Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilerlaß eines Tabaksteuerausgleichs

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Zulässigkeit eines Teilerlasses aus Billigkeitsgründen

2. Zur gerichtlichen Prüfung einer behördlichen Ermessensentscheidung aus sachlichen Billigkeitsgründen

3. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, bei der Entscheidung über einen Erlaß aus Billigkeitsgründen das Maß der Entschuldbarkeit des Verhaltens eines Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, das zur Entstehung der Steuer geführt hat, und nur einen Teilerlaß auszusprechen, wenn das Verhalten nicht in vollem Umfang entschuldbar ist.

4. Zum Erfordernis der Darlegung der Gründe für einen Teilerlaß unter Beachtung der Entschuldbarkeit.

 

Normenkette

AO 1977 § 227 Abs. 1; TabakStG a.F. § 27 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) unterhält in A eine Betriebstätte, in der Tabakaufbereitungen vorgenommen werden. Aus einer Saucentrommel dieser Betriebstätte, in der Tabak aufbereitet wird, ist ohne Zollaufsicht sog. Gekrätze abgefahren und auf eine Müllkippe verbracht und dort vernichtet worden. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) ist davon ausgegangen, daß das ohne Zollaufsicht aus der Betriebstätte entfernte Gekrätze einer Rohtabakmenge von . . . kg entspricht, und hat mit Steuerbescheid vom 24. Oktober 1977 von der Klägerin nach § 27 Abs. 1 des Tabaksteuergesetzes a. F. - TabStG - (Bekanntmachung vom 1. September 1972, BGBl I 1972, 1634, i. d. F. des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 - vom 14. Dezember 1976, BGBl I 1976, 3341, 3353) Tabaksteuerausgleich in Höhe von . . . DM (7 DM je kg) gefordert. Der Einspruch gegen den Steuerbescheid hatte keinen Erfolg. Über die Klage ist noch nicht entschieden.

Auf Antrag der Klägerin erließ das HZA durch Verfügung vom 7. Februar 1980 den angeforderten Tabaksteuerausgleich bis auf ca. 1/5 des Steueranspruchs aus Billigkeitsgründen. Der Teilerlaß wird damit begründet, daß das Fehlverhalten, das zur Entstehung des Tabaksteuerausgleichs geführt habe, nicht in vollem Umfang entschuldbar sei.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses in dieser Höhe blieb erfolglos.

Die Klage, mit der die Klägerin eine Verpflichtung des HZA zum Erlaß des verbliebenen Tabaksteuerausgleichs anstrebte, hatte Erfolg.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG im wesentlichen aus, es sei nicht erkennbar, nach welchen Grundsätzen und Maßstäben der Tabaksteuerausgleich nur teilweise habe erlassen werden sollen. Im Streitfall gehe es nicht darum, ob und inwieweit die steuerlichen Auswirkungen eines vermeidbaren Besteuerungstatbestandes im gerechten Verhältnis zu einem möglicherweise entschuldbaren Fehlverhalten stünden, sondern darum, ob sich eine Besteuerung überhaupt noch mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbaren lasse. Ausgehend von dem Standpunkt, daß die Besteuerung nachweislich vernichteten Tabakabfalls keinen Sinn mehr ergebe, könne es auf Fragen des Verschuldens im Hinblick auf das Nichteinhalten von Verfahrensvorschriften nicht mehr ankommen. Es sei auch nicht zu erkennen, welchen Verschuldensmaßstab das HZA anlegen wolle. Eine Milderung des Steuersatzes nach Verschuldensgesichtspunkten sei willkürlich. Da allein der vollständige Erlaß sachlicher Billigkeit entspreche, habe die Verpflichtung zum Erlaß ausgesprochen werden können. Das FG hat gegen sein Urteil die Revision zugelassen.

