Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Für die Zeit bis zur Geltung der Neufassung des § 24 Ziff. 1 EStG auf Grund des Steueränderungsgesetzes 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl 1961 I S. 981, BStBl 1961 I S. 444) verbleibt der Senat bei seiner im Urteil IV 118/59 S vom 22. Oktober 1959 (BStBl 1960 III S. 21, Slg. Bd. 70 S. 52) vertretenen Auffassung, daß Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter nach § 89 b HGB weder Veräußerungsgewinne im Sinne des § 16 EStG noch Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG darstellen und damit die Tarifvorschrift des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 und 2 EStG auf sie keine Anwendung findet.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 3, § 24 Ziff. 1, § 24/1/c, § 34/1, § 34/2/1, § 34/2/2
Tatbestand
Streitig ist, ob die an den Bf. als Handelsvertreter gemäß § 89 b HGB im Jahre 1957 geleistete Ausgleichszahlung zu den steuerbegünstigten außerordentlichen Einkünften nach § 34 Abs. 1 und 2 Ziff. 2 in Verbindung mit § 24 Ziff. 1 EStG alter Fassung gehört.
Der Bf. war im Streitjahr 1957 zunächst für insgesamt sechs Firmen als selbständiger Handelsvertreter tätig. Zum 1. Juli 1957 entzog eine dieser Firmen dem Bf. wegen seines fortgeschrittenen Alters - er stand damals im 73. Lebensjahr - ihre Vertretung. Sie zahlte ihm gemäß § 89 b HGB einen Ausgleichsbetrag von 20.000 DM. Darüber hinaus erhält der Bf. von seinem Nachfolger in der Vertretung seit dem 1. Januar 1958 auf die Dauer von fünf Jahren eine nach dem Umsatz bemessene Vergütung.
Der Bf. beantragte, den Ausgleichsbetrag nach § 34 Abs. 2 EStG in Verbindung mit § 24 Ziff. 1 EStG alter Fassung zu besteuern. Das Finanzamt hingegen unterwarf auch den Ausgleichsbetrag der Besteuerung nach dem normalen Tarif. Dagegen wandte der Bf. mit seiner Sprungberufung ein, die Ausgleichszahlung von 20.000 DM habe er als Ersatz für künftig entgehende Einnahmen, und zwar für mehrere Jahre, erhalten. Auf Leistungen dieser Art treffe die Vorschrift des § 24 Ziff. 1 EStG alter Fassung zu. Durch das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 118/59 S vom 22. Oktober 1959 (BStBl 1960 III S. 21, Slg. Bd. 70 S. 52) sei die Behandlung der Ausgleichsansprüche nach § 89 b HGB noch nicht abschließend entschieden worden. Dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Denn dort habe der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis auf eigenen Wunsch gelöst. Ihm dagegen sei die Vertretung wegen seines Alters entzogen worden.
Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht führte in seiner Begründung im wesentlichen aus, nach dem vorgenannten Urteil des Bundesfinanzhofs sei die Ausgleichszahlung an einen Handelsvertreter nach § 89 b HGB weder ein Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 EStG noch eine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG alter Fassung. Die Tarifvorschrift des § 34 Abs. 1 und 2 EStG finde daher keine Anwendung. Dieser Auffassung schließe sich das Finanzgericht an.
In seiner Rb. bringt der Bf. vor, der Gesetzgeber habe im Steueränderungsgesetz 1961 klargestellt, daß die Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter nach § 89 b HGB Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG alter Fassung seien. Damit sei der bisher bestehende Streit über die steuerliche Behandlung dieser Entschädigungen geklärt. Es könne nicht unterstellt werden, daß der Gesetzgeber damit neues Recht geschaffen habe. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, daß seit der Einführung des § 89 b HGB die hiernach zu leistenden Ausgleichszahlungen Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG alter Fassung gewesen seien und somit die bisherige Auslegung durch die Finanzverwaltung und die Steuergerichte irrig gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
In dem Urteil IV 118/59 S vom 22. Oktober 1959 (a. a. O.) hat der erkennende Senat den Standpunkt vertreten, daß Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter nach § 89 b HGB weder Veräußerungsgewinne im Sinne des § 16 Abs. 3 EStG noch Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG 1955 darstellen und deshalb auf sie § 34 Abs. 1 und 2 Ziff. 1 und 2 EStG keine Anwendung finden kann. An dieser Auffassung hält der Senat für die Veranlagungszeiträume vor 1961 auch nach dem Inkrafttreten der Neufassung des § 24 Ziff. 1 EStG 1961 auf Grund des Steueränderungsgesetzes für 1961 (BGBl 1961 I S. 981) fest.
