Leitsatz (amtlich)
Hat ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn nach § 5 (oder nach § 4 Abs. 1) EStG ermittelt, in Veranlagungszeiträumen vor 1978 einen einmaligen öffentlichen Zuschuß für die Besetzung eines Ausbildungsplatzes erhalten, so mußte er für seine hieraus sich ergebende Verpflichtung, diesen Platz für "mindestens zwei aufeinanderfolgende Ausbildungsverhältnisse zu besetzen", einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten bilden.
Normenkette
EStG 1975 § 5 Abs. 3 Nr. 2; EStG 1977 § 24b
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gründete im Jahre 1975 eine Steuerbevollmächtigten-Praxis. Er ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Für die Bereitstellung eines Ausbildungsplatzes erhielt er im Jahre 1977 einen Zuschuß vom Land Nordrhein-Westfalen in Höhe von 5 000 DM. Grundlagen für diesen Zuschuß waren die "Richtlinien für die Gewährung von Ausbildungskostenzuschüssen aus Mitteln des Landes für Ausbildungsplätze in neugegründeten Betrieben der Wirtschaft und in neugegründeten Praxen der Freien Berufe" (Runderlaß des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr (NW) vom 21. März 1977 - II/B 3 - 33 - 00 - (77) -). Der Kläger behandelte den Zuschuß als steuerfreie Einnahme.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) rechnete dagegen bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1977 den Betrag dem Gewinn hinzu. Im Einspruchsverfahren beantragte der Kläger, für den Zuschuß die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens anzuerkennen. Er wies darauf hin, daß er nach den Vergaberichtlinien verpflichtet sei, den Ausbildungsplatz für zwei aufeinanderfolgende Ausbildungsverhältnisse bereitzustellen; werde diese Verpflichtung nicht erfüllt, dann müsse der Zuschuß zurückgezahlt werden.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Dagegen gab das Finanzgericht (FG) der Klage im wesentlichen statt. Es entschied, daß der Kläger berechtigt gewesen sei, einen Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden und über die Dauer seiner Verpflichtung aufzulösen (§§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 3 Nr. 2 EStG). Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 554 veröffentlicht.
Mit seiner - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Nach § 5 Abs. 3 EStG dürften als Rechnungsabgrenzungsposten auf der Passivseite der Bilanz Einnahmen vor dem Abschlußstichtag nur ausgewiesen werden, soweit sie Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellten. Die für die Bildung des Rechnungsabgrenzungspostens notwendige Zeitraumbezogenheit lasse sich aus dem Sachverhalt nicht entnehmen. Der Kläger habe einen einmaligen Zuschuß für die Bereitstellung eines Ausbildungsplatzes erhalten. Wenn diese Zuschußzahlung auch an die Bedingung geknüpft gewesen sei, daß der Zuschußempfänger den Ausbildungsplatz für mindestens zwei aufeinanderfolgende Ausbildungsverhältnisse besetze, so liege doch das Ende des Zeitraums nicht eindeutig fest; das Ende sei allenfalls bestimmbar. Im übrigen sei aus den Förderungsrichtlinien nicht ersichtlich, daß der Kläger Zuschüsse für mehrere Jahre in einer Summe erhalten habe. Der Zuschuß sei deshalb seiner Art nach nicht unmittelbar zeitbezogen. Mithin fielen die Leistung des Klägers in Form der Bereitstellung des Ausbildungsplatzes und die Zuschußleistung (Gegenleistung) nicht zeitlich auseinander. Soweit der Kläger eine Leistung für eine Zeit nach dem Bilanzstichtag erbracht habe, beruhe diese auf dem Ausbildungsverhältnis als schwebendem Vertrag. Insoweit bestehe ein Leistungsaustausch nur zwischen dem Kläger und dem Auszubildenden. Ein zeitraumbezogener Leistungsaustausch zwischen dem Zuschußgeber und dem Kläger könne nicht angenommen werden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht angenommen, daß die Voraussetzungen für die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens vorgelegen haben.