Das HZA legte mit folgender Begründung Revision ein: Es rüge Verletzung des § 227 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und des § 27 Abs. 1 TabStG. Aus dieser zuletzt genannten Vorschrift folge, daß einem Steuerpflichtigen bei einer von ihm selbst vorgenommenen Vernichtung von Rohtabak, der erstmals der zollamtlichen Überwachung vorenthalten oder entzogen worden sei, eine Erstattung oder ein Erlaß des Tabaksteuerausgleichs nicht zustehe. Da die Entstehung des Tabaksteuerausgleichs davon abhänge, daß der Rohtabak erstmals der zollamtlichen Überwachung entzogen werde, könne ein - für eine Billigkeitsmaßnahme maßgebender - Überhang des gesetzlichen Tatbestandes gegenüber den Wertungen des Gesetzgebers allenfalls darin liegen, daß das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung aus entschuldbaren Gründen erfolgt sei. Damit sei die Ermessensgrenze nicht so eingeengt, daß nur eine bestimmte Entscheidung, nämlich der vollständige Erlaß des Tabaksteuerausgleichs, zulässig sei.

Das HZA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie macht geltend, das FG habe mit zutreffender Begründung entschieden, daß im vorliegenden Fall nur die Entscheidung über den Billigkeitsantrag ermessensfehlerfrei sein könne, den festgesetzten Tabaksteuerausgleich in vollem Umfang zu erlassen. Eine andere Entscheidung sei bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung nicht Rechtens, da unstreitig feststehe, daß die Tabakabfälle tatsächlich zu einer Müllkippe abgefahren und dort vernichtet worden seien. Für eine Verschuldensprüfung und einen Ermessensspielraum bleibe kein Platz. Ohnehin sei nicht ersichtlich, daß das HZA ein Verschulden und den Verschuldensgrad konkret geprüft und gewürdigt habe und daß es das ihm bei der Billigkeitsentscheidung zustehende Ermessen tatsächlich ausgeübt und dabei alle bei der ordnungsgemäßen Ausübung eines Ermessens zu beachtenden Gesichtspunkte berücksichtigt und gegeneinander abgewogen habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß nach § 227 Abs. 1 AO 1977 Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis auch zum Teil erlassen werden können (vgl. dazu Urteil des erkennenden Senats vom 7. Mai 1981 VII R 64/79, BFHE 133, 262, BStBl II 1981, 608) mit der Folge, daß die angefochtene Verfügung nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil nur ein Teil des Steueranspruchs erlassen worden ist.

2. Das FG hat auch zutreffend dargelegt, nach welchen Gesichtspunkten eine gerichtliche Entscheidung über den Erlaß eines Steueranspruchs zu ergehen hat.

Bei dieser Entscheidung ist danach zu beachten, daß der Erlaß von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt ist, so daß gerichtlich nur geprüft werden kann, ob bei der Ablehnung des Erlasses eines Steueranspruchs die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind und ob dabei von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist; Maßstab für Inhalt und Grenzen des Ermessens ist dabei die Billigkeit (vgl. BFHE 133, 262, BStBl II 1981, 608).

Da im Streitfall nur sachliche Billigkeitsgründe zum Erfolg führen können, ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Billigkeitsmaßnahme grundsätzlich davon abhängig, daß die vorgenommene Besteuerung des Sachverhalts - d. h. die Einziehung der Steuer (vgl. Urteil vom 24. März 1981 VIII R 117/78, BFHE 133, 60, BStBl II 1981, 505) - zwar dem gesetzlichen Tatbestand des § 27 Abs. 1 TabStG entspricht, im Einzelfall aber insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Besteuerung nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. Urteile vom 13. Juli 1976 VIII R 236/72, BFHE 119, 443, 445, BStBl II 1977, 125, und in BFHE 133, 60, 63, BStBl II 1981, 505) und deshalb mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist, also den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (vgl. Urteil vom 24. September 1976 I R 41/75, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127). Aus der Rechtsprechung des BFH ergibt sich weiter, daß als sachliche Billigkeitsgründe nur solche Umstände in Betracht kommen, die bei der Steuerfestsetzung durch Auslegung des Steuertatbestandes nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers nicht berücksichtigt werden können, da die Wertungen des Gesetzgebers bereits bei der Auslegung des gesetzlichen Steuertatbestandes und bei der Entscheidung über die Frage der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung zu berücksichtigen sind (vgl. BFHE 133, 60, BStBl II 1981, 505).

