Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Verhältnis zwischen Grundlagen- und Folgebescheid
Leitsatz (NV)
1. In einem Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids darf nicht über Fragen befunden werden, deren abschließende Prüfung dem Verfahren über einen Grundlagenbescheid vorbehalten ist. Gegebenenfalls muß das FG das Klageverfahren gegen den Steuerbescheid nach § 74 FGO aussetzen, um das Ergebnis eines Verfahrens zur gesonderten Feststellung abzuwarten.
2. Das Wohnsitzfinanzamt kann in seinem Steuerbescheid Besteuerungsgrundlagen, über die in einem gesonderten Feststellungsverfahren zu entscheiden ist, nur vorläufig im Wege der Schätzung nach §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 3 AO 1977 berücksichtigen.
Normenkette
AO 1977 § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a; EGAO Art. 97 § 1; EStG § 15 Nr. 2, § 22 Nr. 2, § 23
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war zusammen mit X im Jahre 1973 und in den ersten Monaten des Jahres 1974 als Angestellter in der Bank . . . tätig. Beide verabredeten, Devisentermingeschäfte zu tätigen und sich das Ergebnis hälftig zu teilen. Da ihnen dies in ihrem Anstellungsvertrag untersagt war, mußten sie sich dabei entweder eines Decknamens bedienen oder die Geschäfte über andere Bankhäuser abwickeln.
Jeder von ihnen zweigte davon für sich im Jahre 1974 Gewinne von . . . DM ab. Im selben Jahr flossen dem Kläger aus Devisentermingeschäften, die über das Bankhaus . . . abgewickelt wurden, Gewinne von . . . DM zu. Auch in diesem Falle ging die andere Hälfte des Gesamtgewinns aufgrund der Teilungsabrede an X.
Schließlich tätigten teils der Kläger im eigenen Namen und auf eigene Rechnung und teils die Ehefrau X - diese handelnd für Rechnung des Klägers und von X - im Jahre 1974 über die . . . Bank Devisentermingeschäfte, die für den Kläger Verluste brachten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) behandelte in seinem vollen Umfangs nach § 100 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufigen Einkommensteuerbescheid 1974 vom 28. September 1976 die vom Kläger erklärten Gewinne aus Devisentermingeschäften sämtlich als Einkünfte aus Spekulationsgeschäften i. S. von § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG), obwohl der Kläger der Auffassung war, nur etwa die Hälfte falle in die Spekulationsfrist i. S. der vorstehenden Vorschrift.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger, die Gewinne aus Devisentermingeschäften als nicht steuerbar bei der Einkommensteuerveranlagung 1974 unberücksichtigt zu lassen. Es fehle bei den Devisentermingeschäften an Anschaffungs- und Veräußerungsgeschäften i. S. von § 23 Abs. 1 EStG. Devisentermingeschäfte seien Spielgeschäfte i. S. der §§ 762, 764 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Den Vertragsparteien gehe es dabei wirtschaftlich nur um den Differenzbetrag. Im übrigen habe der Kläger mit X verabredet, die Gewinne aus Devisentermingeschäften zu teilen. Diese Teilungsabrede sei nur im Falle des über die . . . Bank abgewickelten Devisentermingeschäfts insofern nicht eingehalten worden, als der Kläger dabei auf die Erhebung der Differenzeinrede verzichtet habe.
Die Klage blieb im wesentlichen erfolglos. Das Finanzgericht (FG) ließ es in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 454 veröffentlichten Urteil dahinstehen, ob der Kläger aufgrund seiner Devisentermingeschäfte Einkünfte aus Gewerbebetrieb bezogen habe. In jedem Fall unterlägen die Gewinne als Einkünfte aus Spekulationsgeschäften der Einkommensteuer nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und 2 EStG. Bei Devisentermingeschäften seien das Anschaffungs- und das Veräußerungsgeschäft in dem Eröffnungs- und dem Gegengeschäft zu erblicken. Das FG ging davon aus, daß sämtliche Devisenan- und -verkäufe innerhalb der Spekulationsfrist von sechs Monaten getätigt worden seien, weil der Kläger entsprechende Unterlagen vernichtet habe. Der Höhe nach seien die Gewinne aus Spekulationsgeschäften für 1974 auf . . . DM aus Geschäften im eigenen Haus und . . . DM aus solchen über das Bankhaus . . . abzüglich eines Verlustes von . . . DM aus Devisentermingeschäften bei der . . . Bank zu ermäßigen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des § 215 Abs. 2 AO und des § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 EStG. Das FA und das FG hätten nicht beachtet, daß eine einheitliche Feststellung der Gewinne aus Devisentermingeschäften erforderlich gewesen wäre, weil hieran neben dem Kläger auch X beteiligt gewesen sei. Das FA und das FG hätten im Hinblick auf den subsidiären Charakter der §§ 22 und 23 EStG zunächst einmal prüfen müssen, ob die Bezüge aus Devisentermingeschäften als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu beurteilen seien. Das FG habe die Qualifizierung der Einkünfte auch nicht im Hinblick darauf dahinstehen lassen dürfen, daß der angefochtene Einkommensteuerbescheid vollen Umfangs vorläufig nach § 100 Abs. 1 AO ergangen sei. Diese Nebenbestimmung sei hinfällig, weil der Steuerfestsetzung eine Fahndungsprüfung vorausgegangen sei und weil auch in der Einspruchsentscheidung von einer vorläufigen Steuerfestsetzung nicht mehr die Rede sei. Das FG habe rechtsfehlerhaft die Devisentermingeschäfte als Spekulationsgeschäfte mit Anschaffungs- und Veräußerungsgeschäften beurteilt. Der Kläger habe in keinem Fall Devisen tatsächlich geliefert.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils bezüglich der Einkommensteuer 1974 und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung verletzt § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977) und Art. 97 § 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977).
