1961, BFH 73, 674, BStBl III 1961, 511, und IV 440/60 S vom 21. September 1961, BFH 73, 847, BStBl III 1961, 574; vgl. ferner zu der synonymen Vorschrift des § 52a Abs. 1 EStG 1965 betreffend die getrennte Veranlagung von Eltern und Kindern das BFH-Urteil VI R 206/66 vom 12. Januar 1968). An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall; denn der Feststellungsbescheid, der zur Folgeberichtigung geführt hat, ist nicht nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO geändert, sondern erstmals erlassen worden. Es fehlt also an der für eine nachträgliche getrennte Veranlagung zu fordernden Wiederaufrollung des Steuerfalles, sei es im Veranlagungs-, sei es im Feststellungsverfahren.
Die Steuerpflichtigen verkennen nicht, daß eine Wiederaufrollung des Feststellungsverfahrens nicht vorlag. Sie glauben aber, daß der letztlich zur Berichtigung nach § 218 Abs. 4 AO führende Sachverhalt sich auch beim Veranlagungsverfahren als neue Tatsachen im Sinn des § 222 Abs. 1 Nr. 2 AO auswirkt. Dem kann nicht gefolgt werden. Feststellungs- und Veranlagungsverfahren sind getrennte Verfahren. Sie führen zu getrennten Bescheiden, die getrennt anfechtbar sind und denengegenüber Einwendungen, die in dem einen Verfahren geltend zu machen sind, nicht in dem anderen Verfahren erhoben werden können (§ 232 Abs. 2 AO). Es können daher "neue Tatsachen", die nur das Feststellungsverfahren betreffen, nicht neue Tatsachen für das Veranlagungsverfahren sein. Wollte man dem nicht folgen, so müßte man in der Mehrzahl aller Fälle von Berichtigungen des Grundlagenbescheides - die meisten Berichtigungen beruhen auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO - zu dem Ergebnis kommen, daß auch das Veranlagungsverfahren aufgerollt ist, eine Folge, die, da das FA dann z. B. auch frühere Rechtsfehler berichtigen könnte, für die Steuerpflichtigen sehr ungünstig wäre. Tatsachen, die ihrer Natur nach nur im Feststellungsverfahren zu berücksichtigen und nur in diesem Verfahren als "neue Tatsachen" zu werten sind, können daher auch dann keine neuen Tatsachen für das Veranlagungsverfahren sein, wenn sie nicht zur Berichtigung, sondern überhaupt erst zum Erlaß eines Feststellungsbescheides geführt haben.
Auch der Einwand der Steuerpflichtigen, der Sinn des § 26 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1957 rechtfertige das Begehren nach getrennter Veranlagung, ist nicht begründet. Der Sinn der Vorschrift ist nicht eine völlige Gleichstellung der Steuerpflichtigen, deren Gewinnanteile im Feststellungsverfahren zu ermitteln sind, mit den Steuerpflichtigen, deren Gewinn im Veranlagungsverfahren selbst ermittelt wird. Eine solche Gleichstellung ist auch sonst nicht gegeben, weil die Folgeberichtigung nach § 218 Abs. 4 AO nicht zu einer Wiederaufrollung des ganzen Veranlagungsverfahrens führt. Ein Steuerpflichtiger darf bei einer Gewinnberichtigung zu seinen Gunsten im Feststellungsverfahren nicht im Anschluß an den Folgeänderungsbescheid nach § 218 Abs. 4 AO weitere ihm günstige, das Veranlagungsverfahren betreffende Umstände (z. B. vergessene Sonderausgaben) nachschieben, während er dies könnte, wenn der Gewinn anläßlich der Wiederaufrollung des Veranlagungsverfahrens herabgesetzt würde. Umgekehrt darf bei einer Gewinnberichtigung im Feststellungsverfahren zuungunsten des Steuerpflichtigen das FA nicht im Rahmen des Folgeänderungsbescheides weitere Korrekturen zuungungunsten (z. B. die Streichung zu Unrecht gewährter Sonderausgaben) vornehmen. Wenn die Vorschrift des § 26 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1957 wegen der durch die Nichtigkeit des § 26 EStG a. F. hervorgerufenen besonderen Situation bei der Ehegattenbesteuerung einen Schritt weiter gegangen ist, indem sie wenigstens in den Fällen der Wiederaufrollung des Feststellungsverfahrens noch eine Änderung der Veranlagungsart, über die an sich nur im Veranlagungsverfahren zu entscheiden ist, zugelassen hat, so kann hieraus nicht gefolgert werden, daß diese Sonderregelung auch auf andere Berichtigungsfälle ausgedehnt werden müsse. Der Gesetzgeber sah sich durch die Nichtigerklärung des § 26 EStG a. F. aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (BVerfGE Bd. 6 S. 55, BStBl I 1957, 193) vor die Aufgabe gestellt, durch eine sofortige Übergangsregelung die gröbsten Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Aus dieser Situation heraus sind die §§ 26 ff. EStG 1957 entstanden. Daß dabei nicht jede Ungereimtheit beseitigt wurde, kann dem Gesetzgeber nicht zum Vorwurf gemacht werden (vgl. BFH-Urteil VI 315/58 U vom 20. März 1959, BFH 68, 570, BStBl III 1959, 218). Daß das im Streitfall gewonnene Ergebnis sachlich völlig ungerechtfertigt sei, kann den Steuerpflichtigen nicht zugegeben werden. Letztlich werden sie nicht anders behandelt, als wenn von vornherein bei ihrer Einkommensteuerveranlagung der weitere Verlust von 518 DM berücksichtigt worden wäre. Daß das von ihnen angeführte BFH-Urteil VI 56/59 vom 4. September 1959 (StRK, Reichsabgabenordnung, § 234, Rechtsspruch 4) auf den Streitfall nicht paßt, haben sie selbst erkannt. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß auch in den Fällen einer Änderung nach § 94 AO ebenso wie bei einer Berichtigung nach § 225 AO eine nachträgliche Änderung der Veranlagungsart ausgeschlossen ist (vgl. die Urteile des Senats IV 284/59 U und IV 348/59 vom 15. Juni 1960, StRK, Einkommensteuergesetz 1957, § 26, Rechtsspruch 31).
Fundstellen
Haufe-Index 69134 |
BStBl II 1970, 778 |
BFHE 1970, 310 |