Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein in der sowjetischen Besatzungszone enteignetes, nicht in das Bundesgebiet verlagertes Kreditinstitut darf in der Regel zur Zeit keine Zinsrückstellungen für die vor der Bestellung des Treuhänders begründeten Verbindlichkeiten zu Lasten des steuerlichen Gewinns machen.
Normenkette
EStG §§ 5, 6/3, § 35; UGDV § 9
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.) ist ein in der sowjetischen Besatzungszone enteignetes, nicht in das Gebiet der Bundesrepublik verlagertes Kreditinstitut. Zur Verwaltung ihres im Bundesgebiet gelegenen Vermögens wurde auf Grund des § 9 der 35. Durchführungsverordnung zum Umstellungsgesetz (Gesetz Nr. 63), Verordnung über Geldinstitute mit Sitz oder Niederlassungen außerhalb des Währungsgebietes (Steuer- und Zollblatt 1949 S. 401), ein Treuhänder bestellt. Dem Treuhänder ist es nach § 9 Abs. 3 a. a. O. untersagt, vor seiner Bestellung begründete Verbindlichkeiten zu erfüllen.
Das Finanzamt lehnte bei den vorläufigen Körperschaftsteuerveranlagungen für 1952-1954 die Berücksichtigung von Zinsrückstellungen für Verbindlichkeiten ab, die vor der Bestellung des Treuhänders entstanden waren. Im Berufungsverfahren erkannte es diese Rückstellungen für Verbindlichkeiten an, deren Gläubiger im Bundesgebiet ihren Wohnsitz haben. Das Finanzamt stützte seine Auffassung auf das gesetzliche Zahlungsverbot des § 9 Abs. 3 a. a. O. und auf die Tatsache, daß die Ost-Gläubiger im Rahmen der Enteignung des in der sowjetischen Besatzungszone gelegenen Vermögens durch Barzahlungen und durch Ausgabe von Schuldverschreibungen des enteignenden Landes entschädigt worden seien.
Das Finanzgericht stellte durch Zwischenentscheidung fest, daß bei dem im Bundesgebiet gelegenen Vermögen Rückstellungen aus der Zinsbedienungspflicht sowohl der West- als auch der Ost-Verbindlichkeiten zu berücksichtigen seien. Es begründete seine Entscheidung wie folgt: Auszugehen sei davon, daß die Stpfl. als im Bundesgebiet fortbestehend und unbeschränkt steuerpflichtig angesehen werden müsse (Urteil des Bundesfinanzhofs I 57/56 U vom 24. August 1956, Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 III S. 289, Slg. Bd. 63 S. 241). Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Verbindlichkeiten gegenüber West-Gläubigern und denen gegenüber Ost-Gläubigern bestehe nicht. Ebenso wie die Ansprüche der West-Gläubiger erstreckten sich auch die Ansprüche der Ost-Gläubiger anteilig auf das gesamte und damit auch auf das im Bundesgebiet gelegene Vermögen der Stpfl. Zwar seien die Ost-Gläubiger zum Teil mit Barkonten und zum überwiegenden Teil mit langfristigen Schuldverschreibungen abgefunden worden. Diese Abfindung könne aber nach der im Bundesgebiet herrschenden Rechtsauffassung nicht als Erfüllung der Forderungen betrachtet werden.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.