Das FG hat festgestellt, daß der Kläger und X in der Bank . . ., bei der sie angestellt waren, Devisentermingeschäfte über ein bei dieser Bank geführtes Konto getätigt und sich den Gewinn abredegemäß geteilt haben. Auch im Falle der über das Bankhaus . . . durchgeführten Devisentermingeschäfte erzielten der Kläger und X die Gewinne gemeinschaftlich aufgrund ihrer Abrede, sich diese zu teilen. Die über die . . . Bank getätigten Devisentermingeschäfte gingen von einigen Eigengeschäften des Klägers abgesehen ebenfalls auf gemeinsame Rechnung des Klägers und von X. Der Kläger behauptet hier lediglich, die Teilungsabrede nur insofern nicht eingehalten zu haben, als er dabei auf die Erhebung der Differenzeinrede verzichtet habe.
Aufgrund dieser tatsächlichen Feststellungen konnte das FG im Verfahren über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1974 über die anteiligen Einkünfte des Klägers aus seiner Teilnahme an Devisentermingeschäften nicht entscheiden, ohne daß vorher wegen der Beteiligung von X an diesen Einkünften gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 ein gesondertes Feststellungsverfahren durchgeführt worden ist.
1. Nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 sind Einkünfte aller Einkunftsarten i. S. des § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 7 EStG 1974 (jetzt § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 EStG) gesondert festzustellen, wenn daran mehrere Personen beteiligt und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Obwohl der angefochtene Bescheid bereits im Jahre 1976 ergangen war, ist ein gesondertes Feststellungsverfahren nach dieser am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Vorschrift durchzuführen. Denn Änderungen auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrensrechts, welche das FA bei Aufhebung des angefochtenen Bescheids und Fortführung des Verfahrens nach neuem Recht zu beachten hätte, sind auch in einem anhängigen Gerichtsverfahren zu berücksichtigen. Dies hat der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits in seinen Urteilen vom 8. Februar 1977 VIII R 50/74 (BFHE 121, 379, BStBl II 1977, 516) und vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79 (BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290) ausgesprochen. Der erkennende Senat schließt sich dem an.
Um die Notwendigkeit einer gesonderten Feststellung bejahen zu können, braucht der Senat nicht auf die zwischen den Beteiligten strittige Frage einzugehen, ob der Kläger und X mit ihren gemeinsam getätigten Devisentermingeschäften einen der Tatbestände der Einkunftsarten i. S. des § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 7 EStG 1974 verwirklicht haben oder ob die Ergebnisse ihrer Devisentermingeschäfte nicht steuerbar sind. Diese Streitfrage muß in jedem Falle im Rahmen eines gesonderten Feststellungsverfahrens entschieden werden. Denn nur dadurch wird - entsprechend dem Zweck des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 - eine einheitliche Entscheidung gegenüber dem Kläger und X sichergestellt. Der Senat vermag im Gegensatz zu dem Urteil des FG München vom 30. November 1978 (VI) 227/71 E (EFG 1979, 343) im hier zu entscheidenden Fall nicht ohne weiteres das Vorliegen steuerpflichtiger Einkünfte zu verneinen.