1. Nach § 152 Abs. 9 Nr. 2 des Aktiengesetzes (AktG) und § 5 Abs. 3 Nr. 2 EStG sind als Rechnungsabgrenzungsposten auf der Passivseite solche Einnahmen vor dem Abschlußstichtag anzusetzen, die Erträge für eine bestimmte Zeit nach diesem Stichtag darstellen.
Der Sinn dieser Vorschriften liegt darin, Einnahmen dem Jahr zuzuordnen, zu dem sie wirtschaftlich gehören. Der Anwendungsbereich der Rechnungsabgrenzung betrifft in erster Linie gegenseitige Verträge, bei denen für eine bestimmte Zeit Leistungen zu erbringen sind, bei denen aber Leistung und Gegenleistung zeitlich auseinanderfallen. Erhält z. B. der Vermieter die Mietzinsen für einen Zeitraum von mehreren Jahren, so ist dieser Vorleistung des Mieters in den Bilanzen des Vermieters durch einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten Rechnung zu tragen; mit ihm wird berücksichtigt, daß der Vorleistung des anderen Vertragsteils eine noch nicht erbrachte Gegenleistung des Steuerpflichtigen gegenübersteht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Juli 1982 IV R 111/79, BFHE 136, 266, BStBl II 1982, 655, m. w. N.).
Das Gebot, passive Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden, ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen Vorleistungen im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags (§§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) erbracht werden. Die Bildung passiver Rechnungsabgrenzungsposten kann vielmehr auch in Fällen veranlaßt sein, in denen die gegenseitigen Verpflichtungen ihre Grundlage im öffentlichen Recht haben. Das gilt z. B. für die Zahlung einer Abfindung nach dem Mühlenstrukturgesetz vom 22. Dezember 1971 (BGBl I, 2098) und die sich hieraus ergebende Verpflichtung, die Mühle stillzulegen und für 30 Jahre den Mühlenbetrieb nicht wiederaufzunehmen; hier ist für die Verpflichtung, die Wiederaufnahme des Mühlenbetriebs innerhalb einer Frist von 30 Jahren zu unterlassen, ein passiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden (BFHE 136, 266, BStBl II 1982, 655). Auch bei der Vereinnahmung einer Ertragswertentschädigung anläßlich eines Enteignungsverfahrens ist ein passiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden, sofern die Entschädigung eine Vorleistung für die Zeit nach dem Bilanzstichtag darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 1973 I R 140/71, BFHE 110, 248, BStBl II 1973, 840). Ferner kann auch der Empfang von Subventionen zu einer passiven Rechnungsabgrenzung führen, sofern das vom Subventionsempfänger erwartete Verhalten wirtschaftlich als Gegenleistung für die Subvention aufgefaßt werden kann.
2. Die Voraussetzungen für die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens waren auch bei dem Zuschuß gegeben, den der Kläger von der öffentlichen Hand erhielt, um einen Ausbildungsplatz bereitzustellen.
a) Der dem Kläger im Streitjahr 1977 gewährte Zuschuß beruht auf den "Richtlinien für die Gewährung von Ausbildungskostenzuschüssen aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen für Ausbildungsplätze in neugegründeten Betrieben der Wirtschaft und in neugegründeten Praxen der Freien Berufe" (Runderlaß des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr vom 21. März 1977 - II/B 3 - 33 - 00 - (77) -). Hiernach können Ausbildungsplätze gefördert werden, "die ... in einer neugegründeten freiberuflichen Praxis zur Verfügung gestellt werden". Die Förderung besteht in der Zahlung eines einmaligen Ausbildungskostenzuschusses in Höhe von 5 000 DM je Platz. Der an einer solchen Förderung Interessierte muß sich "in dem Antrag verpflichten, den Ausbildungsplatz für mindestens zwei aufeinanderfolgende Ausbildungsverhältnisse zu besetzen und im Falle der Nichterfüllung dieser Auflage, sofern sie von ihm zu vertreten ist, den Ausbildungskostenzuschuß in voller Höhe zurückzuerstatten". Die zuständige Stelle hat zu prüfen, ob ein rechtsgültiger Ausbildungsvertrag vorliegt; sie hat außerdem das Fortbestehen der Ausbildungsverhältnisse zu überwachen. "Darüber hinaus hat sie nach Beendigung des ersten Ausbildungsverhältnisses zu prüfen, ob der Antragsteller seiner Verpflichtung nachkommt, ein weiteres Ausbildungsverhältnis abzuschließen."