Im Streitfall hat das HZA allerdings bereits grundsätzlich anerkannt, daß die Voraussetzungen für eine Billigkeitsmaßnahme vorliegen, und infolgedessen auch eine solche Maßnahme gewährt. Da das HZA aber den Steueranspruch nicht in vollem Umfang erlassen hat, ist für die Entscheidung im Streitfall die Frage maßgebend, ob die Sachlage zu der Entscheidung zwingt, nur der Erlaß des Steueranspruchs in vollem Umfang entspreche einer fehlerfreien Ermessensausübung.

3. Die Feststellungen des FG rechtfertigen eine solche Entscheidung nicht. Folgt der erkennende Senat der Auffassung, daß die Besteuerung im Streitfall gegen Sinn und Zweck des Gesetzes verstoße und daß infolgedessen eine Billigkeitsmaßnahme gerechtfertigt sei, so ergibt sich daraus - entgegen der Auffassung des FG - noch nicht, daß der Erlaß nur eines Teils des Steueranspruchs durch das HZA ermessensfehlerhaft sei und daß das HZA verpflichtet gewesen sei, sein Ermessen in der Weise auszuüben, daß der Steueranspruch in vollem Umfang aus Billigkeitsgründen erlassen wurde. Da die Billigkeit Maßstab für Inhalt und Grenzen des Ermessens ist, können bei der Ermessensausübung alle Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die im Rahmen einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Interessenabwägung Bedeutung erlangen können; dazu gehört auch das Verschulden des Steuerpflichtigen bei dem Verhalten, das zur Entstehung der Steuer geführt hat (vgl. BFHE 133, 60, BStBl II 1981, 505). Entgegen der Auffassung des FG ist demnach die Entscheidung des HZA über die Billigkeitsmaßnahme nicht schon deshalb ermessensfehlerhaft, weil dabei das Maß der Entschuldbarkeit des Verhaltens der Klägerin, das zur Entstehung des Tabaksteuerausgleichs geführt hat, berücksichtigt worden ist. Außerdem kann ein Erlaß des Steueranspruchs in vollem Umfang aus Billigkeitsgründen nicht schon mit der Begründung gefordert werden, nach der Sachlage im Streitfall sei es nicht gerechtfertigt gewesen, die Entschuldbarkeit im Rahmen der Ermessensausübung dahin zu würdigen, daß nur ein Teilerlaß gewährt werde. Der Sachverhalt bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß unter Beachtung der Entschuldbarkeit des Verhaltens der Klägerin nur ein Erlaß in vollem Umfang der Billigkeit entspreche. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte vorhanden, die dazu zwingen, das Verhalten der Klägerin dahin zu würdigen, daß es in vollem Umfang entschuldbar sei.

4. Die angefochtene Verfügung ist entgegen der Auffassung des FG aber auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das HZA nicht näher dargelegt hat, weshalb es gerade den Erlaß von etwa 1/5 der Steuerschulden aus Billigkeitsgründen nicht für angemessen gehalten hat. Es ist zu berücksichtigen, daß das Verschulden ein stark subjektiv ausgerichteter Maßstab ist und daß eine Ermessensausübung auf der Grundlage des Verschuldens deshalb in der Regel in besonderem Maße von persönlichen Erwägungen desjenigen getragen wird, der das Ermessen ausübt. Ob dennoch zu fordern ist, daß die im Einzelfall angestellten Erwägungen in der Begründung der Billigkeitsentscheidung erkennbar werden, kann im Streitfall dahingestellt bleiben. Denn im vorliegenden Fall ist bereits dem Ergebnis der Ermessensausübung zu entnehmen, daß das HZA die Entschuldbarkeit der Klägerin hoch eingeschätzt hat. Mit Rücksicht darauf, daß aufgrund dieser erkennbaren Erwägungen mehr als 4/5 des Steueranspruchs erlassen worden sind, ist nicht zu beanstanden, daß nicht näher dargelegt worden ist, weshalb eine weitergehende Billigkeitsmaßnahme nicht gewährt worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413776

BFH/NV 1986, 706

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