2. Das Erfordernis eines gesonderten Feststellungsverfahrens entfällt im vorliegenden Fall nicht wegen geringerer Bedeutung i. S. des § 180 Abs. 3 2. Alternative AO 1977. Ein Fall von geringerer Bedeutung ist anzunehmen, wenn es sich um einen leicht überschaubaren Sachverhalt handelt, die Ermittlung der Einkünfte hinsichtlich Höhe und Zurechnung verhältnismäßig einfach und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nahezu ausgeschlossen ist (vgl. Urteil in BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es ist schon nicht einfach, die Grundfrage zu entscheiden, ob es sich hier um steuerbare Einkünfte handelt. Wenn man dies bejaht, ist es schwierig zu entscheiden, ob und inwieweit es sich um Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Nr. 2 EStG 1974) anstelle der nur subsidiär in Betracht kommenden Einkünfte aus Spekulationsgeschäften i. S. von § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 EStG handelt (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 6. Dezember 1983 VIII R 172/83, BFHE 140, 82, BStBl II 1984, 132). Das FG hat diese Frage unzutreffend dahinstehen lassen. Wäre sie zu bejahen, so bedürfte es keiner Entscheidung mehr darüber, ob bei den Devisentermingeschäften Anschaffungs- und Veräußerungsgeschäfte i. S. von § 23 Abs. 1 EStG vorliegen und ob sie in die sechsmonatige Spekulationsfrist fallen.
Zu widersprüchlichen Entscheidungen könnte es auch im Falle einer Zuordnung der Einkünfte zu denen aus Spekulationsgeschäften i. S. des § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG kommen. Hier ist darüber zu entscheiden, ob die Devisentermingeschäfte den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG erfüllen und welche Geschäfte in die sechsmonatige Spekulationsfrist fallen. Im Falle der für Rechnung des Klägers und von X getätigten Devisentermingeschäfte über die . . . Bank ist weiter darüber zu entscheiden, inwieweit überhaupt Einnahmen zugeflossen sind und außerdem, welche Verluste sich hieraus ergeben.
3. Bei Bejahung von Steuertatbeständen nach dem EStG hätten anteilige Einkünfte des Klägers aus seiner Beteiligung an Devisentermingeschäften in dem Einkommensteuerbescheid 1974 nicht ohne ein vorhergehendes gesondertes Feststellungsverfahren angesetzt werden dürfen, obwohl das FA nunmehr gemäß § 155 Abs. 2, 162 Abs. 3 AO 1977 befugt ist, diese im Schätzungswege zu berücksichtigen.
Nach diesen Vorschriften kann das Wohnsitz-FA die Zuständigkeit für eine vorläufige Entscheidung in Anspruch nehmen, bis der gesonderte Feststellungsbescheid erlassen ist und auf seiner Grundlage der Folgebescheid geändert wird. Nimmt aber das Wohnsitz-FA für sich irrtümlich die endgültige Zuständigkeit zur Entscheidung in Anspruch, weil es ein gesondertes Feststellungsverfahren für nicht erforderlich hält, so ist bei einem Streit über die Besteuerungsgrundlagen nicht in dem anhängigen Verfahren, sondern in einem Verfahren zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zu entscheiden (Urteil in BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290). In einem Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids darf nicht über Fragen befunden werden, deren abschließende Prüfung dem Verfahren über einen Grundlagenbescheid vorbehalten ist. Im Streit um die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids muß dann das FG das Klageverfahren nach § 74 FGO aussetzen, um den Ausgang eines Verfahrens zur gesonderten Feststellung abzuwarten. Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des VIII. Senats an.
Im Streitfall haben das FA und ihm folgend das FG zu Unrecht für sich die Kompetenz in Anspruch genommen, über die steuerliche Behandlung der Gewinne des Klägers aus Devisentermingeschäften zu entscheiden. Beide gingen davon aus, daß es eines gesonderten Feststellungsverfahrens wegen der strittigen Einkünfte nicht bedürfe. Die Außerachtlassung der Vorgreiflichkeit eines gesonderten Feststellungsverfahrens bleibt auch nicht deswegen bedeutungslos, weil das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1974 vollen Umfangs vorläufig nach § 100 Abs. 1 AO erlassen hat. Dies käme nur dann in Betracht, wenn das FA keine eine eigene Prüfungskompetenz hinsichtlich der ein gesondertes Feststellungsverfahren erfordernden Besteuerungsgrundlagen für sich in Anspruch genommen hätte. Das FA und ihm folgend das FG haben jedoch eine eigene Prüfungskompetenz bezüglich der Gewinne des Klägers aus Devisentermingeschäften für sich in Anspruch genommen. Denn das FA hat entgegen der Auffassung des Klägers, nur die Hälfte der Devisentermingeschäfte falle in die sechsmonatige Spekulationsfrist, alle Devisentermingeschäfte als steuerpflichtig beurteilt und das FG hat bei der Überprüfung des Einkommensteuerbescheids 1974 die ein gesondertes Feststellungsverfahren erfordernden Einkünfte ihrer Höhe nach ermäßigt.
Somit war die Vorentscheidung bezüglich der Einkommensteuer 1974 aufzuheben, weil das FG die Notwendigkeit und Vorgreiflichkeit eines Feststellungsverfahrens nicht berücksichtigt hat. Die Sache geht an das FG zurück, das das Verfahren nach § 74 FGO aussetzen muß, bis das fehlende gesonderte Feststellungsverfahren durchgeführt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 413831 |
BFH/NV 1987, 341 |