Leitsatz (amtlich)

Mit dem steuerlichen Diskriminierungsverbot des EWGV ist es nicht vereinbar, wenn aus einem anderen EWG-Mitgliedstaat eingeführtes Bier der Biersteuer nach einem höheren Steuersatz unterworfen wird, als er auf Bier einer inländischen Brauerei gleich großer Jahreserzeugung wie die der Brauerei, aus der das eingeführte Bier stammt, im Jahresdurchschnitt angewendet wird.

 

Normenkette

EWGVtr Art. 95; BierStG § 6a Abs. 5

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) vertreibt Getränke. In der Zeit vom 25.November 1968 bis 9.März 1976 ließ sie in zahlreichen Fällen Vollbier belgischen Ursprungs bei einem dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) unterstehenden Zollamt (ZA) zum freien Verkehr abfertigen. Das ZA erhob jeweils Biersteuer unter Zugrundelegung eines Satzes von 14,40 DM je Hektoliter --hl-- (vgl. § 6a Abs.5 Satz 1 des Biersteuergesetzes --BierStG-- i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Biersteuergesetzes vom 10.Mai 1968, BGBl I 1968, 349). Die Klägerin legte gegen die Steuerbescheide Einspruch mit der Begründung ein, die Abgabenerhebung verstoße gegen Art.95 Abs.1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV). § 3 BierStG (in der damaligen und heutigen Fassung) sehe für Bier aus inländischer Erzeugung eine niedrigere Steuerbelastung vor.

Auf Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts (FG) entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Urteil vom ...., daß es mit Art.95 Abs.1 EWGV nicht vereinbar ist, wenn ein Mitgliedstaat das aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Erzeugnis nach anderen Berechnungsmethoden und Bestimmungen als das gleichartige inländische Erzeugnis (z.B. mit einer pauschalen Abgabe in einem Fall und mit einer progressiven in einem anderen) belastet und das inländische Erzeugnis wegen der progressiven Abgabenerhebung einer geringeren Belastung unterliegt als das eingeführte Erzeugnis. Daraufhin berichtigte das ZA die ursprünglichen Steuerbescheide und erstattete der Klägerin insgesamt ... DM an Biersteuer. Zur Begründung führte das ZA aus: § 6a Abs.5 BierStG (i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 10.Mai 1968) sei im Lichte des unmittelbar anwendbaren Art.95 Abs.1 EWGV dahin auszulegen, daß die Biersteuer für Vollbier, das aus einem Mitgliedstaat der EWG eingeführt werde und aus einer Brauerei stamme, deren Biererzeugung weniger als 300 000 hl betragen habe, in Höhe des Betrages je hl zu erheben sei, der der durchschnittlichen jährlichen Biersteuerbelastung eines hl Vollbier einer Brauerei im Erhebungsgebiet mit gleicher Erzeugungsmenge entspreche. Nach diesen Grundsätzen wandte das HZA auf die Biereinfuhren der Klägerin Durchschnittsbiersteuersätze pro Jahr an.

Mit ihrer nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrt die Klägerin, unter Abänderung der Steueränderungsbescheide die Biersteuer auf einen Betrag festzusetzen, der sich ergibt, wenn auf alle Einfuhren ein Steuersatz von 12 DM/hl angewendet wird. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, nur durch Anwendung dieses niedrigsten Staffelsatzes könne ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art.95 Abs.1 EWGV vermieden werden.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Der Klägerin steht, wie das FG zu Recht entschieden hat, ein Rechtsanspruch auf die Anwendung eines Steuersatzes vom 12 DM/hl nicht zu.

Nach § 6a BierStG (alter und neuer Fassung) gelten, falls Bier in das Erhebungsgebiet eingeführt wird, u.a. für die Entstehung der Biersteuer und den Zeitpunkt, der für ihre Bemessung maßgebend ist, die Vorschriften für Zölle sinngemäß. Nach § 35 Abs.1 des Zollgesetzes --ZG-- (in der damals und heute geltenden Fassung) werden bei der Abfertigung zum freien Verkehr die Zollvorschriften angewendet, die in dem Zeitpunkt gelten, in dem der Zollantrag gestellt oder wirksam geworden ist. Für das von der Klägerin eingeführte Vollbier war Biersteuer also nach den Steuersätzen zu erheben, die im Zeitpunkt der Stellung des jeweiligen Zollantrags galten. Das waren die Sätze, von denen das ZA in seinem Änderungsbescheid vom 16.September 1976 ausgegangen ist.

