Leitsatz (amtlich)
1. Erhebt im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung eine Gesellschaft, vertreten durch ihren Gesellschafter-Geschäftsführer, Klage, und geht der Streit um eine Frage, die den Gesellschafter-Geschäftsführer persönlich berührt (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO), so kann nur dann davon ausgegangen werden, der Gesellschafter habe die Klage gleichzeitig im eigenen Namen erhoben, wenn ihm durch seine Behandlung als Kläger keine prozessualen Nachteile entstehen.
2. Vor der Entscheidung darüber, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer die Klage auch im eigenen Namen erhoben hat, ist ihm Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
Normenkette
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 2, § 96 Abs. 2
Tatbestand
An der Klägerin und Revisionsklägerin zu 1) (Klägerin), einer KG, waren der Revisionskläger zu 2) als Komplementär und dessen Ehefrau als Kommanditistin beteiligt. Die KG betrieb seit 1962 ein Schuhwareneinzelhandelsgeschäft in Räumen, die sie von einer Grundstücksgemeinschaft für 10 Jahre gemietet hatte. An dieser Grundstücksgemeinschaft war der Revisionskläger zu 2) zu 1/3 beteiligt. Die Klägerin hatte einen Teil des Erdgeschosses und des ersten Stockwerkes sowie einen Kellerraum gemietet (insgesamt 20,3 v. H. der Nutzfläche des gesamten Gebäudes).
Im Gegensatz zur Klägerin vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Ansicht, der betrieblich genutzte Grundstücksteil gehöre zum notwendigen Betriebsvermögen der Klägerin; den gewerblichen Einkünften des Revisionsklägers zu 2) seien die auf seinen Anteil an der Grundstücksgemeinschaft entfallenden Mietzahlungen der Klägerin für 1968 zuzurechnen.
Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) nicht statt. Das FG entschied im Einvernehmen mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung. Es ging unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. November 1974 I R 62/74 (BFHE 114, 167, BStBl II 1975, 209) davon aus, der Revisionskläger zu 2) sei neben der KG im finanzgerichtlichen Verfahren als Kläger anzusehen; er habe nicht nur die Interessen der KG, sondern auch seine durch den Rechtsstreit betroffenen eigenen Interessen wahrnehmen wollen. Das FG erlegte die Kosten des Verfahrens "den Klägern auf". Die Revision ließ es wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zu.
Mit ihrer Revision rügen die Revisionskläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie machen u. a. geltend, das FG habe den Revisionskläger zu 2) zu Unrecht als Kläger angesehen. Die Klage sei nur von der KG erhoben worden. Der Gesellschafter-Geschäftsführer hätte notwendig zum Verfahren beigeladen werden müssen. Als Beigeladener hätte er in der mündlichen Verhandlung neue Tatsachen vortragen können. Diese Möglichkeit sei ihm abgeschnitten und dadurch das rechtliche Gehör versagt worden.
Die Revisionskläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und nach den erstinstanzlichen Klageanträgen der Klägerin zu erkennen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Dem FA erscheint es zweifelhaft, ob das FG die Revision hätte wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zulassen dürfen. Jedenfalls sei dem FG in materieller Hinsicht beizutreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig. Sie führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG.
Die Vorinstanz hat den Revisionskläger zu 2) im Verfahren über die Klage als Kläger behandelt, ohne ihm zuvor Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Darin liegt ein Verstoß gegen Art. 103 des Grundgesetzes (GG), § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Nach der Bezeichnung in der Klageschrift ist die Klage von der KG, vertreten durch ihren persönlich haftenden Gesellschafter, erhoben worden. Da der Streit um die teilweise Zurechnung eines Wirtschaftsguts zum Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafter-Geschäftsführers geht, ist dieser nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO selbst klagebefugt und muß daher, falls er nicht neben der KG als Kläger angesehen werden kann, gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig zum Verfahren beigeladen werden. Allerdings hat der erkennende Senat im Urteil I R 62/74 entschieden, in einem solchen Fall könne in der Regel davon ausgegangen werden, daß der zur Geschäftsführung berufene und als Vertreter der Personengesellschaft auftretende Gesellschafter die Klage gleichzeitig im eigenen Namen habe erheben wollen. Dieser Grundsatz bedarf jedoch einer Einschränkung. Seine Anwendung setzt voraus, daß dem Gesellschafter-Geschäftsführer durch seine Behandlung als Kläger kein prozessualer Nachteil entsteht. Der Gesellschafter-Geschäftsführer kann ein Interesse daran haben, nicht als Kläger aufzutreten, sondern es auf eine Beiladung ankommen zu lassen. Dies zeigen z. B. die Kostenfolgen eines Verfahrens, die für eine Prozeßparteil andere sein können als für den Beigeladenen (vgl. § 135 Abs. 3 FGO). Daß der persönlich haftende Gesellschafter nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch im eigenen Namen Klage erhoben habe, kann - wenn dadurch die prozessualen Interessen des Gesellschafter-Geschäftsführers berührt werden - nicht ohne weiteres unterstellt werden. Denn es liegt allein im Willens- und Entscheidungsbereich des Steuerpflichtigen, ob er durch ein schriftliches Gesuch gerichtlichen Rechtsschutz begehren will oder nicht (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1977 II R 96/75, BFHE 123, 437, BStBl II 1978, 70). Daher muß ihm zunächst Gelegenheit gegeben werden, sich zu der Frage zu äußern, ob er die Klage auch im eigenen Namen erhoben hat. Gerade im vorliegenden Fall hätte sich eine Anhörung in besonderem Maße aufgedrängt. Denn die Klägerin hatte zunächst auf mündliche Verhandlung verzichtet, später jedoch darum gebeten, ihren Standpunkt doch in einer mündlichen Verhandlung vortragen zu dürfen. Das FG hatte den Verzicht als unwiderruflich angesehen. Der Revisionsrüge des Revisionsklägers zu 2) ist zu entnehmen, daß er - wäre er gefragt worden - erklärt hätte, er habe die Klage nur im Namen der Gesellschaft erhoben. Eine solche Erklärung hätte zur notwendigen Beiladung des Gesellschafter-Geschäftsführers führen müssen, mit der Folge, daß er durch Nichtabgabe einer Verzichterklärung nach § 90 Abs. 2 FGO eine mündliche Verhandlung vor dem FG hätte herbeiführen können. Diese Möglichkeit hat ihm das FG abgeschnitten, da es ihn nicht angehört hat.
Fundstellen
Haufe-Index 72858 |
BStBl II 1978, 648 |
BFHE 1979, 486 |