Der erkennende Senat hat in dem Urteil I 57/56 U festgestellt, daß die Stpfl. im Bundesgebiet unbeschränkt steuerpflichtig ist. Unstreitig übersteigen die gesamten West- und Ost-Verbindlichkeiten der Stpfl. um ein Mehrfaches das im Bundesgebiet gelegene Aktivvermögen. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Stpfl. können die von ihr berechneten jährlichen Zinsverbindlichkeiten gegenüber den West- und Ost-Gläubigern nur zu etwa 12 v. H. aus den Einkünften des im Bundesgebiet gelegenen Vermögens gedeckt werden. Der Bundesgesetzgeber hat in den Fällen der vorliegenden Art durch § 9 a. a. O. ein vorläufiges Zahlungsverbot für alle vor dem Beginn der Treuhandschaft begründeten Verbindlichkeiten erlassen und sich damit vorbehalten, die Rechtsstellung der West- und Ost-Gläubiger der in der sowjetischen Besatzungszone enteigneten, nicht nach dem Bundesgebiet verlagerten Kreditinstitute später gesetzlich zu regeln. Da nicht abzusehen ist, wann eine solche gesetzliche Regelung möglich sein wird, dürfen die Veranlagungen der im Bundesgebiet unbeschränkt steuerpflichtigen Kreditinstitute nicht zurückgestellt werden, wobei der Senat zu der Frage, ob und in welchem Falle vorläufige Veranlagungen zulässig sind, nicht Stellung zu nehmen braucht. Bei den durchzuführenden Veranlagungen kann nur von der Rechtslage ausgegangen werden, die zur Zeit besteht und die sich wahrscheinlich in absehbarer Zeit nicht ändern wird.
Dem Finanzgericht kann darin nicht zugestimmt werden, daß es für die Zulässigkeit der Rückstellungen für Zinsverbindlichkeiten dem Grunde nach ausschließlich darauf ankommt, ob die Ost-Verbindlichkeiten auf Grund der Enteignungsmaßnahmen der sowjetischen Besatzungszone als erloschen anzusehen sind. Nach § 6 Ziff. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG - (1952) gelten für Verbindlichkeiten die Bewertungsgrundsätze des § 6 Ziff. 2 sinngemäß. Rückstellungen für Zinsverbindlichkeiten können bei den hier streitigen Veranlagungen nur berücksichtigt werden, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit der Erfüllung dieser Verbindlichkeiten in Zukunft gerechnet werden muß. Der Nachweis einer solchen Wahrscheinlichkeit ist nicht erbracht, weil die künftige gesetzliche Regelung in keiner Weise übersehen werden kann. Berücksichtigt man, daß der Gesetzgeber zur Zeit ein Zahlungsverbot erlassen hat und daß die Erträge des im Bundesgebiet gelegenen Vermögens nur zu einem geringen Bruchteil zur Deckung aller Zinsverbindlichkeiten gegenüber West- und Ost-Gläubigern ausreichen würden, so muß es selbst dann als unwahrscheinlich angesehen werden, daß der Gesetzgeber später eine Erfüllung dieser Zinsverbindlichkeiten anordnen wird, wenn er in Zukunft eine Gleichbehandlung der West- und Ost-Gläubiger vorsehen sollte. Es ist in diesen Fällen viel eher die Annahme gerechtfertigt, daß der Gesetzgeber unbeschadet der Anerkennung des Fortbestehens der Ost-Verbindlichkeiten eine Zinszahlung ausschließen und das vorhandene Vermögen im Zeitpunkt der gesetzlichen Neuregelung auf die West- und Ost-Gläubiger verteilen wird. Bei dieser Sachlage ist zur Zeit eine Rückstellung für Zinsverbindlichkeiten gegenüber den West- und Ost-Gläubigern nicht gerechtfertigt. Die Veranlagungen müssen ohne Berücksichtigung solcher Rückstellungen durchgeführt werden. Für diese Beurteilung der Rechtslage spricht auch die überlegung, daß der Gesetzgeber bei der künftigen Regelung wahrscheinlich von den Grundsätzen der richterlichen Vertragshilfe ausgehen wird und deshalb bei der Entscheidung der Frage, ob die Stpfl. ihre zur Zeit nicht erfüllbaren Verbindlichkeiten verzinsen muß, die Enteignung des größten Teils ihres Vermögens und das Verhältnis des im Bundesgebiet gelegenen Vermögens zur Summe aller Verbindlichkeiten nicht außer Betracht lassen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 409150 |
BStBl III 1958, 396 |
BFHE 1959, 318 |
BFHE 67, 318 |
DB 1958, 1202 |