Nach § 6a Abs.5 BierStG in der damals geltenden Fassung betrug der Steuersatz für in das Erhebungsgebiet eingeführtes Vollbier 14,40 DM/hl. Diese Regelung war jedoch nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts unanwendbar, da sie gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art.95 EWGV verstieß. Diese Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des Senats unmittelbar geltendes Recht (vgl. z.B. Senatsurteil vom 3.April 1984 VII R 18/80, BFHE 141, 81, 83). Nach Art.95 Abs.1 EWGV erheben die Mitgliedstaaten auf Waren anderer Mitgliedstaaten keine höheren inländischen Abgaben als gleichartige inländische Waren zu tragen haben. Ob dieser Tatbestand erfüllt ist, ist anhand eines Vergleichs der Belastungen für eingeführte und gleichartige inländische Waren zu entscheiden (BFHE 141, 81, 83). Nach der vom FG eingeholten Vorabentscheidung des EuGH besteht kein Zweifel, daß die Belastung von eingeführtem Vollbier mit Biersteuer allein nach einem Satz von 14,40 DM/hl höher sein kann als die Belastung inländischen Vollbiers. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig; das HZA hat dem in den angefochtenen Bescheiden dadurch Rechnung getragen, daß es einen niedrigeren Steuersatz als den des § 6a Abs.5 BierStG a.F. angewendet hat.

Die Unanwendbarkeit der Regelung des § 6a Abs.5 BierStG a.F. bedeutet jedoch nicht, daß das von der Klägerin eingeführte Bier keiner Biersteuer unterworfen werden könnte. Vielmehr ist der Steuersatz der genannten Vorschrift nur insoweit nicht anwendbar, als er gegen Art.95 EWGV verstößt. Das Gericht hat daher die Abgabenfestsetzung in der Höhe als rechtmäßig anzuerkennen, die sich aus der Anwendung eines dem Art.95 EWGV entsprechenden Steuersatzes ergibt (Senatsurteil vom 11.Juli 1968 VII 156/65, BFHE 92, 405, 415). Bei Anlegung dieses Maßstabes sind die vom HZA angewendeten Durchschnittsteuersätze nicht zu beanstanden.

Nach § 3 Abs.1 BierStG (alter und neuer Fassung) unterliegt im Inland erzeugtes Bier einer progressiven Steuer (Staffelsteuersatz), die für die erste Teilmenge von 2 000 hl pro Jahr 12 DM/hl beträgt, dann stufenweise ansteigt und sich schließlich für die über 120 000 hl pro Jahr hinausgehenden Mengen auf 15 DM/hl beläuft. Hat sich ein Mitgliedstaat wie die Bundesrepublik dafür entschieden, auf einheimisches Bier eine solche progressive Steuer zu erheben, so ist Art.95 Abs.1 EWGV nur dann voll gewahrt, wenn das ausländische Bier --ebenfalls unter Zugrundelegung der von der einzelnen Brauerei während eines Jahres erzeugten Mengen-- dem gleichen oder einem niedrigeren Steuersatz unterliegt. Mit diesen Grundsätzen sind die angefochtenen Steuerbescheide in der Fassung der Änderungsbescheide vereinbar.

Die Durchschnittsteuersätze, von denen das HZA in den angefochtenen Steuerbescheiden ausgegangen ist, beruhen auf dem nach Art.95 Abs.1 EWGV vorzunehmenden Belastungsvergleich. Das HZA ist für jedes der in Betracht kommenden acht Einfuhrjahre von der Jahresproduktionsmenge der Brauerei ausgegangen, von der die Klägerin das eingeführte Bier bezogen hatte. Die vom HZA zugrunde gelegten Mengen beruhten auf den Angaben dieser Brauerei in ihrem Schreiben an das ZA vom 16.August 1976. Das HZA hat unter Anwendung des Staffelsteuersatzes des § 3 Abs.1 BierStG jeweils errechnet, wie hoch die jeweilige Belastung einer inländischen Brauerei mit gleicher Jahreserzeugung pro hl gewesen ist und hat diesen Durchschnittsatz der Besteuerung der eingeführten Biermengen zugrunde gelegt, für die die Steuerschuld im entsprechenden Jahr entstanden war. Diese Berechnung stellt sicher, daß die Belastung der von der Klägerin eingeführten Biere nicht höher war als die Belastung von Bieren aus einer inländischen Brauerei, die eine vergleichbare Biererzeugung hatte. Insbesondere hat das HZA bei Durchführung des Belastungsvergleichs zu Recht auf die von der belgischen Lieferbrauerei erzeugten und nicht auf die eingeführten Jahresmengen abgestellt. Das entspricht der Vorabentscheidung des EuGH. Die Steuerbescheide verletzen daher das Diskriminierungsverbot des Art.95 Abs.1 EWGV in der Auslegung des EuGH nicht.