Bei der obigen Entscheidung ist der Senat von der im einschlägigen Schrifttum vertretenen herrschenden Meinung ausgegangen, daß der Ausgleichsanspruch einerseits einen zusätzlichen, unmittelbar aus dem Gesetz sich ergebenden Vergütungsanspruch des Handelsvertreters darstelle, der für die während der Dauer des Vertragsverhältnisses geleisteten erfolgreichen und über das Vertragsverhältnis hinaus noch fortwirkenden Dienste von ihm erworben worden sei und die Ausgleichszahlung andererseits als eine gesetzliche Gegenleistung des vertretenen Unternehmers für die ihm auf Grund der Tätigkeit des Handelsvertreters zufließenden Vorteile zu beurteilen sei, die infolge der Vertragsbeendigung nur ihm, nicht aber dem Handelsvertreter zugute kommen (vgl. Schlegelberger-Schröder, Kommentar zum HGB, 4. Aufl. 1960, Anm. 21 a zu § 89 b HGB; Würdinger, Kommentar zum HGB, 2. Aufl., Anm. 1 - 4 zu § 89 b HGB, und Baumbach-Duden, Handkommentar zum HGB, Anm. 1 zu § 89 b HGB). Als von vornherein vorgesehene gesetzliche Vergütung für fortwirkende vertragliche Leistungen des Handelsvertreters, die auch dann zu gewähren ist, wenn das Vertragsverhältnis auf Grund des Ablaufs der vereinbarten Vertragsdauer beendet wird, kann die Ausgleichszahlung nach § 89 b HGB begrifflich weder als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen im Sinne des § 24 Ziff. 1 a EStG alter Fassung noch als Entschädigung für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit im Sinne des § 24 Ziff. 1 b EStG alter Fassung angesehen werden. Aus dieser Natur der Ausgleichszahlung als gesetzlicher Vergütung für normale vertragliche Leistungen des Handelsvertreters ergibt sich auch, daß die Zahlung zum laufenden gewerblichen Gewinn des Handelsvertreters gehören muß und schon deshalb nicht, soweit die Beendigung des Vertragsverhältnisses des Handelsvertreters mit der Veräußerung oder der Aufgabe seines Gewerbebetriebes zusammenfallen sollte, zum Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 EStG gerechnet werden kann.
Im steuerlichen Schrifttum wird gegen diese Rechtsprechung eingewandt, es handle sich beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters um keinen reinen Vergütungsanspruch, sondern um einen Schadensausgleich, der den Handelsvertreter in erster Linie aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit gegen eine Beendigung des Vertragsverhältnisses durch den Unternehmer ohne oder gegen seinen Willen schützen solle. An dieser Auffassung mag richtig sein, daß der Ausgleichsanspruch keinen reinen Vergütungsanspruch darstellt, da bei ihm auch Billigkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen. Dem steuerrechtlichen Schrifttum ist aber entgegenzuhalten, daß der dargelegte soziale Schutz des Handelsvertreters gegenüber dem Unternehmer, der das Vertragsverhältnis gegen oder ohne den Willen des Handelsvertreters kündigt und diesem dadurch einen erheblichen Schaden zufügt, zwar mit die Absicht des Gesetzgebers bei der Schaffung dieser Bestimmung gewesen sein mag, daß aber die geltende Fassung des § 89 b HGB nicht auf derartige besonders schutzwürdige Fälle der Kündigung des Vertragsverhältnisses durch den Unternehmer abgestellt ist, sondern - von den in Abs. 3 der Vorschrift genannten Fällen der durch den Handelsvertreter herbeigeführten oder verschuldeten Kündigung des Vertragsverhältnisses abgesehen - der Ausgleichsanspruch nach ihr grundsätzlich bei jeder, auch bei der von vornherein durch einen bestimmten Zeitablauf vereinbarten Beendigung des Vertragsverhältnisses entsteht. Diese grundsätzliche Entstehung des Ausgleichsanspruches bei jeder Beendigung des Handelsvertretervertrages und die damit verbundene grundsätzliche Unabhängigkeit des Anspruchs von dem schuldhaften Verhalten des Unternehmers schließt die Möglichkeit aus, den Anspruch als eine Art Schadensersatzanspruch zu behandeln, wie z. B. Gertner und Judeich fordern (vgl. Gertner in "Der Betriebs-Berater" 1960 S. 315, und Judeich, Finanz-Rundschau 1960 S. 262).
Auch der Umstand, daß der Gesetzgeber im Steueränderungsgesetz 1961 durch die Erweiterung des § 24 Ziff. 1 EStG um einen Buchstaben c) die Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter ausdrücklich als einen weiteren Fall der Entschädigungen nach § 24 Ziff. 1 EStG aufgenommen hat, vermag den Senat nicht zu bestimmen, für die Zeit vor 1961 die Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter zu den Entschädigungen im Sinne dieser Vorschrift zu rechnen. Aus der Begründung der Neufassung des Gesetzes durch den Finanzausschuss des Bundestages (siehe Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode zu Drucksache 2706, schriftlicher Bericht des Finanzausschusses Tz. 13) läßt sich nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber der Auffassung war, die Auslegung des § 24 Ziff. 1 EStG nach der alten Fassung entspreche in bezug auf die Ausgleichszahlungen nach § 89 b HGB nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber § 24 Ziff. 1 durch den Buchstaben c) erweitert hat, muß vielmehr geschlossen werden, daß auch er der Auffassung war, nach der bisherigen Fassung des Gesetzes könne die Ausgleichszahlung nicht in § 24 Ziff. 1 Buchstaben a und b EStG eingeordnet werden.
Nach alledem mußte die Rb. als unbegründet zurückgewiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 410508 |
BStBl III 1962, 416 |
BFHE 1963, 408 |
BFHE 75, 408 |