Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsprechungsänderung bei doppelter Haushaltsführung in Wegverlegungsfällen
Leitsatz (NV)
1. Eine beruflich begründete doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn aus beruflicher Veranlassung in einer Wohnung am Beschäftigungsort ein zweiter (doppelter) Haushalt zum Hausstand des Steuerpflichtigen hinzutritt. Der Haushalt in der Wohnung am Beschäftigungsort ist beruflich veranlasst, wenn ihn der Steuerpflichtige nutzt, um seinen Arbeitsplatz von dort aus erreichen zu können.
2. Eine aus beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung kann auch dann vorliegen, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Haupthausstand aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort wegverlegt und er darauf in einer Wohnung am Beschäftigungsort einen Zweithaushalt begründet, um von dort seiner bisherigen Beschäftigung weiter nachgehen zu können (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnte ab November 1992 in X und war dort nichtselbständig tätig. Ab November 1994 ordnete ihn sein Arbeitgeber an eine Arbeitsstelle in Z ab und versetzte ihn im Januar 1995 endgültig dorthin. Die Strecke von X nach Z (85 km) fuhr der Kläger arbeitstäglich. Im Oktober 1995 und Januar 1996 beantragte er seine Versetzung in das Bundesland D und in das Bundesland E jeweils mit der Begründung, mit seiner Verlobten zusammenziehen zu wollen. Mit Vertrag vom Oktober 1996 mieteten beide ab 1. Januar 1997 eine gemeinsame Wohnung in A, die sie am 2. Januar 1997 gemeinsam bezogen. Ab 1. Januar 1997 mietete der Kläger zugleich ein Zimmer in B (8 km von Z entfernt). Für die Monate Januar und Februar 1997 legte er Belege über Mietzahlungen (jeweils 450 DM) vor. Die Wohnung in X kündigte er zum 31. Januar 1997. Am 7. November 1997 wurde er mit Wirkung ab 1. Dezember 1997 die Behörde C (69 km und ca. 70 Minuten mit dem Auto von A entfernt) versetzt.
In seiner Einkommensteuererklärung für 1997 machte der Kläger u.a. Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte im streitigen Einkommensteuerbescheid für 1997 und im Einspruchsverfahren die Berücksichtigung von Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung ab und behandelte die geltend gemachten Familienheimfahrten als Fahrten zwischen Lebensmittelpunkt und Arbeitsort.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zu den Werbungskosten gehörten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch die notwendigen Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstünden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei aber eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung zu verneinen, wenn der Steuerpflichtige die Familienwohnung aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort wegverlegt habe und weiterhin von der am Beschäftigungsort begründeten oder beibehaltenen Zweitwohnung seiner bisherigen Beschäftigung nachgehe. Diese Grundsätze seien auch dann anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige durch Verlegung seines Familienwohnsitzes die Entfernung zum Beschäftigungsort erheblich erhöhe und erst dieser Umzug die Veranlassung für die Anmietung der Wohnung am Beschäftigungsort gebe. Gemessen daran sei die Anmietung eines Zimmers am Beschäftigungsort im Streitfall nicht beruflich, sondern privat veranlasst gewesen. Dies ergebe sich insbesondere aus dem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Verlegung des Familienwohnsitzes von X in das 328 km vom Beschäftigungsort des Klägers entfernte A und dem gleichzeitigen Hinzug zum Beschäftigungsort.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG.
Er beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des Urteils des Niedersächsischen FG vom 21. April 2004 und Änderung der Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 1998 die Einkommensteuer 1997 unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten in Höhe von 5 398 DM festzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Im Streitfall scheidet eine Berücksichtigung der als Kosten einer doppelten Haushaltsführung geltend gemachten Aufwendungen des Klägers nicht schon mit der Begründung aus, dass der Hausstand des Klägers vom Beschäftigungsort wegverlegt worden sei.
Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermöglichen allerdings noch keine abschließende Beurteilung, ob und in welcher Höhe Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung zu berücksichtigen sind.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 (StÄndG 2003) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645), die nach § 52 Abs. 23b EStG i.d.F. des StÄndG 2003 auch im Streitjahr anzuwenden ist, gehören zu den Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG liegt eine doppelte Haushaltsführung vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG konkretisiert den allgemeinen Werbungskostenbegriff des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Nur die Aufwendungen aus Anlass einer beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung sind deshalb zu erfassen.
2. Der Senat hält nach erneuter Prüfung nicht mehr an seiner Rechtsprechung fest, nach der in den sog. Wegverlegungsfällen ein Abzug von Kosten einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten ausscheidet.
Eine beruflich begründete doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn aus beruflicher Veranlassung in einer Wohnung am Beschäftigungsort ein zweiter (doppelter) Haushalt zum Hausstand des Steuerpflichtigen hinzutritt. Der Haushalt in der Wohnung am Beschäftigungsort ist beruflich veranlasst, wenn ihn der Steuerpflichtige nutzt, um seinen Arbeitsplatz von dort aus erreichen zu können. Der so beruflich veranlasste Zweithaushalt am Beschäftigungsort qualifiziert auch die doppelte Haushaltsführung selbst als eine aus beruflichem Anlass begründete i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG. Dies gilt selbst dann, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Haupthausstand aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort wegverlegt und eine bereits vorhandene oder neu eingerichtete Wohnung am Beschäftigungsort aus beruflichen Gründen als Zweithaushalt nutzt. Denn auch dann findet die nunmehr doppelte Haushaltsführung ihre berufliche Veranlassung darin, dass ein weiterer Haushalt in einer Wohnung am Beschäftigungsort aus beruflichen Motiven begründet wird. Nur die Kosten dieser Wohnung am Beschäftigungsort sind als Werbungskosten abziehbar; die Aufwendungen der wegverlegten Hauptwohnung gehören zu den nicht abziehbaren Lebenshaltungskosten.
Zur weiteren Begründung verweist der Senat zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die beiden zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Senatsurteile vom 5. März 2009 VI R 23/07; und VI R 58/06.
3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; die Vorentscheidung ist daher aufzuheben.
Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- nicht festgestellt, ob der Kläger tatsächlich einen eigenen Hausstand außerhalb des Beschäftigungsortes unterhalten hatte und in welcher Höhe notwendige Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung entstanden waren. Das wird das FG im zweiten Rechtsgang im Anschluss an die Nachholung der erforderlichen Feststellungen zu prüfen haben.
Das FG wird dabei zu beachten haben, dass auch nach der Änderung der Rechtsprechung unverändert anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen ist, ob die außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt (z.B. BFH-Urteile vom 9. August 2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820; vom 22. Februar 2001 VI R 192/97, BFH/NV 2001, 1111; vom 14. Oktober 2004 VI R 82/02, BFHE 207, 292, BStBl II 2005, 98). Bei nicht verheirateten Arbeitnehmern spricht grundsätzlich umso mehr dafür, dass die eigentliche Haushaltsführung und auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen am Beschäftigungsort liegen oder dorthin verlegt wurden, je länger die Auswärtstätigkeit dauert. Indizien dafür, wo der Lebensmittelpunkt liegt, können sein, wie oft und wie lange sich der Arbeitnehmer in der einen und der anderen Wohnung aufhält, wie beide Wohnungen ausgestattet und wie groß sie sind. Von Bedeutung sind auch die Dauer des Aufenthalts am Beschäftigungsort, die Entfernung beider Wohnungen sowie die Zahl der Heimfahrten. Erhebliches Gewicht hat ferner der Umstand, zu welchem Wohnort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen (BFH-Urteil in BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820, m.w.N.).
Weiter wird zu beachten sein, dass Unterkunftskosten am Beschäftigungsort nur insoweit notwendig i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind, wie sie den durchschnittlichen Mietzins einer 60 qm-Wohnung am Beschäftigungsort nicht überschreiten (BFH-Urteile in BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820, m.w.N.; vom 9. August 2007 VI R 23/05, BFHE 218, 376).
Fundstellen