Zu Recht hat es also das HZA abgelehnt, den niedrigsten Steuersatz des § 3 Abs.1 BierStG der Versteuerung der eingeführten Biere zugrunde zu legen. Damit wäre das aus der belgischen Brauerei bezogene Bier mit einer niedrigeren Biersteuer belastet worden als das Bier einer vergleichbaren inländischen Brauerei. Damit hätte sich, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, eine Diskriminierung inländischer Erzeuger ergeben. Art.95 Abs.1 EWGV fordert aber nur eine steuerliche Gleichstellung der aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnisse, nicht aber eine Besserstellung. Der erkennende Senat hat überdies in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH stets entschieden, daß beim gegenwärtigen Stand der Rechtsangleichung auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern jeder Mitgliedstaat gleichartige Waren nach bestimmten Kriterien steuerlich unterschiedlich behandeln darf unter der Voraussetzung, daß er aus den übrigen Mitgliedstaaten eingeführte Erzeugnisse steuerlich nach den gleichen Kriterien behandelt (vgl. z.B. BFHE 141, 81, 83, mit Hinweisen).

Bei der Anwendung eines Staffelsteuersatzes i.S. des § 3 Abs.1 BierStG im Inland und eines entsprechenden Durchschnittsteuersatzes auf eingeführte Ware kann sich im Einzelfall ergeben, daß die Belastung inländischer Biere zu Anfang des Jahres zunächst günstiger ist als die eingeführter Biere, dieses Verhältnis sich aber im Verlaufe des Jahres umkehrt. Daraus ergibt sich jedoch, wie das FG richtig entschieden hat, kein Verstoß gegen Art.95 EWGV. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH genügt es, wenn die inländische Besteuerung "im großen und ganzen" der Besteuerung der aus den übrigen Mitgliedstaaten eingeführten Waren entspricht (vgl. Urteil des Senats vom 3.April 1984 VII R 63/81, BFHE 141, 86, 87, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH). Da sich die genannten Belastungsunterschiede im Verlaufe des jeweiligen Jahres ausgleichen, kann sich höchstens unter besonderen Umständen ein geringfügiger Zinsvorteil für die inländischen Hersteller ergeben, was die Gleichmäßigkeit der Belastung "im großen und ganzen" nicht zu berühren vermag. Überdies hat das FG nicht festgestellt, die Klägerin sei insoweit tatsächlich benachteiligt worden. Diese Ausführungen gelten entsprechend in bezug auf die Frage etwaiger Unterschiede beim Zahlungszeitpunkt.

Es ist rechtlich auch nicht zu beanstanden, daß das HZA die von der belgischen Brauerei erzeugte und nicht die von ihr verkaufte Biermenge der Steuererhebung zugrunde gelegt hat. Bei der Vornahme des Belastungsvergleichs nach Art.95 Abs.1 EWGV ist die Regelung zu berücksichtigen, die für die Erhebung der Abgabe auf Inlandserzeugnisse gilt (vgl. auch EuGH-Urteil vom 22.März 1977 Rs.74/76, EuGHE 1977, 557, 580, Nr.5 des Urteilstenors). Es kommt also darauf an, ob sich die Belastung inländischen Bieres nach der erzeugten oder verkauften Menge richtet. Nach § 3 Abs.1 BierStG ist die "erzeugte Biermenge" zu versteuern (vgl. auch § 1 BierStG). Das ist nach § 6 BierStDB i.V.m. § 2 BierStG (jeweils in der damals und heute geltenden Fassung) die Biermenge, die aus der Brauerei entfernt oder zum Verbrauch in der Brauerei entnommen worden ist, abzüglich des Rückbiers, d.h. des Biers, das die Brauerei wieder zurücknimmt (§ 15 BierStDB a.F. und n.F.). Da also eine inländische Brauerei aus dem Unternehmen entferntes und nicht zurückgebrachtes Bier auch dann versteuern muß, wenn es nicht verkauft worden ist, vermittelt Art.95 Abs.1 EWGV der Klägerin keinen Rechtsanspruch darauf, daß in ihrem Fall anders verfahren wird.