Wird hiernach der Zuschuß für die Eingehung der Verpflichtung gezahlt, einen Ausbildungsplatz für mindestens zwei aufeinanderfolgende Ausbildungsverhältnisse zu besetzen, so stehen die gewährte Subvention und die hieran anknüpfende Verpflichtung zueinander in einem - den gegenseitigen Verträgen (§§ 320 ff. BGB) wirtschaftlich vergleichbaren - Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Der Subventionsempfänger erhält hierbei eine Vorleistung, der eine von ihm bisher noch nicht erbrachte Gegenleistung gegenübersteht. Damit ist eine der Voraussetzungen für die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens erfüllt.
Es handelt sich bei diesen Zuschüssen für den Empfänger weiter auch um Einnahmen, die i.S. des § 5 Abs. 3 Nr. 2 EStG "Ertrag für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlußstichtag darstellen". Das gesetzliche Bestimmtheitsgebot setzt zwar in der Regel voraus, daß eine bestimmte Zeit kalendermäßig festgelegt oder berechenbar ist und nicht nur mehr oder weniger vage geschätzt werden kann (BFH-Urteile vom 17. Juli 1980 IV R 10/76, BFHE 133, 363, BStBl II 1981, 669, und vom 24. März 1982 IV R 96/78, BFHE 135, 483, BStBl II 1982, 643). Dem Bestimmtheitserfordernis ist jedoch auch noch ausreichend Rechnung getragen, wenn einer Parteivereinbarung ein (Mindest-)Zeitraum zu entnehmen ist, dem eine Entschädigung als Ertrag zugeordnet werden muß (BFHE 133, 363, BStBl II 1981, 669). Es ist im Sinne dieser Rechtsprechung als genügend bestimmt anzusehen, wenn ein Zuschuß für die Verpflichtung gezahlt wird, einen Ausbildungsplatz für "mindestens zwei aufeinanderfolgende Ausbildungsverhältnisse zu besetzen". Denn der Zeitraum eines Ausbildungsverhältnisses (und eines hieran anschließenden weiteren Ausbildungsverhältnisses) ist berechenbar; als Grundlage hierfür dienen die jeweils einschlägigen Vorschriften (bzw. tarifvertraglichen Regelungen) über die Dauer des betreffenden Ausbildungsverhältnisses. Der Umstand, daß sich im Einzelfall aus besonderen Gründen ein Ausbildungsverhältnis verlängern oder verkürzen kann, spielt dabei keine entscheidende Rolle (so auch Mathiak, Steuer und Wirtschaft 1981, 69, 76). Würde man für die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens strengere Anforderungen an das Erfordernis der zeitlichen Bestimmtheit stellen, so würde der in der Regelung der Rechnungsabgrenzungsposten zum Ausdruck kommende Grundsatz zeitraumrichtiger Periodenabgrenzung über Gebühr eingeengt werden (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 13. Aufl., §§ 4, 5 Anm. 558 e; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 4. Aufl., S. 85; Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 2. Aufl., § 5 Anm. 50 b).
b) Die Vorschrift des § 24 b EStG 1977 findet auf den Streitfall keine Anwendung. Nach dieser Regelung ist "für Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln, die dazu bestimmt sind, zusätzliche Ausbildungsplätze bereitzustellen", ein Ausbildungsplatz-Abzugsbetrag in Höhe der jeweils empfangenen finanziellen Hilfe zu gewähren. Die Vorschrift bewirkt, daß die als Betriebseinnahmen zu erfassenden öffentlichen Subventionen steuerfrei gestellt werden (vgl. Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 24 b Anm. 1). Sie gilt jedoch erst vom Veranlagungszeitraum 1978 an (§ 52 Abs. 23 EStG 1977) und kommt deshalb auf die schon vor diesem Zeitraum gewährten Subventionen zur Ausbildungsplatzförderung nicht zur Anwendung.
Fundstellen
BStBl II 1984, 552 |
BFHE 1985, 31 |