Die Klägerin wendet dagegen ein, die belgische Brauerei sei wegen der höheren Kosten nicht in der Lage, das anfallende Rückbier wieder in ihrem Betrieb aufzunehmen. Sie verkennt, daß es im vorliegenden Verfahren allein um die Frage geht, ob die steuerliche Belastung des eingeführten Bieres rechtmäßig ist. Maßgebend für die Beantwortung dieser Frage ist, ob ein Verstoß gegen Art.95 EWGV vorliegt. Dieser wäre nur gegeben, wenn diese steuerliche Belastung höher wäre als die steuerliche Belastung entsprechender inländischer Produkte. Daraus ergibt sich, wie der Senat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH mehrfach entschieden hat, daß allein die tatsächlichen steuerlichen Belastungen bestimmter Erzeugnisse miteinander zu vergleichen sind (vgl. z.B. BFHE 141, 86, 88). Es gilt also --entgegen der Auffassung, die offenbar die Klägerin vertritt-- nicht eine Art von "Nettoprinzip", nach dem von der grundsätzlich den Anforderungen des Art.95 EWGV entsprechenden Steuerbelastung die Kostennachteile abzuziehen sind, die in anderen Mitgliedstaaten ansässige Hersteller im Vergleich mit inländischen Herstellern auf anderem als steuerlichem Gebiet zu tragen haben. Die Klägerin hat nach Art.95 Abs.1 EWGV zwar einen Anspruch darauf, steuerlich nicht schlechter gestellt zu werden als inländische Hersteller. Sie kann aber nicht verlangen, daß die sich daraus ergebende gerechtfertigte Steuerbelastung um den Gegenwert von mit der Steuer nicht zusammenhängenden anderen Belastungen ermäßigt wird (vgl. BFHE 141, 86, 88 ff., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus dem Urteil in EuGHE 1977, 557. Danach sind bei der Anwendung des Art.95 EWGV nicht nur der Satz der inländischen Abgabe zu berücksichtigen, die einheimische und eingeführte Erzeugnisse unmittelbar oder mittelbar belastet, sondern auch deren Bemessungsgrundlage und die Einzelheiten ihrer Erhebung (Nr.5 des Urteilstenors). Das bezieht sich jedoch lediglich auf die Einzelheiten der jeweiligen steuerrechtlichen Regelung. Nach den Gründen dieses EuGH-Urteils steht es außer Zweifel, daß der EuGH damit nicht etwa hat zum Ausdruck bringen wollen, Art.95 EWGV sei im Sinne des oben genannten "Nettoprinzip" auszulegen. Daher sind auch die Argumente der Klägerin nicht stichhaltig, die diese vorgetragen hat im Hinblick auf etwaige höhere Produktionskosten von Brauereien in anderen Mitgliedstaaten wegen der Pflicht zur Einhaltung des Reinheitsgebotes, auf die höheren Beförderungskosten für eingeführte Biere, auf etwaige Vorteile der inländischen Brauereien aufgrund der Besonderheiten ihres Biervertriebes und auf das Erfordernis einer doppelten Grenzabfertigung bei eingeführten Bieren.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin darauf, inländische Brauereien kämen in den Genuß eines Schwundsatzes. Wie oben dargelegt, hat eine inländische Brauerei die gesamte "erzeugte Biermenge" zu versteuern. Von dieser Menge ist nicht etwa ein bestimmter Schwundsatz abzuziehen. Vielmehr handelt es sich bei der Schwundermittlung, worauf das HZA zu Recht hinweist, um eine Rechnung im Rahmen der Steueraufsicht, durch die lediglich die Richtigkeit der angemeldeten zu versteuernden Biermenge überprüft wird (§ 12 BierStG, § 84 BierStDB). Im vorliegenden Fall hat das HZA die von der belgischen Brauerei angegebenen Jahreserzeugungsmengen ohne weiteres anerkannt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61947

BFHE 149, 342

BFHE 1987, 342

BB 1987, 890

BB 1987, 890-890 (ST)

HFR 1987, 341-342 (ST)

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